…zum Laboratorium des Gelingens: In Österreich stemmen sich ein neuer Kanzler und ein neuer Präsident gegen den Aufstieg des Rechtsradikalismus. Vorwärts, 26. Mai 2015
Österreich stand die vergangenen Wochen wieder einmal im Lichtkegel der Öffentlichkeit. Ein radikaler Rechter griff nach der Bundespräsidentschaft, und am Ende lagen zwischen ihm und dem mit Ach und Krach doch noch siegreichen grünen Kandidaten nur 0,6 Prozent. Der Spin der News-Storys war daher meist: Österreich, das für Rechtsradikalismus und Nazi-Nostalgie anfällige Land – die krisenhafte Demokratie, die demnächst in Richtung Orbanisierung oder Putinisierung kippen wird.
Und dieser Spin ist ja auch nicht ganz falsch – er übersieht nur ein paar Dinge.
1. Diese Präsidentschaftswahl war Ausdruck und Resultat einer tiefen politischen Krise, in die das Land seit Jahren schon schlittert. SPÖ und ÖVP sind in einer ungeliebten Großen Koalition aneinander gekettet und haben mehr gegen- als miteinander regiert. Die Sozialdemokratie unter ihren bis vor drei Wochen amtierenden Kanzler und Parteivorsitzenden Werner Faymann war dabei besonders innerlich ausgezehrt und ohne jede Idee. Es war diese politische „Spielanlage“, die für die rechtsradikale Freiheitliche Partei besonders günstig war. Wie auf einer schiefen Ebene rutschte das Land quasi in ihre Richtung, und die Koalitionsparteien waren hektisch versucht, der FPÖ den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem sie sich an ihre Agenda anpasste. Zugleich sank das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger, dass diese traditionellen Eliten noch irgendetwas zuwege bringen könnten, gegen Null. Als Folge stiegen Verdruss und Wut und Zorn. Kurzum: Das Land war geprägt von dysfunktionalen Eliten – und dem Umstand, das die wesentliche Opposition zu diesen von Rechts kam.
2. Aus diesen Grund brachte der erste Durchgang der Bundespräsidentschaftswahl ein regelrechtes Erdbeben: Hofer, der rechtsradikale Kandidat mit 35 Prozent vorne, der Grüne Anwärter Alexander van der Bellen abgeschlagen mit 21 Prozent, und völlig chancenlos waren die Kandidaten der Etablierten: die SPÖ- und ÖVP-Kandidaten übersprangen gerade noch die 10-Prozent-Marke.
3. Dieser Aufschlag auf einem Tiefpunkt war aber gerade das, was die Etablierten gebraucht haben. Damit war insbesondere für die Sozialdemokratie klar geworden, dass es so einfach nicht weiter gehen kann. Die Kräfte des Beharrens im Apparat, die Machtbroker der Partei waren damit im Hintertreffen. Schon seit der Wende der Faymann-Regierung in der Flüchtlingsfrage – also seit dem Schwenk von der Refugee-Welcome-Linie zur Zaun-Bau-Kultur -, hatte sich in der Partei die Meinung durchgesetzt, dass der Kanzler und Parteivorsitzende ersetzt werden muss, dass aber damit eine weitgehendere Revolution in Kultur und Funktionieren der Partei einher gehen muss. Mit der Niederlage im ersten Wahldurchgang war das Window of Opportunity gekommen. Im Nachhinein war der 1. Mai 2016 der Schlüsselmoment: Bei der traditionellen 1. Mai-Kundgebung der SPÖ am Wiener Rathausplatz wurde der Kanzler von der Basis seiner Partei weggebuht und weggepfiffen – und nicht nur von ein paar dutzend Linken, sondern von vielen hunderten oder tausenden. Der Kanzler musste seine Rede nach etwas mehr als zwei Minuten abbrechen. Er klammerte sich danach noch rund zehn Tage an sein Amt, bis ihm dann die Landesparteivorsitzenden klarmachten, dass es für ihn vorüber ist.
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4. Innerhalb von wenigen Tagen wurde der bisherige Vorstandsvorsitzende der Staatsbahn, der 50jährige Christian Kern zum Parteivorsitzenden designiert und als neuer Kanzler inthronisiert. Dass Kern von außerhalb des – im engeren Sinne – politischen Establishments kommt, ist wichtig für diese Operation: denn die politischen Eliten sind völlig diskreditiert. In einer breiteren Öffentlichkeit war Kern bisher zwar bekannt, aber im wesentlichen als Bahnmanager und als der, der im Herbst mit seinem Unternehmen ganz hervorragend den Transport, die Unterbringung, die Versorgung von Flüchtlingen an den Bahnhöfen organisiert hat und dabei konfliktfrei mit der Zivilgesellschaft zusammen gearbeitet hat. Doch bis zu seinem Nominierung im Parteivorstand hat man in der breiteren Öffentlichkeit von ihm keine akzentuierten politischen Aussagen gekannt. So erwartete das Publikum eher einen smarten Praktiker und Wirtschaftsmann. Doch schon mit seinen ersten Auftritten elektrisierte Kern das Publikum: Er sprach radikal über Geschwätz und Jargon der politischen Klasse, geißelte die inhaltliche Leere, sagte, dass Menschen nicht für Kompromisse brennen, sondern für Grundsätze, bekundete, dass für ihn immer „Grundsätze vor Machterhalt“ gingen, und formulierte ein Programm der entschiedenen Veränderung. Sozialdemokratie dürfe nicht nur „das schlimmste Verhindern“ oder „das Erreichte verteidigen“ wollen, sondern müsse selbst wieder zur Kraft der Gesellschaftsveränderung werden. „Die Sozialdemokratie war immer dann stark, wenn sie Kraft der gesellschaftlichen Modernisierung, der Demokratisierung, der sozialen Gerechtigkeit und des Aufstiegs der einfachen Leute war.“ Und nicht zuletzt formulierte er eine Botschaft of Hope & Change: „Ich möchte nicht ihre Sorgen und Ängste nähren, ich will ihre Hoffnungen nähren.“ Zum Schluss zitierte er dann auch noch Bobby Kennedy. Solche politischen Reden hatte man in Österreich seit der Kreisky-Ära nicht mehr gehört.
5. All das trug sich in der entscheidenden Woche der Präsidentschaftswahlen zu. Zugleich mobilisierte eine breite zivilgesellschaftliche Kampagne für den grünen Präsidentschaftskandidaten Alexander van der Bellen, um das unmöglich Scheinende doch noch zu schaffen: den rechtsradikalen Hofer, den nur mehr 15 Prozent von der absoluten Mehrheit trennten, doch noch abzufangen. Viele tausende junge Leute engagierten sich, telefonierten viele Stunden lang mit ihren Schulfreunden, Mamas, Papas, Omas und Opas, und am Schluss hatte der grüne Kandidat in einem Herzschlagfinish doch noch die Nase vorne: 31.000 Stimmen lag der linksliberale Grüne vor dem rechtsradikalen FPÖ-Kandidaten und ist der nächste Kandidat.
6. Während also für alle Welt ein rechtsradikaler beinahe Präsident wurde, sieht für viele Österreicher und Österreicherinnen die Sache sehr viel anders aus: Das Land hat einen linken Grünen als Präsidenten und einen intellektuellen, progressiven Sozialdemokraten als Kanzler, der seiner Partei verordnet: „Wir wollen die Fenster aufmachen und frische Luft herein lassen.“ Beides zusammen ist deutlich mehr, als die kühnsten Optimisten noch im Januar zu hoffen gewagt hätten.
7. Damit gibt es in Österreich jetzt erstmals zumindest die Möglichkeit, das politische Setting so zu verändern, dass der Aufstieg der FPÖ gestoppt werden kann. Anlass zu übertriebenem Optimismus gibt es natürlich gleichwohl nicht. Die FPÖ ist seit Monaten in allen Umfragen stärkste Partei und liegt rund zehn bis zwölf Prozentpunkte vor der Sozialdemokratie. Der neue SPÖ-Chef und Kanzler sowie sein Team haben noch gerade zwei Jahre Zeit, um bis zum regulären Wahltermin die Stimmung im Land zu drehen. Damit ihm das gelingen kann, muss er einige Herkulesaufgaben zugleich erledigen.
– mit einer Reihe konkreter Regierungsmaßnahmen die Innovationsschwäche im Land bekämpfen und zumindest den Anstieg der Massenarbeitslosigkeit bremsen.
– einen „New Deal“ etablieren, der sowohl die Renditeaussichten der Unternehmen hebt als auch die Kaufkraft stärkt.
– eine langfristige Strategie für ein sozialdemokratisch geführtes Österreich des Jahres 2025 entwickeln, ein positives „Zukunftsbild“ gewissermaßen, und eine Sprache entwickeln, die es schafft, Menschen für dieses Bild zu begeistern. Sprache ist nicht alles, aber ohne die richtige Sprache ist alles nichts: Den Mehltau der Depression, der über den Land lag, muss man vor allem mit Kommunikation weg bekommen.
– zugleich muss er die von Faymann (aber in Wirklichkeit seit Jahrzehnten) heruntergewirtschaftete Partei wieder funktionstüchtig machen, indem er sich die besten Leute aus der Partei und von außerhalb der Partei in sein Führungsteam holt.
– und eine Parteireform durchsetzen, die es tatsächlich schafft, bis in lokale Organisationen hinab eine Struktur der Offenheit zu schaffen, die die vielen tausenden jungen Leute aus Zivilgesellschaft und NGOs einlädt, Aktivisten einen progressiven Aufbruchs zu werden. Er werde, sagte er bei seinem Antritt, Sanders und Corbyn „nicht kopieren, aber wir müssen von diesen Bewegungen lernen“.
– und nicht zuletzt muss er eine Strategie finden, wie zumindest ein Teil jenes „zornigen Proletariats“ zurück gewonnen werden kann, dessen Milieus angesichts düsterer Zukunftsaussichten und des Gefühls, dass sich „die da oben“ für sie überhaupt nicht interessieren, längst zur Stammwählerschaft der rechtsradikalen Freiheitlichen geworden sind. Das ist wahrscheinlich die aller schwerste Aufgabe. Denn für alle anderen genannten Aufgaben gibt es wenigstens Konzepte (deren Durchsetzung schwer genug ist), aber Letzteres hat noch nirgendwo auf der Welt wirklich gut geklappt, sodass hier die Strategien von Null auf entwickelt werden müssen. Und das unter enormen Zeitdruck.
8. Kann all das gelingen? Natürlich kann es das, auch wenn es nicht einfach wird. Aber es ist erstmals seit langem zumindest wieder eine Situation des nach vorne offenen Möglichen da. Karl Kraus nannte Österreich einmal die „Versuchsstation für den Weltuntergang“. Jetzt muss man das Land einfach zu einem Laboratorium des Gelingens machen.
Ob der Sieg van der Bellens nicht ein Pyrrhussieg war? Auch in Deutschland wurde mal mit großem Aufwand der Sieg eines anderen Österreichers verhindert , der Bundespräsident werden wollte , wenn auch , zugegeben , van der Bellen weit davon entfernt ist , mit Hindenburg vergleichbar zu sein.
Diese Wahl war ein Signal für ganz Europa , ein Lehrbeispiel dafür , was passiert , wenn man die Positionen der Rechten einfach übernimmt.
Und sie hätte kaum in gravierenderer Weise das grundsätzliche Dilemma offenbaren können , das den ganzen Westen durchzieht , vor allem beim Thema der Migration.
Entweder – oder. Entweder jedwede Probleme totschweigen oder , wenn nicht mehr , gleich die gesamte Denkweise der Rechten übernehmen.
Kaum ein Politiker kommt noch auf die Idee , den riesigen Bereich dazwischen zu erfassen , Grund dafür ist diese unsägliche Schweigeverpflichtung , die jede demokratische Debatte verhinderte und damit zwangsläufig die Rechten begünstigte , willlkommen in Weimar.
Der Vergleich mit Weimar hinkt gewaltig. Richtig, jeder hat seinen Sieg davongetragen. Die Idee mit dem Pyrrhussieg kam mir auch.
Die Grünen haben es sich in den Schützengräben recht gemütlich gemacht. Es wäre tatsächlich Zeit diese zuzuschütten und nicht allein da die Grünen in selbigen verweilen. Das wäre der Pyrrhussieg aus der Sicht der Grünen. Sie müssen raus aufs Schlachtfeld …
Recht viel anders als die SPÖ früher gebärdet sich die FPÖ auch nicht. Politik mag einen Zweck erfüllen, aber Politiker nehmen sich einfach zu wichtig.
Der Pyrrhussieg ist eben die Hinwendung des Österreichers zu Politik als hätte diese jemals irgendein Problem gelöst. In Wahrheit wird jede Veränderung im Rahmen des Wandels verschlafen oder eingeschläfert – warum wohl? Der Wandel ist nichts anders als die (von oben) orchestrierte Veränderung. Wer das kapiert weiß woher den Wind weht.
Mittlerweile ist das Kasperltheater in Wien einfach zu teuer. Nennen wir das Kind beim Namen.
Die Linken stinken und die Rechten fechten. Selbst wenn die SPÖ mal ein Fenster aufmacht, so wird das ein wenig Staub aufwirbeln und der Gestank wird sich kurze Zeit verziehen. Bisher hat die ÖVP nicht wirklich können vordringen und den Degen heben. Wen wundert’s mussten sich deren Vertreter mit einen Hand die Nase zuhalten und die andere vor den Mund halten. Deswegen waren sie bisher auch eher schweigsam.
Selbst wenn mal so manchem ÖVP Vertreter (was auch immer diese dem Bürger wollen andrehen) der Degen aus der Hand fällt, wer hat schon drei Hände außer dem Django. Die SPÖ hebt ihn auf, also den Degen und nicht den Django, wandert die Stufen in den Siebten Himmel empor, stolpert über die eigen Füsse, fällt damit ins eigene Schwert und landet wieder im Schützengraben. Und dabei war es nicht mal das eigene und eigentlich ein Degen. Das nenne ich einen Pyrrhussieg.
Die SPÖ öffnet die Fenster um den Wind der Erneuerung in die Stube reinzulassen, kein Wunder bei dem Gestank. Der frische Wind von links wird dem Herrn Misik die Frisur zersausen oder gar die letzen Haare vom Kopf fegen. Na liebe Aussichten bringt die Zukunft.
Politik wird nicht viel für den Bürger bewegen und sich selbst schon gar nicht. Was ist die Alternative? Wenn es nicht mehr notwendig ist den Wohlstand aufrechtzuerhalten und die Bürger auch auf der Straße in ihre Schicksal geprügelt werden können, dann werden die Eliten diese Option spielen. Das ist nicht populär, aber billiger. In dem Punkt mache ich mir keine Sorgen.
Das Parlament ist eine Waffe der Bürger, aber nicht die einzige und das geriet in Vergessenheit. Am Schlachtfeld macht man sich zwar dreckig, aber wenn der Bürger dem letzten Gegner das Schwert in die Brust rammte ist zumindest für ein Weilchen wieder Frieden. Mehr ist nicht drinnen, aber zumindest dies.
Am Ende verkaufen Politiker die Wuchtel das Einkommen wäre schicksalhaft in den Lauf der Dinge eingebettet. Damit kann man die Schraubenzwinge fester zudrehen, immer mehr rauspressen und am Ende den Hahn endgültig zudrehen. Einfach in den Norden blicken.
In dem Zusammenhang haben sie einen Punkt bezüglich Weimar. Für den Bürger wäre es klüger er stellt sich besser heute als morgen die Frage, ‚Wie deppert bin ich wirklich?‘ oder für die Freunde im Norden, ‚Wo sind die Latten meines Zaunes? Ich dachte ich hätte sie noch alle‘.
@Michael
Das mit dem Pyrrhussieg war einfach nur so gemeint , daß es vielleicht besser gewesen wäre , wenn sich die FPÖ nicht selber den Mythos des knapp Unterlegenen geben könnte , so etwas wirkt oft stärker als der Sieg selber.
Ich denke , Sie interpretieren da etwas zuviel hinein.
Wenn Sie das Parlament als Chance für das Volk begreifen , warum greifen Sie dann pauschal die Politik an , ist das Parlament nicht Teil der Politik?
Diese Ablehnung der demokratischen Politik an sich , gepaart mit anti-linken Pöbeleien , waren typische Kennzeichen der Weimarer Verhältnisse , der Hass auf den „Hader“ , den Streit und die Demokratie an sich.
Ein Stück weit haben wir das auch heute wieder , dieses sehr deutschsprachige Fremdeln mit dem Diskurs , diese Sehnsucht nach der Einheit um ihrer selbst Willen.
I hoff, der Misik wird nix, damit er weiter schreibt und red´! Er tät ma urndlich obgehn!!!!!!!!!!!!!!
Der wird uns erhalten bleiben. Sein fröhliches Gemüt wird auch weiterhin jeden Stolperstein, der sich so findet am Wegesrand in die Zukunft, mit einem Schmunzeln kommentieren. Da bin ich mir sicher. Also immer zum Misik raufschauen, dann liegt man schneller auf der Go* auf die er selbst sicher nicht gefallen ist. Und das ist recht so. Was von beiden können sie sich aussuchen. Sie haben die Wahl.