Wer Israel wirklich schadet

Das programmierte Skandälchen: Heute erscheint weltweit das Buch „Die Israel-Lobby“ von John Mearsheimer und Stephen Walt. Es ist das, was man gemeinhin so „provokant“ nennt, aber sicher kein Geniestreich. Eher: Ein gutes schlechtes Buch. taz, 4. September 2007

 

Die Auslieferung des Buches ist generalstabsmäßig organisiert und von Geheimniskrämerei begleitet, wie das ansonsten nur bei Harry-Potter-Romanen üblich ist. Es kommt in den USA und in Europa zeitgleich am heutigen Dienstag auf den Markt. Alles wurde getan, damit nur ja keine Halbsätze vorab durchdringen – als wäre es ein Thriller, auf dessen letzten Akt alle warteten. Die Bataillone sind aufgestellt. Und der Skandal programmiert.

 

Verglichen mit dem großen „Tabubruch“-Gefuchtel nimmt sich das Buch „Die Israel-Lobby. Wie die amerikanische Außenpolitik beeinfluss wird“, der beiden US-Politologen John J. Mearsheimer und Stephen Walt fast brav aus. Es ist so etwas wie die Langfassung ihres Essays, der vor knapp eineinhalb Jahren in den USA für helle Aufregung sorgte. Ihr seinerzeitiges „Working-Paper“ hatten die beiden Autoren eigentlich für das Magazin „The Atlantic“ geschrieben, dessen Chefetage aber kalte Füße bekam. So musste es im „London Review of Books“ erscheinen. „Seit Samuel Huntingtons ‚The Clash of Civilisations’ hat kein akademischer Essay mit solcher Wucht detoniert“, schrieb später die „New York Review of Books“.

 

Das Buch ist nun eine faktenfette Studie geworden, sachlich im Ton, wie nicht anders zu erwarten, wenn ein Politikprofessor aus Chicago und einer von der Harvard-Universität über Mechanismen der Politik-Steuerung schreiben – denn das ist es ja schließlich, was „Lobbies“ tun. Die Autoren breiten eine Fülle von beeindruckendem Material aus, und beweisen, was ohnehin jeder, der sich mit der Sache beschäftigt hat, heute weiß: Es gibt eine Vielzahl proisraelischer US-Organisationen, angeführt vom „American Israel Public Action Committee“ (AIPAC), der „Anti Defamation League“ und anderen Gruppen, die ziemlich effektiv sind. „Beeinflusst die Israel-Lobby Amerikas Außenpolitik?“, hatte der renommierte New Yorker Professor Tony Judt schon anlässlich von Mearsheimers und Walts Ur-Essay gefragt und festgestellt: „Natürlich tut sie das, es ist eines ihrer Hauptziele, und sie ist darin ziemlich erfolgreich.“

 

Es ist mit dem Begriff der „Israel-Lobby“ so eine Sache. Schon das Wort selbst hat, im Unterschied etwa von „Rentnerlobby“ oder „irischen Lobby“ einen verschwörungstheoretischen Beiklang und spielt auf die Mutter aller Verschwörungstheorien an: auf die des kosmopolitischen Juden, der unpatriotisch ist, und alles für seine Leute tut. Wer „Israel-Lobby“ sagt, muss sich fragen lassen, ob er Antisemit sei. Aber diese Frage ist, das ist eine der Kompliziertheiten dieses Themas, schon eine Mobbing-Strategie: die proisraelischen Pressure-Groups stellen mit dem Antisemitismus-Vorwurf alle kritischen Positionen als illegitim dar.

 

Mearsheimer und Walt tun deshalb alles, um entsprechende Vorwürfe schon im Vorfeld zu entkräften. Die Israel-Lobby bestünde bei weitem nicht nur aus Juden, stellen sie fest, und schon gar nicht vertrete sie die Ziele der amerikanischen Juden – denn während in der Lobby die Hardliner den Ton angeben sind die US-Juden immer noch mehrheitlich auf der linksliberalen Seite. Die Loyalität amerikanischer Juden zu Israel ist nichts Schlechtes, ein „unvermeidliches Element jeder ‚Schmelztiegelgesellschaft’“, beteuern sie, und auch nichts anderes als die Hilfsbereitschaft irischer oder italienischer Amerikaner gegenüber ihren ethnischen „Brüdern“. Ein ganz normaler Diaspora-Sachverhalt eben. 

 

Die Lobby-Organisationen im engen Sinn sind extrem effektiv und Mearsheimer/Walt beschreiben, warum. Single-Issue-Gruppen, die nur ein Ziel auf ihrer Agenda haben, dies aber mit Verve verfechten und außerdem über erhebliche finanzielle und publizistische Macht verfügen, stehen ziemlich optimal da. Wohlverhalten von Politikern wird honoriert, wenn man sich aber gegen sie stellt, orchestrieren sie einen Aufschrei und drehen die Spendenflüsse ab, und dem steht kein Vorteil gegenüber, weil es keine Gegenlobby gibt. Das gilt für die „Israel-Lobby“ nicht anders als die Agrarlobby.

 

Das Problem bei Mearsheimer und Walt ist, dass sie einen ziemlich ausgefransten Lobby-Begriff pflegen. Für sie gehört nicht nur der Kern der pro-israelischen Organisationen wie AIPAC oder ADL zur Lobby, sondern auch das weite Spektrum der „Neokonservativen“, die christlichen Ultrarechten, eine große Zahl an Think-Tanks und unzählige Einzelpersonen. „Die Verwendung des Begriffs ‚Israel-Lobby’ ist etwas irreführend, weil viele der Einzelpersonen und einige der Gruppen (…) keine unmittelbaren Lobby-Aktivitäten ausüben.“ So weit gefasst ist die „Lobby“ freilich nichts anderes als ein Meinungsspektrum – jener Teil der amerikanischen Rechten und Ultra-Rechten, die für eine aktivistische Außenpolitik plädieren.

 

Um dieses gesamte Spektrum der „Israel-Lobby“ zuzuschlagen, müssen sie ihrem Argument bisweilen etwas Gewalt antun. Daraus folgt ein Hang zu monokausalen Erklärungen. Die gesamte neokonservative Argumentationslinie, der Jargon vom Demokratieexport mit militärischen Mitteln, der Antiarabismus und die „War-on-Terror“-Rhetorik wird damit erklärt, dass die Protagonisten letztendlich nur die Sicherheitsinteressen Israels im Auge hätten. Auch der Irakkrieg erkläre sich „zu einem guten Teil durch den Wunsch, Israel mehr Sicherheit zu verschaffen“, ohne die Lobby hätte „es sehr wahrscheinlich keinen Krieg gegeben“.

 

All das ist nicht ganz falsch, aber auch nicht die ganze Wahrheit. Der Neokonservativismus ist eine zu umfassende Ideologie, als dass sie auf einen Beweggrund reduziert werden könnte.

 

Wenngleich die jüdischen Organisationen nichts anderes machen, als andere ethnische Lobbys auch, sei es freilich keiner anderen gelungen, die US-Politik „so weit von dem abzubringen, was eigentlich im amerikanischen Nationalinteresse läge“. Dies ist das zentrale Argument der Autoren: dass die Lobby den USA schadet – und Israel. „Die Lobbyisten, die sich am eifrigsten für eine bedingungslose Unterstützung durch die USA eingesetzt haben, haben (…) unbeabsichtigt dem Land, dem sie eigentlich helfen wollten, schweren Schaden zugefügt.“ Israel stünde besser da, hätte sanfter Druck seine Führung zu einer Friedenspolitik gedrängt und die USA hätten ein paar Probleme weniger, wenn sie das beizeiten getan hätten. Ein doppelter Schaden.

 

Außer verbohrten Propagandisten der Likud-Politik wird das kaum jemand bestreiten. Dennoch hängen die Autoren einem etwas altmodischen Begriff des „nationalen Interesses“ an. Mag sein, dass Israel geostrategisch wertlos und eine Bürde ist und dass die Unterstützung, die Washington Israel gewährt, in der arabischen Welt den Antiamerikanismus schürt. Aber dennoch kann es auch im „nationalen Interesse“ liegen, einen Partner zu unterstützen, der unpopulär ist, wenn man mit dem durch gemeinsame Werte verbunden ist. Was denn eigentlich der Begriff „nationales Interesse“ in einer globalen Ordnung noch bedeuten kann, wird nirgendwo in dem Buch tiefer gehend diskutiert.

 

Es ist, kurzum, eines von jener Art Bücher, denen man am ehesten mit folgender Formel gerecht wird: Es ist ein gutes schlechtes Buch. Am besten sieht man es als Symptom: Die pro-israelischen Organisationen haben in den vergangenen Jahren den Bogen entschieden überspannt und die vielen Führer jüdischer Gruppen und Gemeinden haben weder ihren Mitgliedern noch Israel einen Dienst erwiesen, dass sie sich vor den Karren von Scharon, Olmert & Co. spannen ließen. Spätestens mit den aggressiven, global orchestrierten Kampagnen gegen jüdische Kritiker der israelischen Militär- und Siedlungspolitik, die zuletzt beinahe im Monatsrhytmus vom Zaun gebrochen wurden, wurde eine Grenze überschritten. Persönlichkeiten wie Tony Judt oder Tony Kushner mussten sich sagen lassen, sie seien jüdische „Israel-Hasser“. Kein Vorwurf war zu abstrus, als dass er nicht geäußert wurde: So wurde sogar Ex-US-Präsident Jimmy Carter beschuldigt, er sei ein Antisemit, weil er die Entrechtung der Palästinenser in den besetzten Gebieten beklagte.

 

Die Machtübernahme der Hardliner in den jüdischen Organisationen passierte nicht zufällig. Sie wurde seit dreißig Jahren durch die Likud-Partei in Israel gefördert, die begriffen hat, wie nützlich es ihr wäre, wenn die Diaspora-Organisationen, besonders in den USA von rechten Haudraufs geführt wären. Die versuchen nun, so Mearsheimer/Walt, „Andersdenkende zum Schweigen zu bringen“. Die Klügeren der neokonservative Ideologen, wie der Publizist William Kristol haben mittlerweile erkannt, dass „die etablierten jüdischen Organisationen die Antisemitismus-Karte so oft ausgespielt haben, dass sie nicht mehr sticht“.

 

Den komplexen emotionalen Prozessen in den jüdischen Organisationen selbst widmen sich die Autoren kaum. Sie beruhigen sich damit, dass die Mehrheit der amerikanischen Juden im Lager der Demokraten steht – während die Anführer der „Lobby“-Organisationen weit rechts stehen. Das verschließt aber die Augen vor dem Phänomen, dass auch innerhalb der Gemeinden die moderaten Kräfte unter Druck geraten sind. Warum? Weil viele in der Diaspora aus schlechtem Gewissen und nachvollziehbarer Überidentifikation „150-prozentige Israelis“ sind, weil das Friedenslager demoralisiert und eingeschüchtert ist, weil die Propaganda, wonach es auf arabischer Seite „keinen Friedenspartner“ gäbe, gegriffen hat und, generell, weil die globale islamistische Welle schwere Verstörungen hervorruft. Ein Bedrohungsgefühl. Angst, gewiss, ist immer ein schlechter Ratgeber, und wenn sie sich mit den Post-Holocaust-Traumata paart, dann versagt „der Verstand“ (Leon Wieseltier) schnell vollends.

 

Über diese Emo-Spirale findet sich wenig in dem Buch der beiden Wissenschaftler. Dafür hätte es auch einen Schuss Empathie für das Objekt ihrer Kritik bedurft. So beschreibt das Buch nicht nur einen Meinungskampf, es ist bereits Teil desselben.

 

John J. Mearsheimer / Stephen Walt: Die Israel-Lobby. Campus-Verlag, Frankfurt 2007. 546 Seiten. 24,90.- Euro

Ein Gedanke zu „Wer Israel wirklich schadet“

  1. Hallo !
    Ich habe mir mal Ihren Artikel zu dieser wichtigen „ISRAELlobby“-Sache näher angeguckt. – Obwohl er intelligent geschrieben ist, leidet er an v i e r schweren Fehlern deren Abschnitte ich untenhin kopiert habe, und wird so, trotz seiner zutreffenden Kritik, zur Flankierung eines schlechten Buches für eine schlechte Sache.
    >>
    Es ist mit dem Begriff der „Israel-Lobby“ so eine Sache. Schon das Wort selbst hat, im Unterschied etwa von „Rentnerlobby“ oder „irischen Lobby“ einen verschwörungstheoretischen Beiklang und spielt auf die Mutter aller Verschwörungstheorien an: auf die des kosmopolitischen Juden, der unpatriotisch ist, und alles für seine Leute tut. Wer „Israel-Lobby“ sagt, muss sich fragen lassen, ob er Antisemit sei. Aber diese Frage ist, das ist eine der Kompliziertheiten dieses Themas, schon eine Mobbing-Strategie: die proisraelischen Pressure-Groups stellen mit dem Antisemitismus-Vorwurf alle kritischen Positionen als illegitim dar. >
    Daraus folgt ein Hang zu monokausalen Erklärungen. Die gesamte neokonservative Argumentationslinie, der Jargon vom Demokratieexport mit militärischen Mitteln, der Antiarabismus und die „War-on-Terror“-Rhetorik wird damit erklärt, dass die Protagonisten letztendlich nur die Sicherheitsinteressen Israels im Auge hätten. >
    Außer verbohrten Propagandisten der Likud-Politik wird das kaum jemand bestreiten. Dennoch hängen die Autoren einem etwas altmodischen Begriff des „nationalen Interesses“ an. Mag sein, dass Israel geostrategisch wertlos und eine Bürde ist und dass die Unterstützung, die Washington Israel gewährt, in der arabischen Welt den Antiamerikanismus schürt. Aber dennoch kann es auch im „nationalen Interesse“ liegen, einen Partner zu unterstützen, der unpopulär ist, wenn man mit dem durch gemeinsame Werte verbunden ist. Was denn eigentlich der Begriff „nationales Interesse“ in einer globalen Ordnung noch bedeuten kann, wird nirgendwo in dem Buch tiefer gehend diskutiert >
    Das verschließt aber die Augen vor dem Phänomen, dass auch innerhalb der Gemeinden die moderaten Kräfte unter Druck geraten sind. Warum? Weil viele in der Diaspora aus schlechtem Gewissen und nachvollziehbarer Überidentifikation „150-prozentige Israelis“ sind, weil das Friedenslager demoralisiert und eingeschüchtert ist, weil die Propaganda, wonach es auf arabischer Seite „keinen Friedenspartner“ gäbe, gegriffen hat und, generell, weil die globale islamistische Welle schwere Verstörungen hervorruft. Ein Bedrohungsgefühl. Angst, gewiss, ist immer ein schlechter Ratgeber, und wenn sie sich mit den Post-Holocaust-Traumata paart, dann versagt „der Verstand“ (Leon Wieseltier) schnell vollends.

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