Starökonom James K. Galbraith über sein neues Buch „The End of Normal“ und seine Beratertätigkeit für die griechische Syriza-Regierung. Der Falter, März 2015
James K. Galbraith, 63, ist einer der führenden amerikanischen Volkswirtschaftler. Er forscht und unterrichtet an der University of Texas in Austin. Dorthin engagierte er 2013 seinen Freund Yanis Varoufakis, den nunmehrigen griechischen Finanzminister. Galbraith, der der Sohn des legendären US-Ökonomen John K. Galbraith ist, amtiert zudem als Vorstandsmitglied der „World Economists Association“. Jüngst erschien sein Buch „The End of Normal“, in dem er ein düsteres Bild über die Krisentendenzen der Weltwirtschaft zeichnet.
Sie waren unmittelbar nach dem Wahlsieg von SYRIZA in Athen. Wie war die Stimmung?
Galbraith: Ich war Anfang Februar in Athen und später dann bei den Verhandlungen in Brüssel dabei. Die Stimmung in Athen war unbeschreiblich. Es herrschte plötzlich ein Gefühl des Stolzes und der wiedererlangten Würde, und zwar unter ganz normalen Griechen. Sie hatten das bisherige Verhältnis zu Europa als demütigend empfunden, und man spürte, wie das mit einem Mal abfiel. Man spürte auch die Freude, dass man das bisherige Kartell der regierenden Parteien endlich los ist.
Darüber haben sich also nicht nur politisch linksorientierte Anhänger von SYRIZA gefreut?
Galbraith: Es ging um viel grundlegendere Psychologie – dass die Leute bisher das Gefühl hatten, nicht mehr Herr im eigenen Haus zu sein. Das war auch ein ganz wichtiger Faktor dafür, dass die Wahlen überhaupt so ausgingen.
Sie hatten schon erwähnt, dass Sie dann in Brüssel bei den entscheidenden Verhandlungen mit der Eurogruppe mitgeholfen hatten, als eine Art Berater…
Galbraith: Berater ist wohl etwas übertrieben, ich wollte ein wenig hilfreich sein. Wir waren in einem Arbeitsraum, und haben Yanis Varoufakis und seinen Mitarbeitern geholfen, sei es, gewisse Formulierungen zu finden, sei es, die Folgen mancher Vorschläge abzuschätzen.
Ein Thriller?
Galbraith: Die deutsche Position war im Grunde bis zur letzten Minute, dass sie keinen Millimeter an Abkehr von allen bisherigen Abmachungen akzeptieren werden. Sie saßen mit entsicherter Pistole da und sagte im Grunde: Unterschreibt oder haut ab. Aber es war natürlich klar, dass es Bewegungsspielraum gibt, wenn die griechische Seite die rechtlichen Anforderungen erfüllt, die nun einmal durch die Verträge in der Eurozone gegeben sind und auch gewisse politische Zwänge ihrer Partner im Auge hat. Und genau das ist dann auch rausgekommen.
Also das Abkommen war grosso modo ein Erfolg?
Galbraith: Ja, es war auf jeden Fall positiv, es ist natürlich bei weitem nicht klar, ob es wirklich zu einem Ergebnis führt, das die Situation in Griechenland stabilisieren kann. Es ist ja nur eine Atempause und gibt Raum für die Verhandlungen, die ab jetzt stattfinden.
In einem Interview haben Sie gesagt, der einzige Finanzminister, der bestimmt, ist Wolfgang Schäuble. Ist das wirklich so, dass die anderen sich nur an Schäuble orientieren oder gar versuchen, heimliche Winks von Schäuble wahrzunehmen?
Galbraith: Natürlich nicht: Erstens gibt es einen Finanzminister, der Schäuble auch widerspricht, und das ist Yanis Varoufakis. Zweitens ist es natürlich nicht so, dass nicht auch andere eine Position formulieren, aber das letzte Wort hat Schäuble. Das ist völlig klar. Und am Ende hängen Kompromisse vom Manöver der deutschen Regierung ab. Schäuble spielte den Harten, Vizekanzler Siegmar Gabriel hat ihn dafür sogar sanft kritisiert und am Ende konnte sich Angela Merkel im direkten Gespräch mit Alexis Tsipras als die Versöhnliche darstellen. Und Schäuble konnte dann im Bundestag das Ergebnis als Resultat seiner Prinzipientreue präsentieren. Man kann das alles aus deutscher Sicht total nachvollziehen.
Was natürlich auch heißt: Jede Regierung in der Eurozone spielt für ihre eigene „nationale Galerie“ – was ja auch eines der Probleme der Eurozone ist.
Galbraith: Selbstverständlich. Das geht ja noch weiter. Die spanische Regierung und die portugiesische Regierung haben eine absolute Hardlinerhaltung eingenommen, weil sie von Bewegungen herausgefordert werden, die SYRIZA ähneln. Das heißt, Regierungen, die heute in Umfragen bei weniger als 20 Prozent liegen, haben sich alleine aus innenpolitischen Erwägungen unbeugsam gegeben. Diese Regierungen wollen natürlich jeden SYRIZA-Erfolg verhindern. Darüber hinaus ist die Situation in Griechenland natürlich extrem angespannt, weil die Regierung Liquiditätsprobleme hat. Also, der Kompromiss war ein Erfolg, aber ob er die Situation in Griechenland stabilisieren kann, ist absolut nicht gesagt.
Vor allem in der deutschsprachigen Presse wird jetzt die Storyline präsentiert, Varoufakis sei zu aggressiv, zu radikal, er gieße Öl ins Feuer, stoße mögliche Verbündete vor dem Kopf und ähnliches. Ist da was dran?
Galbraith: Ach, das ist doch nur Propagandaklimbim. Klar, Varoufakis hat einen der härtesten Jobs der Welt im Moment. Und er ist einer der Fähigsten in Europa. Die Art, wie er spricht, die ist von einer Klarheit und auch ungeschminkten Wahrhaftigkeit, die natürlich äußerst unüblich in offiziellen Kreisen ist, damit auch überraschend und irritierend. Das Lustige ist, dass das sogar manche Journalisten verstört, die es offenbar als normal ansehen, dass man sie mit nichtssagenden Formeln abspeist.
Sie haben in Texas mit Yanis Varoufakis die vergangenen Jahre eng zusammen gearbeitet: Wie würden Sie ihn charakterisieren?
Galbraith: Ich mag und bewundere ihn. Er ist ein großartiger Intellektueller, ein glasklarer Schreiber. Er hat Analysen von unglaublicher Klarheit geschrieben, wohl mehrere Millionen Wörter allein über die Eurokrise in den vergangenen Jahren. Jeder kann sich selbst ein Bild machen und das nachlesen.
Gibt es eigentlich eine gute Lösung, sowohl für Griechenland als auch für die Eurozone, die sich ja auch seit sieben Jahren in einer Depression und Stagnation befindet, mit niedrigem Wachstum, explodierender Ungleichheit und wachsenden Schuldenständen?
Galbraith: Für Griechenland ist das beste, was man sich vorstellen kann, dass man Zeit kauft, dass die Banken nicht kollabieren, zudem muss man institutionelle Reformen vornehmen, die auch Zeit brauchen und man muss unmittelbar die humanitäre Katastrophe bekämpfen. Wäre das schon eine ökonomische Erholung? Nein. Eher nur eine Stabilisierung. Wenn wir uns die europäische Situation ansehen, die von sieben Jahren Austerität und Stagnation geprägt ist, so kann man sich natürlich kaum vorstellen, dass sich Griechenland alleine aus dieser Spirale befreien kann. Die Frage wäre also: Wie kann man sich einen Weg Richtung Prosperität für ganz Europa vorstellen?
Sie sind ja generell nicht sehr optimistisch. Schluss mit Austerity ist eindeutig nicht genug, das ist die Botschaft ihres jüngsten Buches „The End of Normal“.
Galbraith: Gerade die Europäische Union bräuchte eigentlich einen Totalumbau jener Institutionen, die während der Phase neoliberaler Dominanz errichtet worden sind – die Organisation der Währungsunion, das innereuropäische Regelwerk. Es bräuchte ganz massive Investitionen in jeder einzelne der europäischen Volkswirtschaften um wieder Prosperität zu ermöglichen.
In Ihrem Buch kritisieren Sie auch die linksliberalen keynesianischen Frontkämpfer wie Paul Krugman und Joseph Stiglitz – die würden letztlich nicht weit genug gehen. Ihre Meinung ist: Deren Vorschläge reichen nicht aus, um die kaputte Maschine zu reparieren. Wieso?
Galbraith: Die Finanzmaschine ist kaputt, mit allen Folgewirkungen auf Konjunktur und Wachstumsaussichten. Einfach Geld reinschütten nützt da nicht viel. Es spielen viele Strukturveränderungen der letzten Jahrzehnte hinein: Die technologische Revolution, die Volatilität und der Anstieg der Energiepreise, sobald es nur zu ein wenig Wachstum kommt. Das heißt, knapp gesagt, dass die Annahme falsch ist, wir bräuchten nur einen Kickstart der Ökonomie und schon gibt es wieder eine „normale Prosperität“, sondern die Vorstellung einer solchen „Normalität“ ist selbst heutzutage fragwürdig.
Aber vieles was Sie vorschlagen sagen Krugman und Stiglitz ja auch…
Galbraith: Ja, klar, ich will doch gar keinen Streit vom Zaun brechen. Joe und Paul sind Kampfgefährten und Freunde, aber wir sehen eben ein paar Dinge anders. Ich würde sagen, ich denke deutlich institutionenorientierter als sie es tun. Und das ist Folge eines anderen theoretischen Rahmens, eines anderen Modells, wie man sich das Funktionieren der Ökonomie vorstellt. Der traditionelle Keynesianismus denkt primär in Strömen von Kapital, Geld, Ressourcen, und achtet weniger auf die Funktionstüchtigkeit der vorhandenen Institutionen. Dass die funktionieren, das setzt er voraus und hält es daher für eine uninteressante Frage. Aber das sind diskutierbare Meinungsunterschiede, es soll aber jetzt um Gottes Willen nicht der Eindruck entstehen, ich würde Paul oder Joe angreifen – die beiden tun viel Gutes in der Welt mit ihrem Engagement und der Verve, mit der sie sich in intellektuelle Kämpfe stürzen.
Das Panoptikum an Krisensymptomen, das Sie analysieren, die da sind: ein dysfunktionales Finanzsystem, ein Überhang an Verschuldung, die endemische Korruption, gleichzeitig schwaches Wachstum, immer mehr Ungleichheit, die Energiekrise, das Ende der amerikanischen Hegemonie, die digitalen Innovationen, die, anders als frühere technologische Revolutionen, die alte Jobs zerstörten aber auch sehr viele neue schafften, in erheblichem Maße nur mehr Jobs zerstören, drängt die Frage auf; kommt der Kapitalismus wie wir ihn kannten, an ein Ende?
Galbraith: Katastrophentheoretiker bin ich aber keiner!
…es muss ja kein Zusammenbruch sein, es kann ja auch eine Phase des sukzessiven Niederganges sein…
Galbraith: Eine solche Stagnationsperiode ist tatsächlich eine Gefahr. Aber die Frage, die ich in dem Buch aufwerfe, ist keine pessimistische, sondern ich versuche ja gerade Antworten anzudeuten, wie mit einer solchen Situation umgegangen werden muss, in der die Schwierigkeiten deutlich größer sind als wir sie je erlebt haben in den vergangenen 80 Jahren. Die Antwort ist, wir müssen erstens sehr viel effizienter mit allen Ressourcen umgehen. Superreichen Phantasiegehälter zu bezahlen ist ja nicht nur ungerecht, es ist ja auch ein verschwenderischer Umgang mit der Ressource Geld. Wir werden viel stärker die Bedürfnisse der verwundbarsten Mitglieder unserer Gesellschaft im Auge haben müssen. Wenn der Wohlstand schnell und steil ansteigt, ist das alles einfacher: Ich kann soziale Sicherheit für die breite Mehrheit und den Reichtumszuwachs für die Privilegierten finanzieren. Das ist ja kein Problem in so einem Fall. Aber was tut man, wenn die Wachstumskurve Richtung Null geht? Dann türmen sich enorme Risiken für die Stabilität unserer Gesellschaften auf.
Ein Gedanke zu „„Normale Prosperität wird es nicht mehr geben““