Gegen Ironie

Wie wir aus Erfahrung dumm geworden sind und uns in einer Blase des Dauerunernstes eingerichtet haben. profil, 12. August 2014
Wir haben uns in den vergangenen Jahrzehnten die Ironie antrainiert. Oder besser, die Klügeren unter uns haben das getan, diejenigen, die auf jene hinabschauen, die alles ernst nehmen, die unfähig sind zur Ironie. Auf jene etwa, die sich täglich redlich empören, ohne zu wissen, dass doch längst jeder weiß, dass aus solcher Empörung nie etwas folgt. Auf jene, die jede Aussage für bare Münze nehmen, ohne zu wissen, dass doch längst jeder weiß, dass Gesagtes nicht ernst zu nehmen sei, weil Wahrheit etwas Privates und somit Relatives ist, und der einen privaten Wahrheit doch dutzende andere private Wahrheiten gegenüberstehen. Der Siegeszug der Ironie hat dem Leben eine Leichtigkeit verliehen, hat uns befreit davon, alles ganz Gewichtig nehmen zu müssen. Beginnend mit uns selber: Die Selbstironie ist ja schließlich die lobenswerteste Subspezies der Ironie. Wobei die Ironie ohnehin zwingendermaßen eine Art von Selbstironie ist. Der Ironiker nimmt nichts völlig wichtig, und schon gar nicht sich selber und seine eigenen Überzeugungen. „Ironie ist die Spezialität derjenigen, die Recht haben und sich deswegen schenieren“, wusste schon Bertolt Brecht.

Der Ironiker ist gewissermaßen aus Erfahrung klug und immun gegen jede Versuchung des Doktrinären. Die ironische Person, formulierte Richard Rorty in seinen grundlegenden Untersuchungen zu dem Thema, „hegt radikale und unaufhörliche Zweifel an dem abschließenden Vokabular, das sie gerade benutzt, weil sie schon durch andere Vokabulare beeindruckt war…; sie erkennt, dass Argumente in ihrem augenblicklichen Vokabular diese Zweifel weder bestätigen noch ausräumen können; … (sie) meint nicht, ihr Vokabular sei der Realität näher als andere“. Kurzum, mag der Ironiker auch keineswegs meinungs- oder haltungslos sein, so weiß er doch, dass man gut begründet eine andere Haltung einnehmen kann als die seinige. Dieses Wissen wirkt aber natürlich auf seine Haltung zurück, höhlt sie von innen aus. Aus einer Überzeugung wird eine Haltung, die man „irgendwie“ hat, wissend, man könnte auch eine andere haben. 
Doch ein Jegliches hat seine Zeit. Und die Ironie hat ihre große Zeit hinter sich. Ihre Meriten hat sie, wenn sie inmitten verallgemeinerten Überernstes diesen relativiert, schal wird sie, wenn sie sich selbst zur stets gegenwärtigen Dauerironie verallgemeinert. Als solche ist sie zur Dummheit unseres Zeitalters geworden. Wenn der Ironiker aus Erfahrung klug ist, so heißt das zugleich, dass er auch aus Erfahrung dumm ist. Über alles kann man lachen vom Standpunkt der Ironie aus. Der Ironiker ist immer auf der sicheren Seite, aber niemals auf einer speziellen. Ironie ist eine Flucht und auch eine Spielart der Feigheit. 
„Die Zeit der Ironie ist abgelaufen. Wir sind müde geworden, ständig mit den Augen zu zwinkern, kunstvoll zu zweifeln und alles im zweiten Grad und höher zu dekonstruieren“, glaubt der Schweizer Künstler Johannes M. Hedinger. Die Ironie – „das spöttische Schwert der Postmoderne“ – stünde heute „dafür, Wahrheiten zu verschleiern, Problemen aus dem Weg zu gehen und jeden Schwachsinn damit zu rechtfertigen, dass es ja nicht ernst gemeint sei.“ Zustimmend zitiert er David Foster Wallace, der schon vor 20 Jahren postulierte: „Die Ironie tyrannisiert uns. Sie ist ebenso mächtig wie unbefriedigend geworden, weil sie sich stets alle Optionen offen hält.“ Heidinger ruft das Zeitalter der Postironie aus, womit die Probleme freilich erst beginnen: „Postironie ist weder als Ruf nach prä-ironischer Einfachheit, noch als strikte Anti-Ironie mißzuverstehen.“
Natürlich ist eines noch Unerträglicher als die Totalironie – die totale Ironieunfähigkeit. Die Ironie ist auch eine Art Wissen, das man nicht mehr vergessen kann. So ähnlich wie Radfahren: Wenn Du es kannst, verlernst du es nicht mehr. Die Ironie ist ein Wissen, hinter das es auch kein Zurück mehr gibt. Ironie ist ein antrainierter Habitus, sie lebt in der Welt der Zeichen, der Sprache, der Haltung, des Ausdrucks. Ironisch zu handeln, beispielsweise, ist kaum vorstellbar, oder, wie jemand einmal schrieb, man kann ironisch über den Krieg sprechen, aber kaum ironisch in den Krieg ziehen, und wenn man doch mit ironischer Haltung in den Krieg ziehen kann, so unmöglich ironisch in ihm agieren. Das heißt aber nicht, dass die Ironie nur mit Sprache und Zeichen, aber nichts mit der „wirklicheren Wirklichkeit“ zu tun hat. Sie ist nicht nur eine Gegenreaktion auf Überernst, sondern auch ein Kind der Komplexität, der Unübersichtlichkeit dessen, was man die reale Realität nennen kann. In einer komplexen Wirklichkeit hat jede Handlung nicht nur eine, sondern hunderte Folgen, darunter eben auch oft zwei, drei dutzend unintendierte Nebenfolgen, die den eigentlichen Zweck der Handlung konterkarieren können. Wer sein Kind umhätschelt, hindert es daran, flügge zu werden, wer den Konsum verweigert, tritt nur einen neuen Marketingtrend los, eine Zentralbank, die die Zinsen senkt, unterstützt Wirtschaftswachstum, aber auch Finanzmarktblasen – und so weiter. Das Wissen darüber, dass jede Aktion richtig und falsch zugleich sein kann, führt dazu, jeder Handlung zu misstrauen, der Handlung selbst – und dem Nichthandeln – gegenüber also eine Haltung einzunehmen, die ironisch genannt werden kann, eine schulterzuckende Indifferenz. 
Rorty, von manchen fälschlicherweise als Apologet des Ironischen betrachtet, sah Ironie als nützlich im Privaten, schädlich im Öffentlichen. Der Ernst von Marxismus, Christentum, kurzum: starken Überzeugungen habe, jeder zu seiner Zeit, „der Freiheit der Menschen gedient. Es ist nicht klar, ob der Ironismus das je getan hat“. In der Realität ist es freilich verdammt schwer, im Privaten ironisch, im Öffentlichen ernsthaft abwägend zu sein (und nicht nur, wie die Zyniker jetzt einwenden würden, weil manches im Öffentlichen ohne Ironie überhaupt nicht erträglich wäre). Die Ironie hat etwas Kolonisierendes, Raumgreifendes, sie überschreitet das Gehege der Zonen, in der sie nützt, und befällt jene, in denen sie schadet. 
Wie die unintendierten Nebenfolgen, auf die sie eine Reaktion ist, hat eben auch die Ironie eine unintendierte Nebenfolge, für die sie lange blind war: Den Unernst, die Oberflächlichkeit und Urteilsunfähigkeit, auch die Pathologisierung zwischenmenschlichen Umgangs (wer an nichts glaubt, glaubt auch an sein Gegenüber nicht, nicht daran, dass dieser etwas ernst meinen, redlich und integer sein kann usw.), die Aushöhlung jedes demokratischen Diskurses, da ja kein Argument mehr ernst genommen werden muss. 
Wir müssen ja nicht gleich zu Spaßbremsen werden, aber die Ironie hat uns in eine Sackgasse manövriert. 
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