Richard Rorty ist tot

Richard Rorty, einer der bedeutensten Denker unser Tage, ist vergangenen Freitag verstorben. Aus diesem Anlass ein Interview, das ich mit ihm im Frühjahr 2002 führte. Ein kurzes Gespräch, das ich mit ihm zum Irakkriegs-Ausbruch 2003 führte, finden Sie hier.

Unmittelbar nach den 11. September haben Intellektuelle, Leitartikler, Politiker prophezeit, dies würde die Welt verändern – die Weltpolitik, aber auch unsere westlichen Gesellschaften. Sogar ein Ende der Spaßkultur und eine neue Ernsthaftigkeit wurden vorausgesagt. Wie ist ihre Bilanz sechs Monate danach?

 

 

Rorty: Wenn es keine weiteren terroristischen Angriffe dieser Art gibt, dann wird die Welt nicht sehr viel verändert sein. Ich denke, was diese Leute gemeint haben, ist, daß es nun kleinen Banden von Kriminellen möglich ist, die großen Metropolen des Westens anzugreifen und damit sogar potentiell die verfassungsmäßigen Demokratien zu zerstören.

 

Das könnte heißen, daß sich zwar nicht die Welt, aber doch unser Blick auf dieselbe verändert hat, daß wir also nur zu Realisieren gezwungen waren, was längst der Fall war? Daß die Welt nicht nur von Staaten, Mächten und Nationalökonomien bewegt wird, sondern von Netzwerken verschiedener Art, darunter auch krimineller, terroristischer, religiöser? Daß al-Qaida zum Chiffre eines neuen globalen Paradigmas wurde?

 

Rorty: Oh nein, das meine ich ganz und gar nicht: al-Qaida ist nichts sehr viel anderes als die Mafia, sie haben nur Technologien zur Verfügung, die die Mafia nicht benutzt hat – bis jetzt zumindest. Ich glaube, es ist ein großer Irrtum, wenn wir jetzt so tun, als würde al-Qaida mehr darstellen als eine kleine Bande von Verbrechern.

 

Das klingt ja ziemlich cool!

 

Rorty: Nein, dieser Eindruck sollte nicht entstehen. Wenn so etwas noch einmal geschieht, wenn Osama bin Ladens Leute oder andere das House of Parlament in London zerstören oder die Hofburg in Wien oder den Eifelturm im Paris, wenn sie schmutzige Atombomben benützen, dann wird das wohl schlicht das Ende von Frieden und Fortschritt bedeuten. Dann würden wohl die Staaten im Westen zu Militärdiktaturen werden und unser Leben würde ganz anders aussehen als es bisher aussah. Aber das hat nichts mit der Globalisierung und auch nichts mit Ideologie zu tun, sondern einfach damit, daß die Kriminellen nun die Mitteln haben mehr anzurichten, als das bis heute der Fall war.

 

In den vergangen Monaten bestimmte die militärische Reaktion das Bild. Können Sie sich vorstellen, daß auf lange Sicht sich die Einsicht durchsetzt, daß beispielsweise die globale Ungerechtigkeit ernsthaft angegangen wird, oder daß kulturelle, religiöse Spannungen zwischen den Zivilisationen zu einem Thema werden?

 

Rorty: Das glaube ich nicht. Wir wissen doch schon lange über die sozialen Probleme im Weltmaßstab Bescheid, wir wissen, daß es diese Spaltung zwischen reichen und armen Ländern gibt – kaum jemand ist aber ernsthaft bereit, mehr Gleichheit zu realisieren. Jeder weiß, daß religiöser Fundamentalismus eine zerstörerische Kraft ist. Auch das ist nichts Neues.

 

Welche Auswirkungen haben die vergangenen sechs Monate denn auf Amerika gehabt?

 

Rorty: Wie wir wissen, fanden die Angriffe in einem Augenblick statt, in dem eine republikanische Regierung im Amt war. Somit haben die Anschläge die reaktionärsten Rechtspolitiker in den USA gestärkt. Wenn die Regierung die Gesellschaft für unabsehbare Zeit auf den Kriegskurs hält, wird das noch unangenehmere Auswirkungen haben.

 

Viele fürchten einen neuen McCarthismus. Teilen Sie diese Sorgen?

 

Rorty: Bisher ist das nicht so schlimm, das wird übertrieben. Aber wir können uns vorstellen, wie das wäre, wenn es weitere Anschläge gibt, denn schon jetzt ist die Gesellschaft viel militarisierter geworden und die Reaktion würde von diesem Umstand natürlich bestimmt.

 

Schon jetzt ist deutlich, nicht nur in den USA: militärische Antworten werden zunehmenden politischen Lösungen gegenüber bevorzugt; das Schwergewicht der Politik verlegt sich noch mehr in Richtung Exekutive, in Richtung der Regierung, weg von den Parlamenten. Ist das nur eine Momentaufnahme?

 

Rorty: Ich fürchte, das wird so bleiben. Es sieht doch so aus, als würden die USA den Irak noch vor Ablauf dieses Jahres angreifen. Der Präsident wird das tun, ohne den Kongreß zu konsultieren, ohne die öffentliche Meinung in Erwägung zu ziehen, ohne die Verbündeten zu fragen. Das dürfte die Standard-Praxis des amerikanischen Präsidenten werden. Das ist eine desaströse Wende, aber ich glaube, so wird es kommen.

 

Kann das das Ende der Nato bedeuten, wenn sich die USA nicht mehr um ihre Alliierten scheren?

 

Rorty: Ja, das ist möglich. Aber die Europäer haben begonnen, selbst zu denken. Die Europäische Union wird wohl ihre Meinung deutlich sagen, nicht bloß warten und sehen, was die USA vorhaben – etwa in Hinblick auf den Irak.

 

Haben Sie einen Rat an die Europa?

 

Rorty: Sie sollen endlich aufhören, nur auf das zu reagieren, was aus Washington kommt und eine eigene, positive Politik formulieren. Und sie sollten dabei sehr viel Ernsthaftigkeit zeigen: Die irakischen Massenvernichtungswaffen sind doch eine reale Gefahr für Europa. Das geht doch die Europäer unmittelbar an.

 

Grundsätzlich pflichten Sie also jenen bei, die sagen, das ist eine Epoche ernsthafter Gefahr, wir müssen unsere Art zu Leben gegenüber Bedrohungen verteidigen und die multikulturelle Toleranzideen in Frage stellen.

 

Rorty: Selbstverständlich. Es ist doch durchaus möglich, daß es Leuten wie Saddam Hussein oder Osama bin Laden gelingt, alles das zurückzudrehen, was wir im Westen seit der Französischen Revolution erreicht haben. Das ist ja keine Kleinigkeit, da kann man doch nicht nur mit den Schultern zucken.

 

Sie sind also ziemlich pessimistisch?

 

Rorty: Sehen Sie: Wir wissen eigentlich seit Hiroshima, daß die Atombombe unser Gesellschaftssystem bedrohen kann. Wir wissen jetzt, daß die moderne Technologie, die wir entwickelt haben, potentiell auf uns zurückschlagen kann.

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