Jubelstimmung kommt auf: Deutschlands Wirtschaft brummt wie China. Zieht das Land Europa aus der Krise? Amerika dagegen kommt nicht aus der Krise.
Was ist dran am kleinen Euro-Wirtschaftswunder? profil, 21. August 2010
Endlich ist er da, der Aufschwung. Und was für einer: Das ist ein „Aufschwung XL“ jubilierte Deutschlands Wirtschaftsminister Rainer Brüderle, nachdem das Statistische Bundesamt die neuesten Wirtschaftsdaten gemeldet hatte. 2,2 Prozent Wachstum allein im zweiten Quartal, das ergibt aufs Jahr gerechnet ein BIP-Plus von 3,5 Prozent. So gebrummt hat die deutsche Wirtschaft seit den achtziger Jahren nicht mehr. Schon ist von der Wirtschaftslokomotive Deutschland die Rede, die Europa aus der Krise zieht. Plötzlich bricht Europtimismus aus, und nicht nur wegen der Wachstumsdaten. So sind in Deutschland gerade einmal drei Millionen Menschen ohne Job – weniger als vor Ausbruch der Krise. Auch in Österreich sank die Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahr zuletzt um beinahe neun Prozent.
„Wie machen das die Europäer?“, fragt man sich plötzlich auch in den USA. Die Amerikaner machen nämlich gerade die Erfahrung des „Jobless Growth“, sie schließen Bekanntschaft mit der Sockelarbeitslosigkeit, die auch im Aufschwung nicht schrumpft. Dabei erschien ihnen die bisher immer als bizarre europäische Eigenart. Die Arbeitslosenrate liegt anhaltend hoch bei fast zehn Prozent, die Pleiten erreichten gerade wieder einen Höchststand. „Europa macht’s richtig“, schrieb Kurt Volker, immerhin ehemaliger Nato-Botschafter Washingtons, im Magazin „Foreign Policy“.
Verrückte Welt: Gerade einmal ein paar Monate ist es her, da war Europa – gebeutelt von Schuldenkrise und Griechen-Katastrophe – allgemein totgesagt, als Kontinent, der noch lange im Griff der Krise bleiben, während es in Amerika demnächst wieder aufwärts gehen würde. Und jetzt plötzlich: Das umgekehrte Bild.
Haben wir die Krise also hinter uns? Genauer betrachtet ist das Bild eine Spur ambivalenter. Tatsächlich ist das Wirtschaftswachstum in Deutschland beeindruckend und in seiner Kraft unerwartet. Allerdings ist die deutsche Wirtschaft auch dramatisch geschrumpft – um 4,7 Prozent im Vorjahr. Von einem solchen historischen Tiefpunkt ist leicht wachsen. Vor allem aber ist Deutschland nicht Europa. In Deutschland, aber auch in Österreich und den Niederlanden sind die Wirtschaftsdaten gut, Frankreichs Wachstum von 0,6 Prozent ist schon moderater. Spanien, immerhin die viertgrößte Ökonomie des Euroraums, wächst gerade mal mit 0,1 Prozent. Rechnerisch ist das Wachstum, fühlt sich aber an wie Krise. In Italien sieht es nicht viel besser aus, in Griechenland zappenduster: Dort reißt der Sparkurs die Wirtschaft in die Rezession, auch der Tourismus ließ dieses Jahr aus.
Während die Arbeitslosigkeit in Deutschland nicht nennenswert zugenommen hat, stieg sie etwa in Spanien steil an: Dort waren vor der Krise zwei Millionen Menschen ohne Job, jetzt sind es viereinhalb Millionen.
Gewiss haben die Deutschen – wie auch Österreich – ein paar Dinge richtig gemacht. Am wichtigsten war wohl die generöse Ausweitung der Kurzarbeit. Viele Firmen haben in der Krise ihre Beschäftigten nicht entlassen, sondern ihre Arbeitszeit (und damit ihr Einkommen) reduziert. Den Lohnausfall zahlte der Staat. So blieb die Arbeitslosigkeit niedrig. In den USA gingen währenddessen neun Millionen Jobs verloren, die wohl nie mehr zurückkommen werden.
Vor allem ist die Frage, ob Deutschland wirklich die Konjunkturlokomotive ist, oder ob es nicht vielmehr selbst gezogen wird. „Belebt Deutschland die Wirtschaft der anderen Länder? Oder sind es die anderen, die Deutschland beleben?“ fragt etwa die deutsche „Zeit“.
Einmal mehr ist der deutsche Boom nämlich ein Exportboom. Um 30 Prozent hat der Export verglichen mit dem Vorjahr zugelegt. Vor allem die Auftragsbücher der Maschinenbauer sind voll. Und die profitieren vom Boom in China, Indien und anderen asiatischen Ländern, die einerseits erstaunlich stabil durch die Krise kamen, andererseits massive Konjunkturprogramme aufgelegt haben. Der niedrige Euro-Kurs der vergangenen Monate, der von Alarmisten schon als Zeichen für Europas Niedergang gedeutet worden war, hat zudem in Wahrheit die Exporte nach Übersee und Asien kräftig angekurbelt.
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Facts & Figures:
3,5 Prozent dürfte das deutsche Wachstum 2010
betragen3,2 Millionen Deutsche sind ohne Job, das ergibt eine
Arbeitslosenquote
von 7,6 Prozent211.689 Österreicher waren im Juli ohne Job –
das sind rund 20.000 weniger als vor einem Jahr und rund 30.000 mehr als
vor Ausbruch der Finanzkrise9,5 Prozent beträgt die
Arbeitslosenquote in den USA484.000 kamen allein in der ersten
Augustwoche dazu – das ist der höchste Zuwachs seit sechs Monaten45
Prozent der US-Arbeitslosen sind sechs Monate oder länger ohne Job. Ein
Wert, wie ihn das Land seit der Großen Depression in den Dreißiger
Jahren nicht gesehen hat.
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Profitieren also die Deutschen – und wir mit ihnen – von den Anstrengungen anderer? Sind wir Europäer Trittbrettfahrer?
Amerika habe mit massiven Konjunkturspritzen die Weltwirtschaft auf Erholungskurs gebracht, sagte vergangene Woche Barack Obamas Regierungssprecher Robert Gibbs. „Europa hat, offen gesagt, nicht so viel getan. Und das hat ohne Zweifel unser Wachstum gehemmt und beeinträchtigt das weltweite Wachstum.“
Ein Vorwurf, der es in sich hat und durch die öffentlichen Verlautbarungen deutscher Spitzenpolitiker genährt wird. Die lassen ja kaum eine Gelegenheit aus, sich als Sparmeister der Welt zu präsentieren und darauf hinzuweisen, dass staatliche Konjunkturpolitik nicht funktioniere. Bloß, die Rhetorik stimmt mit der Realität nicht unbedingt überein. Die OECD hat jüngst die konjunkturbereinigten Budgetdefizite großer Industriestaaten berechnet – also zu beziffern versucht, wie viel der Defizite tatsächlich auf Kosten staatlicher Stimulusprogramme geht -, und kam zu dem erstaunlichen Schluss, dass Deutschland entgegen aller Regierungsbeteuerungen relativ mehr Geld in die Wirtschaft pumpte als die USA.
Die Deutschen kurbelten also auch ordentlich die Wirtschaft an, sie hängen es nur nicht an die große Glocke. In Kombination mit den Exporten ins boomende Asien ergab das das neue kleine Wirtschaftswunder.
Kann man sich damit aber wirklich schon darauf verlassen, dass wir die gefährlichste Krise seit Jahrzehnten hinter uns haben? Kaum ein Experte würde dafür die Hand ins Feuer legen. Zwar schüren viele Ökonomen den Optimismus. „Ein Sommermärchen“, jubilierte etwa Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank. Schließlich wissen die Volkswirte, dass Optimismus ein Wirtschaftsfaktor ist – wenn Bürger und Unternehmer glauben, dass es aufwärts geht, geben sie Geld aus und investieren, und dann geht es vielleicht wirklich bergauf. Deshalb will niemand die zarten Konjunkturpflänzchen schlechtreden.
Europa steht also im Augenblick erstaunlich gut da – vor allem freilich im Vergleich mit den USA, wo sich unter den Fachleuten in den vergangenen Wochen regelrechte Depressionsstimmung verbreitet. Amerikas Wachstum hat sich scharf abgekühlt, die Firmenpleiten erreichen All-Times-High, jede Woche brechen neue Banken zusammen, die Häuserpreise fallen immer noch, viele Bürger sind hoch verschuldet. Schon rechnen viele Experten mit einer „Double-Dip“ Rezession, also den Rückfall in eine zweite Rezession. Der Konjunkturverlauf hätte dann das Bild eines „W“ – steil runter, kurz rauf, noch mal runter, und dann erst irgendwann raus aus dem Keller. Starökonom Robert Shiller von der Yale-University schätzt die Wahrscheinlichkeit eines solchen Szenarios mittlerweile schon auf 50 Prozent. Die Zustimmungsraten für Präsident Barack Obama fallen in den Keller. Nicht nur die normalen Bürger machen den Präsidenten für die schlechte Wirtschaftslage verantwortlich, auch Ökonomen, die ihm wohlgesonnen sind, meinen, er habe die falschen Prioritäten gesetzt und außerdem zu zaghaft gehandelt.
Mögen unter den Schwachen die Halbstarken auch die Könige sein – viel Grund für Jubelstimmung ist das für die Europäer freilich nicht. Europa würde von einer Verschlechterung der Wirtschaftslage in den USA nicht unberührt bleiben, ja mehr noch: Es könnte sogar selbst dazu beitragen, dass es wieder bergab geht. Schließlich wirken jetzt noch die Konjunkturprogramme der Regierungen. Aber spätestens 2011 wollen alle Staaten zeitgleich sparen – manche wollen regelrecht die Axt an die öffentlichen Haushalte legen. Ländern wie Spanien und Italien bleibt kaum etwas anderes übrig. In Großbritannien sorgte gerade eine Marktstudie über die Geschäftserwartungen der Dienstleistungsbranche – die etwa 40 Prozent der Wirtschaftsleistung erbringt – für Schockwellen: demnach drohe aufgrund der radikalen staatlichen Sparpläne ein Rückfall in die Rezession. „Das Wachstum in der Eurozone kann bis zur Jahreswende auf Null zurückfallen, wenn die Sparprogramme greifen“, prophezeit Nouriel Roubini, der Spezialist für Negativbotschaften unter Amerikas Wirtschaftsforschern.
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