Robert Kagan, konservativer Vordenker und Berater von John McCain, über die Bilanz im Irak, die kommende Rivalität der großen Mächte und den Aufstieg der Autokraten. taz, Juni 2008, und Falter, 2. Juli 2008
Mister Kagan, Sie sind einer der außenpolitischen Experten des McCain-Teams. Ist Obama der einfachere Gegner?
Kagan: Oh nein, er hat eine hervorragende Wahlkampagne geführt. Er kam aus dem Nichts und Hillary Clinton galt beinahe als fixe Kandidatin. Er hat sie trotzdem geschlagen. Das war schon eine große Leistung.Aber er wird einige Schwierigkeiten haben, die Anhängerinnen von Hillary Clinton auf seine Seite zu ziehen.
Warum sollten die Amerikaner einen alten Mann, der für „weiter so“ steht, wählen – wenn es einen brillanten jungen Mann gibt, der den „Change“ verspricht?
Kagan: Niemand glaubt doch, dass McCain für „weiter so“ steht. Obama behauptet das, aber keiner glaubt es. Wäre es anders, würde McCain nicht 20 Prozent besser dastehen als seine Partei. Jeder weiß, dass McCain während seiner ganzen Karriere eine sehr unabhängige Stimme war. Auch in vielen Fragen, die die Welt bewegen – Klimawandel, Folter, Guantanamo. McCain ist kein zweiter Bush.
Und nur deshalb hat McCain eine Chance? Nicht gerade schmeichelhaft für den scheidenden Präsidenten.
Kagan: Dass George W. Bush zu jenen Präsidenten zählt, die mit der geringsten Wertschätzung aus dem Amt scheiden, ist keine Neuigkeit.
Gerecht oder ungerecht?
Kagan: Alle solche Momentaufnahmen sind falsch und damit ungerecht. Es hängt davon ab, wie es im Irak ausgeht. Und immerhin hat Bush es geschafft, dass das Land nach dem 11. September von terroristischen Anschlägen verschont blieb. Al-Qaida ist ziemlich angeschlagen. Wer hätte das denn gedacht? Der kommende Präsident kann froh sein, wenn er das Land so sicher halten kann.
Aber dass es al-Qaida zunehmend schlecht geht, ist doch nicht Bush’ Verdienst. Die Muslime haben die Radikalen einfach satt, deshalb sind diese isoliert.
Kagan: Geschenkt. Aber hat nicht jeder gesagt, Bush würde al-Qaida faktisch stärken? Heute sehen wir, wie lächerlich die Behauptung war. Klar, al-Qaida hat sich selbst diskreditiert. Aber dass al-Qaida im Irak eine schwere Niederlage erlebte, spielt auch eine Rolle. Es ist eine Kombination der Dinge.
Ihr neues Buch hat die kommende Rivalität der großen Mächte zum Thema. Prophezeien Sie einen neuen Kalten Krieg?
Kagan: Nein, denn der Kalte Krieg war von Bipolarität und dem ideologischen Konflikt zwischen Kommunismus und Demokratie geprägt. Was jetzt wieder kommt erinnert an das, was wir aus dem 19. Jahrhundert kennen. Konkurrenz großer Mächte, traditionelle Geopolitik. Wir sehen das in Russland und China: diesen Stolz auf die nationale Stärke. Und auch die alten Formen des Autokratischen kehren zurück. Putin ist ja nicht wie Stalin, eher wie der Zar.
Ist die liberale Demokratie nicht trotzdem eine sehr attraktive Gesellschaftsform? Der Trend zu mehr Freiheit, mehr Liberalisierung ist ja auch nicht wirklich abgebrochen.
Kagan: Oh, als Demokrat bin ich fest davon überzeugt, dass Demokratie eine überlegene Form der Regierung ist. Aber wir leben in der wirklichen Welt und da müssen wir Dinge zur Kenntnis nehmen, die wir so eigentlich nicht erwartet haben: dass es ein immer wohlhabenderes China haben, das sich politisch keineswegs öffnet.
Es ist viel freier als vor zwanzig Jahren und innerhalb der Partei haben sie mittlerweile einen Pluralismus, der von ultraliberal bis sozialdemokratisch reicht.
Kagan: Im Politikbüro der KPdSU hatten Sie auch Moderate und Orthodoxe. Das macht noch keine Demokratie aus. Aber klar, die Menschen haben viel mehr Freiheit als vor zwanzig Jahren oder in den dunklen Zeiten der Kulturrevolution. Das ist ja eben das Kennzeichen traditioneller Autokratien. Sie sagen den Bürgern: Ihr könnt Euer leben führen, wie ihr wollt, solange ihr Eure Nase nicht in die Politik steckt. Wenn ihr das tut, dann wird Euch die Nase abgeschnitten.
Sind China, Russland gefährlich?
Kagan: Es kann kein Zweifel daran bestehen: Das heutige Russland ist weit aggressiver und nationalistischer als das Russland vor zehn Jahren. Russland will seine traditionelle Einflusszone wieder zurück.
Vor zehn Jahren war Russland pleite, dank des hohen Ölpreises ist es reich.
Kagan: Putin nützt das Öl um Russland als Großmacht zurück zu bringen. Er könnte den Reichtum auch nützen, um sein Land in Richtung liberalen Westen zu führen, wie das Jelzin versucht hat.
Ist Putin gefährlich?
Kagan: Wenn Sie in Polen, Georgien oder in den baltischen Staaten leben, dann ist Putin gefährlich. Wenn Sie ein Oppositioneller in Russland sind, dann wären Sie ohnehin im Gefängnis.
Sollte sich Europa auf militärische Konfrontation einstellen?
Kagan: Wenn Europa einig ist und mit den USA Seite an Seite steht, hat Russland keine Chance. Man sah das in der Kosovo-Frage. Russland musste die Dinge am Ende akzeptieren.
Sie und Ihre neoliberalen Freunde haben für eine ideologische Außenpolitik getrommelt, dass die Guten die Bösen eindämmen müssten. Jetzt sprechen Sie von der Rivalität der großen Mächte. Klingt nach Kissinger. Sind sie ins realpolitische Camp desertiert?
Kagan: Ich habe mich immer als Realist gesehen, nie als neokonservativ. Man hat mich in dieses Eck gesteckt. Aber es stimmt: Kissinger hat die Rückkehr der Rivalität großer Mächte deutlich vorausgesehen.
Sie wurden auch berühmt für Ihr Bonmot, Europa sei von der Venus, Amerika vom Mars. Das war ja nicht nur eine Beschreibung, der europäische Pazifismus wurde als blauäugig, als weltfremd charakterisiert. Wenn wir uns jetzt das Desaster im Irak ansehen, wären die USA nicht besser gefahren, wenn sie auch von der Venus wären?
Kagan: Ach, ich hab doch nicht geurteilt, was richtig und was falsch ist. Ich habe beschrieben, warum Amerikaner im allgemeinen die Welt anders sehen als die Europäer.
Sie erwarten nicht, dass ich Ihnen das abnehme?
Kagan: Ich bin ein Amerikaner. Also sehe ich die Welt durch amerikanische Augen. Und ich glaube, dass militärische Macht wichtig ist. Deshalb glaube ich aber noch lange nicht, dass Diplomatie und Verhandlungen nicht auch wichtig sind.
Was und wie man es beschreibt, ist aber nie neutral. Jetzt legen Sie allen Ton auf die Konfrontation großer Mächte. Vielleicht gibt’s aber doch Kooperation?
Kagan: Klar, schon im 19. Jahrhundert gab es Rivalität, aber auch Kooperation.
Wir stehen nicht den Problemen des 19. Jahrhunderts gegenüber. Klimawandel, Ölmangel, Nahrungsmittelkrise – die meisten Probleme kann man nur kooperativ angehen.
Kagan: Es gab immer Sehnsucht nach Kooperation. Aber Sie haben recht: Wir müssen multilateral agieren. Ich sage Ihnen das auch als Berater von John McCain: Wir brauchen Kooperation, nicht Unilateralismus.
Europa und die USA werden sich sehr viel näher sein in einem Jahr, egal wer Präsident wird?
Kagan: Ganz ganz sicher.
Hand auf’s Herz: Angesichts der ökonomischen Situation, hat ein Kandidat wie Senator McCain überhaupt eine Chance?
Kagan: Üblicherweise gibt man dem Kandidaten der bisher regierenden Seite die Schuld an der wirtschaftlichen Misere. Aber McCain wird nicht für die Situation verantwortlich gemacht. Er ist sehr unabhängig und wird auch so wahrgenommen.
Robert Kagan war Mitbegründer der berüchtigten Neocon-Denkfabrik „Project For A New American Century“ und ist heute Experte am Carnegie Endowment. Im laufenden US-Präsidentschaftswahlkampf zählt er zum Beraterkreis um John McCain. Eben erschien sein Buch: „Die Demokratie und ihre Feinde.“ Siedler-Verlag, 2008. 127 Seiten. 16,95.- €