Gibt es ein linkes Sparen?

Gastautor Niki Kowall fragt: Sind Schulden links? Oder wäre im Gegenteil so etwas wie ein linker Sparkurs möglich? Seine These: Durch vermögensbezogene Steuern kann bei weitem nicht genug Geld zusammengekratzt werden. Ein progressiver Konsolidierungskurs will den Staat nicht kaputtsparen, sondern sinnvolle Prozess- und Organisationsreformen im staatlichen Bereich. Nicht die Reduktion der Staatsquote, sondern die optimalere Verwendung vorhandener Ressourcen steht im Vordergrund. Mehr von Niki Kowall finden Sie hier.

Die originale Langfassung gibt es hier als PDF.

Wer dem Wohlfahrtsstaatsmodell westeuropäischen Typs anhängt wird feststellen, dass die Mittelaufbringung und die Ressourcenverwendung der Republik Österreich relativ zufriedenstellend sind. Internationale Vergleiche zeigen, es gibt Industriestaaten in denen es wesentlich ungerechter zugeht. Zufriedenstellen ist aber nur eine mittlere Note und die Defizite sind vor allem auf der  Einnahmenseite (Mittelaufbringung) nicht zu übersehen. Ins Auge stechen die geringe Besteuerung von Vermögen und die hohe Besteuerung von Arbeit. Zu Recht fokussieren progressive Kräfte seit Jahren vor allem darauf, diese einnahmenseitige Schieflage in der öffentlichen Debatte zu thematisieren. In der Hitze des Gefechts wird auf die Ausgabenseite (Ressourcenverwendung) gänzlich vergessen. Diese bietet auch etwas weniger Anlass zur Kritik, sind es doch im wesentlich die sinnvollen Bereiche Gesundheit, Pensionen, Bildung und Infrastruktur für die öffentliche Mittel eingesetzt werden. Von wirtschaftsliberaler Seite werden jedoch immer wieder gezielt Missstände aufgezeigt (Privilegien, Verschwendung etc.), die aus den „Steuergeldern der Leistungsträger/innen“ finanziert würden. Das ist einerseits eine gezielte Strategie um das Gemeinwesen zu desavouieren, andererseits sind die Missstände aber nicht frei erfunden.

„Jeder staatliche Klientelismus ist Gift für eine solidarische Gesellschaft und mit den egalitären Ansprüchen jener sozialdemokratischen Idee unvereinbar, der sich der Autor verpflichtet fühlt.“

Aus vier Gründen soll in diesem Text der Ressourcenverwendung Augenmerk geschenkt werden. Erstens weil durch eine effizientere Verwendung staatlicher Ressourcen Mittel für dringend notwendige politische Maßnahmen frei werden. Es geht dabei um sektorale Einsparungen, nicht um eine Reduktion der Staatsquote, öffentliche Mittel sollen nicht gekürzt, sondern intelligent umgeschichtet werden. Zweitens weil viele Reformen im Sinne einer staatlichen Organisationsentwicklung zur Verbesserung öffentlicher Leistungen führen können. Drittens weil jeder staatliche Klientelismus Gift für eine solidarische Gesellschaft ist und mit den egalitären Ansprüchen jener sozialdemokratischen Idee der sich der Autor des Textes verpflichtet fühlt unvereinbar scheint. Viertens weil der wirtschaftsliberalen Fundamentalkritik am Gemeinwesen der Wind aus den Segeln genommen werden sollte. Werden Schieflagen in der staatlichen Ressourcenverwendung beseitigt, schmilzt die Angriffsfläche auf den Wohlfahrtsstaat drastisch dahin.

Neue Steuern oder Sparen? Sowohl als auch!

Viele Linke glauben, eine sozial gerechte Steuerreform sei die Lösung aller Probleme. Wir sprechen natürlich nicht von ein paar Peanuts durch eine Bankenabgabe und eine harmlose Abschaffung der Spekulationsfrist bei Aktien. Es geht um eine Steuerstrukturreform mit einer Angleichung der Vermögenssteuerquote an den EU-Schnitt, womit bis zu fünf Prozent des Steueraufkommens durch vermögensbezogene Steuern aufgebracht werden könnten. Dadurch sollten erstens eine Fülle von anstehenden politischen Maßnahmen finanziert werden – Kinderbetreuung, Schulreform, Investitionen in Universitäten & Forschung, Aufbau eines Pflegesystems, Ökologisierung von Verkehr und Energieversorgung sowie eine Erhöhung der Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit. Darüber hinaus sollten zweitens eine Entlastung der niedrigeren Einkommen garantiert werden und drittens die Krisenschulden in Schach gehalten werden. Das alles wird selbst die größte Steuerreform nicht leisten können. Es wäre fahrlässig, nicht parallel über andere Möglichkeiten der Mittelaufbringungen nachzudenken. Vor allem, wenn dabei Effizienzpotentiale gehoben und die staatliche Organisationsstruktur verbessert werden könnte, womit verschiedene Ziele gleichzeitig erreicht würden.

Viel gravierender als diese Anregungen für einen Blick über das Steuersystem hinaus sind jedoch strategische Argumente. Denn eine Strukturreform des Steuersystems bedeutet nicht, dass danach mehr Geld vorhanden ist. Selbst wenn es endlich gelingen sollte das Vermögen in Österreich als Steuerquelle anzuzapfen (wie es in den USA und ganz Europa selbstverständlich der Fall ist), müssten mit beachtlichen Teilen dieser Mittel auf jeden Fall notwendige Entlastungen für die unteren und mittleren Einkommen finanziert werden, eventuell flankiert von einer Senkung der Lohnnebenkosten. Ohne diese Entlastung wäre eine substanziell relevante Vermögensbesteuerung politisch nicht durchsetzbar, denn eine Reform bei der unmittelbar niemand gewinnt außer Vater Staat ist eine politische Todgeburt. Es wäre auch zu leicht gegen den sprunghaften Anstieg von Staats- und Steuerquote zu polemisieren. Sprich, die Gelder aus den vermögensbezogenen Steuern müssten vielleicht sogar mehrheitlich aufkommensneutral zur Reduktion der Sozialversicherungsbeiträge von Arbeitnehmer/innen und Arbeitgeber/innen verwendet werden. Damit der Faktor Arbeit entlastet wird, die mittleren und unteren Einkommensgruppen mehr Geld in der Tasche haben, Arbeit sich für Arbeitnehmer/innen eher auszahlt und das Einstellen neue Arbeitskräfte für Unternehmen ein bisschen attraktiver wird.

Ähnliches gilt für das Argument des Schuldenabbaus, das Dank jahrelanger neoliberaler Propaganda eine große Rolle für viele Menschen spielt. Doch die damalige Propaganda kann jetzt hilfreich sein, wenn man den Spieß umdreht und in etwa folgendes sagen: Nicht der Sozialstaat, sondern die Finanzindustrie und die Wohlhabenden, die nicht wussten wohin mit ihrem überschüssigen renditesuchenden Kapital, haben den Finanzsektor mit ihrem Anlageverhalten aufgeblasen. Sie tragen die Verantwortung für die Krise. Jetzt ufert das Budgetdefizit aus und um dieses einzudämmen, benötigen wir neue Steuern. Zahlen soll nicht die Allgemeinheit sondern die VerursacherInnen. Ein Paket in dem der Schuldenabbau und die zuvor durchargumentierte Entlastungen wesentliche Bestanteile darstellen, ist nicht nur sinnvoll, sondern in der Mitte der Gesellschaft auch viel eher politisch verkaufbar. Eine Erhöhung der Abgabenquote ausschließliche zur Expansion des Staatssektors ist sicher nicht mehrheitsfähig, selbst wenn es nur Grasser, Meinl und den Waffengraf treffen sollte.

Meine These ist, dass man mit den Einnahmen aus den vermögensbezogenen Steuern für alle Investitionen in Kinderbetreuung, Schulbildung, Universitäten & Forschung, Pflege, Ökologisierung von Verkehr und Energieversorgung sowie Entwicklungszusammenarbeit bei weitem nicht genügend Mittel zusammenkratzen kann. Nicht zuletzt, weil ein beachtlicher Teil der neuen Steuergelder eben für die Entlastung und den Schuldenabbau verwendet werden müsste. Nicht nur, aber vor allem auch aus diesen Gründen knapper Ressourcen ist die Linke gut beraten, ihr Augenmerk mittelfristig auch auf die Staatsreform zu richten. Eine umfassende Neuorganisation des Staates könnte wohl noch einmal so viele Mittel freisetzen wie die Angleichung der Vermögensbesteuerung an den EU-Schnitt. Steuern oder Sparen ist keine Frage des entweder oder, sondern eine des sowohl als auch. 

„Meine These ist, dass man mit den Einnahmen aus den vermögensbezogenen Steuern für alle Investitionen in Kinderbetreuung, Schulbildung, Universitäten & Forschung, Pflege, Ökologisierung von Verkehr und Energieversorgung sowie Entwicklungszusammenarbeit bei weitem nicht genügend Mittel zusammenkratzen kann. Steuern oder Sparen ist keine Frage des entweder oder, sondern eine des sowohl als auch.“

Als Orientierungshilfe für die Zielsetzung soll der Fokus nicht darauf gelegt werden, was unter den Bedingungen der aktuellen politischen Realverfassung möglich ist, sondern darauf was man tun würde, wenn man könnte. Sozusagen in einer Modellwelt, in der Bundesländer, Industriellenvereinigung und Beamtengewerkschaft als Dreifaltigkeit der Reformblockade einflusslos wären. Mit einem relativ radikalen Maßnahmenpaket könnten mittelfristig mehrere Milliarden in einer Staatsreform zu holen sein, ohne Leistungskürzungen vorzunehmen. Parallel dazu sollte eine gewaltige Steuerstrukturreform durchgeführt werden, die den Anteil der vermögensbezogenen Steuern am Steueraufkommen auf den EU-Schnitt von fünf Prozent anhebt. Das wäre gemessen an den Steuereinnahmen von 2009 ein Anstieg von derzeit 1,4 Mrd. auf rund sechs Milliarden Euro. Am Ende des Tages sollte das jährliche Budgetplus aus Steuerreform und Staatsreform schließlich in einer Größenordnung von zehn Milliarden angelangt sein, womit alle zuvor genannten Reformen finanzierbar sein dürften.

Vermögenssteuern und linkes Sparen durch Staatsreform und Privilegienabbau

Eine fortschrittliche Staats- und Steuerreform sollte entlang folgender Leitlinien angegangen werden: Ganz einfache Strukturen, schlanker Zentralismus und völlige transparente politische Kompetenzzuordnung. Hier eine grobe und nicht im Detail ausgeführte Skizze, wohin die Reise gehen könnte : 

• Staatsverwaltung
 Abschaffung der Landtage und Landesregierungen
 Aufteilung der Länderkompetenzen zwischen Bund und Kommunen, bei entsprechender Aufwertung des Bundesrates
 Zusammenlegung von Gemeinden
 Evaluierung der Bezirksstrukturen: Der Voves-Vorschlag Bezirkshauptmannschaften zu Großregionen zusammenzulegen muss ebenso andiskutiert werden wie die Schaffung von Kommunalverbänden in ländlichen Regionen.  

• Gesundheitswesen
 Abschaffung aller Krankenversicherungsanstalten
 Abschaffung aller Krankenversicherungsbeiträge (stattdessen Steuerfinanzierung)
 Universal-Gesundheitsversicherung für alle Menschen die in Österreich einen Wohnsitz haben – damit  sind auch alle (neuen) Selbstständigen bedingungslos krankenversichert
 Administration durch eine zentrale und schlanke Anstalt
 Festlegung der Rahmenleistungen durch den Nationalrat und der Detailleistungen per Erlass des/der Gesundheitsministers/in
 Die von vielen Seiten geforderte Neuorganisation der Versorgung: Z.B. sollen kleine Bezirksspitäler Notfallambulanzen erhalten und sich stärker auf Pflege spezialisieren, komplexere Abteilungen sollen in wenigen Regionalzentren zusammengefasst werden etc.

• Pensionen
 Abschaffung aller Pensionsversicherungsträger
 Abschaffung aller Pensionsversicherungsbeiträge (stattdessen Steuerfinanzierung) 
 Einführung einer universalen Volkspension in der Höhe von (12 Mal) 1.000 Euro für ausnahmslos alle.
 Wer freiwillige höhere Beiträge in das staatliche Pensionssystem eingezahlt hat bekommt entsprechend mehr als 1.000 Euro, die Pensionen werden jedoch bei einem Maximum von (12 Mal) 3.000 Euro gedeckelt.
 keinerlei Förderung oder Unterstützung privater Pensionsvorsorge

• Privilegien
 Maximale Angleichung aller Dienstverhältnisse an das ASVG
 Pragmatisierungen nur noch in absoluten Schlüsselbereichen wie bei der Justiz
 Rigorose Deckelung aller aktuellen Spitzenpensionen im öffentlichen Bereich, soweit dies mit dem Vertrauensschutz vereinbar ist.
 Rigorose Höchstgrenze für die Gehaltssumme, die aus öffentlichen Quellen bezogenen werden kann
 Angleichung der LandesbeamtInnen in den ausstehenden Bundesländern an die Pensionsreform
 Durchforstung des Zulagensystems im öffentlichen Bereich
 Lohnsteigerungen im öffentlichen Bereich müssen sich am Schnitt der privaten Sektoren orientieren
 Normalarbeitszeit für LehrerInnen in einer komplett reformierten Ganztagsschule
 Die Förderung in der Landwirtschaft muss ab 50 ha. Ackerfläche kontinuierlich abnehmen
 Die Förderungen in der Privatwirtschaft müssen auf Doppelgleisigkeiten und Sinnhaftigkeit abgeklopft werden
 Die Förderungen im privaten Wohnbau müssen stark reduziert und an Energieeffizienz gekoppelt werden

• Steuersystem
 Abschaffung der Sozialabgaben für DienstnehmerInnen
 Einheitlicher stark progressiver Einkommenssteuersatz der alle Sozialabgaben beinhaltet
 Nur das Finanzamt bleibt als Verwaltungsbehörde über
 Spürbare Reduktion der Dienstgeberbeiträge
 Abschaffung sämtlicher Absetzbeträge
 Starke Reduktion der Pendlerpauschale
 Überführung von 13. und 14. Monatsgehalt in den Normallohn
 Anhebung der Kapitalertragssteuer (KEST II) auf 34% – das ergibt bei einer Beibehaltung der 25%-Körperschaftssteuer eine Endbesteuerung auf entnommene Gewinne von 50%
 Einführung einer klugen, progressiven und wirklich ergiebigen Erbschaftssteuer
 Einführung von klugen, lückelosen und ebenfalls wirklich ergiebigen Vermögenszuwachssteuern auf Aktien, Immobilien und Sparguthaben (KEST I).
 Einführung von moderaten Vermögenssubstanzsteuern

Gibt es ein linkes Sparen?

Steueraffine politische Akteur/innen wissen schon, wie auf Protest gegen Steuererhöhungen zu reagieren ist. Man erläutert dem Gegenüber, dass verschiedene Steuern verschiedene Bevölkerungsgruppen treffen, dass ein Anstieg der Mehrwertssteuer sicher schlecht für die Masse der Menschen sei, dass jedoch Erhöhungen im Bereich der Einkommens- und Vermögenssteuer immer die Oberen überproportional zur Kassa bitten. Selbst wenn Teile der Mittelschicht leicht betroffen würden ist es doch so, dass diese Betroffenheit durch Transfers oder öffentliche Sachleistungen überkompensiert wird und letztlich 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung unterm Strich profitieren. Man argumentiert, dass es gute und schlechte Steuern gibt und intelligent konstruierte höhere Steuern zielsicher privilegierte Gruppen treffen. Wieso legen wir diese Denkweise nicht auf das Sparen um? Gibt es nicht genauso ein gutes und ein schlechtes Sparen? Muss Sparen immer bedeutet, dass der gesamte Staatssektor zurückgefahren wird? Kann nicht bei konstanter Staatsquote in gewissen Sektoren eingespart und dafür in anderen investiert werden? Kann man Sparen nicht so gestalten, dass die große Mehrheit der Bevölkerung gar nichts merkt und nur ungerechtfertigt privilegierte Gruppen ihre Vorteile verlieren bzw. ineffiziente Verwaltungsstrukturen ersetzt werden?

Man kann an der Einnahmenschraube und an der Ausgabenschraube drehen. Beides sind legitime Wege um Mittel für fortschrittliche Ziele freizumachen. Überdies schadet der Spar- und Konsolidierungsdiskurs nur, wenn der Sozialstaat in die Defensive kommt, andernfalls kann er sogar hilfreich sein. Wenn der Folklore-Föderalismus oder die Spitzenpensionen der BeamtInnen im Spardiskurs unter Druck kommen, ist das sicherlich kein Schaden für fortschrittliche Politikkonzepte. Auch die Konsolidierung der Staatsfinanzen ist nicht per se schlecht, die Frage ist vielmehr welcher Konsolidierungskurs eingeschlagen wird. Kaum sah es so aus als ob die Steuereinnahmen 2010 stärker steigen würden als ursprünglich angenommen, verkündete der Finanzminister im Herbst 2010, es bedürfe doch keiner neuen Steuern. In diesem Fall müssen fortschrittlich orientierte Menschen auf das ausufernde Defizit pochen, sowie auf den staatlichen Zinsdienst, von dem ausschließlich die Wohlhabenden profitieren. Man muss auf den geplanten vermögensbezogenen Steuern – auch zur Eindämmung dieses Defizits – bestehen. Wieso verwendet man das Sparen und Konsolidieren nicht genauso wie die Konservativen für seine Zwecke? Die Reallokation öffentlicher Ressourcen im Allgemeinen und die Staatsreform im Speziellen, sollten in der Prioritätenliste der Linken auf einen Stockerlplatz klettern.
 

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