Forever RAF?

Die Geschichte der „Roten Armee Fraktion“ ist längst zu einem undurchdringlichen Dickicht von Mythen geworden. Die Freilassung Brigitte Mohnhaupts zeigt, dass sich der Rechtsstaat davon nicht beeindrucken lässt. Falter, 20. Februar 2006

 

 

37 Jahre ist es her, seitdem der erste Schuss der „Roten Armee Fraktion“ abgegeben wurde. Andreas Baader würde, lebte er noch, demnächst 64 Jahre alt, die Meinhof wäre vor kurzem 72 geworden. Zum Bildermythos, zu dem die RAF geworden ist, gehört auch, dass man sie immer noch mit graustichigen Fotos von 30jährigen verbindet, mit der Unbedingtheit der Jugend, mit Szenen, die nach französischen Nouvelle-Vague-Filmen aussehen. Ein Standard ist, dass die RAF als Geschichte von zwei, höchstens drei zentralen, exzentrischen Figuren erzählt wird – Baader, Meinhof, Gudrun Ensslin -, die im Generationenlauf ein paar Dutzend andere um sich scharten oder inspirierten, andere, die aber eigentlich der Anonymität bis heute nicht entkamen.

 

An diesen Klischees stimmt nahezu gar nichts. Wenn Brigitte Mohnhaupt demnächst nach mehr als 24 Jahren Haft freikommt, dann kehrt nicht irgendeine 57jährige Ex-Terroristin in die (prekäre) Normalität zurück, sondern Deutschlands bedeutendste Terroristenführerin. Mohnhaupt gehörte noch zur ersten Generation der RAF um Baader & Co. Bloß wurde sie in den siebziger Jahren, weil ihr mehr als die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung nicht nachgewiesen werden konnte, nur zu 4 Jahren Haft verurteilt.

 

Die letzten Monate davon saß sie in Stuttgart-Stammheim im Hochsicherheitstrakt mit der Kerncrew der RAF. Übrigens auch so ein urlinker Mythos: „Isolationsfolter“. Tatsächlich haben die RAFler in Stuttgart-Stammheim wie in einer WG gelebt, was nur deshalb lange unbekannt blieb, weil die Inhaftierten die angeblich schrecklichen Haftbedingungen zum Marketing benutzten, während die staatlichen Behörden ihrerseits in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck erwecken wollten, Baader und Co. hätten es im Knast leicht.

 

Als Mohnhaupt 1977 freikam, übernahm sie, ausgestattet mit der Autorität, Gesandte aus dem „Hauptquartier“ zu sein, die Führung der RAF. Sie sammelte die Illegalen. Die Morde an Buback, Ponto, Schleyer, die Landshut-Entführung, kurzum: der „deutsche Herbst“ 1977, bis heute das Trauma der bundesrepublikanischen Geschichte, sie gehen hauptsächlich auf das Konto der Kommandeurin Mohnhaupt. Sie leitete, wenn das Wort erlaubt ist, die „Geschicke“ der RAF fünf Jahre lang. Die Frau hatte „Managementqualitäten“. Die RAF war so sehr eine „Mohnhaupt-Gruppe“ wie sie eine „Baader-Meinhof-Gruppe“ war.

 

Nur, so ist das eben mit Mythen: Die werden an der Realität vorbei erzählt. Einen nüchternen Umgang mit Mythen zu verlangen, ist etwa so sinnvoll, wie einem Neurotiker zu raten, mit dem Neurotischsein aufzuhören.

 

Die alte, linksliberale RAF-Legende lautete in etwa so: Die RAFler seien „irrende Idealisten“ (Stefan Reinecke in der taz), oder, wie das der Historiker der deutschen Apo, Gerd Koenen, so unübertroffen auf dem Punkt brachte, sie seien die „bewaffnete Unschuld“. Durch die Umstände, den repressiven Staat, himmelschreiende Ungerechtigkeiten, seien gutwillige junge Menschen dazu gebracht worden, Widerstand zu leisten, und haben, Verirrte quasi, ein wenig übertrieben.

 

Dies war eine Strategie der unorthodoxen und Mainstream-Linken, die RAF von der eigenen Geschichte abzutrennen und gleichzeitig zu verniedlichen. Eine Strategie, die ein wenig vom schlechten Gewissen zehrte, das moderate Linke oft haben, die insgeheim darüber grübeln, ob sie nicht einfach nur aus Bequemlichkeit nicht radikal sind. Diese Legende machte die RAFler zu „Opfern“ der Verhältnisse und führte gelegentlich zu einer, na ja, vergleichsweise beschränkten Empathie gegenüber den Opfern der RAF. Wer anderen Leuten Löcher in die Köpfe schießt, der ist kein „gefallener Engel“.

 

Neuerdings wird diese Legende durch eine neue ersetzt: Die RAF sei eine gewaltgeile Todessekte gewesen, ein Haufen irrer Apokalyptiker und Gewaltfanatiker. Outlaw-Existenzialisten, die politische Motive nur vorschoben: „das Böse“ (Reinecke). Das ist, besonders wenn es von (Ex-)Linken vorgebracht wird, eine noch simplere Abtrennungsstrategie. Motto: Mit uns, mit ’68, mit Apo und Revolte hat die RAF aber doch nichts, aber gar nichts zu tun gehabt. Auch das ist natürlich falsch. Mitte der 70er Jahre  entschieden gelegentlich nur biographische Zufälle, ob ein Apo-Radikaler einen Weg ging, der ihn ins Ministerium führte, oder in die lebenslange Haft.

 

Dass Mohnhaupt nun frei kommt, zeigt, dass es einen Weg zurück gibt. Dutzende RAF-Leute, die heute als Dokumentarfilmer, Schauspieler, Lehrerinnen (!), als Aufbauhelfer am Balkan und Fotoredakteurinnen arbeiten, zeigen das übrigens schon längst. Natürlich steckt darin eine Ungerechtigkeit, die kein Rechtsstaat aufzulösen vermag: Terroristen können Ex-Terroristen werden, ihre Opfer macht niemand mehr zu „Ex-Opfern“.

 

Die Rechtspflege muss, anders als eine nachhaltig traumatisierte Gesellschaft, nüchtern sein. Die RAF-Leute haben nämlich die unangenehme Eigenschaft, dass sie zwar Mythen sind, aber nebenbei auch noch reale Menschen. Dass eine verurteilte Mörderin, von der keine Gefahr mehr ausgeht, nach einem vierteljahrhundert Haft freikommt, ist eigentlich so selbstverständlich, dass es schon wieder banal ist.

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