„Wait ‚til you see, Muhammad Ali“

Ein Monument der Gegenkultur. Zum 65. Geburtstag von Muhammad Ali. Für Quantara.de, 17. Jänner 2007.

Für das Kind, das ich war, war er die erste Celebrity, die in mein Leben trat. Mit krakeligen Strichen zeichnete ich am Küchentisch, ich muss damals vier oder fünf Jahre gewesen sein, den boxenden Muhammed Ali. Seine Boxkämpfe zählten zu den ersten großen Fernsehereignissen. Im Pantheon der Legenden der 60er Jahre hat er einen fixen Platz, gemeinsam mit Mondlandung, Beatles, Rolling Stones. Ein Monument seiner Zeit.

 

Heute, Mittwoch, wird Mohammed Ali 65 Jahre alt. Heute kennt man ihn nur mehr als motorisch schwer gehandikapten Mann, gezeichnet von der Parkinsonschen Krankheit, an der er seit mehr als fünfundzwanzig Jahren laboriert. Die Krankheit hat ihn in sein Gegenteil verwandelt. Einen der schnellsten Männer der Welt zu einem der langsamsten, den Inbegriff der Virilität zu einem, der Leid und Gebrechen mit Würde trägt.

 

Er war, als die Populärkultur ihren Siegeszug antrat, der erste Popstar des Sports – und sollte bis heute dessen größter bleiben. Als Boxer unerreicht, wurde er doch als Showman und öffentliche Figur zur Legende. Sein Boxstil selbst war Show. Das leichtfüßige Tänzeln im Ring, die herabhängende Deckung, die die Gegner provozierte und demütigte, die Beweglichkeit, mit der er Schläge auspendelte. „Float like a butterfly, sting like a bee“, war sein Kampfspruch. „Der boxt mit den Beinen“, sagte man seinerzeit. „I am the Geatest“, nannte er sich schon, als ihn noch niemand kannte (was dazu beitrug, dass ihn bald alle kannten). „Großmaul“, nannte man ihn darauf. Seine Provokationen stieß er in einem spontanen Sprechgesang aus, Rap-Zeilen avant le lettre: „I’m so fast man / I can run through a hurricane and don’t get wet. / When George Foreman meets me he’ll pay his debt. / I can drown and drink the water and kill a dead tree, / wait ‘til you see Muhammad Ali.“

 

Ali wurde zu einer Ikone der Gegenkultur. Das liegt daran, dass er sich Autoritäten nicht unterordnete. Seinen Geburtsnamen Cassius Clay legte er ab – „das ist mein Sklavenname“. Er wandte sich der „Nation of Islam“ von Malcom X zu und verweigerte den Dienst in Vietnam, mit der legendären Begründung „ich habe keinen Streit mit dem Vietcong“. Dafür wurde ihm sein erster Weltmeistertitel aberkannt. Erst 1974 holte er ihn sich beim „Rumble in the Jungle“ in Kinshasa gegen George Foreman zurück. Noch ein drittes Mal sollte er Anfang der 80er Jahre den alten Boxerleitspruch „They never come back“ widerlegen.

 

Aber vielleicht sind es nicht nur diese politischen Gründe, die Ali zu einem Monument der Gegenkultur machten. In der Gegenkultur wurde der Dandystil kultiviert oder das Hippietum, Poesie und Zartheit waren hohe Werte. Aber doch ließ sich diese „intellektuelle“ Welt immer auch gerne faszinieren vom Boxen. Von der Virilität, der Vitalität, vom Atavismus der rohen Gewalt. Schon Brecht war ein Boxfan und nicht wenige Dichter sind angezogen von Kampf und „Miljöh“. Im Boxer sieht der Intellektuelle auch immer das Andere der eigenen Verzärteltheit. Aber nur in Ali konnte man das Andere der Poesie und die Poesie zugleich sehen: den Künstler, aber einen mit der Eisenfaust. Der schöne Schläger. Der Beste einer Gewaltsportart, der sich doch immer wieder für soziale und gesellschaftliche Belange engagierte – bis heute übrigens. 65 ist er erst alt und gut zwei Drittel seines Lebens hat er als Legende verbracht.

 

Wenn ich mir heute noch gelegentlich – nur mehr selten, zugegeben – den Wecker stelle, um mir um 4 Uhr früh einen Boxkampf anzusehen, dann wohl nur deshalb, weil Muhammed Ali und seine Kämpfe sich tief in das Gedächnis des Kindes, das ich war, eingebrannt haben.

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