Lob der Parteilichkeit

Eine Glosse für das Cafe Sonntag von Ö1

Susanne Scholl ist eine Moralistin, eine Wortergreiferin – man traut sich das ja kaum sagen, in einer Zeit, wo solche Charaktereigenschaften schnell verächtlich gemacht werden, in einer Zeit, in der Gutmensch ein Schimpfwort ist und sich nicht wenige auf ihre Bösheit etwas einbilden; in einer Zeit, in das schöne Wort „Willkommen“ zu einer schmutzigen Vokabel geworden ist, und Schleich-Dich- eine Kultur sein soll.

Die ORF-Fernsehkorrespondentin, die nach ihrem ersten Berufsleben, gewissermaßen in zweiten Bildungsweg, zur moralischen Autorität wird – das ist übrigens gar keine so unübliche Karriere. Barbara Couldenhove-Kalergi, beispielsweise, ist auch so eine, die die Reputation, die sie sich am Bildschirm und als Reporterin erwarb, in die Leidenschaft des gesellschaftlichen Engagements übersetzt.

Aber natürlich stimmt die Periodisierung des davor und des danach nicht, denn die Reporterin und der Journalist, die Autorin und der Kommentator, sie können ja nie von ihren Haltungen getrennt werden.

Gab es eigentlich jemals einen Journalisten oder eine Journalistin, die gut in ihrem Job war, ohne eine Haltung zu haben? Kann der zynische Neutralist, der Äqudistanz zu allem hält, zum Gefolterten wie zum Autokraten, zum Geflohenen wie zum Zaunbauer, gute Reportagen oder lesenswerte Analysen schreiben? Nun, sehr häufig ist das nicht.

Rausgehen, genau hinsehen, dahin, wo es dreckig ist, oder dahin auch, wie Unrecht geschieht, und es akkurat aufschreiben, weil es nicht vergessen, und weil es nicht vertuscht werden darf, das ist ja selbst schon ein Engagement und eine Leidenschaft.

Aber wo verläuft die Grenze zwischen Haltung und Parteilichkeit?

In den vergangenen Jahren ist ein Satz des legendären Fernsehmoderators Hajo Friedrichs rauf und runter zitiert worden: „Einen guten Journalisten erkennt man daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit einer guten Sache.“ Der Witz ist, dass Friedrichs diesen Satz so nie gesagt hat, und auch nie gesagt hätte. Denn es ist ein abgrundtief blöder Satz.

Ein guter Journalist muss parteilich sein, aber immer seine Wahrheit sagen, was freilich auch heißt, er muss auch ein bisschen illoyal sein. Also auch streng gegenüber den vermeintlich „eigenen Leuten“, denen, die seine Haltungen teilen. Das ist eben der schmale Grat zwischen parteilich sein und plumpen „Parteijournalismus“.

Eine der großen Figuren solchen engagierten Autorentums war natürlich George Orwell, der in den Krieg für die Demokratie und gegen den Faschismus zog und die größten Reportagen darüber schrieb und einmal sagte: „Vom Gefühl her bin ich eindeutig ein >Linker<, ich glaube aber, daß ein Schriftsteller nur ehrlich bleiben kann, wenn er sich kein Parteietikett verpassen läßt.“

Sagen, was ist, und einstehen für das eigene Urteil, der Mut, nicht nur vor den Gegnern, sondern mehr noch vor den falschen Freunden, das ist Unbestechlichkeit.

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