Tsipras auf der Achterbahn

Ist linkes Regieren in Europa verboten? Meine Kolumne in der Jahresrückblicknummer der SPEX

P1030554„Linke Regierungen sind für ihre Anhänger immer enttäuschend“, schrieb George Orwell einmal. Weil hochgesteckte Erwartungen nicht immer realisiert werden können, aber auch, weil es, selbst wenn sie realisiert werden können, bis dahin eine Übergangszeit braucht, „von der vorher nie oder kaum die Rede war.“ Und weil linke Premiers immer in Zwangsjacken der Realität eingespannt sind, während ihre Anhänger gerne alles ganz subito hätten.

Als im Januar 2015 Alexis Tsipras die Wahlen in Griechenland gewann, waren viele elektrisiert, gepackt, ja voller Hoffnung. Dass da jetzt eine neue Linke antritt, mit neuem Personal, mit Leuten, die ganz anders sind als die faden Berufsapparatschiks, die man aus unseren hiesigen politischen Kasten kennt. Und die Griechen hatten, bis weit hinein in die Mitte und den Mainstream, plötzlich wieder Hoffnung gefasst. Hoffnung, dass es wieder aufwärts geht. Das Land war von dieser Stimmung erfasst: „Griechischer Frühling.“

Und dann der Schock: Das Diktat vom Juli. Die Eurozonen-Mitgliedsstaaten machten Alexis Tsipras unmissverständlich klar: Entweder Du gibst klein bei oder wir zerstören Dein Land. Der Linkspremier musste ein neues Austeritätsmemorandum unterschreiben. Noch mehr Sparkurs. Noch mehr Bestialitäten aus dem Instrumentenkasten der Troika. Und dafür nur vageste Aussichten auf eine „Schuldenumstrukturierung“ demnächst, sowie die Zusage, auch ein Konjunkturprogramm für Griechenland zu erwägen. Irgendwann. 2016.

Seither: Enttäuschung. Verflogene Hoffnung. Das böse Wort von Tsipras‘ „Kapitulation“ macht die Runde. Auch sein Ex-Buddy und Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis gebraucht es schneidig.

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„Aber ist das denn wirklich eine Kapitulation, wenn eine linke Regierung nicht in fünf Monaten den Kampf in Europa gewinnt?“, fragte ich Yanis vor ein paar Wochen: „Anzunehmen, das ginge ohne Rückschläge, ist doch kindisch!“ – „Klar“, antwortete er. „Aber wir sollten auch keinen Quatsch daherreden. Wir hätten es besser machen können. Die Welt ist nicht nur binär: ‚Ganz scheitern oder ganz gewinnen‘ – Es gibt Abstufungen dazuwischen.“

Varoufakis pflegt das Bild des harten Hundes, der nicht in die Knie gegangen wäre – wohingegen Tsipras eingeknickt ist. Er kann das sehr plausibel erklären. Und doch denke ich mir: Sowas sagt sich leicht. Aber deswegen halte ich Tsipras noch lange nicht für einen schwächlichen Kapitulanten.

Die Erfahrung von Syriza in diesem Sommer wirft die Frage auf, wie denn eine Linkspartei, die unter extrem widrigen Umständen an die Macht kommt, auch „links“ regieren kann. Geht das überhaupt noch im Eurozonen-Europa, wo allen nationalen Regierungen ein Korsett angelegt ist – zumal wenn sie Schuldnerländer sind, die von den Gläubigern so erpresst werden wie der Überschuldete vom Inkassobüro?

Die Regierung Tsipras II muss jetzt auch die inneren Reformen, die Modernisierung des Landes, des Klientelsystems angehen. Eine funktionstüchtige öffentliche Verwaltung aufbauen, Steuerbehörden, die ihre Arbeit verrichten. Und das unter den Bedingungen eines Austeritätsprogramms, das die Wirtschaft weiter abwürgt. Was heißt: All das kann nur funktionieren, wenn sich niemand an das Austeritätsprogramm hält. Wenn man es einfach vergisst. Dafür braucht es in jedem Fall Allianzen in Europa. Das wird nicht leicht, den Kontinent auf eine neue Spur zu bringen. Aber „die Linke“ wurde auch vor 150 Jahren nicht dafür gegründet, dass sie es leicht hat, dass sie Probleme löst, die leicht zu lösen sind. Tsipras und Syriza brauchen einen langen Atem. Die Griechen haben das verstanden und dem Premier, trotz der „Kapitulation“, bei den Wahlen im September mit einer komfortablen Mehrheit ausgestattet.

6 Gedanken zu „Tsipras auf der Achterbahn“

  1. so einfach ist das nicht Herr Misik. Tsipras kann nicht einfach sein Land von den Monstern der Vergangenheit befreien, weil er bei allem was er tut, oder tun will, zu erst die Eurozonen-Mitgliedsstaaten, allen vorran Deutschland, fragen muss, ob er das darf. Griechenland ist kein eigenständiger Staat mehr. Griechenland wird von den Eurozonen-Mitgliedsstaaten regiert und in denen hat Deutschland das Sagen. Und in Deutschland sagt immer noch Merkel wo es lang geht. Unsere Frau Merkel wird es Tsipras nicht erlauben seinen „Eliten“ auf die Füsse zu treten. Die Oligarchen müssen verschont werden, das ist das oberste Gebot und muss unbedingt eingehalten werden. Somit sind Tsipras die Hände gebunden. Er kann in Griechenland nicht aufräumen, weil ihm das nicht erlaubt wird

  2. Ich erinnere mich an einen ähnlichen Beitrag genau hier vor ein paar Monaten, wo ich auch schon die Stirn runzelte. Und ich wiederhole es: Geduld? Allemal, einverstanden! Langsames Voranschreiten? Einverstanden! Aber mit und seit seiner Kapitulation(!) macht die Tsipras-Regierung genau das Gegenteil davon und muss zur Strafe für ihr unbotmäßiges erstes Halbjahr die Austeritätspolitik sogar noch in verschärfter Form fortführen. Welche „Abmilderung“, die er versprochen hat, hat Tsipras denn erreicht? Damit kommt diese Regierung der Verbesserung der Situation für die Griechen nicht näher, sondern entfernt sich davon. Eine linke Regierung als Ausführungsorgan der Neoliberalen ist ein totaler GAU.
    Natürlich kann man scheitern, und ich habe alle Sympathie und Verständnis für Tsipras, weil man seine Regierung durch blanke Erpressung in die Knie gezwungen hat. Aber dann sollte man sich wenigstens nicht noch dafür hergeben, die Politik, die man überwinden wollte, noch in verschärfter Form weiter zu führen. Eine Regierung, die (noch) die Sympathien der Menschen hat, die als Ausführungsorgan die Drecksarbeit der Knechter Europas durchexerziert – einen größeren Gefallen kann man denen praktisch nicht tun.

  3. Ich kann mich Hartmut nur anschließen. Tsipras ist quasi zum Ausführungsorgan der Troika/EU deformiert. Ein neoliberaler Statthalter in restlinkem Anschein. Politischer Pragmatismus heißt Kompromiss, aber man sollte sich eine Kapitulation nicht noch schönreden. Wohin das führt, kann man anschaulich an der deutschen Sozialdemokratie beobachten. Lieber eine Niederlage in Würde hinnehmen, sich aufrappeln und neu versuchen, als sich in endlosen Gewürge zum Handlanger seines Gegners zu verkehren.

  4. Allen dreien gebe ich recht.
    Meine ersten Reaktionen auf Zipra´s Kapitulation war auch: nimm doch deinen Hut, gehe in die Opposition und lasse diejenigen als Handlager fungieren die es gerne tun.
    Wäre das nicht trotz allem fataler, vor allem in Bezug auf den Ausverkauf des Landes?
    Every bit helps…
    Nach wie vor halte ich Zipras nicht für ein Knicklicht (obwohl ich Politikern abgrundtief Misstraue) und denke der tut einen verdammt schweren Job unter fiesesten Bedingungen.

    Und mehr denn je habe ich keine Ahnung wie dem ganzen griechischen (und nicht nur diesem) Desaster beizukommen ist wenn deutsche/europäische Austeritätspolitik nicht beendet wird…

    „Geschichte ist ein Rad“, habe ich irgendwo gelesen.
    Erschreckend

  5. Trotz der selbstverständlich nachvollziehbaren, natürlich auch gewichtigen Argumente contra des Tsipras-Verstehens mache ich mir Misiks Auffassung zu eigen. Denn letztlich ist es wirklich eine Frage der Rezeption: Dem einen ist im Desillusionsprozess offensichtlich das (masochistisch) Optimistische näher als dem anderen. Im Ernst: Mir erscheint es vollkommen unmöglich, dass dieser Tsipras urplötzlich an einer geradezu „Dr. Jekyll und Mr. Hyde’schen“ Schizophrenie erkrankt sein soll. Die Mär vom linken Weichei und sozialistischem Vollstrecker des Neoliberalismus (à la Schröder/Agenda 2010) ist einfach derart aufdringlich und naheliegend, dass mir allein der Glaube fehlt. Tsipras dürfte gegenwärtig der wohl am drastischsten unterschätzte linke Politiker – sicher weltweit – sein.

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