Merkels Spritzpistole

Erst wurde Rot-Grün niedergeschrieben, dann werden Arbeitslose als Abzocker und Parasiten bezeichnet – diese Woche wollen sich die Eigentümer "Spiegel"-Chefredakteur Stefan Aust vorknöpfen. Was ist mit dem einstigen "Sturmgeschütz der Demokratie" los? Falter, November 2005

 

 

Nein, es wäre natürlich übertrieben, zu sagen, im "Spiegel" ist dieser Tage von nichts anderem die Rede als von dem öffentlich ausgetragenen Streit über die politische Ausrichtung des Blattes. Vergangene Woche etwa gab’s zwischendurch echt lustige Themen. Die kleine Pretiose von Kultur-Autor Wolfgang Höbel etwa, der den Berliner Gansta-Rapper Bushido nach Linz nachgereist ist, wo der sich wegen einer Schlägerei vor Gericht verantworten mußte. "Linz ist der Arsch der Welt", hatte Höbel darin geschrieben, "das Härteste, was Österreich zu bieten hat." Der Absatz machte den Autor zum Mittelpunkt einer Lokalposse. Denn in Linz war man natürlich erstens erbost, zweitens aber auch irgendwie freudig aufgewühlt, weil man endlich mal wo vorkam. Höbel mußte rund um die Uhr Interviews für Linzer Lokalblätter und -radios geben. Ein Moderator hat ihn sogar in einem scharfen Live-Gespräch aufgefordert, sich bei den Bewohnern der beleidigten Stadt zu entschuldigen. Eine ganze Etage im Spiegel-Hochhaus an der Brandstwiete in Hamburg zerkugelte sich über die putzigen Linzer.

 

Aber es ist auch nicht übertrieben, wenn man feststellt, dass es im allgemeinen im "Spiegel" dieser Tage etwas ernst zugeht. Es herrscht Anspannung, seit die Gesellschafter des Hamburger Magazins eine Gesellschafterversammlung für den 16. November anberaumt haben, bei der sie Chefredakteur Stefan Aust ins Gebet nehmen wollten. Der lehnte ab, mit dem heroischen Hinweis, das widerspreche allen Geboten der journalistischen Unabhängigkeit: Er lasse sich nicht vorladen, "um über redaktionelle Inhalte oder die politische Ausrichtung des ‚Spiegel‘ zu debattieren", bekundete Aust. Das wäre gewissermaßen gegen die Pressefreiheit.

 

Das klingt standhaft, doch die Sache ist etwas vertrackter. Der "Spiegel" ist nämlich zu 50,5 Prozent in der Hand der Mitarbeiter KG, die 700 Angestellte des Verlages vertritt, zu 26 Prozent im Besitz von Gruner + Jahr, den Rest (24 Prozent) halten die Erben von Spiegel-Gründer Rudolf Augstein. Wenn die Haupteigentümer die Mitarbeiter sind, der Chef mit denen aber nicht über die politische Linie des Blattes debattieren will, dann hat er vielleicht die Satzung der Gesellschaft hinter sich – als Verteidigung der Pressefreiheit gegen das Kapital läßt sich das aber nicht so leicht verkaufen. Das macht die Sache komplex und sie wird noch durch ein paar Dutzend andere sich überkreuzende Interessen und Egoismen verkompliziert.

 

Andererseits ist die Chose auch wieder simpel. Denn viele haben sich zuletzt, wenn sie zu dem Hamburger Blatt griffen, gefragt: Was ist eigentlich mit dem ‚Spiegel‘ los? Da brauchte man nicht erst einen krawalligen Kanzler Gerhard Schröder, der sich am Wahlabend im September bitter über die Medienkampagne gegen seine Regierung beschwerte und einem "Spiegel"-Redakteur zuraunte, seine Zunft müsse künftig "sehr aufpassen". Das war bestimmt etwas unelegant, meinte im Kern wohl aber das, was Tom Schimmeck vor zwei Monaten in der taz so umschrieb: dass eine Herrencrew an der Magazinspitze "das einst so stolze ‚Sturmgeschütz der Demokratie‘ (…) zur Spritzpistole der Angela Merkel" umrüstete. Der Titel des bissigen Essays: "Arschlochalarm!"

 

Der "Spiegel" ist jedenfalls nicht mehr das was er einmal war: kritisch nach allen Seiten, aber im Zweifel links bis linksliberal. Heute ist er neoliberal. Und das nicht nur im Zweifel. Das äußert sich nicht nur in der Art, wie die rot-grüne Regierung in den vergangenen eineinhalb Jahren niedergeschrieben wurde. Letzteres ließe sich zur Not noch rechtfertigen: als scharfe, aber vertretbare Bissigkeit vor Fürstenthronen.

 

Anderes aber nicht mehr. Man braucht sich nur eine beliebige Ausgabe zur Hand nehmen. Etwa die von vor zwei Wochen. Bildunterschriften werden da zu kommentarhaften Meinungsbekundungen, so in einer Story über den sozial orientierten CSU-Mann Horst Seehofer, der gegen Merkels Willen auf die Kabinettsliste gehievt wurde. "Die Bodentruppen der Besitzstandswahrer weiß er hinter sich", heißt es in der Bildlegende unter einem Seehofer-Foto. Aber das sind nur Marginalien, verglichen mit der Cover-Story. Die widmet sich dem "Spiel mit den Armen – Wie der Sozialstaat zur Selbstbedienung einlädt". Als Illustration dient ein "Geld-O-Mat", der an einarmige Banditen erinnert, und insinuiert, die Hartz-IV-Empfänger betrieben eine beinharte Abzocke. Im Blattinneren ist von der "Melkkuh Sozialstaat" die Rede und recht distanzlos wird aus einer Broschüre des Sozialministeriums zitiert, in der es heißt: "Biologen verwenden für Organismen, die zeitweise auf Kosten anderer leben, die Bezeichnung Parasiten."

 

Um journalistische Grundtugenden scherten sich die Autoren kaum mehr: der Text ist einfach entlang einer Kampagne des Ministers geschrieben. Der hat mitbekommen, dass die Mittel für die reformierte Arbeitsmarktverwaltung nicht ausreichen – und versuchte sich gegen öffentliche Kritik zu wappnen, indem er unterstellte, es werde von geldgierigen Arbeitslosen schamlos viel mehr Knete gezogen, als gerechtfertigt wäre.

 

Dabei haben der Wirtschafts- und Sozialminister bzw. der Finanzminister absichtlich zu wenig Finanzmittel in ihren Budgetplan geschrieben -, hätten sie die realen Zahlen eingesetzt, Deutschland hätte die EU-Haushaltsregeln völlig gesprengt. Sie hatten 14,6 Milliarden Euro eingeplant, obwohl die Arbeitslosenhilfe schon im Vorjahr mit 18,7 Milliarden und die Sozialhilfe mit 9,8 Milliarden zu Buche schlägt. Dass, wenn man beide Posten – wie geschehen – zusammenlegt, 14, 6 Milliarden schwer reichen können, wußte jeder. In der Spiegel-Story war davon kein Wort zu lesen.

 

Zwei Männer, darin ist man sich in der Zunft einig, sind für die Umrüstung des Spiegel zum forsch-flotten neoliberalen Kampfblatt verantwortlich: Da ist einmal Chefredakteur Stefan Aust, 59, Porschefahrer und Pferdezüchter, einstiger Linker, in frühen Tagen "Konkret"-Mann und Ulrike-Meinhof-Weggefährte. Seit dem Tode von Rudolf Augstein führt er autokratisch das Unternehmen, "aufbrausend und ungeduldig", die Redaktion an der Leine "wie ein ungebärdiges Pferd" – so wird er von seinem engen Freund, dem Ex-Stern-Chef Michael Jürgs in der ersten Nummer des neuen Hochglanzblattes "Park Avenue" beschrieben (man kann sich vorstellen, was Leute über Aust sagen, die nicht mit ihm befreundet sind). Und da ist Gabor Steingart, 43, der Chef der Hauptstadtredaktion, der von Aust eine Carte Blanche über die Linie der innenpolitischen Berichterstattung hat und bislang allgemein als dessen potentieller Ziehsohn für eine etwaige Übernahme des Chefsessels betrachtet wurde. Von seinen Haltungen her ist er so etwas wie der Christian Ortner Berlins, wobei er alle dessen Meinungen teilt, dafür aber keine seiner Tugenden. Mit Aust im Rücken sorgte Steingart dafür, "dass der Spiegel heute dem neuen Mainstream vorantrötet und die letzten kulturpessimistischen Bedenkenträger endlich aus ihren Löchern treibt, all diese altlinken Multikultisozialromantiker, Gewerkschafter und andere ‚Gutmenschen’" (taz). Dabei bemüht Steingart, wie in seinen Kreisen üblich, die scheinbar demütigen Catch-Phrasen: Weder verfolge er eine Ideologie oder eine politische Linie, er halte sich einfach an die "Wirklichkeit", die "Realität". Sagt: "Ich bin Realist". Den ewigen Refrain aus Steuern runter, Staat verschlanken, Sozialleistungen kürzen auf den Lippen, ist er im Schlepptau Austs nach oben geklettert. Andersdenkende haben die Flucht ergriffen oder wurden weggeräumt.

 

Dass sich die Männerseilschaft Aust-Steingart in Redaktions- wie Eigentümerkreisen nicht viele Freunde machte, kann nicht überraschen. Dass die Augstein-Erben, die Journalisten Jakob und Franziska Augstein, ein wenig wurmt, dass sie auf das Blatt, das ihnen fast zu einem Viertel gehört, keinen Einfluss haben, spielt ebenso eine Rolle. Der "Spiegel" sei "ein geschwätziges Blatt unter vielen", rechnete Franziska Augstein vergangene Woche mit Aust ab.

 

Es herrscht Kalter Krieg. Finaler Showdown ist so schnell keiner zu erwarten. Die Meinungslage in der Redaktion selbst ist zu kontrovers, ohnehin könnten die Eigentümer Aust nur schwer ans Leder. Möglich, dass sie ihn mobben, bis er von selbst geht – immerhin wird ihm ein Angebot für einen Chefposten im Springer-Konzern nachgesagt. Zumindest aber der jähe Aufstieg von Chefideologe Steingart dürfte gestoppt sein. Austs Ziehsohn wird auf seiner Westerwelle ab nun wohl eher nach unten reiten.  

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