Nervt die Kreisky-Mania?

Thumbnail image for Kreisky.jpgKreisky im Fernsehen. Kreisky auf jedem Büchertisch. Kreisky auf jedem Zeitungscover. Kreisky überall! Nervt die Kreisky-Weihesaison? Kommt nicht notwendige Kritik bei all der Verklärung zu kurz? Ich find nicht. Meinetwegen können sie 24 Stunden am Tag Kreisky-Filme im Fernsehen zeigen. Dann brauch ich mir wenigestens nicht den Cap, die Fekter, den Strache ansehen. Ein kleiner Blog-Essay zu Bruno Kreiskys morgigen Geburtstag.

Eine Festgala im Burgtheater, eine Feierstunde in der Hofburg, Helene Maimanns sensibles ORF-Porträt, dicke Bücherstapel in den Buchhandlungen und opulente Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen und Magazinen: Anlässlich seines hunderstens Geburtstages, der sich morgen jährt, steht Österreich im Bann des Ex-Bundeskanzlers. Alles Kreisky!

So dass manche schon sagen: Kreisky nervt! Diese Weihestimmung und Nostalgie ist ja kaum auszuhalten!

Und fügen dann hinzu: War ja doch nur ein Politiker! Einer, der ein AKW gebaut hat, einer, der uns den Androsch eingebrockt hat, einer, der kleine Nazis in sein Kabinett gehievt, Simon Wiesenthal verleumdet und die FPÖ aus taktischen Gründen regierungsfähig gemacht hat.

Und dazu muss ich sagen: Als Kreisky abtrat, 1983, war ich ein radikaler Siebzehnjähriger und habe das damals alles auch so gesehen. In der Rigidität meiner Jugend fand ich an ihm überhaupt nichts toll: Er war die Macht und personifizierte für mich all das, was ich bekämpfte. Eine kleine sentimentale Rührung hab ich zwar verspürt, als er ging, die Ahnung, dass da wohl nichts Besseres nachkommt, habe ich gehabt. Aber es wäre zu viel gesagt, würde ich behaupten, ich hätte ihn damals toll gefunden. Habe ich nicht. Ich war Rebell. Er Kanzler.

Und für mich hatte es auch keine historische Bedeutung, dass „so jemand“ in Österreich Regierungschef werden kann. Weil: Für mich war er immer schon da. Als er Kanzler wurde, war ich vier.

Aber dennoch glaube ich, dass die unrecht haben, die die jetzige Feierstimmung als unerträglich, irgendwie falsch ansehen.

Ja, natürlich, Kreisky war kein „Linker“. Jedenfalls nicht das, was wir damals unter einem Linken verstanden. Unter einem Linken in der Sozialdemokratie verstand man damals Leute wie Joseph Hindels. Einen, der sprach, als wären wir noch in den dreißiger Jahren. Klassenkampf. Schutzbund. Sozialismus. Aus heutiger Sicht: Verwehtes Zeug. Kreisky war ein Modernisierer, der gerade diese Mentalität von der Spitze der Sozialdemokratie fernhielt, um sie mehrheitsfähig zu machen. Mehrheitsfähig machen hieß, überholte Stile wegräumen. Mehrheitsfähig hieß aber natürlich auch: Sich ein bisschen an die österreichischen Realitäten anschmiegen. Sich mit dem Zeitgeist arrangieren. Hatte also seine guten und seine schlechten Seiten.

Den Zeitgeist hatte er ein wenig im Rücken, aber die Österreicher waren keine Linken. Es war kein liberales Land. Und die SPÖ war keine basisdemokratische Veranstaltung.

Kreisky hat dieses Land so progressiv regiert, wie ihm das maximal möglich erschien. Im Nachhinein sehe ich kaum, wie er da etwas noch besser machen hätte können. Aber das ist nicht alles: Er war theoretisch versiert und er war ein Intellektueller. Er war geistig wach. Er hatte neue Ideen schnell am Radar – egal, ob das jetzt „linke“ oder nur „moderne“ oder „liberale“ Ideen waren. Klar war er auch Machttaktiker. Aber er war nicht bloßer Machttaktiker. Er wusste immer, wofür er die Machttaktik einsetzte. Damit konnte man übereinstimmen oder es kritisieren. Aber man konnte ihm schwer vorwerfen, dass er sich in der Tagestaktik erschöpfte.

Und klar auch, vieles, was er an Modernisierung, im Bildungs-, Erziehungs-, im Justizsystem, in der Familienpolitik und der Frauenpolitik in Angriff nahm, lag irgendwie in der Luft. Nur, dass etwas „in der Luft“ liegt, heißt noch lange nicht, dass es geschieht. Würde heute jemand all die Reformen in Angriff nehmen, von denen jeder weiß, dass sie notwendig sind, würde man in zwanzig Jahren auch sagen, sie lagen in der Luft. Leider wissen wir, dass das trotzdem niemand tut. Kurzum: Wohl auch damals wäre vieles von dem, was in der Luft lag, ohne Kreisky nicht Realität geworden.

Und, ja, er hat das AKW-Zwentendorf gebaut (nicht beschlossen, das geschah unter ÖVP-Kanzlerschaft), er hat es massiv befürwortet. Aber er hat immerhin eine Volksabstimmung abgehalten, die dann für ihn negativ ausging. Und das Ergebnis akzeptiert. Und mehr noch: Er hat später eingeräumt, die Gegner hätten recht gehabt und er unrecht. Kommt ja auch nicht so oft vor.

Und sicher, er ist zu weit gegangen in der Integration ehemaliger Nazis. Wobei seine grundsätzliche Haltung, dass jemand, der als zwanzigjähriger ein Nazi war, eine Chance auf einen Neuanfang haben soll, sofern er geläutert war, ja nicht so falsch war. Das sehe ich nicht als das Problem an. Würde ich auch so formulieren. Der spätere LIF-Politiker Friedhelm Frischenschlager, an dessen liberaler und demokratischer Gesinnung heute kein Zweifel besteht, war in seiner Jugend auch so etwas Ähnliches wie ein Neonazi. Ich habe aber deshalb doch kein Problem mit ihm. Ich habe auch mit Herrn Strache kein Problem deshalb, weil er als 20jähriger ein Rechtsextremist war. Ich habe mit ihm ein Problem, weil er immer noch ein Rechtsextremist ist. Aber gut: Kreiskys Haltung war nicht ganz falsch, aber sie war auch nicht ganz richtig. Und er hat dann im Konflikt mit Simon Wiesenthal massiv überzogen. Wobei, das wird ja auch immer vergessen: Er tat das ohne Grund. Wiesenthal hatte ja die Akte Friedrich Peters angelegt, um eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ zu verhindern. Nur: Als er sie veröffentlichte und Kreisky sich äußerte, konnte Kreisky das eigentlich wurscht sein. Er hatte die absolute Mehrheit bei der Wahl 1975 verteidigt und brauchte die FPÖ auf absehbare Zeit nicht als Koalitionspartner. Also, dahinter steckte zu diesem Zeitpunkt kein Machtkalkül mehr. Sondern Zorn. Und das Paradoxe ist: Auch ich war immer der Meinung, Kreisky hat sich damals fehlverhalten und Wiesenthal richtig. Aber seit wir durch Tom Segevs Wiesenthal-Biographie mehr über diese Dinge wissen, bin ich nicht mehr vollständig dieser Meinung. Wir wissen seither besser, wie parteipolitisch Wiesenthal mit den Nazi-Enthüllungen umging. Jeder kleine Ex-Nazi, der in Kreiskys Kabinett saß, wurde „geoutet“. Aber über richtige Ex-Nazis in den vorhergehenden ÖVP-Kabinetten hielt Wiesenthal die schützende Hand. Reinhard Kamitz etwa war NSdAP-Mitglied, ersuchte um die Aufnahme in der SS, war Mitarbeiter im NS-Nachrichtendienst und dann Finanzminister in der ÖVP-Regierung. Wiesenthal deckte ihn. Nazi-Akten wurden nur geleakt, wenn es der SPÖ schadete. Und dass Kreisky darüber zornig war, kann man schon verstehen. In der Peter-Affäre brach das dann auf. Kreisky hat sich dabei maßlos und dumm verhalten. Ohne Zweifel. Aber Gut und Böse waren halt nicht so einfach und eindeutig verteilt, wie das heute scheint. Sollte man wissen, auch wenn das natürlich nichts daran ändert, dass die Wiesenthal-Affäre der dunkle Fleck in Kreiskys Regierungszeit war.

Ja, es ist banal, zu sagen, dass auch Kreisky seine Fehler hatte. Klar hatte er die. Aber wie sehr überwogen seine Leistungen. Seine Fähigkeiten. Und, ja, auch sein guter Charakter: Er sprach mit jedem. Wenn die Jungen, die ein bisschen oder gehörig radikaler waren als er, ihn kritisierten, sperrte er sich nicht in seiner Amtsstube ein. Er machte sich auch nicht lustig über deren Gesudere. Sondern empfing sie. Ging hin, in ihre Keller und Treffs. Und diskutierte stundenlang. Auch deshalb gewann er die Leute, selbst die, die anderer Meinung waren als er. Weil er sie ernst nahm. Und mit Respekt behandelte. Was nicht heißt, dass er sie nicht manchmal belehrte. Und anpflaumte. Aber nie war er sich zu gut dafür, sich mit jemandem auseinanderzusetzen.

Nervt also diese Kreisky-Weihesaison? Ich glaube, das ist die falsche Frage. Er hat vieles richtig gemacht in einem Ausmaß, das schier unvorstellbar war in diesem Land. Nicht von ungefähr nannte ihn Andre Heller einen „Betriebsunfall“. Seine Regierung hat die Lebensqualität fast aller Menschen in diesem Land verbessert, aber sie hat auch das kulturelle und geistige Klima dramatisch positiv beeinflusst. Kann man sich mehr von einer Regierung wünschen?

Aber vielleicht geht’s um das alles gar nicht so sehr. Wäre heute alles prima, dann würden diese Wochen anders ablaufen. Aber die Kreisky-Nostalgie verweist ja auf einen Mangel: Darauf, dass wir solche Politiker heute nicht mehr haben. Darauf, dass vielen Menschen da etwas abgeht. Ernsthaftigkeit, ein paar positive Ziele, die über den banalen Wunsch, bei den nächsten Meinungsumfragen die Nase vorn zu haben, hinausgehen. Kreisky-Nostalgie, das ist doch nichts anderes als eine versteckte Form der Kritik der Gegenwart. Die Überhöhung vor Kreisky erklärt sich ja nur aus der Klein- und Niedrigkeit des heutigen politischen Personals. Sie ist ein Symptom für einen Verdruss, aber auch ein Symptom für eine Sehnsucht.

Nicht die Kreisky-Nostalgie nervt. Die Jämmerlichkeit der heutigen Politik nervt. Ich finde, der ORF sollte nur mehr Kreisky-Filme zeigen. Und sei es bloß, um die Sendeplätze vollzustellen, an denen man ansonsten mit Cap, Fekter oder Strache belästigt wird.

Und hier noch mein FS-Misik-Filmchen, das ich zum Beginn des Kreisky-Jahres veröffentlich habe:


 

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