Nicht Geld, sondern Kapitalismus verdirbt den Charakter

Indem wir lernen, in radikalisierten Konkurrenzmärkten zu funktionieren, werden wir zu jemandem, der wir unter anderen Umständen nicht geworden wären.

In der „Zeit“ fand sich vor einigen Jahren eine Geschichte, die sich in etwa so nacherzählen lässt: nachdem Dschihadisten die Redaktion von Charlie Hebdo überfallen und die Redaktion beinahe ausgerottet hatten, provozierte diese Aktion beispiellose Solidarität und auch Entschlossenheit: Entschlossenheit bei der Redaktion, sich nicht zu beugen; Solidarität bei den Leuten – hunderttausende Bürger haben Abos bestellt, oder Geld gespendet. Die Verlagskassen waren danach so prall gefüllt, dass die Kohle für zehn Jahre reicht. Und prompt begann sich die Redaktion über Macht und Geld zu zerstreiten. Was die Terroristen nicht schafften, schaffte das Geld. Was der Islamismus nicht schaffte, schaffte der Kapitalismus.

Das erinnerte mich ein wenig an ein Schwundgeld-Experiment in Berlin-Prenzlauer-Berg Anfang der 90er Jahre. Das war eine Art sozialkritischer Kunstaktion. Künstler entwarfen Geldscheine, die zu einem gewissen Betrag in D-Mark umgewechselt werden konnten. „Knochen“ hieß die Währung. Und die von verschiedenen Läden im Bezirk dann akzeptiert wurden. Das Raffinierte dahinter war, dass die jede Woche – um zehn Pfennige, wenn ich mich recht erinnere – an Wert verloren, also musste man eine Marke kaufen und draufkleben, damit die ihren Wert behielten. Die Idee dahinter war einerseits, den Wirtschaftskreislauf im Viertel anzukurbeln, was damals ja noch ein Krisenviertel war, nicht der reiche Bobobezirk von heute, und zweitens einen Anreiz zum Ausgeben des Geldes zu schaffen, entsprechend der Ersatzwährungsexperimente und Theorien aus den zwanziger und dreißiger Jahren, etwa von Silvio Gesell. Horten führte zu Wertverlust. Der Witz daran war, dass die ausgebende Zentralbank – eine Galerie -, wie sich später herausstelle, genau diese 10 Pfennig pro Woche und Geldschein an Gewinn machte. Das war, glaube ich, vorher gar nicht so durchdacht worden. Die Künstler kannten sich mit Geld ja nicht so aus.

Und dann begann der Streit darüber, wem dieser Gewinn gehört. Das geldpolitische – und geldkritische – Experiment endete damit, dass man sich über Geld zerstritt.

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Das war gewissermaßen die Wahrheit, die das Experiment enthüllte, eine Wahrheit, die gar nicht enthüllt hätte werden sollen: Nämlich, wer sich als geldgierigster Hipster entpuppte. Die Spießer würden jetzt sagen: Ja, Geld verdirbt den Charakter. Oder sie würden auch sagen: Geld enthüllt die menschliche Natur. Da sieht man, jeder ist käuflich. Die Geldkultur ist der menschlichen Psyche schon angemessen, jeder, der für mehr Gleichheit ist oder für Kooperation, der dafür ist, dass nicht alles käuflich und alles eine Ware ist, der ist ein Träumer, der an der menschlichen Natur scheitern wird.

Aber man kann diese Geschichte natürlich auch anders erzählen: Dass es so etwas wie eine menschliche Natur nicht gibt, dass wir alle das Ensemble unserer gesellschaftlichen Verhältnisse sind, wie das mal ein kluger Kopf formuliert hat. Das Umfeld, die Kultur, die gesellschaftliche Organisation, in der wir leben, etabliert Anreizsysteme, die konditionieren uns, erziehen uns, modellieren uns. Bis zu einem gewissen Grad, das ist ja unbestreitbar. Bis zu welchen Grad, darüber kann man diskutieren. Die Vorstellung des Menschen als egoistischen Homo Economicus ist „nicht nur in Einzelheiten ungenau, sondern grundsätzlich falsch“, meint der Wirtschaftsnobelpreisträger Amartya Sen. Je nachdem wie genau Märkte organisiert sind, montieren sie uns um, etwa, wenn sich alles nur mehr um Konkurrenz dreht. „Die Art und Weise, wie wir unsere Austauschbeziehungen regeln (hat) Einfluss darauf, was für Menschen wir werden“, formuliert der Ökonom Sam Bowles. Wettbewerbsmärkte sind auch eine „gesellschaftliche Bühne auf der bestimmte Typen der Persönlichkeitsentwicklung belohnt und andere bestraft werden. Indem wir lernen, in so einer Umgebung zu funktionieren, werden wir zu jemandem, der wir unter anderen Umständen nicht geworden wären.“

Also, selbst wenn man anerkennt, dass Streben nach Eigennutz und Wettbewerb um Güter, Ansehen, Reputation, was auch immer, zur menschlichen Natur gehöre, dann kann das ja dennoch auch bedeuten, dass die jeweiligen Umstände, die gesellschaftlichen Umstände, dann bestimmen, welche Ausformungen das annimmt. Wenn die Umstände sind: Dass Geld über alle Lebenschancen bestimmt, dass materielle Geld-Ressourcen die wesentliche Quelle dafür sind, ob ich das tun kann, was ich tun will, sei das Musik machen, Gedichte schreiben, ein Haus bauen, eine Familie gründen, was auch immer. Wenn auch Talent und Obsession eher wenig zählen, Geld aber alles ist. Oder auch wenn sie schon ein wenig zählen, aber am Ende Geld das Entscheidende ist. Wenn Güter primär Positionsgüter sind, also Güter, mit denen ich zeige, dass ich erfolgreicher bin als der andere, der Nachbar, und der Nachbar folglich die Güter auch braucht, um zu zeigen, dass er mit mir mithalten kann. Dann etabliert sich ein Luxusfieber – und man weiß aus der Geschichte, dass es mal mehr, mal weniger Luxusfieber gibt. Das heißt aber dann auch, dass damit das erst geschaffen wird, was man hinterher dann als menschliche Natur ausgibt.

Geld hat viele Vorteile und Nachteile. Ein Vorteil: Es befreit aus sozialen Zwängen, ich muss mit dem Bäcker nicht freundlich tun, damit er mir ein Brot gibt, es erweitert damit meinen sozialen Radius über das enge Beziehungsgeflecht hinaus, weil ich bei jedem kaufen kann, sofern ich Geld habe, und mit dem auch kaum kommunizieren muss. Und das, was der Vorteil ist, ist zugleich der Nachteil, es reduziert viele Beziehungen auf die nackte, bare Zahlung. Das Gute ist auch: Es schafft die Rastlosigkeit der modernen Kultur, die tollsten Dinge sind wohl oft nur geschaffen worden, weil Leute Geld brauchten oder noch mehr Geld wollten. Nicht nur Turnschuhe werden ja aus Profitinteresse produziert. Seien wir uns ehrlich: Viele Romane wären wohl nie geschrieben worden, hätte der Autor, die Autorin nicht Geld gebraucht. Aber das ist eben auch das Schlechte. Diese Rastlosigkeit, dieses es muss, es muss, es muss…

Das Gute und das Schlechte zugleich: Alles Produkt der Geldkultur. Das Beste und das Schlimmste kitzelt sie aus uns heraus. Ich würde mich morgens sicher nicht aus dem Bett raffen, um mich an den Schreibtisch zu setzen und mir eine gesellschaftskritische Philipikka ausdenken, wenn ich nicht die Kohle bräuchte, ich würde glatt liegen bleiben und in die Sonne blinzeln stundenlang. Mein Geschäft ist, die Geschäfte anzuprangern. Und manche von Ihnen werden da jetzt sagen: da danken wir dem Kapitalismus dafür! dass er uns die Bücher von Misik und seine Artikel und seine Videoblogs schafft. Andere werden natürlich sagen: Profitgier, Hunger in der Welt, McDonalds und das Privatfernsehen sind ja schon schlimm genug, aber dass der Kapitalismus uns zu allem Überdruss auch noch den Misik eingebrockt hat, das ist wirklich das Schlimmste.

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