Nach Sibirien

Der Klimawandel ist nicht nur schädlich, er ist auch ungerecht. Denn er bedroht nicht alle gleich. Es wird Gewinner und Verlierer geben. Gewinnen werden in der Regel jene Gesellschaften, die jetzt schon reich sind.  Standard-Album, 5. Mai 07

 

 

Kann sein, dass sich so mancher vor dem Klimawandel fürchtet. Tashi gehört definitiv nicht dazu. „Ich habe von der globalen Erwärmung gehört, weiß aber nicht genau, was das ist“, sagt der 30jährige tibetanische Schafzüchter. Doch die Wirkungen kennt er: „Es wird wärmer“. Er weiß es aus Erfahrung. Es liegt jetzt weniger Schnee auf den Pässen in einigen tausend Metern, gleich neben dem Mount Everest, so dass er jetzt auch im Winter hier seine Schafe hochtreiben kann. Sie finden fette, grüne Nahrung, wo früher eine dicke Schneedecke lag, und deutlich weniger Tiere sterben an der Kälte.

 

Tashi ist eindeutig ein Gewinner des Klimawandels.

 

Es gibt auch andere. Ganze Regionen werden aufgewertet. Früher, im Kalten Krieg, war es für Millionen Menschen jenseits des Eisernen Vorhangs (und in den fünfziger Jahren auch in Österreich), eine Region des Schreckens, eine Metapher der Bedrohung: Sibirien. Russlands bitterkalter Norden mit seinen Dauerfrostböden war die Unwirtlichkeit schlechthin, ein Ort, der die Menschen vor die Hunde gehen ließ.

 

In ein, zwei Generationen wird man das den Leuten vielleicht kaum mehr glaubhaft machen können. Dann wird Sibirien womöglich eine einladende Gegend sein, verglichen mit den versteppten Landstrichen in Griechenland oder Nordafrika. Den Kalten Krieg mag Russland verloren haben. Den Erwärmungskrieg wird Sibirien gewinnen.

 

Das Wetter schlägt Kapriolen. Ebenso die Diskurse über das Klima. Spätestens seit am 2. Februar das „Intergouvernmental Panel on Climate Change“ (IPCC) seinen UN-Klimabericht vorstellte, an dem über tausend Wissenschaftler mitgearbeitet haben, ist unumstritten, dass es den Klimawandel gibt – fraglich ist nur mehr, welches im Detail die Auswirkungen sein werden. Unbestreitbar wie der warme April ist auch die Verschiebung der Diskurslage. Früher hatte, wer sich über die apokalyptische Angstlust der Ökokatastrophisten mokierte, ein Stück Realismus und mehr als eine Prise Vernunft auf seiner Seite. Die ökosensiblen Alarmisten waren es, die etwas durchgeknallt wirkten – die haben jahrein, jahraus, das Waldsterben ausgerufen, doch jeden Frühling wurden die Bäume stur dennoch grün. Und das Atomamargeddon blieb auch aus. Jene dagegen, die gelassen prophezeiten, es würde schon nicht so schlimm, schienen dem gegenüber mit der Wirklichkeit im Bunde. Und gute Argumente hatten sie meist auch. Doch mit dem Klimawandel ist das jetzt merklich anders. Zunehmend wirken die paar, die noch die fatale Wirkung des Treibhauseffekts in Frage stellen, wie überspannte Eiferer. Ein wenig erinnern sie schon an die Verschwörungstheoretiker, die ernsthaft glauben, die CIA habe den 11. September selbst eingefädelt oder wie die Holocaust-Leugner, die in der Welt herumziehen und predigen, das mit dem Vergasen sei technisch gar nicht möglich gewesen und hier!, hier! haben wir einen Ingenieur, der das auch gaaaanz genau berechnet hat. Nein, der ruhige Sound der Vernunft ist jedenfalls nicht mehr auf der Seite derer, die Coolness predigen, wenn’s mal ein bisschen wärmer wird.

 

Aber auch auf Seiten derer, die vor dem Klimawandel warnen, ändert sich die Diskurslage. Der Ökodiskurs hatte im allgemeinen seit jeher ein gesamt-humanitäres Gepräge – die Gefahren, denen das Ökosystem ausgesetzt ist, wurden als „Menschheitsbedrohungen“ beschrieben. Die Ökokrise war aus solcher Perspektive eine Krise, die alle gleich betrifft: Reiche und Arme, Industrie- und Entwicklungsländer. Der Grund für diesen Jargon des allgemein-menschlichen: Giftwolken töten ohne Ansehen der Person, und sie kümmern sich auch nicht um Grenzen. Die „Weltrisikogesellschaft“, um ein populäres Wort des Soziologen Ulrich Beck zu gebrauchen, sollte sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie riskant für alle sei, und das Riskanteste an ihr sollte sein, dass die Risiken nur mehr schwer zu kalkulieren seien.

 

Aber mit dem Klimawandel zeigt sich, dass das so nicht ganz stimmt. Der Klimawandel wird Gewinner und Verlierer haben. Und nur selten sind es arme Leute wie der tibetanische Schafzüchter Tashi, die damit rechnen können, zu den Gewinnern zu zählen. In der Regel werden die gewinnen, die heute schon auf der Gewinnerseite sind.

 

Wenn die gesellschaftlichen Kosten des CO2-Ausstoßes in den Benzinpreis eingerechnet werden und man für übermäßigen Verbrauch extra bezahlen wird müssen, dann wird Autofahren zum Luxus. Die Armen und die unteren Mittelschichten in den entwickelten Ländern werden das mit mangelnder Mobilität bezahlen. Ulrich Beck hat sein Modell vom verallgemeinerten, gleichen Risiko schon adaptiert. Jetzt sagt er voraus, der Klimawandel werde „zu erheblicher, neuer Ungleichheit“ führen. „Wird eine Hafenstadt infolge des steigenden Meeresspiegels überschwemmt, bauen sich die Wohlhabenden neue Häuser auf den Hügeln. Die Armen haben diese Möglichkeit nicht.“

 

Das renommierte US-Magazin „The Atlantic“ widmete eben die Coverstory seines April-Heftes der Frage „Hot Prospects: Who Loses – and Who Wins?” Hausbesitzer in Buffalo im US-Bundesstaat New York können auf einen schönen Wertzuwachs ihrer Immobilie wetten, Besitzer teurer Strandvillen in Florida sollten sich jetzt schon auf einen Wertverfall einstellen, wenn der Meeresspiegel steigt. Grundsätzlich gilt: Je näher am Äquator, umso unwirtlicher wird es – und je weiter entfernt, umso besser. Da aber ein großer Teil der ohnehin wirtschaftlich unterentwickelten Länder in Äquatornähe liegt, wohingegen die reichen Gesellschaften in der Regel der nördlichen Hemisphäre zugehören, werden globale Ungleichheiten noch wachsen. Die größten Gewinner, so Atlantic-Autor Gregg Easterbrook: „Alaska, Kanada, Grönland, Russland und Skandinavien.“

 

Hauptverlierer sind natürlich Inselvölker wie die Mikronesier, deren Wohngebiet mit einiger Wahrscheinlichkeit im Pazifik versinken wird. Afrika wird noch heißer. Die Wüste wird sich ausbreiten. Das wird nicht nur menschliche Tragödien nach sich ziehen, sondern möglicherweise Ursache globaler Konflikte werden. Der Migrationsdruck Richtung Norden wird noch anwachsen.

 

Um Missverständnisse zu vermeiden: Bei signifikanter globaler Erwärmung werden auch die Gewinner nicht nur Gewinner sein – Trockenheit, Versteppung, ein Rückgang von Ernteerträgen könnte auch zum Schicksal Zentral- und Osteuropas werden. Wolkenbruchartige Regenfälle, Überschwemmungen, Orkane, Hagel sind Extremereignisse, die häufiger und dazu führen werden, dass das Leben auch in hiesigen Breiten nicht ein einziges Sonnenbaden wird. Wenn der Meeresspiegel steigt, wird das auch für die Niederlande Probleme nach sich ziehen – aber die sind nichts im Vergleich zu der Katastrophe, die Bangladesh droht.

 

In hiesigen Breiten werden sich Vor- und Nachteile zumindest in etwa die Waage halten. Verlierer wäre der Wintertourismus – Schifahren braucht man künftig gar nicht erst zu lernen. Dafür hat womöglich bald bis ins nördliche Waldviertel Qualitätsweinbau eine Chance. In Norddeutschland jubilieren schon die Tourismusbetriebe – Nord- und Ostsee, bisher nur drei, vier Hochsommerwochen interessant, wird eine beliebte Destination für all jene werden, die der sengenden Hitze in der Türkei, in Tunesien oder auf den Seychellen ausweichen wollen. Mildere Winter in Europa wiederum schlagen sich jetzt schon in spürbar niedrigeren Energierechnungen der Haushalte nieder.

 

Russland, aufgrund gestiegener Ölpreise ohnehin bereits wieder auf dem Sprung zur Weltmacht, könnte der große Gewinner werden. „Russlands Vorteile durch die Erderwärmung übertreffen die Vorteile aller anderen Nationen zusammen genommen“, resümiert Easterbrook einschlägige Prognosen. Sibirien könnte fruchtbar, eine regelrechte Kornkammer werden. Und die Erschließung der fossilen Brennstoffe, die unter dem Dauerfrostboden vermutet werden, wäre plötzlich möglich – und auch wirtschaftlich.

 

Der Norden gewinnt, der globale Süden verliert. Aber das ist noch nicht alles. Die Antarktis ist heute international verwaltetes Gebiet – historisch erklärbar, weil es einst völlig uninteressant war, die Eisschollen zu erobern. Geologen vermuten große Ölvorkommen in der Südpolarzone, die ausgebeutet werden könnten, wenn die Eisdecke schmilzt. Internationale Konflikte um die Schürfrechte sind nicht undenkbar.

 

Nicht nur die klimatischen Folgen der Erderwärmung wären ungleich verteilt – die Fähigkeiten, sich auf die neuen Verhältnisse einzustellen, sind es noch viel mehr. Die Reichen haben in aller Regel die besseren Chancen, auf die Gewinnerstraße zu kommen. Auf der fahren sie dann in schicken Hybridautos. Schließlich bietet eine Krise immer auch denen Profitmöglichkeiten, die über avanciertes Know how verfügen. Schon raten Finanzanleger zum Kauf von Aktien jener Automobilunternehmen, die auf emissionsarme Fahrzeuge spezialisiert sind. Solarenergietechnik, beispielsweise, könnte zum großen Winner werden. Unternehmen mit viel Know how in Umwelttechnologie haben neue Gewinnaussichten. Und diese Unternehmen sind in der Regel in reichen Ländern beheimatet. In Deutschland haben verschiedene Wirtschaftsforschungsinstitutionen schon Modellrechnungen angestellt. In der BRD stünden sinkende Energiekosten und zusätzliche Einnahmen, etwa aus dem Tourismus, „Anpassungskosten“ (etwa durch Ernteausfälle und Naturkatastrophen) gegenüber. Saldo: Ein schönes Plus von 3,5 Milliarden Euro.

 

Die Erde wird durch den Klimawandel bedroht? Man kann das so sehen. Aber es ist auch nicht ganz richtig. Denn nicht jeder auf der Erde ist durch den Klimawandel gleich bedroht. Auch die ökologische Frage ist auch eine Gerechtigkeitsfrage.

2 Gedanken zu „Nach Sibirien“

  1. Eine interessante Darstellung. Die Gerechtigkeitslücke auf dieser Welt dürfte demnach nicht kleiner werden. Der Klimawandel verschlechtert offenbar gerade die Chancen vieler Länder, die heute schon benachteiligt sind…

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