Das deutsche Design- und Werbemagazin PAGE machte mit mir folgendes Interview über die wachsende Ununterscheidbarkeit von Kunst und Werbung.
Der österreichische Publizist Robert Misik ist ständiger Autor bei „Falter“, „profil“, „Standard“ sowie „taz“. Sehen und hören kann man ihn in seiner wöchentlichen Videoblog-Sendung „FS-Misik“ auf Standard.at, lesen unter www.misik.at. Beim Aufbau-Verlag veröffentlichte er 2007 „Das Kultbuch. Glanz und Elend der Kommerzkultur“
PAGE: Welches sind aus Ihrer Sicht die elenden Seiten der Kommerzkultur?
Robert Misik: Unter anderem die totale Zustellung der öffentlichen Orte. Unsere Innenstädte sind Shopping-Malls unter freiem Himmel. Sie werden von einer Zeichensprache durchsetzt, die sich früher nur in Einkaufszentren fand, jetzt aber das gesamte Stadtbild dominiert. Wo man hinschaut, ist Werbung drin beziehungsweise fast alles ist von einem Stil kontaminiert, der aus der Werbung stammt.
PAGE: Wo sehen Sie das?
Misik: Zum Beispiel darin, wie Leute in der Öffentlichkeit auftreten. Das reicht bis zum G8-Gipfel, wo die Beteiligten agieren, als wären sie in einem Werbefilm. Fast instinktiv produziert man ikonenhafte Bilder.
PAGE: Werbung und Nicht-Werbung sind also kaum noch zu unterscheiden?
Misik: Heutzutage kommen Werbesongs auf die Nummer Eins der Hitparaden. Macht das die Songs grundsätzlich schlechter? Nein, aber Sie müssen mal auf YouTube beide Filme zu „New Soul“ anschauen, ein wunderschöner Song der aufstrebenden israelischen Sängerin Yael Naim. Das eine ist ein Hippie-Lied von Freiheit und Fantasie, das andere ein Werbeclip für das MacBook Air. Als Kommerzsong klingt das Lied ganz anders als in der Realvariante.
PAGE: In die Top 10 zog „New Soul“ einzig und allein ein, weil es die MacBook-Werbung so bekannt machte. Die Ökonomisierung der Kultur ist ja eins der zentralen Themen ihres Buchs. Welche Rolle spielt dabei das Sponsoring?
Misik: Es bestimmt immer stärker die Kunstmärkte und das Verhältnis des Künstlers zu seiner Arbeit und zu sich selbst. Da haben sich fast feudalistische Zustände eingestellt. Natürlich ist der heutige Feudalherr aufgeklärter, er will keine Speichellecker. Selbst wenn der Künstler das Feudalsystem kritisiert, nützt das, denn es geht um Aufmerksamkeit, um das Branding der eigenen Marke als kunstnah. Die Kunst muss bloss schauen, dass sie Quote macht, denn nur dann wird sie gesponsort. Das führt zu einer Verengung des internationalen Ausstellungsmarktes, nur noch grosse Blockbuster ziehen um die Welt – MoMA hier, MoMA dort. Das Avancierte, Nischenhafte kann immer weniger stattfinden. Und was die öffentlichen Hände dazugeben, konterkariert nicht das Prinzip des Sponsorship, sondern förder im Sinne des Stadtmarketings die gleiche Kategorie.
PAGE: Wird die Kommerzialisierung immer weiter gehen oder gibt es da Grenzen?
Misik: Auf der einen Seite dringt Werbung in immer mehr Poren und Kanäle. Und gerade im Internet entstehen immer mehr Kanäle, so dass das Biotop, in dem Werbung sich breit machen kann, immer grösser wird. Anderseits gibt es heftige Immunreaktionen. Nicht nur im Burgtheater, wo es bei jeder Aufführung eine Werbedurchsage gibt: „Diese Vorstellung widmet ihnen A1“ (ein österreichischer Mobilfunkanbieter). Zu spüren war das auch bei der Europameisterschaft. Dass die Bildsprache des Events nur von Marken wie Nutella und der Kronenzeitung bestimmt wurde, ging ganz vielen Leuten auf die Nerven. Die Biermarken, die glaubten, sie könnten die Fanzonen total kommerzialisieren und per Monopolstellung beherrschen, haben grösstenteils Schiffbruch erlitten. Die Leute sind nicht hingegangen. Es gibt eine allgemeine Stimmung, dass es reicht. Kommerzkritische Bücher sind Bestseller, ob sie „No Logo“, „Good bye, Logo“ oder „No Shopping!“ heissen. Wenn man so ein Buch auf den Markt wirft, geht es weg wie warme Semmeln.
PAGE: Also weg mit der Werbung?
Misik: Vor ein paar Jahren hat das Künstlerduo Steinbrener/Dempf alle Logos und Schilder in einer beliebten Wiener Einkaufsstrasse überklebt. Das löste heftige Diskussionen darüber aus, wie sehr Logos den öffentlichen Raum zustellen. Das Zuplakatieren ist teils sogar den Werbern zuviel, sie gehen unter in einem Meer von Botschaften und werden nicht mehr wahrgenommen.
PAGE: In Sao Paolo ist Werbung im öffentlichen Raum ja ganz verboten.
Misik: Wenn Werbung zu schrill ist, gibt es eben Überreaktionen. Aber die Bilder des Urbanen, die wir im Kopf haben, kommen nicht ohne Leuchtreklamen, ohne die blinkende Farbigkeit des Kommerzes aus. Man sollte die Kommerzialisierung als Ganzes kritisieren und gleichzeitig die Werbung einer ästhetischen Kritik unterziehen. Sie darf unseren ästhetischen Instinkt nicht ruinieren, sollte eine Schule des Sehens und nicht eine Schule des Trash sein.