Woody Allen der Frontreporter

Irak-Krieg. Chris Ayres ist Reporter der Londoner Times und war im Irak-Krieg bei den US-Marines eingebettet. Jetzt hat er eine neue Literaturgattung erfunden: Kriegsberichterstattung zum Zerkugeln. profil, November 2005

 

 

Zeitungsreporter, die weit entfernt von der Zeitzone stationiert sind, in der ihr Blatt erscheint, gewöhnen sich gewisse Tricks an. Etwa: Wach, professionell und schaffensfroh zu wirken, auch wenn sie der Redakteur ihrer Zeitung gerade aus dem Tiefschlaf geholt hat. Was normalerweise eine sehr nützliche Gewohnheit ist, hatte für Chris Ayres, dem Hollywood-Reporter der altehrwürdigen Londoner Times, allerdings eines Morgens im Spätherbst 2002 fatale Folgen. Es war 14.30 in London – und 6.30 in Los Angeles – da läutete sein Telefon. Am anderen Ende der Leitung war Martin Fletcher, der Chef des Auslandsressorts. "Ayres, willst Du in den Krieg ziehen?" Ayres automatisierte Antwort im Halbschlaf: "Ja! Mit großem Vergnügen". 

 

Aus Angst um seinen Job nimmt er die vorschnelle Zusage nicht zurück – er zog in den Krieg, weil er ein Feigling ist. So wurde Chris Ayres, der bisher als Wirtschaftsjournalist in London und New York gearbeitet und gerade auf seinen neuen Posten als Celebrity-Adabei gewechselt hatte, zum eingebettenen Kriegsreporter. Sein Pech nahm seinen Lauf: statt eines ruhigen Postens auf einem Flugzeugträger wird er einem Kommando der US-Marines zugewiesen, das direkt an der Front (und gelegentlich irrtümlich sogar jenseits derselben) operiert.

 

Ayres machte das Beste daraus: Er schrieb ein Buch "War Reporting for Cowards" ("Kriegsberichterstattung für Feiglinge"), mit dem er es nicht nur auf die Spitzenränge der Bestsellerlisten der New York Times schaffte, sondern mit dem er eine neue Literaturgattung erfand – Kriegsberichterstattung mit Ironie, Witz und Aberwitz. Chris Ayres, der Woody Allen der Frontreporter. Wohl noch nie ist ein so ernstes Thema so lustig beschrieben worden. Unter den US-Soldaten im Irak ist es ein Renner. Die zerkugeln sich bei der Lektüre, vorausgesetzt sie finden ein paar Minuten, in denen ihnen zum Lachen zumute ist.

 

Schon auf der ersten Seite stellt Ayres alles klar: "Die meisten Kriegsreporter sind mutige, selbstlose Typen. Ich nicht."

 

Seine Existenz als Kriegsreporter beginnt damit, dass er vom Pentagon eine Liste der Dinge erhält, die er unbedingt in die Kampfzone mitnehmen müsse. Weil diese in Hollywood schwer zu bekommen sind, versucht er es in einem Campingladen am Rodeo-Drive. Mit dem Ergebnis, dass er mit einem gelben Zelt mit einem fluoreszierenden, knallroten Kreuz am Dach aus dem Shop kommt, das sicherlich sehr nützlich ist, wenn man aus Bergnot gerettet werden will – im Krieg jedoch ein optimales Ziel abgibt. "Wenn ich das irgendwo in der Nähe der Marines aufstelle, werde ich sicherlich vor ein Kriegsgericht gestellt oder erschossen", denkt Ayres, als er in seinem Wohnzimmer übt, es aufzubauen.

 

Dabei sorgt, als er bei der Truppe anlangt, schon seine knallblaue kugelsichere Weste mit der Aufschrift "Press" für Aufregung. "Was glauben Sie, wie viele blaue Dinger es da draußen in der irakischen Wüste gibt?" fragt ihn ein Captain. "Ich werde es ihnen sagen. Da gibt es exakt ein blaues Ding. Und das sind sie!" Währenddessen drückt ein Soldat wie wild auf die Schutzweste. "Da steht ‚Press‘. Also presse ich!" Gelächter. Wenn Ayres im Krieg seine blaue Weste trägt, achten die Marines jedenfalls darauf, sich nicht in seiner Nähe aufzuhalten.

 

Der "Media Dude" – der "Medientrottel" – wird zum Gespött der Truppe. Als eine Presse-Offizierin bei der Einweisung in den Gebrauch von Gasmasken in heftige Zuckungen verfällt, denkt Ayres "dass sie zeigt, wie es Senfgas-Opfern ergeht". Dabei schüttelte sie sich nur vor Lachen über seine Ungeschicklichkeit.

 

Das Maskottchen seiner Einheit ist der "Fleckige Ali", eine Taube, die in einem Käfig mitgeführt wird. Eine Art lebender Gefahrenmelder: Solange die Taube wohlauf ist, kann man sicher sein, dass keine biologischen und chemischen Waffen im Einsatz sind.

 

Überhaupt ist es so eine Sache mit dem High-Tech-Warfare: So verirrt sich sein Gefährt hinter die irakische Verteidigungslinie, weil das GPS-Gerät ausfällt – die Batterie ist aus. Zum Glück hat Ayres einen Duracell-Vorrat für seine elektrische Zahnbürste mitgenommen. Ayres gehört zur Spitzengruppe, die schneller gegen Bagdad stürmt, als die Logistik im Hinterland den Nachschub organisieren kann. In der zweiten Reihe eines Humvees, einer Art gepanzerten Pick-Up mit Maschinengewehr am Dach, zittert er sich durch einige lebensbedrohende Episoden. Er fühlt sich als Versager, bis ihm seine Freundin mitteilt, seine Story von einem Panzerangriff sei nicht nur gedruckt worden, sie sei sogar auf der Titelseite gedruckt. "Um genau zu sein, sie ist die Titelseite."

 

Das alles liest sich extrem amüsant, man findet sich in einem regelrechten Zerkugel-Hagel wieder und den Leser krümmt es, als wäre er selbst einem Lachgasangriff ausgesetzt. Womöglich hat Ayres aber nur die literarische Form gefunden, die dem absurden Konzept des bei der Truppe "eingebetteten" Reporters angemessen ist. Er riskiert sein Leben und weiss nicht, was genau vor sich geht – er kennt nicht einmal die ungefähre Position seiner Einheit. "Echte Kriegsreporter schreiben über beide Seiten eines Konflikts. Ich könnte genauso gut von den Marines bezahlt werden", schreibt er – er hat keine andere Wahl, als aus ihrer Sicht zu berichten. Unparteiisch ist er natürlich keineswegs: Er hofft, dass die US-Truppen soviele Iraker wie möglich töten, weil das die Wahrscheinlichkeit verringert, dass die ihn nicht töten. "Meine Mutter wußte mehr über den Krieg als ich. Manchmal hatte ich das Gefühl, alles was ich tue, ist, neben den Kanonen zu stehen und zu beschreiben, wie laut sie sind. Ist es das wert, sein Leben zu riskieren?"

 

Nach knapp zehn Tagen Krieg hat Ayres genug. Als man alle Satellitentelefone seines Typs konfisziert, weil – wie er später erfährt – Saddam Hussein das selbe benützt und man dessen Position orten will, läßt er sich nach Kuwait zurückbringen. Sein Helikopter kommt unter Beschuss, Ayres bezahlt seine Flucht vom Schlachtfeld beinahe mit dem Leben. Die Times bringt ihn groß raus. Kriegsreporter gibt es viele, aber nur einen, der auf Hasenfüßen durch den Kugelhagel stolpert. Ayres Fazit: "Marines kommen wegen Feigheit vor ein Kriegsgericht; Journalisten in eine Suite im Marriott-Hotel".

 

Chris Ayres: War Reporting for Cowards. John Murray Publishers. London, 2005. 289 Seiten, 20,09 Euro.

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