Ein toller Hecht im Idiotenteich

I’m a loser Baby. Alfred Gusenbauer, Kanzler in Wien, galt als ewiger Verlierer, dann gewann er vor zwei Jahren doch noch die Wahl. Aber Sieger wurde keiner aus ihm. Nun hat ihm seine Partei schon mal den Posten des SPÖ-Chefs weggenommen. Als Kanzler ist er jetzt „Dead Man Walking“. Schade drum. taz, 28. Juni 2008
 

„Österreich wird in dieser Zeit auch ein Land der Party sein, ein Land des Feierns, ein Land der Freude, ein Land des Festes“, sagte Alfred Gusenbauer zum Auftakt der Fussball-Europameisterschaft vor vier Wochen. Und fügte noch hinzu: „Hoffen wir, dass nix passiert.“ Nun, für Gusenbauer ging diese Hoffnung nicht auf und die Europameisterschaft wurde ein großes Fest, nur leider für den Chef der österreichischen Sozialdemokraten und Kanzler am Wiener Ballhausplatz sicher nicht.
 
Denn in haben seine Parteifreunde um einen Kopf kürzer gemacht, um den Parteivorsitzenden-Kopf. Und auch der Kanzler-Kopf sitzt schon sehr lose. Dass er beim Parteipräsidium vorvergangenen Montag nicht vollends entmachtet wurde, verdankt sich nur zwei Umständen. Erstens, weil der Tag der großen Fussballparty Österreich-Deutschland dann doch unpassend für einen Kanzlermord erschien, zweitens aber vor allem, weil Gusenbauer die Flucht nach vorne antrat, den Parteivorsitz abgab, um seine Kanzlerschaft zu retten. Jetzt gibt es Ämtertrennung. Ob Gusenbauer ein „Dead Man Walking“ ist, wie der „Standard“ kommentierte, oder noch eine Zukunft als „Frühstückskanzler“ hat, der praktisch nichts mehr zu sagen hat, ist eigentlich auch schon egal. Jedenfalls, mit Werner Faymann, seit Jusotagen ein Gusenbauer-Spezi, heute freilich mit Feindoption, gibt’s nicht nur einen neuen Parteichef, sondern auch einen Kanzleraspiranten der Marke Clever & Smart. Wohin die Reise mit Faymann geht, der bestens mit dem Hyänenjournalismus vom Boulevard vernetzt ist, zeigte sich bereits gestern: In einer 180-Grad-Kehre fordert jetzt auch die SPÖ eine Volksabstimmung über den EU-Vertrag. Pikant daran ist, dass die neue Linie in einem Brief an den Herausgeber der „Kronen Zeitung“ verkündet wurde, die populistisch Anti-EU-Stimmung schürt.
 
Dabei wurde Gusenbauer von seiner Partei im Oktober 2006 noch begeistert gefeiert. Völlig unerwartet hatte er es bei den Wahlen geschafft, die Konservativen des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel knapp hinter sich zu lassen. Zwar hatte auch die Sozialdemokratie das zweitschlechteste Wahlergebnis der Nachkriegszeit eingefahren, aber sie feierte es wie einen Triumph. Und ihr Vormann wurde gerade deshalb bejubelt, weil ihm das niemand mehr zugetraut hätte, ihm, den seit Jahren Häme und Spott wegen seiner Hölzernheit, seinem etwas eigenartigen persönlichen Stil und seiner nicht immer hundertprozentigen Instinktsicherheit verfolgt hat. Aber es war blieb ein kurzer Honeymoon.
 
Nach eineinhalb Jahren Gusenbauer-Kanzlerschaft grundelt die Partei in Umfragen irgendwo um die 30 Prozent. Wie konnte man nur so scheitern?
 
Gusenbauer ist nicht nur ein Gescheiterter, er ist auch ein gescheiter Mann. Man kann mit ihm über die neuesten Theoreme der avancierten Sozialwissenschaften ebenso gepflegt parlieren wie über die unterschiedlichen Tendenzen der lateinamerikanischen Linken. Verlässt er das Staatsgebiet, dann läuft er zu Höchstform auf. In Brüssel schätzt man den Mann, für den sich Realitätssinn nicht auf Entpolitisierung reimt, zu Angela Merkel hat er einen guten Draht, in der spanischsprachigen Welt sind die Premiers und Präsidenten von Zapatero bis Chavez begeistert von ihm. So ein Spanisch hat noch kein Regierungschef eines fremdsprachigen Landes gesprochen! Und wer einmal eine Rede Gusenbauers auf Englisch gehört hat, der würde ihm am liebsten zurufen: Hör auf, auf Deutsch Reden zu halten! Gusenbauer ist der seltene Fall eines Politikers, der daheim weit weniger trittsicher ist als in der weiten Welt. Nicht, dass Gusenbauer wüsste, wie es weiter gehen solle mit der Sozialdemokratie, aber er versteht wenigstens die Problemlagen von Demographie, Wohlfahrtsstaat, Globalisierung, Finanzmärkten.
 
Es gab schon Regierungschefs, die hatten davon höchstens eine oberflächliche Ahnung, ja, gelegentlich begegnet man welchen, die nicht wissen, wovon eigentlich die Rede ist.
 
Aber dass einer sich auskennt, reicht noch nicht zum guten Politiker, und zwar nicht nur, weil ein Politiker in Österreich automatisch eine schlechte Presse hat, wenn er klüger erscheint „als der nächstbeste Chefredakteur“ (Armin Thurnher). Wobei Gusenbauer ein Fall für sich ist, aber auch ein Kind seiner Zeit. Ein Fall für sich ist er, weil er mit einem Schuss Eigensinn, den man auch Arroganz nennen kann, sich für einen ganz tollen Hecht hält, und alle jene, die diese Meinung nicht vollends teilen, für Idioten. Von legendärer Beratungsresistenz ist er ohnehin. All das hat natürlich auch seine sympathischen Seiten. Um die konsumentenfreundliche Rundumvermarktung der eigenen Person hat er sich nicht sonderlich geschert. Er hat nicht vor dem Boulevard gebuckelt und auch die eigenen Granden vor den Kopf gestoßen. Er hat nicht jeden Landesfürsten zweimal wöchentlich angerufen und ihm Honig ums Maul geschmiert. Das hielt er für Zeitverschwendung. Wenn ihm Kritik entgegenschlug, igelte er sich ein, wurde schmallippig. Verschanzte sich im Kanzleramt, umgeben von engsten Mitstreitern, die sich seit fünfundzwanzig Jahren gegenseitig versichern, wie klasse sie seien – seit sie in gemeinsamen Jusotagen den Marsch durch die Institutionen antraten, der im verfilzten Politsystem Österreichs eher ein Einsickern in Machtpositionen war.
 
Es hat viel mit Gusenbauers Charakter zu tun, dass er gescheitert ist. Schließlich ist er von einem eklatanten Mangel an sozialer und emotionaler Intelligenz. Legendär sein Instinkt, mit dem er in jedes Fettnäpfchen trat. So fragte er vor einem Parteiabend in der Steiermark: „Wird das heute was Ordentliches oder das übliche Gesudere?“ Gesudere ist österreichisch für unproduktives Gemeckere und sehr negativ konnotiert. Als er, um Bundeskanzler zu werden, sich von der konservativen Volkspartei einen Großteil seiner Wahlversprechen abräumen ließ und an der Parteibasis ein Sturm der Entrüstung losbrach, verhöhnte er die protestierenden Jungsozialisten und verschanzte sich hinter Polizeiabsperrungen.
 
Zeitweise hatte man das Gefühl, dass Gusenbauer, während ihm das allgemeine Publikum mit Animositäten begegnet, aus der eigenen Partei regelrechter Hass entgegenschlug.
 
Aber er ist eben nicht nur ein Fall für sich. In Gusenbauers Scheitern verdichtet sich auch das Dilemma der zeitgenössischen Sozialdemokraten, derjenigen, die jetzt das Erbe von Schröder, Blair und ihren Mittelwegsgefährten anzutreten haben. Vor zehn Jahren, in dotcom-Boom und New Economy, versöhnten sich die „Neuen Sozialdemokraten“, wie sie damals hießen, mit der Markteuphorie. Es war beinahe ein zweiter Revisionismus, der dazu führte, dass sich die Rosaroten an den neoliberalen Geist der Zeit anschmiegten, an „mehr Privat, weniger Staat“. Zehn Jahre später ist die soziale Frage wieder zurück. Die Sozialdemokraten haben jetzt ein Problem. Wenden sie sich wortreich gegen „den Neoliberalismus“, nimmt man ihnen das nicht so recht ab, machen sie weiter mit dem liberalistischen Reformgetöse, dann gehen ihnen die eigenen Leute von der Fahne, die sich sozial bedrängt fühlen. Eine strategische Lose-Lose-Situation, die sich für Alfred Gusenbauer grundsätzlich nicht anders darstellt als, sagen wir, für Kurt Beck. Gewiss, ein Charismatiker kann das vielleicht überstrahlen. Aber selbst für einen solchen Wunderwuzzi wäre das schwer, eingezwängt in eine Große Koalition, in der sich zwei praktisch gleich große Partner skeptisch beäugen und der jeweils anderen Seite keinen Erfolg gönnen wollen.
 
Bei all dem geht es natürlich nicht bloß um Strategie und Taktik, sondern um Grundlegenderes: Letztendlich wissen die Sozialdemokraten eigentlich nicht, wofür sie stehen sollen.
 
Hinzu kommt die Abkoppelung des Politsystems von den Wählern, was in den Sozialdemokratien besonders augenfällig ist. Die Rekrutierungssysteme für Spitzenpolitiker funktionieren zunehmend selbstreferentiell, und die Kompetenzen, die man braucht, um in der Welt der Politik-Politik zu reüssieren, entfremden das Spitzenpersonal von den Leuten, die sie eigentlich repräsentieren sollen. Plump gesprochen, kann man das auch so sagen: die Politiker haben nichts anderes gelernt als Politiker zu sein und stellen Politiker dar. Letztlich sind sie Technokraten, die wissen, dass ihre Leute etwa nach „sozialer Wärme“ gieren, also sagen sie Wortgirlanden, die nach sozialer Wärme klingen. Die berühmten Textbausteine von den „Sorgen“ und den „einfachen Leuten“, die Geschichten, die nie ohne die exemplarische Mindestrentnerin auskommen. Weil die Leute im Fernsehen nur Soundbites wahrnehmen, werden die Schlüsselsätze automatisch in 0:40 Minuten formuliert, dafür aber acht mal hintereinander wiederholt. Das Ergebnis: Authentizitätsmangel. Sie wirken, wie Werner A. Perger im Wiener „Falter“ schrieb, „nicht echt“. Perger: „Die Verzückung, mit der viele europäische Sozialdemokraten zurzeit die Kampagne des Barack Obama beobachten, hat mit diesem Gefühl des Verlusts zu tun.“
 
Aus Gusenbauer jedenfalls wird kein Obama mehr. Eigentlich schade drum. Denn alles in allem ist er eine interessante Type. Es hat nur irgendetwas gefehlt.
 
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„Sehr geehrter Herausgeber“, so beginnt das Dokument, in dem die österreichische Sozialdemokratie am Donnerstag ihre neue politische Linie formulierte: Die SPÖ ist jetzt auch für Volksabstimmungen über EU-Verträge und tut dies ausgerechnet in einen Brief an Hans Dichand kund, dem Monarch vom Boulevard, dem Chef der „Kronen Zeitung“.
 
„Jämmerlicher Stil“, so die „Grünen“, ein „erbärmlicher Kniefall“, so die ÖVP, sei das vor dem populistischen Zeitungsmacher, der seit Jahr und Tag gegen die „Eurokraten“ trommelt. Dabei kann man in der Sache der SPÖ-Wende manches abgewinnen: Nach dem „Nein“ der Iren zum Lissabon-Vertrag dämmert auch dem Letzten, dass man Europapolitik nicht mehr so machen kann als gäbe es kein Volk. Nur mehr 28 Prozent der Österreicher sehen die EU positiv, damit ist das Land Schlusslicht in Europa. Dass man unter diesen Umständen wohl besser um Mehrheiten im Volk kämpft als Parlaments-Ratifizierungen durchzupeitschen, ist kaum zu bestreiten.
 
Freilich: Degoutanter, als durch einen Brief an den „Krone“-Chef, hätte man den Kurswechsel kaum vollziehen können. Ist die „Krone“ eine Parteiorganisation, und wenn ja, wo im Parteistatut ist das geregelt? Und die SPÖ dürfte sich damit nicht nur von der technokratischen Europapolitik verabschieden, sondern von ihrer bisherigen proeuropäischen Linie.
 
Kasten:
 
Alfred Gusenbauer, 48,
war von 1984 bis 1990 Vorsitzender der österreichischen Jungsozialisten, außerdem Vizepräsident der Sozialistischen Internationale. Nach dem Debakel der SPÖ bei den Wahlen 1999 übernahm er den Parteivorsitz von seinem glücklosen Vorgänger Viktor Klima. Bei den Nationalratswahlen 2006 überholte Gusenbauers SPÖ überraschend die ÖVP des damaligen Kanzlers Wolfgang Schüssel. Im Februar 2007 wurde Gusenbauer als Bundeskanzler angelobt. Vergangenen Montag legte er sein Amt als Parteichef zurück.
 
Werner Faymann, 48,
war von 1981 bis 1985 Vorsitzender der Wiener Jungsozialisten. Danach Landtagsabgeordneter, später Wohnbaustadtrat in Wien. Seit 2007 ist er Infrastrukturminister. Vergangenen Montag wurde er zum geschäftsführenden Parteiobmann der Sozialdemokratie ernannt.

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