Die amerikanische Sozialwissenschafterin Janine R. Wedel erforscht, wie
Machtnetzwerke den Staat unterwandern. profil, 16. August 2010
Hat die Korruption in den vergangenen zwanzig Jahren ihr Gesicht signifikant verändert?
Wedel: Definitiv ist in den vergangenen Jahrzehnten eine neue Form der Machtorganisation entstanden und damit auch eine neue Form von Korruption. Es gibt eine neue Gruppe von Akteuren, die ich die „Schatten-Eliten“ nenne. Die „Mover und Shaker“, die beispielsweise ein Consulting-Unternehmen haben, oder mit einem Think-Tank verbunden sind, die sich einen Namen als TV-Experten machen und Posten als Regierungsberater bekommen, und die dann sogar für begrenzte Zeit Regierungsposten annehmen. Aber sie haben eigentlich keine Loyalität zu den Institutionen, für die sie zeitweise arbeiten, sondern nur ihren Netzwerken gegenüber. Und den Einfluss und die Informationen, die sie in diesen Institutionen erhalten, nützen sie zum Vorteil ihrer Netze oder zu ihrem persönlichen Vorteil.
Wieso kam es zu diesen Veränderungen? Musste man raffiniertere Formen der Korruption erfinden, weil die alten, simplen nicht mehr toleriert wurden?
Wedel: Ich würde sagen, es gibt mehrere Gründe. Der wichtigste Punkt ist die Reorganisation von Regierungsinstitutionen. Regierungsaufgaben werden outgesourced, also praktisch privatisiert und an Unternehmen vergeben, privatwirtschaftliche Akteure werden als Experten – oft nicht nur als Berater, sondern mit Entscheidungsbefugnissen – in die staatliche Verwaltung einbezogen.
Kann man sagen, dass damit die Regierung „for sale“ ist?
Wedel: Jedenfalls wird das Verhältnis von Business und staatlicher Verwaltung neu justiert – zum Vorteil von erstem. Doch die Dinge sind komplexer. Es gibt eine ganze Klasse von Akteuren, die in Institutionen unterwegs sind, aber denen gegenüber keine Loyalität haben. Aber sie sind oft auch den Unternehmen gegenüber nicht langfristig loyal. Sie arbeiten ja auch für diese nur für eine bestimmte Frist oder vielleicht sogar nur auf Projektbasis. Und wenn sie Funktionen für politische Parteien übernehmen, sind sie denen auch nur lose verbunden. Ich nenne diese Leute die „Flexians“. Übrigens agieren sie gar nicht im Verborgenen: Viele versuchen so oft wie möglich als Experten in TV-Talkshows aufzutreten, weil das für ihren Status von Vorteil ist.
Sie halten das für eine Gefahr für die Demokratie?
Wedel: Definitiv. Ein früherer Amtsträger, der Schmiergeld angenommen hat, der hat vielleicht in einer einzelnen Sachfrage dann korrupt entschieden. Aber er war deshalb nicht das Produkt von Unternehmensinteressen. Die neuen Machtnetzwerke können aber den ganzen Staat zur Beute machen. Sie machen eine Menge Geld, aber es geht ihnen primär um Einfluss. Sie haben oft sogar eine Ideologie – nehmen wir nur die amerikanischen Neokons. Ein kleines Team hat bei denen dreißig Jahre lang daran gearbeit, die amerikanische Außenpolitik entsprechend ihrer eigenen Vision zu verändern. Und sie haben das getan, indem immer wieder die gleichen Individuen mal innerhalb, mal außerhalb der Regierung, mal in Quasi-Regierungsposten, in der Wirtschaft oder in Think-Tanks agiert haben. Und sie haben dabei die Standards der öffentlichen Verwaltung immer wieder unterlaufen. Sie haben also eine Ideologie, sie haben ihre undurchsichtigen Machtnetzwerke und sie haben Unternehmensinteressen hinter sich. Ein solches Bündel an Motiven macht die Sache sehr gefährlich.
Im Untertitel ihres Buches heißt es, die „Schatten-Eliten“ seien eine Gefahr für die Demokratie und für den freien Markt? Wieso für den freien Markt?
Wedel: Am freien Markt geht es um Wettbewerb und Konkurrenz. Aber diese neuen Händler der Macht sind an Wettbewerb nicht interessiert. Sie nützen die staatliche Macht, auf die sie Einfluss haben, und Vorteile für die Firmen zu erwirken, mit denen sie verbunden sind. Das ist das Gegenteil vom freien Spiel der Konkurrenz.
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