Hollywood rettet die Welt

150 Acts auf sieben Kontinenten: Live Earth. Die Zeit, 5. 7. 2007

Der Link zur "Zeit".

 

Das Filmchen sieht aus wie Werbung, und das wundert nicht, denn es ist ja irgendwie auch eine. Ein Inuit, der drei mal kurz, drei mal lang, drei mal kurz auf einer Flöte bläst. Eine Schauspielerin, die drei mal kurz, drei mal lang, drei mal kurz mit den Füßen auf den Boden tippt. Ein bellender Wüstenhund. Ein Kinderchor singt: »Dot-Dot-Dot, Slash—-Slash—-Slash, Dot-Dot-Dot.« Abspann: »It’s time to Save Our Selves« Was für ein Zufall: das ergibt das Akronym SOS.

Schnelle Schnitte, coole Bilder, hipper Takt. Der Clip soll die Welt einstimmen – auf den Klimaschutz im Allgemeinen und im Besonderen auf das größte Konzertereignis, das der Globus je gesehen hat: Live Earth, eingefädelt und mit Wucht vermarktet von Al Gore, der für seine Dokumentation An Inconveniant Truth (Eine unbequeme Wahrheit) zuletzt mit einem Oscar geadelt wurde. Am 7.7.07 – auch eine schöne Zahlenkombination – soll das Konzert der Konzerte stattfinden: auf 150 Bühnen in sieben Kontinenten, mit schätzungsweise ein, zwei Millionen Live-Zusehern und einem Zwei-Milliarden-Publikum vor TV- und Computerschirmen. Der Hauptsponsor Microsoft sorgt für die Übertragungen. Sogar in der Antarktis, auf der britischen Rothera-Forschungsstation, soll es ein Konzert geben. Allerdings nicht von den Red Hot Chilli Peppers, Duran Duran, Foo Fighters oder Madonna, sondern von einer Forschercombo. Aber auch wenn die Meteorologen die Töne nicht genau treffen sollten – es geht ja nur um das Symbol: die Welt schließt sich zusammen, damit aus dem ewigen Eis nicht bald Matsch wird.

 

Klimaschutz ist hot, oder, was auch ein schönes Wortspiel ergibt: cool. Das Thema Ökologie, das sehr deutsch und auf engen Bahnen seinen Weg um den Erdball begonnen hat – mit Verbots- und Verzichtsjargon, Gegen-Lifestyle und Technikskepsis – kommt nun sehr amerikanisch wieder zurück: Als breite Entertainmentwelle, mit viel Schick und einem großen Löffel Wohlfühl-Rhetorik. Statt dem übellaunigen »Wir müssen uns bescheiden« jetzt das ermunternde »Wir können es schaffen«. Heute heißt es nicht mehr »Jute statt Plastik«, sondern Hybridauto statt Benzinstinker.

Nachhaltigkeit wird zur höchsten Form der Eleganz. Früher hatte das Weltrettertum etwas Verbiestertes, und wer sich ihm verschreiben wollte, musste die Bereitschaft aufbringen, sich deprimieren zu lassen. Heute hat es etwas Fröhliches: So schön kann es sein, den CO2-Ausstoß zu verringern und die Energieeffizienz zu erhöhen! Was man früher »Haltung« nannte, ist jetzt nicht mehr Gegenkultur, sondern einer unter vielen Lifestyles.

Klimaschutz goes Hollywood, und man kann sich natürlich streiten, ob Hollywood auf den Zug aufspringt, weil die Ökokorrektness schick geworden ist oder ob Umweltschutz schick geworden ist, weil Hollywood aufsprang. Messerscharf lässt sich das sowieso nie trennen. Coolnesspotenzial braucht ein Thema wohl, um in den Gesichtskreis der Bildmaschine zu kommen. Aber es braucht auch die Stars und ihre Vorbildwirkung, damit Massenaufmerksamkeit entsteht und ein politisches Ziel von wenigen in einem Sickerprozess zum Lifestyle vieler wird.

Millionen haben Al Gores preisgekrönte Dokumentation gesehen –  Eine unbequeme Wahrheit steht gegenwärtig auf Platz drei der Liste der erfolgreichsten Dokumentarfilme aller Zeiten. Leonardo DiCaprio folgte mit seinem Film 11th Hour beim diesjährigen Cannes-Festival. »Getting Gored« und »going Green«, ist heute in Hollywood zu einem heiß erstrebten Markenzeichen geworden. Ob DiCaprio, Cameron Diaz, Brad Pitt – wer auf sich hält, fährt zur Filmpremiere oder zur Gala im  Hybridauto. Brad Pitt achtet darauf, dass jeder seinen BMW H7 sieht, die erste wasserstoffbetriebene Luxuslimousine, und George Clooney  hat sich den neuen Tesla Roadster für 92000 Dollar bestellt, einen tief liegenden Elektrosportwagen mit zwei Sitzen, der es in der Spitze auf 210 Stundenkilometer bringt und erst nach 400 Kilometern an die nächste Steckdose muss.

Gewiss, man könnte  darüber  spotten oder nostalgisch den Zeiten nachhängen, in denen Engagement von Marketing noch leichter zu unterscheiden war. Doch letztlich ist es im Kulturkapitalismus auch folgerichtig, dass die Weltverbesserung als Entertainment daher kommt und mit dem Markterfolg distinkter Waren verbunden ist – mit Stars und ihren Starwaren. Denn im Lifestylekapitalismus kollabieren Stars und Marken ineinander. Das, was den Star zum Star macht, nämlich sein Image, ist genau das, was auch das Gebrauchsgut zur Marke macht. Wie das Publikum am Star dessen Image konsumiert, kauft der Konsument mit der Ware deren kulturelle Dimension dazu. Ja, schon diese Formulierung ist unscharf: in aller Regel ist die Lifestyleseite der Ware primär, ihr Nützlichkeitsaspekt fast nur mehr das Gadget, das mitgeliefert wird.

Für den Star kann daher auch der Ökokonsum ein Mittel zur Modellierung seiner Staridentität, seines Marken-Ichs sein, nach dem Motto: Ich kaufe diese Ware, also bin ich ein guter Mensch. Das kann sich in Dollars übersetzen und nicht von ungefähr merken Nörgler bereits an, es könne wohl kein Zufall sein, dass die amerikanische Währung auch den Spitznamen »Greenback« trägt. Böse Zungen fügen hinzu, das SOS der Live-Earth-Leute buchstabiere man besser als »Save our Sales«. Und ohne Frage taugt der Konsum von Ökowaren, wie jede Kultivierung eines exklusiven Lifestyles, zur Pflege von Distinktionsbedürfnissen. Nur dass in diesem Fall der Reiche auch noch als guter Mensch erscheint, der sich moralisch abhebt vom Unterklassekonsumenten mit seiner fettreichen Nahrung und seinen Autos mit katastrophaler Energieeffizienz. Die Verlierer haben nicht nur das giftige Gemüse am Tisch, sondern müssen sich auch noch als bewusstlose Konsumenten moralisch maßregeln lassen, während die anderen sich das Moral-Image zusammenkonsumieren. Und in der Tat wird Moral hier zu einer Art Ware, die man kaufen kann, und sie ist, wie alles auf Exklusivmärkten Angebotenes, ein knappes Gut. Kurzum: An Fragwürdigkeiten dieser Art fehlt es nicht, wenn das Ökobewusstsein und die Lifestyle-Märkte eine Liaison eingehen.

 

Nur bedeutet das nicht notwendigerweise, dass die Sache schlecht, lächerlich oder heuchlerisch wäre. Denn erstens ist es den beteiligten Stars, sofern man das auf die Distanz zu sagen vermag, mit ihrem Engagement ernst. DiCaprio und Pitt leiten viel privates Geld in Ökostiftungen, und Cameron Diaz büffelte tagelang Fakten zum Klimawandel, bevor sie mit Al Gore vor die gesammelte Weltpresse trat. Natürlich, Stars sind meist Villenbesitzer, und haben in der Regel mehr Zimmer zu heizen als in einem Durchschnittsappartement, sie fliegen recht häufig mit Flugzeugen, und ein Globalspektakel wie die Life-Earth-Konzerte kommt ohne CO2-Ausstoß nicht aus, auch wenn die Ökologiebeauftragten der Organisatoren eine »carbonneutrale« Abwicklung anstreben – was immer das sein soll. Aber immerhin werden auf die Dächer von Hollywood-Villen jetzt Solaranlagen geschraubt, DiCaprio lässt den Privatjet seines Hollywoodstudios stehen, wann immer er kann, und fliegt Linie. »Wir alle tun, was wir können. Ehrlich, wir tun das wirklich.«

Außerdem kommt die Weltverbesserung, wie man weiß, seit jeher auf verschlungenen Pfaden in Gang. Ein ökologisches Ziel ist jedenfalls noch nicht deshalb diskreditiert, weil der, der es verbreitet, beispielsweise Strom für die Verbreitung braucht und möglicherweise ein paar andere damit auch noch Geschäfte machen. Nach einer solchen Logik wären, beispielsweise, jene Protestsongs besonders glaubwürdig, die grottenschlecht sind – weil sie niemand kaufen will und also der Protestsänger mit ihnen kein Geld verdienen kann. Im Gegenteil gilt, dass die zunehmende Bedeutung des Imagekonsums auch tatsächliche positive Wirkungen haben kann. Die »Moralisierung der Märkte« (Nico Stehr) kann ein Hebel zur Verbesserung der Welt sein.

Wenn Konsumenten auch ein »gutes Gefühl« konsumieren wollen, dann hat ein Konzern, der rücksichtslos agiert, Dumping-Löhne zahlt oder die Umwelt verpestet, ein Imageproblem. Ihm droht der Verfall des Markenwertes und damit eine Entwertung des wichtigsten Vermögens, über das er verfügt. Die Rede von der »Corporate Social Responsibility«, wie die modische Phrase lautet – »sozial verantwortliches Unternehmertum« – wird von dieser Angst beflügelt, und eine Reihe von Unternehmensberatungsfirmen haben sich schon darauf verlegt, den Konzernen beim Gutsein zu helfen. Eine der Bekanntesten ist die britische Consultingfirma mit dem programmatischen Namen »Good Business«. Weitsichtige Strategen haben jedenfalls ihren Frieden mit antikapitalistischen Markenkritikern und Umweltschützern gemacht. Deren Aktionen könnten durchaus »nützlich sein, die Dinge in die richtige Richtung zu bewegen«, schreibt der britische Marketing-Experte Wally Olins in seinem Buch On Brands. Ethisches Wirtschaften oder ökologisch korrekte Produktentwicklung gelten  inzwischen als Schlüssel zu neuen Wachstumspotenzialen, besonders in gesättigten Märkten, wo sich die Konkurrenten drängeln.

Gutsein ist eine Ressource, aus der Unternehmen das basteln, was man im Marketingjargon  »Nachhaltigkeit« nennt, nämlich eine nicht allzu schnell moralisch welkende Marke. Und auf der Gegenseite ist aus den Boykottstrategien früherer Generationen der »Buykott« geworden: Der Kauf einer moralischen Ware, um die unmoralische Konkurrenz zu bestrafen. Die neuen Aktivisten verfahren  nach der Logik: Der Konsumkapitalismus hat das Problem verursacht? Macht nichts, der Konsumkapitalismus macht es wieder gut.

Damit verschiebt sich der Ökodiskurs in Details, aber dennoch signifikant weg von staatlichen Vorschriften hin zu dem, was »jeder von uns« tun kann. Die Welt rettet aus dieser Perspektive jede Konsumentscheidung des Einzelnen. Kein Wunder, dass sich gerade in diesem Moment Hollywood des Themas bemächtigt, denn die Individualisierung der Verantwortung verträgt sich  auch wieder mit der Konsumkultur und dem Individualismus amerikanischer Prägung.

»Unsere Klimakrise betrifft jeden, überall«, sagt Kevin Wall, der Cheforganisator des Live-Earth-Spektakels. »Wir fordern alle Menschen auf, Save our Selves, weil nur wir das können.« Und die Schauspielerin Cameron Diaz sagt: »Wenn jeder von uns nur eine Sache ändern würde, wären wir einen Schritt weiter. Ich, zum Beispiel, ich fahre einen Prius.« Die neue Ordnung des Ökodiskurses stellt jedes Individuum vor die Aufgabe, täglich das Richtige vom Falschen zu unterscheiden. Damit entsteht freilich auch eine leicht obskure Diskrepanz zwischen der Monumentalität der Herausforderung und der apokalyptischen Wucht der behaupteten Gefahr einerseits und der Banalität der Rettungsaktionen andererseits.

»Die Klimakrise bietet uns die Möglichkeit einer Erfahrung, wie sie nur wenigen Generationen in der Geschichte vergönnt ist: Das Privileg einer Generation, eine Mission zu haben (…), die Chance, über uns hinauszuwachsen«, sagtt Al Gore in seinem Buch. Die emotionale Energie, die eine solche Rhetorik mobilisiert, verträgt sich noch nicht so recht mit den banalen Akten, die vom Einzelnen verlangt werden – dem Einkaufen mit gutem Gewissen, der richtigen Entscheidung bei der Heizungswahl. Der neue Ökodiskurs eröffnet jedem einzelnen eine Chance zu Heroismus, nur dass die Heldentaten, die hier gefragt sind, weder Entbehrung noch Mut, noch Selbstüberwindung verlangen – sie lassen sich mit einer ökologisch korrekten Shoppingtour erledigen. »Das läd die banalsten Aktivitäten mit tiefer moralischer Bedeutung auf. Eine bestimmte Waschmaschinenmarke zu wählen oder mit dem Zug zu fahren statt mit dem Auto wird zu einem wirklich großen Akt«, schreibt Josie Appleton in einem Essay für das Online-Magazin Spiked!. Auch wenn dieses Magazin ohnehin für die emphatische Moralisierung des Umweltthemas nur Spott übrig hat, kann man den Einwand schlecht bestreiten: Wer einen Hang zum Heldentum hat, wird bei dieser Form des Weltrettens etwas unbefriedigt bleiben.

Noch etwas anderes ist neu am neuen Ökodiskurs: Das bevorstehende Weltrettungskonzert unterscheidet sich von früheren Wohlfahrtsspektakeln durch seinen Adressaten. Bisher hatte diese Form globalen Entertainments die Rettung anderer zum Ziel – der Hungernden in Afrika etwa, der Aidskranken, wessen auch immer. Es war von Charity-Geist durchdrungen. Das Ökoentertainments dagegen ruft uns zur Selbstrettung auf. Altruismus ist dafür nicht mehr von Nöten.

Unterdessen beginnt das Merchandising zum Earth-Live-Konzert. Gerade erschien das Live Earth Global Warming Survival Handbook: 77 Essential Skills to Stop Climate Change, das mit diversen Tipps und Hinweisen aufwartet. Etwa, dass der Kauf eines LCD-Bildschirmes ökologisch korrekt, der eines Plasmabildschirmes unkorrekt ist, und dass der gewissenhafte Weltretter gelegentlich einen Sweater über das T-Shirt tragen soll – dann kann er nämlich das Thermostat runterdrehen. Gedruckt ist der Reader auf Recycling-Papier mit garantiert organischer Druckerfarbe. Schon am Markt ist auch Madonnas exklusiver Live-Earth-Beitrag Hey You. 25 Prozent der Download-Erlöse gehen von Microsoft direkt an Al Gores Anti-Globalerwärmung-Kampagne.

 

Wie soll man die Geschäftemacherei im Namen des Guten einschätzen? Kannibalisiert der Kapitalismus am Ende mit der Kultur auch die Moral? Das neue Ökoenterntainement  enthält Indizien für die Vermutung, dass der Kapitalismus auch jedes moralische Anliegen in einen, mit Marx zu sprechen, »besonderen Äther« taucht, bis es in den grellen Farben der Konsumkultur zu leuchten beginnt, die nötig sind, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und was wäre daran auch zu kritisieren? Womöglich kommt, 250 Jahre nach Adam Smith, der Kapitalismus zu der philanthropischen Funktion, die ihm der schottische Aufklärer zugedacht hatte. In seiner Theorie der ethischen Gefühle, noch vor dem berühmten Werk über den Reichtum der Nationen erschienen,  billigt er dem Kapitalismus schon insofern eine ethische Dimension zu, als er auf einem Markt beruht, der nur funktionieren konnte, weil er die Kooperation Gleicher voraussetzte. »Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen.« Schon für Smith galt also: Kapitalismus ist moralisch gut für uns, und die Moral ist gut für den Kapitalismus.

In einer solchen Ordnung liegt es nahe, dass man der Moral den besten Dienst erweist, indem man sie zu einem Geschäft macht. Es wäre das absolute Gegenteil der Überzeugung  Brechts, für den gute Absichten innerhalb des Kapitalismus nur zu schlechtem Geschäften führen konnten. Der Gute Mensch von Sezuan erzählt, wie die Götter auf die Erde kommen und mit Schrecken wahrnehmen, was Marktgesellschaften mit den Menschen anstellen: »Gute Vorsätze bringen sie an den Rand des Abgrunds, gute Taten stürzen sie hinab.«

Das fröhliche Konsumtheater rund um den Natur-und Klimaschutz, einschließlich der professionell instrumentalisierten Pop-Events,  arbeitet hart an der Widerlegung Brechts. In unserem Interesse kann es nicht sein, dass er im Recht bleibt. 

 

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