Das Problem an der Rede von den „einfachen Leuten“ ist der Beiklang: Wer von den „einfachen Leuten“ spricht, der behauptet implizit, dass er nicht dazugehört. Ja, mehr noch: dass er vom Leben dieser einfachen Leute gar keine Ahnung hat. Schon als Phrase eine Distanzierung, hart an der Grenze zur Herablassung. Nun kann man sich die Frage stellen, ob es eine Normalität, die die Rede von den „einfachen Leuten“ unterstellt, heute überhaupt noch gibt – die „Normalität“ ist heute doch so buntscheckig und vielgestaltig, dass schon das Konzept der Normalität fragwürdig ist. Aber die Phrase von den „einfachen Leuten“ meint etwas anderes: jene, die nicht mit goldenen Löffeln geboren sind. Jene, die ihr Leben meistern und fest in diesem stehen, jenseits der Verzärteltheiten der Upper Classes. Jene, die nicht irgendwelchen großspurigen Flausen eingebildeter Besonderheit anhängen. Im Begriff von den „einfachen Leuten“ steckt von jeher schon auch ein Stolz, ein popularer Stolz, ein rebellischer Stolz gegenüber denen, die sich als etwas Besseres vorkommen. Wie konnte es also dazu kommen, dass man überhaupt den Gedanken fassen kann, in diesem Begriff stecke eine herablassende Distanzierung? Weil wir in einer Welt leben, in der es unschick geworden ist, sich als „normal“ zu bezeichnen, wo niemand Durchschnitt, jeder etwas Besonderes sein will. Und in der das Leben der „einfachen Leute“ als uninteressant abgewertet wird. Früher wollte man Teil der „einfachen Leute“ sein, heute will man ihnen nur ja nicht zugerechnet werden. Aber wer sind die einfachen Leute? Welche Leben führen sie? In welchen Gedankenwelten? Und was sind ihre Gerechtigkeitsempfindungen?
„Früher wollte man Teil der „einfachen Leute“ sein, heute will man ihnen nur ja nicht zugerechnet werden.“
Sind das nicht zwei Seiten derselben Medaille, die sich auch gegenseitig bedingen?
Herablassung und Geringschätzung gibt es von beiden Seiten. Die heutige Arroganz der Eliten beinhaltet die Gefahr der Neuauflage eines Kults um den „einfachen“ Menschen- wahlweise auch den „kleinen Mann“-, den wir früher schon hatten.
Gerade in Deutschland neigen wir dazu, den „einfachen“ Menschen zu romantisieren und übersehen, daß es in den „unteren“ Schichten auch jede Menge Hass und Ablehnung für alles gibt, was „zu“ anders ist, zu intellektuell, zu begabt, zu kreativ, zu sportlich, zu urban usw., Klassenhass ist keineswegs nur ein Phänomen von oben.
Man kann sogar davon ausgehen, daß sich der Neoliberalismus z.T. sogar auf diesen Hass von unten gründet, gleichsam als Gegenreaktion.
Wir müssen generell weg von dieser gruppenspezifischen Denkweise, die in den letzten 25 Jahren modern geworden ist, und uns stärker an Individuen und Wertvorstellungen orientieren. Sonst kriegen wir eine Neuauflage kommunistischen Denkens, das sein Heil nur darin sieht, die „bösen Eliten“ durch eine „gute Elite“ der Kleinbürgerei zu ersetzen.