Der Absturz ist vorbei, aber aufwärts geht’s noch lange nicht. Peter Bofinger, Star-Ökonom und einer der fünf deutschen „Wirtschaftsweisen“, erklärt, warum ein starker Staat notwendig, aber mehr Staat nicht immer die richtige Antwort ist. Falter, 8. Juli 2009
In den letzten Jahren hieß es immer, Nationalstaaten können in der Globalisierung keine Wirtschaftspolitik mehr machen – außer Dumpingkonkurrenz, um wettbewerbsfähig zu bleiben. In der Krise sieht man: Es geht ja doch.
Bofinger: Die Behauptung, dass der Nationalstaat tot ist, haben zwar Soziologen und Politologen immer wieder aufgestellt, sie ist aber falsch. Man sieht das schon an der Staatsquote. Weder was die Staatseinnahmen, noch was die Staatsausgaben betrifft, hat es in den vergangenen zwanzig Jahren grundlegende Änderungen gegeben. Auch kleine Länder können sehr aktive Wirtschaftspolitik betreiben: Das beste Exempel sind die skandinavischen Länder, in denen der Staat hohe Mittel umsetzt, und die damit auch sehr erfolgreich sind.
Wenn man Ihr Buch liest, sieht man doch mit Erstaunen, dass ausgerechnet Deutschland in den vergangenen zehn Jahren ein marktfundamentalistischer Musterknabe war. Nirgendwo ging die Staatsquote so stark zurück.
Bofinger: Deutschland wurde immer als starr, überreguliert und unflexibel dargestellt, sodass man im Ausland gar nicht wahrgenommen hat, dass Deutschland ziemlich angelsächsisch geworden ist. Die Staatsquote sank noch unter den Wert Großbritanniens. Erstaunlicherweise fand das unter einer rot-grünen Regierung statt. Intellektuell wurde das von Leuten wie Joschka Fischer ja auch immer wieder begründet, dass der Nationalstaat in der Globalisierung keine aktive Rolle mehr hat und der Sozialstaat nicht mehr funktioniert. Das war die Vorbereitung von Hartz IV.
Aber ist es denn so falsch? Es gibt ja eben heute die Konkurrenz mit China und anderen aufstrebenden Volkswirtschaften, wo billig produziert wird, sodass die Arbeitsplätze dorthin auswandern.
Bofinger: Aber jeder Ökonom weiß, dass globale Arbeitsteilung nicht zu weniger, sondern zu mehr Wohlstand führt – und zwar für alle Beteiligten. Andernfalls wäre es ja unsinnig, so etwas wie Arbeitsteilung überhaupt zu machen. Würden uns die Chinesen nur den Wohlstand wegschnappen, dann wäre es ja widersinnig, Handel mit China zu betreiben.
Der Wohlstand wandert also nicht aus?
Bofinger: Aber gar nicht. In allen europäischen Volkswirtschaften ist das BIP im vergangenen Jahrzehnt gewachsen. Das heißt: Sie wurden nicht ärmer, sondern reicher. Allerdings ist der Wohlstandszuwachs in viel höherem Maße als in den Jahrzehnten davor bei den Unternehmern gelandet und nicht mehr bei den Arbeitnehmern. So sehr, dass die Realeinkommen sogar gesunken sind in den vergangenen zehn Jahren.
Man hätte es sich also leisten können, den Wohlstandzuwachs ebenso gerecht zu verteilen wie in den früheren Jahrzehnten.
Bofinger: Es wäre absolut möglich gewesen. Es wäre auch ökonomisch sehr sinnvoll gewesen, weil Deutschland dann nicht so stark von Exporten abhängig wäre. Es ist ja kein Zufall, dass Deutschland in diesem Jahr einen Rückgang des BIP aufweisen wird, der doppelt so hoch ist wie der Frankreichs.
Das heißt: Mehr Gerechtigkeit ist auch wirtschaftlich nützlich?
Bofinger: Wir haben in Deutschland sehr viel Geld gespart und – in Form von Leistungsbilanzüberschüssen – im Ausland investieren müssen. Ein nennenswerter Teil davon ist in der Finanzkrise verbraten worden. Wir haben mehr gearbeitet und gespart, damit sich Konsumenten in Ausland Autos kaufen können.
Das funktionierte nur, weil die Amerikaner auf Pump einkauften?
Bofinger: …die Amerikaner, die Spanier, die Portugiesen, die Griechen. Die einen haben zu viel gespart, die anderen haben zu viel ausgegeben. Und die riesigen Ersparnisse mussten in Kredite transformiert werden, und das ist eine der Ursachen für die Finanzkrise.
Wo stehen wir in dieser Krise? Haben wir das Schlimmste hinter uns? Manche reden schon von „grünen Knospen“.
Bofinger: Wir haben einen dramatischen Absturz erlebt in den vergangenen zwei Quartalen. Da geht es natürlich nicht ewig bergab. Wir sind jetzt am Boden des zweiten Untergeschoßes – und da bleiben wir erst mal. Die Frage ist: Wie geht es wieder bergauf? Dafür gibt es kaum Anzeichen. Woher sollen denn die Auftriebskräfte herkommen? Von den amerikanischen Konsumenten wohl kaum.
Ist der Finanzsektor überhaupt schon stabilisiert? Deutsche Banken haben noch mindestens 800 Milliarden an toxischen Wertpapieren in ihren Büchern.
Bofinger: Der Staat hat das für’s Erste soweit abgesichert, dass das Finanzsystem nicht zusammenbrechen kann. Aber es ist immer noch auf der Intensivstation. Wie es wieder zum Wachstumsmotor werden kann, ist keineswegs klar.
Wie wird das Finanzsystem in Zukunft aussehen? Wird das Bankwesen in Zukunft wieder langweilig – man nimmt Spareinlagen ein und gibt Kredite aus -, oder brauchen wir im Gegenteil raffiniertere, innovative Finanzinstrumente?
Bofinger: Banken sind primär Delegeted Monitors. Banken sind dafür da, mein und Ihr Geld an Kreditnehmer zu vergeben und diese in unserem Auftrag zu überwachen. Das ist wirklich nicht spannend. Das ist aber ihre klassische Funktion. Der Kern der Krise besteht darin, dass die Banken diese klassische Aufgabe nicht mehr wahrnehmen wollten und Kredite immer mehr vertrieben haben. Sie haben sie vergeben, verbrieft und verkauft und sich um die Kreditnehmer nicht mehr gekümmert. Im Kern denke ich, muss es wieder mehr in Richtung klassischer Aufgaben zurück gehen. Dennoch ist Verbriefung durchaus sinnvoll, aber dann muss man sicherstellen, dass es eine Qualitätsprüfung gibt. Deshalb braucht es so etwas wie einen Finanz-TÜV. Man hat das bisher auf die Ratingagenturen übertragen, die viel Geld verdienen aber keine Haftung tragen. Deshalb brauchen wir staatliche Ratingagenturen.
Sie plädieren für einen starken Staat, einen wirtschaftlich aktiven Staat. Besteht dann nicht die Gefahr, dass der Staat private Investitionen verdrängt: Weil die Privaten dann höhere Zinsen am Kapitalmarkt zahlen müssen?
Bofinger: Im Moment ist es doch so, dass die privaten Investitionen fehlen – und zwar keineswegs, weil der Staat sie verdrängt. Es kommt immer auf den Moment und die Umstände an: Wenn ein Mensch gesund ist, ist es falsch, ihn mit Antibiotika vollzupumpen, hat er eine Infektion, dann ist das sinnvoll. Wenn der Staat jetzt keine Schulden macht, hat das verheerende Folgen.
Die Notenbanken fluten die Märkte mit Geld, die Staatsschulden steigen sprunghaft: Droht in wenigen Jahren eine hohe Inflation?
Bofinger: Das Fluten mit Geld ist ja Ausdruck der Tatsache, dass die Geldkreisläufe zwischen den Banken nicht mehr funktioniert. Die Notenbanken springen ein. Das könnten die Notenbanken innerhalb weniger Wochen wieder zurückführen. Und was die Regierungen ausgeben, um das Bankensystem zu stabilisieren, ist in keiner Weise inflationär.
Dass der Staat Banken rettet, ist die eine Sache. Aber soll er auch Unternehmen führen? Opel etwa?
Bofinger: Hier wäre ich doch der Auffassung, dass der Staat durchaus die Insolvenz ins Auge fassen soll. Insolvenz heißt ja, dass das Unternehmen fortgeführt wird, aber die Eigentümer, die bisher das Unternehmen schlecht geführt haben, ausgeschaltet sind. Erst wenn im Insolvenzverfahren keine neuen Eigentümer gefunden werden können, das Unternehmen aber lebensfähig ist, kann man erwägen, ob der Staat temporär solche Unternehmen übernimmt. Aber dass der Staat sofort mit Bürgschaften einspringt, halte ich für problematisch. Denn die Trennungslinie ist dann schwer zu ziehen: Opel erhält sie, aber der Würstchenbudenbesitzer vor den Werkstoren erhält sie nicht. Und wer sich einfach übernommen hat, wie Schaeffler, der wird auch vom Staat rausgehauen. So geht das nicht.
Wer entscheidet, ob ein Unternehmen lebensfähig ist?
Bofinger: Das ist ja eben die Pointe: Wenn Insolvenz eine Option ist, ist der Anreiz der Besitzer, sich beim Staat anzustellen, sehr gesunken. Es kann nicht sein, dass der Staat teilweise Heuschreckeneigentümer rettet, die die Unternehmen erst in die schwierige Lage gebracht haben, in dem sie Eigenkapital abgesaugt haben.