Dschihadisten gegen den Terror

Osama bin Laden und seinen al-Qaida-Leuten weht der Wind jetzt steif ins Gesicht. taz, 23. Juni 2008

Wenn man in diesen Tagen die internationalen Zeitungen und Zeitschriften genau liest, dann sieht man, es gibt einen neuen Trend: Dschihadisten gegen den Terror. Immer mehr militante Islamisten wenden sich gegen Massenmorde und Massaker. Ussama Bin Laden und seinen Al-Qaida-Leuten bläst der Wind steif ins Gesicht.

Das US-Magazin The New Republic hat die "Dschihadistenrevolte gegen Bin Laden" sogar zu seiner Cover-Story gemacht, der New Yorker berichtet in einem ausladenden Report über die "Rebellion von innen". Für das Stück in der New Republic zeichnet Peter Bergen mitverantwortlich, einer der besten Kenner der al-Qaida. Immerhin war er einer der Wenigen – und Ersten – westlichen Reporter, die Bin Laden in den Neunzigerjahren interviewt haben, und er hat sich seit Jahren einen Namen als Rechercheur in terroraffinen Zirkeln gemacht.

Er und sein Koautor Paul Cruickshank berichten etwa von dem libyschen Dschihadistenführer Noman Benotman, der aus seinem Londoner Exil aus gerade ein Abkommen zwischen seiner (Ex-)Terrororganisation, der "Libyschen Islamischen Kampfgruppe", und Staatschef Gaddafi aushandelt. Wenn das einmal gelungen ist, will sich Benotmans Gruppe öffentlich von al-Qaida lossagen, ihr ostentativ jede Solidarität kündigen. Benotman hat einst selbst an der Seite von Bin Laden in Afghanistan gekämpft.

Noch im Jahr 2000 war er bei einem Treffen aller Topdschihadisten in einem Al-Qaida-Terrorcamp mit von der Partie. Schon damals hat er gemeinsam mit anderen – intern – davor gewarnt, mit immer spektakuläreren Massakern die Islamismussache zu betreiben. Aber seinerseits hat er gespürt, er würde sich isolieren, wenn er dies öffentlich machte. Mittlerweile hat er in einem offenen Brief an Bin Ladens Stellvertreter Aiman al-Sawahiri gefordert, al-Qaida solle alle Operationen im Westen und den islamischen Staaten einstellen.

Ein anderes Beispiel: Der saudische islamistische Militante Scheich Salman al-Udah, der selbst viele Jahre im Gefängnis verbracht hat und bisher als so etwas wie ein Mentor von al-Qaida galt, richtete via TV einen Aufruf an Bin Laden: "Mein Bruder Ussama, wie viel Blut willst du noch vergießen? Wie viele unschuldige Menschen, Kinder, Alte, Frauen hast du schon umgebracht – im Namen von al-Qaida? Wie wirst du dem Allmächtigen gegenübertreten mit dieser Bürde von hunderttausenden Toten?"

Und in Ägypten schrieb der Führer des islamischen Dschihad, Sayyid Iman al-Scharif, eine regelrechte Antigewalttheorie – aus dem Gefängnis heraus. Pikant, ist al-Scharif alias Doktor Fadl ja Autor einer Kampfanleitung, die als Schlüsseltext für die Grundschulung gilt und eine "lebende Legende der weltweiten Dschihad-Bewegung" (Die Zeit). Jetzt nennt er die Strategie des Massenmords an Unschuldigen eine "Katastrophe für alle Muslime". Und er wird dabei richtig persönlich: "Sawahiri und Emir Bin Laden sind extrem unmoralisch."

Eine Reihe wichtiger arabischer Zeitungen druckten al-Scharifs Philippika in Fortsetzungen, und Sawahiri reagierte nervös. Angesichts des Umstands, dass das Manuskript an die Zeitungen gefaxt wurde, feixte der Al-Qaida-Ideologe hämisch: "Haben sie im Gefängnis jetzt Faxgeräte? Hängen die am gleichen Stromkreis wie die Elektroschockgeräte?"

Die Dschihadistenrevolte gegen Bin Laden: auch ein Krieg gegen den Terror, aber ausnahmsweise einer, der durchaus Erfolg haben könnte. Denn wohlgemerkt: Die Kritiker sind nicht "bloß" moderate Muslime im Sinne einer verdünnten Alltagsfrömmigkeit, sie sind auch nicht "bloß" moderate Islamisten vom Schlage der Muslimbürgerschaft, sondern sie sind selbst islamistische Militante, die mit der Waffe in der Hand das führten, was sie für den Dschihad halten.

Sie genießen unter Radikalen Streetcredibility, und man kann sie auch nicht einfach als gekaufte Büttel des Westens denunzieren. Dass sie sich jetzt so ostentativ von al-Qaida absetzen, zeigt, wie unpopulär die Terrorsekte inzwischen auch in jenen Milieus geworden ist, die eigentlich für ihr Weltbild empfänglich sind.

Ganz überraschend ist das nicht – die Gründe wurzeln tief in einer universalen Logik terroristischer Gewalt. Terrorkampagnen lösen eine Eigendynamik der Radikalisierung und Enthemmung aus. Um das im Jargon von al-Qaida zu sagen: Erst geht es gegen Besatzer, dann gegen "Ungläubige", dann werden alle aus der Umma der Muslime ausgestoßen, die nicht das Leben leben, wie die Radikalen es sich vorstellen, und irgendwann werden selbst Sympathisanten als Feinde angesehen, wenn sie nicht hundertprozentig auf Linie sind.

Fast naturwüchsig vergrößern Extremistengruppen die Zahl ihrer Feinde. "In die DNA des apokalyptischen Dschihadismus ist die Saat seiner Selbstzerstörung eingeschrieben", formulieren die New-Republic-Autoren.

Nach einer Phase der Faszination, die von der Entschlossenheit der Radikalen ausgeht, folgt eine Phase, wo die Terroristen auch von ihrem näheren Umfeld als zunehmend abstoßend empfunden werden. Das unterscheidet die Al-Qaida-Leute in nichts von linken Terrorsekten wie der RAF.

Wahllose Gewalt, wie etwa die Anschläge in der Londoner U-Bahn, haben die Bin-Laden-Anhänger hoffnungslos isoliert. Vor allem aber die Strategie im Irak hat al-Qaida ideologisch das Rückgrat gebrochen. Erst versuchten die Leute um den irakischen Al-Qaida-Führer Sarkawi, einen interreligiösen Krieg zwischen Sunniten und Schiiten zu provozieren, dann wendeten sie sich zunehmend auch gegen sunnitische "Softies". Und schließlich töteten sie ohne Ansehen der Person: Wer sich zufällig in der Nähe einer Autobombe aufhielt, hatte das zweifelhafte Glück, zum Märtyrer zu werden. Schätzungsweise 10.000 Menschenleben kostete der Todestrip bislang. Die Opfer waren vornehmlich Muslime. Selbst von der Al-Qaida-Führung in ihren Verstecken in Pakistan gab es Aufrufe zur Mäßigung, aber die irakische Dependance war außer Kontrolle. Kein Wunder, dass sich irgendwann selbst jene Iraker, die der US-geführen Besatzungsmacht keineswegs gewogen waren, mit dieser zusammentaten, wenn es galt, Jagd auf die Blutsäufer von al-Qaida zu machen.

Auf al-Qaida-nahen Webseiten wird schon heftig diskutiert, "warum wir im Irak verloren haben". Selbst nach Al-Qaida-Zählung ist die Zahl der Terroranschläge um 90 Prozent gefallen – die Organisation ist im Irak praktisch zerschlagen. Auch im Westen geht die Zahl derer, die bereit sind, sich von den Extremisten faszinieren zu lassen, ganz offenkundig signifikant zurück. Erfreuliche Zeichen. Gewiss, noch ist es viel zu früh für eine Terrorentwarnung. Zunehmende Isolation kann in noch hemmungslosere Gewalt umschlagen. Es ist nicht das Ende des Terrors. Aber es gibt Grund zur Annahme, dass es der Anfang vom Ende des Terrors ist.

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