Schwierigkeiten mit dem „Wutbürgertum“

Verdruss, Wutbürgertum, Häme gegenüber Politikern, für all das lassen sich gute Gründe anführSchien. Und doch sind sie nicht nur Reaktion auf ein Problem – sondern Teil und längst auch Ursache des Problems. Neue Zürcher Zeitung, 7. März 2013
Als Österreicher bin ich qua Lebenserfahrung ein Experte für den Verdruss der Bürger über die politische Kaste. In meinem Heimatland ist die Aversion über das Funktionieren der Politik-Politik und die Abwendung von der Politik vielleicht noch stärker spürbar als anderswo. Sie hat uns einen seit bald dreißig Jahren andauernden Aufstieg rechtspopulistischer Parteien beschert. Aber das ist nur das sichtbarste Symptom des Verdrusses. Er hat noch eine Vielzahl anderer Betriebsformen, die vielleicht nur weniger auffällig sind – und auch nicht speziell österreichisch. Da ist dieses achselzuckende Gekäppel über „die Politik“, den Parteienzank und die Durchschnittlichkeit der Akteure, und über ihre angebliche Unfähigkeit, sich den „wirklich wichtigen Fragen“ zuzuwenden. Da ist der Typus des „Wutbürgers“, der in den vergangenen Jahren für Furore sorgte. Neben der eher rechten, populistischen Wut, gibt es aber auch die Aversion deprimierter Linker, die stets enttäuscht sind von „ihren“ Parteien – oder, besser gesagt, nicht einmal mehr enttäuscht sind, da sie sich ohnehin nichts von ihnen erwarten. Nachgerade vorsorglich wird jeder und jede Politikerin mit Häme überzogen, und die akademische Linke theoretisiert diese Aversion zu einer „Kritik der Repräsentation“ und setzt alle Hoffnung auf das fluide Basisgewurrle von Bewegungen wie Occupy Wall Street und ähnlichem. Dieser Verdruss und seine unterschiedlichen Betriebsformen findet sich in nahezu allen westlichen Demokratien. 
Er ist die Reaktion auf eine politische Krise, längst aber auch selbst zu ihrer Ursache geworden. 

Der Zufall will es, dass der Berliner „Suhrkamp“-Verlag gerade dieser Tage einen Band mit nachgelassenen Schriften zur Politik des vor elf Jahren verstorbenen Soziologen Pierre Bourdieu veröffentlichte. Er erweist sich über weite Strecken als erstaunlich zeitgemäß: „Wir werden von Politik überflutet. Wir schwimmen im unentwegten und wechselhaften Strom des täglichen Geschwätzes … Die Äußerungen über Politik sind, wie das leere Gerede über gutes oder schlechtes Wetter, im Grunde flüchtig.“
An anderer Stelle beschreibt der nüchterne Forscher Bourdieu die Mechanik der Selbstabkapselung des Systems professioneller Politik. „Die moralische Entrüstung vermag nicht nachzuvollziehen, wie gerade die im Apparat reüssieren können, die – entsprechend charismatischer Auffassung – die Dümmsten, Gewöhnlichsten sind, denen jeder eigene Wert fehlt. Tatsächlich reüssieren sie nicht, weil sie die Gewöhnlichsten sind, sondern weil sie nicht außerhalb des Apparats besitzen, nichts, das ihnen erlauben würde, sich ihm gegenüber Freiheiten herauszunehmen. Die Apparate verwenden, küren sichere Leute.“
Professionelle Politik und Bürger stehen sich als „Eingeweihte“ beziehungsweise „Laien“ gegenüber, bloß, dass die Eingeweihten auf die Laien immer zurückverwiesen sind: Sie brauchen sie, und sei es nur um gelegentlich von ihnen gewählt zu werden. Die Laien wiederum entwickeln einen wachsenden Argwohn, beobachtet Bourdieu dann noch, „der auf dem Gefühl beruht, dass eine Art grundsätzliche Komplizenschaft die Leute, die bei dem Spiel mitspielen, das man Politik nennt, miteinander verbindet, vor jeder Meinungsverschiedenheit“. 
Die Bürger haben das Gefühl, nur mehr Publikum einer inhaltslosen Show zu sein. Aber das ist längst noch nicht alles. Es hat sich auch noch etwas verändert, was Bourdieu so vielleicht noch gar nicht wahrgenommen hat. Der Legitimationsverlust der Politik ist eine der Ursachen für geschwächte Politiker, die kaum mehr etwas bewegen können. Weitere Ursachen kommen hinzu: Globalisierung, die „Governance“ auf supranationaler Ebene; aber auch das System von Checks und Balances auf nationaler Ebene, das sich zu anderen Zeiten möglicherweise bewährt hat, aber heute dazu führt, dass es bei jeder Initiative, die ein Premier, ein Minister oder sonst jemand setzt, irgendjemanden (oder irgendeine Institution) gibt, der sie blockieren kann. 
All das sind objektive Bedingungen, die die Politik gewissermaßen vorfindet, die mit dem korrespondieren, was man die subjektiven Bedingungen der Politik nennen kann, etwa die Mechanik der Selbstreproduktion von Parteien, die einen bestimmten Funktionärstyp anzieht, was wiederum dazu führt, dass in weiterer Konsequenz beinahe nur mehr ähnliche Typen angezogen werden. 
Die wutbürgerliche Abwendung, der populistische Zorn und auch die linke Aversion gegen die „Repräsentation“ sind aber selbst nur Symptome dieses Zusammenhanges. Sie machen die Luft nicht besser. Gewiss haben viele Politiker und Politikerinnen alle Häme der Welt verdient, aber das moralische Überlegenheitsgetue, mit dem das antipolitische Ressentiment heute oft daherkommt, ist meist billig. Schließlich ist es leicht, von der Seitenoutlinie ins Feld zu keppeln. 
Während sich auf der eher rechten Seite ein antipolitischer Populismus breitmacht, ist auf der Linken ein Zynismus endemisch geworden, der von seiner Verwandtschaft mit ersterem bloß nichts wissen will. Linke Bewegungen sind heute häufig vorauseilend bereit, davon auszugehen, ohnehin von progressiven Politikern enttäuscht zu werden, womit die Enttäuschung auch zwangsläufig eintritt, da diese Politiker ohne Basisbewegungen meist nicht viel erreichen können. Man erinnere sich nur an den Wutausbruch von Barack Obamas seinerzeitigem Pressesprecher, der kundtat, die Linken seien „Berufsnörgler“. In dieser Aversion gegenüber der praktischen Seite progressiver Regierungspolitik wird dann das Loblied auf die führungslosen Basisbewegungen gesungen, wie das etwa gerade wieder Michael Hardt und Antonio Negri in ihrem Buch „Demokratie“ tun, ohne überhaupt die Frage zu stellen, warum denn sogar populäre Bewegungen wie Occupy Wall Street so kläglich scheitern und derart sang- und klanglos verpuffen. 
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