Revival der Religionen?

Mit www.misik.at fit für den Papstbesuch. In den USA entscheiden die Bigotten Wahlen, muslimische Frömmler halten die Welt im Atem. Und in unseren Breiten? Da wird der Papst zu einem eigentümlichen Popstar. Demnächst steigt die große Glaubens-Party von Mariazell. Gott rette uns vor der Renaissance des Religiösen.

Das Falter-Cover zu meinem Essay über "Gottes 68er"

 

 

 

Vor vierzig Jahren prophezeite der Religionsexperte Peter Berger in der „New York Times“, dass sich „im 21. Jahrhundert religiöse Gläubige wahrscheinlich nur noch in kleinen Sekten finden“ werden, „aneinandergekuschelt, um einer weltweiten säkularen Kultur zu widerstehen“.

 

Nun, die Prophezeiung war nicht ganz exakt zutreffend. Die Religionen erfreuen sich immer noch Beliebtheit, die meisten Weltgegenden wurden in den vergangenen fünfzehn Jahren von einer regelrechten Spiritualisierungswelle überzogen. Der politisierende Islam sorgt für globale Unruhe, in den USA wurden streng gläubige evangelikale Protestanten zu einer derart starken politischen Kraft, dass sie Wahlen entscheiden. Über Afrika und Lateinamerika fegt ohnedies eine Spiritualisierungswelle. Und selbst im säkularen Europa haben die Religiösen wieder Rückenwind.

 

Die Kirchen sind zwar nicht voller – aber die Zahl der Menschen, die sich als a-religiös bezeichnen, nimmt auch nicht mehr zu. Kirchentage werden zu Glaubensparties, Papstbesuche, wie der Anfang September in Österreich, zu Großevents.

 

Sie wird wieder zu einer ziemlich öffentlichen Privatsache, dir Religion. Zwar wird immer wieder die „weltanschauliche Neutralität des säkularen Staates“, beschworen, aber es hat sich still wieder eingebürgert, den Glaubensgemeinschaften automatisch eine spezifische Autorität auf bestimmten Politikfeldern zuzubilligen – beispielsweise in jenen, in denen „ethische“ Fragen eine besondere Bedeutung haben. Sei es in Fragen der Genmedizin, der Stammzellenforschung, des Umweltschutzes, der Pränataldiagnostik, des interethnischen Zusammenlebens – Kardinälen, Bischöfen und Pfarrern wird nahezu automatisch ein eigentümliches Spezialistentum zugebilligt. Ethikkommissionen sind schon wieder das natürliche Biotop von Geistlichen.

 

Schieflagen sind da programmiert. Mit Lust mengen sie sich in die öffentliche Polemik ein, müssen sie aber harte Widerworte einstecken, haben sie eine Allzweckkeule bereit: Dann wenden sie nämlich ein, die Kritiker würden ihre „religiösen Gefühle“ verletzen. Allein dieser subtilen Privilegierungen wegen schreibt der religionskritische angloamerikanische Publizist Christopher Hitchens: „Die Religion vergiftet alles.“

 

Nun, nicht alle sind dieser Meinung. Selbst säkulare Geister vertreten heute oft die Auffassung, das religiöse Element sei etwas, was jede Gesellschaft dringend brauche. Strenge Agnostiker meinen nicht selten, dass ihnen eine Dimension spirituellen Erlebens abgehe, es ihnen also an etwas mangele, und dass eine Gesellschaft, die von keiner religiösen Grundüberzeugung durchzogen ist, ein Defizit aufweise: dass es dieser an „Sinn“ fehle, an Orientierung. Dass also, mit einem Wort, die säkulare Welt eine irgendwie arme Welt sei.

 

Nur ganz selten wird gefragt, ob wirklich etwas fehlt, wenn sich die Menschen im Westen wegen ihrer Glaubenswahrheiten seltener in die Luft sprengen.

 

Mit der Wende zum neuen Jahrtausend ist die Religion wieder ins Zentrum der öffentlichen Diskurse gerückt. Es ist vom „Revival der Religion“ („Frankfurter Allgemeine Zeitung“), der „Desäkularisierung der postideologischen Welt“ („Süddeutsche Zeitung“) die Rede – und die wird nicht nur als Bedrohung erlebt. Der neue Pontifex Maximus, Benedikt XVI., der als Joseph Ratzinger noch als Panzerkardinal gefürchtet war, rückt in die Rolle eines eigenartigen Popstars, mit schelmischen Blick und liebenswürdiger Schrulligkeit, der die „Re-Evangelisierung Europas“ verkündet.

 

„Fest steht“, meint der Bochumer Religionswissenschafter Volkhard Krech, „dass Religion als Thema, als Sensation und als Event Konjunktur hat.“ Rüdiger Safranski, der große Popularisierer der deutschen Philosophie, proklamiert gar: „Gott ist doch nicht tot“

 

Die Bürger, gelangweilt von Krämergeist und Konsumgesellschaft, machen sich auf die „Sinnsuche“. Dies hilft mehr noch als den institutionalisierten Kirchen den frei flottierenden Sinnanbietern. Ein bisschen von dem, was vordergründig als „Religions-Revival“ daher kommt, ist, wenn man es genauer betrachtet, von den Angeboten der Wellness-Industrie gar nicht so leicht zu unterscheiden – es geht eher um Stimmungen, in die der Gläubige sich versetzen lassen will. „Wegwerfreligiösität“, nennt dies spöttisch der italienische Philosoph Paolo Flores d’Arcais, auch wenn er eingesteht: „Oberflächlich gesehen geht diese Taktik auf, denn sie ist Teil einer triumphalen Rückkehr der Religiösität.“

 

Aber wie immer man diese Ambiguitäten beurteilen mag, die Religiösen fühlen sich auch in unseren Breiten im Aufschwung – allein, weil sich die historische Perspektive ändert. Einst wähnten sie, ihre Felle würden davonschwimmen, weil der Säkularismus als allgemeiner geschichtlicher Trend betrachtet wurde – und jene Weltgegenden, in denen sich eine kräftige Gläubigkeit behauptete, als Sonderzonen. Heute ist es eher umgekehrt. Selbst wenn Europa noch Heimstadt des Säkularen bliebe, erweist sich doch eher dies als weltgeschichtliche Ausnahme. Wie sagte ein iranischer Denker während des Besuchs des Philosophen Jürgen Habermas in Teheran: „Man sehe doch heute, dass sich die Entfaltung der europäischen Moderne im Vergleich mit den anderen großen Kulturen als der eigentliche Sonderweg darstelle.“

 

Nicht das Religiöse wird heute mehr als Anachronismus gesehen – sondern das Säkulare.

 

Manche christlichen Kirchenleute sehen gerade den globalen Aufstieg des Islam und das Wachstum der muslimischen Gemeinden in Europa als Chance, die eigenen Kreise zu erweitern, wobei sich abwehrende Panikreflexe auf’s Schönste mit Neid auf die Intensität religiöser Überzeugungen paaren, wie man sie bei den Muslimen wahrnimmt – sowie mit diffusen Hoffnungen auf eine Art Symbiose der Religionen, die beiden nutzt. Auch Papst Benedikt XVI. setzt darauf, Europa könne seine christliche Identität womöglich wieder schätzen lernen – in Abgrenzung zur muslimischen Welt. Mit einem guten Schuss durchgeknalltem Alarmismus warnt etwa der Salzburger Weihbischof Andreas Laun seit Jahr und Tag vor der „Machtübernahme“ der Muslime in Europa – wegen deren hoher Fruchtbarkeitsrate, die dazu führen würde, dass der Islam das Christentum als Mehrheitsreligion bald ablöse. Dabei hoffen manche katholischen Frömmler sogar, man könne mit bigotten Muslimen ein Bündnis gegen moderne Übel wie Hedonismus und „Werterelativismus“ eingehen, darüber hinaus könnten Kulturkonflikte mit Angehörigen anderer Religionen die Glaubensintensität der Christen selbst wieder steigern. Studien zeigten nämlich, dass etwa in Großbritannien der Anteil derer, die sich selbst als „Christen“ bezeichnen in Vierteln mit großer muslimischer Migrantenbevölkerung signifikant ansteigt. Wenn man mit „dem Anderen“ konfrontiert sei, besinnt man sich offenbar stärker auf die eigene Identität. Christliche Würdenträger lässt dies recht optimistisch in die Zukunft blicken.

 

Ob das wirklich eine Frohbotschaft ist, darüber kann man streiten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.