Widerstand und Freiheit

Wer sich auflehnt steht anders in der Welt als der der sich krümmt, beugt, der alles hinnimmt. Sich widersetzen heißt, einen Akt der Befreiung setzen.

Eröffnungsrede der Konferenz „Widerständig“, Salzburg 23. 11. 2019

Über Ambivalenzen der Widerständigkeit solle ich heute sprechen. Das heißt zunächst, sich auch Gedanken über den Begriff des Widerstandes selbst zu machen. Von Michel Foucault kennen wir das Bonmot, „wo Macht ist ist auch Widerstand“. Oder genauer gesagt, wo Machtstrukturen sind, wird es immer auch Widerstand geben, aber die Machtstrukturen sind auch die Voraussetzung für Widerstand. Die Machtstrukturen führen – schier automatisch – zu Widerstand, aber den Widerstand kann es zugleich nur geben, wo es Machtstrukturen gibt.

Und wir kennen da ja viele Formen des Widerstandes, der Revolte, der Auflehnung. Die Auflehnung gegen das Kommando in Schule, in Betrieb, in der Fabrik. Aber auch Widerstände gegen die herrschende Ideologie, also die Formulierung einer Nicht-Einverstandenheit, und sogar, wenn die nicht formuliert wird, gibt es immer auch diese Grauzonen der verschiedenen Nicht-Einverstandenheit. Wir können auch dem Gedanken anhängen, dass sich Subjekte „Auflehnen“, „Widerstand“ leisten, wenn sie gar nichts tun. Dienst nach Vorschrift, Rückzug in die innere Emigration, das können Gestalten des Widerständigen sein, auch hier können wir etwa an die sozial-moralischen Ordnungen im Betrieb denken. Aber wir können auch so Erscheinungen im Kopf haben wie die herrschende Ideologie, bis hin zum Konsumismus, wenn jemand sagt, ich mach da nicht mit, für mich ist weder Geld noch Güter noch der Status und das Prestige, das man mit Gütern zum Ausdruck bringt wichtig, und zudem interessiert mich auch nicht diese Gier nach Mehr, auch hier können wir von einem Widerstand, von einer Auflehnung sprechen.

Wir sehen also schon es gibt hier verschiedene Formen von Macht und Herrschaft – mal ist sie mit einer herrschenden Macht, die kommandiert, verbunden, mal direkt mit einem Chef, Vorgesetzten oder einem, der sonstwie über einem steht, mal aber auch nur mit so etwas amorphen wie einer „vorherrschenden, hegemonialen Meinung“.

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Schon hier sehen wir, ich berühre das an dieser Stelle nur kurz, sehen wir also, dass sich das widerständige Subjekt oder die Widerständigkeit über ein „Nein“ definiert, nicht über ein „Ja“. Das Widerständige wird somit vom der Macht produziert. Das Widerständige sagt nicht, ich würde es gerne so oder so haben, es formuliert nicht primär eine Positivität, sondern vornehmlich eine Negativität. Es sagt, so wie es ist, soll es nicht sein. Erst danach, im zweiten Schritt, formuliert sie allenfalls eine Positivität, eine Alternative. Das Widerständige sagt NEIN und ist insofern noch in den Orbit dessen gefangen, wogegen es Widerstand leistet.

Der Widerstand ist in die Macht verstrickt, die ihn produziert.

Diese Ambivalenz spüren wir ja im Alltag der Engagierten immer wieder, um jetzt das ganz simple Beispiel zu bringen: Wir würden gerne FÜR eine solidarische Gesellschaft eintreten, unsere Zeit investieren, diese aufzubauen oder für diese zu werben, sind aber hauptsächlich damit beschäftigt, die FPÖ zu bekämpfen. Das ist jetzt ein bisschen ein plumpes Beispiel, aber wir sehen schon, welche Ambivalenz da entstehen kann.

Nämlich: Viel dagegen, wenig dafür.

Die Beispiele die ich vorher gebracht habe, die Auflehnung der Schüler gegen die Lehrer, die des Arbeiters gegen den Chef, die des humanistisch gesonnenen Konsumenten gegen Kommerzkultur, die Auflehnung also gegen eine hegemoniale ideologische Konstellation, das sind alles Widerständigkeiten abseits des engeren Feldes des Politischen. Natürlich ist all das auch politisch, aber es hat mal wenig mit der Frage von Regierungskonstellationen, Demokratie oder Diktatur, demokratische oder autoritäre Herrschaft zu tun. All dem begegnen wir in demokratischeren Herrschaftssystemen genauso wie in autoritäreren. Oder vielleicht nicht „genauso“, aber doch in ähnlicher, zumindest vergleichbarer Weise.

Lassen Sie uns jetzt zur engeren Frage des „politischen Widerstandes“ kommen, also zum Widerstand gegen die politische Macht. Das ist also, salopp gesprochen, Widerstand gegen Regierungen bzw. gegen konkretes Regierungshandeln. Muss man ja auch auseinanderhalten. Leiste ich Widerstand gegen eine Regierung im allgemeinen Sinne, also etwa gegen eine Schwarz-Blaue Regierung, weil ich eine solche Regierungskonstellation als ganzes ablehne – oder leiste ich Widerstand gegen Regierungshandeln, also bestimmte Beschlüsse oder Praktiken dieser Regierung, etwa gegen die Abschiebepraxis.

Hier kommen verschiedene Begriffe ins Spiel, die im Grunde sehr unscharf sind und verwandt. Der Begriff Widerstand, aber auch die Begriffe Opposition und Protest.

Von Ulrike Meinhof ist der berühmte Satz überliefert, er ist noch vor ihrer Zeit in der RAF geprägt worden, also in ihrer Zeit als linke, sozialistische Publizistin, der Satz nämlich: „Protest ist, wenn ich sage, das und das passt mir nicht. Widerstand ist, wenn ich dafür sorge, dass das was mir nicht passt nicht mehr länger geschieht.“

Das wirft in demokratischen Gesellschaften natürlich auch ein Legitimitätsproblem auf, nämlich das Problem der Legitimität von Widerstand. Man sollte das nicht einfach abtun. Man kann sich über dieses Problem hinwegsetzen, wenn man will, und man kann gute Gründe haben, sich darüber hinweg zu setzen. Aber man muss das Problem erst einmal erkennen, um damit umgehen zu können.

In autoritären Gesellschaften besteht diese Ambivalenz nicht. In autoritären Gesellschaften sind Regierungen nicht durch demokratische Prozesse legitimiert, also stellt sich das Problem auch für den Widerstand gegen die Regierung nicht. Hier hat man alleine mit der Frage der Praktikabilität umzugehen: Kann ich überhaupt Widerstand leisten? Wandere ich sofort in den Knast? Bin ich bereit, den Preis zu zahlen? Und steht der Preis in einem vernünftigen Verhältnis zu den Erfolgsaussichten?

In demokratischen Gesellschaften ist das schwieriger. Regierungen sind gewählt und sie haben über das demokratische Verfahren Legitimität für ihr Tun, zumindest solange sie sich an die demokratischen Verfahren selbst halten und die Prinzipien der demokratischen Ordnung. Die Grenze wäre etwa da erreicht, wo demokratisch legitimierte Regierungen gegen die Verfassung und die Menschenrechte verstoßen, wofür ihnen die Legitimität fehlen würde.

So im Sinne dieses berühmten Zitates, das ich hier einmal so paraphrasieren würde: Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand – wenn schon nicht zur Pflicht –, dann zweifelsohne legitim.

Nun folgt daraus nicht, dass in demokratischen Gesellschaften nur die Regierung legitimiert ist. Gerade die Demokratie zeichnet sich dadurch aus, dass Opposition gegen die Regierung legitimiert ist, und zwar parlamentarisch und außerparlamentarisch. Im deutschen Grundgesetz heißt es, die Parteien wirken an der politischen Willensbildung mit, und nicht, die Regierungsparteien wirken an der politischen Willensbildung mit.

Und auch Protest, sowohl parlamentarisch, und ganz besonders auch außerparlamentarisch. Demokratie heißt eben nicht, dass Regierungen, haben sie Legitimation durch Wahlen, ungehindert – oder sogar: unkritisiert – tun können, was sie wollen. Demokratie zeichnet sich gerade dadurch aus, dass Opposition versuchen darf und muss, die Regierungsmehrheit zu bekämpfen, so dass die beim nächsten Mal keine Regierungsmehrheit mehr ist. Und Opposition darf protestieren und gesellschaftlichen Druck aufbauen, sodass auch eine Regierung, etwa durch die öffentliche Meinung, so in ein Eck gedrängt wird, dass sie selbst zur Meinung kommt, dass bestimmte Regierungshandlungen nicht gesetzt werden können. Ich kann in der Demokratie nicht verhindern, dass eine Regierung, die die Mehrheit im Parlament hinter sich hat, Gesetze verabschiedet, die mir nicht passen. Aber ich kann für ein gesellschaftliches Klima sorgen, dass diese Regierung von sich aus drei mal überlegt, ob sie diese Gesetze wirklich verabschieden will.

Protest und Opposition fügen sich also problemlos ein in die Legitimitätsordnungen von Demokratien. Mit „Widerstand“ ist das schon schwieriger. Aber wie gesagt, oft werden alle diese Begriffe unscharf benützt. Aber wenn diese Begriffe einen Sinn haben sollen, oder der Unterschied dieser Begriffe, dann ist es doch so: Protest und Opposition richtet sich gegen Regierungen, deren Legitimität nicht unbedingt bestritten wird – und deren Legitimität zu Regierungshandeln, auf Grund der demokratischen Mehrheit, die sie hinter sich hat, nicht unbedingt bestritten wird. Widerstand zielt darauf ab, dass dieses Regierungshandeln selbst unterbunden wird. Das Dilemma besteht darin, dass es dafür in der Demokratie nicht wirklich eine leicht zu begründende Legitimität gibt. Die Frage ist also: Hat in der Demokratie nur Opposition und Protest Platz, aber Widerstand im engeren Wortsinn eigentlich nicht?

Fehlt dem Widerstand gerade die Legitimität, die die Regierung hat?

Ist sowieso, weil wir das insgeheim wissen und im politischen Alltag nicht unbedingt Begriffsscholastik betrieben wird, es so, dass wir Protest und Opposition meinen, wenn wir Widerstand sagen?

Bei den meisten Menschen ist das wohl so.

Vielleicht fallen uns ja auch Gründe ein, die Legitimität von Widerstand auch in der Demokratie zu unterstützen. Was wären das denn so für Gründe?

Etwa eine Regierung, die sich mit unlauteren Mitteln zur Regierungsmehrheit geschwindelt hat.

Oder eine existentielle Bedrohung, die dem Widerstand mehr Legitimität verleiht als es die demokratische Legitimität tut, die die Regierung hat – wir könnten da an die Argumentationsmuster von Extinction Rebellion denken, die darauf abzielen, dass die Bedrohung der ökologischen Katastrophe, deren Opfer nicht primär heutige Wähler, sondern künftige Generationen, der gesamte Erdball, Menschen überall und Tiere und das Ökosystem wären, dass also diese Katastrophe so gewichtig ist, dass die Legitimation, dagegen vorzugehen, größer ist, als die Legitimität durch demokratische Verfahren, auf die die Regierung sich stützt. Dieses Argument ist nicht so leicht vom Tisch zu wischen, aber auch genauso schwer zu begründen. Am Ende würde es darauf hinauslaufen, dass jeder Einzelne sich selbst legitimieren und könnte und demokratische Legitimation negieren könnte. Dann muss man sich aber fragen, ob man die Konsequenzen tragen will. Dann kann man auch gegen Selbstjustiz nicht vorgehen und außerdem könnte dann jeder verrückte Nazi, der ein Asylbewerberheim anzündet, das gleiche Argumentationsmuster wählen. Es ist jedenfalls klar, dass man damit eine Büchse der Pandora aufmachen würde, von der man sich fragen muss, ob sie nicht besser geschlossen bleibe.

Ein drittes Beispiel für Begründungen, mit denen das Legitimitätsproblem negiert werden könnte, wäre etwa: die demokratischen Legitimationen wechselnder Regierungen seien doch ohnehin nur etwas für Menschen, die das System schon akzeptiert haben. Letztendlich sind ja nicht Regierungen entscheidend, sondern ein globaler Kapitalismus, in dem die Reichen die Mächtigen sind – und die Mächtigen die Reichen –, die die scheinbare Rechtmäßigkeit von demokratischer Macht ja nur benützen, um die große Unrechtmäßigkeit ihrer Herrschaft zu verschleiern.

Im Kapitalismus ist der Kapitalismus herrschend, und der hält sich halt Regierungen.

Mit dieser Argumentation kann ich natürlich nicht nur Opposition und Protest begründen, sondern auch Widerstand.

Ich habe ja den Vorteil, dass ich hier nur nachdenken muss, ohne Lösungen für alle schwierigen Themen anbieten zu müssen, die ich berühre. Denn ich selbst kann mir ja durchaus vorstellen, Widerstand und nicht nur Opposition und Protest zu leisten, auch gegen das Handeln demokratischer Regierungen. Nur ein Beispiel: Die Asylgesetze in diesem Land sind sicherlich demokratisch legitimiert und damit auch die Durchführungsverordnungen, auf denen Abschiebebescheide beruhen. Nun kann ich gegen diese Abschiebebescheide opponieren oder protestieren, indem ich eine Demonstration vor dem Bundeskanzleramt organisiere – habe ich schon gemacht in meinem Leben. Ich kann aber auch Widerstand leisten, indem ich mich auf die Straße vor dem Abschiebegefängnis setze, um eine konkrete Abschiebung zu verhindern – habe ich auch schon gemacht in meinem Leben. Wenn man die Dinge durchdenkt, hat man bei letzterem möglicherweise ein Legitimationsproblem. Ich würde mich aber wahrscheinlich genauso wieder hinsetzen. Ambivalenzen zu beschreiben, heißt eben auch Schwierigkeiten zu berühren, auf die man nicht sofort eine einfache oder auch nur zufriedenstellende Antwort hat.

Ambivalenzen der Widerständigkeit ist heute mein Thema, und es gibt noch ein paar Weitere:

In Demokratien sind dann Parteien an der Macht, gegen die wir „Widerstand“ leisten wollen – also, beispielsweise rechte oder autoritäre Regierungen –, wenn andere Parteien daran gescheitert sind, eine Mehrheit zu gewinnen. Das ist meist nicht nur deshalb der Fall, weil diese rechten Parteien so gut sind oder die Menschen, die sie gewählt haben, so blöd oder böse und verroht, sondern weil die Parteien, die Alternativen dazu sein müssten, so schlecht sind. Oder nicht gut genug darin, Menschen für sich zu gewinnen. Das ist dann auch deshalb der Fall, weil sie nicht packend und begeisternd sind, weil sie keine positive Botschaft oder ein Gesellschaftsbild zeichnen können, für das die Mehrheit der Wähler stimmen würde. Dies bringt erst Parteien an die Macht, gegenüber denen wir sagen: NEIN. Da sind wir DAGEGEN!

Und das ist natürlich in gewissem Sinne ein Problem. Es verlängert das Problem, das eigentlich dafür verantwortlich ist, dass es überhaupt entstanden ist, das Problem. Weil demokratische, progressive Parteien nicht begeisternd genug sind, kommen rechte Parteien an die Macht, und weil rechte Parteien an der Macht sind, gibt es Protest oder Widerstand, der sich meist damit begnügt NEIN zu sagen. Der gut darin ist, dagegen zu sein, aber schlecht darin ist, eine packende positive Alternative zu formulieren.

Wir können das natürlich als spezifische Ausformung des Problems ansehen, das ich zu Beginn schon formuliert habe, dass die Auflehnung immer in das verstrickt bleibt, wogegen sie sich auflehnt. Das Widerstand da ist, wo Macht ist, weil wo Macht ist, Widerstand ist.

Ist also Dagegensein nicht genug? Und da können wir an den großen Philosophen Frank Stronach erinnern. Sie erinnern sich, der gesagt hat „Auftragsmörder – Todesstrafe“.

Der hat auch gesagt: Du bist immer so Negativ! Wo bleibt das Positive!
Eine kleine Unterkategorie dieses Dilemmas ist das Dilemma des Verteidigens des Erreichten.

Aber zunächst gibt es auch genügend Gründe und Konstellationen, wo man sagen kann: Es ist das Gebot der Stunde, einfach den zivilisatorischen und demokratischen Status Quo gegen Verschlechterungen zu verteidigen.
Etwa: Die Errungenschaften einer pluralistischen Demokratie, den Rechtsstaat, aber auch den Wohlfahrtsstaat, die Menschenrechte, ja, oder so einfache Sachen wie den Anstand gegen DIE ZUSTÄNDE zu verteidigen.

Aber wenn Linke und radikale Demokraten, die immer die Gesellschaft verändern, verbessern wollten, die alle Verhältnisse umstürzen wollten, in denen der Mensch ein geknechtetes, verächtliches Wesen ist.. Wenn die, die umstürzen wollten oder radikal reformieren wollten, plötzlich zu Verteidigern des Status Quo werden.

Ist ein Problem.

„Dass es gerade jetzt tatsächlich darauf ankommt, Institutionen und Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats gegen rechte Ressentiments und Verschwörungstheorien zu verteidigen, ist keine Frage“, schrieb Mark Siemons unlängst in der FAS. Aber dann droht auch zugleich eine tödliche Gefahr: „Die Bravheit kann zur Falle werden.“

Das ist natürlich eine Falle des Verteidigens, und dazu gibt es die Falle des Dagegenseins. Wobei man auch vorsichtig sein sollte, hier einen Positivismuszwang zu etablieren. So von der Art:

Sei nicht nur dagegen, sag, wie mans besser macht.

Schon Adorno musste sich damit herumschlagen, der erwiderte: „Unterstellt wird, dass nur der Kritik üben könne, der etwas Besseres anstelle des Kritisierten vorzuschlagen habe… Durch die Auflage des Positiven wird Kritik von vornherein gezähmt und um ihre Vehemenz gebracht.“

Da kommt doch eine interessante Überlegung ins Spiel: Woraus wächst Energie? Adorno spricht von Vehemenz. Und damit von einer Energie, die aus dem Dagegensein erwächst. Aus der leidenschaftlichen Ablehnung ablehnungswürdiger Zustände. Kommt die Leidenschaft aus der Ablehnung oder aus der Begeisterung über mögliche positive Alternativen der Zukunft?

Aber wenn wir diesen Tour d’Horizon der Ambivalenzen von Widerstand abrunden wollen, dann ist natürlich nicht die Bravheit die alleinige Gefahr, sondern, naja, wie soll man es nennen: die Wildheit vielleicht?

Widerstand hat seine eigenen romantischen Bilder. Die Bilder von Militanz. Die Bilder von Street Fightern, brennenden Barrikaden, so eine Art Krieg in den Straßenschluchten. Wenn es keine brennenden Barrikaden gibt, dann zumindest brennende Bengalos, macht sich gut auf den Bildern. Eine Romantik des Kämpfers, manchmal sogar eine Romantik der Gewalt. Diese kulturellen Zuschreibungen, die man so kennt, Projektionen, von Guerilleros in den Bergen, bis hin zur RAF oder auch der Straßenmilitanz, die sind ja, denkt man darüber nach, sehr viel näher an den Bildern autoritärer, rechter Romantik, als uns recht sein kann. Allein von den Männlichkeitsidealen her, aber auch von den Argumentationsreihen her, mit denen die Militanz gerechtfertigt wird:
Gerechte, die die Sache in die eigene Hand nehmen. Sich nicht an Regeln halten. Dass Opfer gerechtfertigt sind, denn wo gehobelt wird da fliegen Späne. Dass es nur die Schwächlinge sind, die nicht radikal genug sind, die sagen, hey vielleicht versuchen wir es friedlich. Es gibt Welten, in denen hat nicht der wilde Umstürzler erklärungsbedarf, sondern der gemäßigte Reformer. Der muss dem Verdacht begegnen, ein Warmduscher zu sein.

Dabei wissen wir aus Studien von Demokratieforschern, von linken Demokratieforschern, und zwar zahlreichen Studien, da gibt es gar keinen Zweifel daran, dass die friedliche Opposition, der gewaltfreie Widerstand in der Geschichte sehr viel erfolgreicher war, als der militante Widerstand.
Nicht nur, weil die quasi militärische Insurgenz zu militärischen Strukturen führt, die, wenn die Auflehnung denn erfolgreich ist, dann den Erfolg der künftigen Gesellschaft untergräbt. Guerilleros werden eher dann selbst eine diktatorische Herrschaft etablieren als friedliche Aufstandsbewegungen. Sagen wir, vergleichen wir mal das Modell Castro mit dem Modell Havel, oder auch mit dem Modell Lula. Aber gut, das ist jetzt ein Nebenaspekt.

Heute, aber auch in der Geschichte, zeigt sich, dass friedliche Aufstände eher zu einem Erfolg führen als gewaltsame.

Ist ja auch logisch. Gewaltfreie Proteste können Mehrheiten von Gesellschaften mobilisieren, gewaltsame schrecken die große Mehrheit ab oder halten sie auf den reinen Zuschauerrängen.

Gewaltsame Proteste erleichtern es den Herrschenden, die Oppositionellen als gefährliche Terroristen zu denunzieren und deren gewalttätige Unterdrückung in den Augen der Mehrheit zu rechtfertigen.

Gerade die gewaltsame Unterdrückung friedlicher Proteste können aber im Gegenteil die Legitimität der Herrschenden massiv untergraben.

Und die Geschichte zeigt, dass meist dann Protestbewegungen erfolgreich sind, ja so erfolgreich sind, dass stabil geglaubte Herrschaft oft innerhalb von Tagen zusammen fällt wie ein Kartenhaus.

Wenn sie Protest unterdrückt und sich die Empörung der Mehrheit darüber gegen sie wendet.

Das ist in Demokratien so, aber das ist sogar in Diktaturen so.

Deshalb ist gewaltfreie Opposition in Demokratien sowieso immer erfolgreicher, aber sogar in autoritären Herrschaftssystemen ist sie in der Mehrheit der Fälle erfolgreicher als militante Opposition.

Jetzt hab ich mehr als eine halbe Stunde schon über die Ambivalenzen von Widerstand gesprochen, und sie werden jetzt sagen:

Hearst, jetzt hat der ja nur gegen den Widerstand gesprochen!

Und das erinnert mich an eine kleine, amüsante Geschichte von Victor Adler, dem Gründer und Einiger der österreichischen Arbeiterpartei und der Sozialdemokraten. Seinem Freund Kautsky berichtete er einmal amüsiert, er habe letzthin zehn Vorträge über die sozialistische Programmatik gehalten und nach einer dieser Reden sagte „ein gescheiter Genosse zu mir: Ja, Sie reden ja nicht über sondern gegen das Programm! Es waren nämlich intelligente Leute da und da habe ich mich in die Wut hineingeredet, einige von unsern Sätzen als Generalisierungen aufzuzeigen und ihnen zu zeigen, dass die Sachen nicht so sind, wie bei der Äpfelfrau… und schlechtere Sozialdemokraten sind wir alle nicht geworden!“

Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Und lassen Sie mich die Begriffsscholastik hinter mir lassen.

Widerstand und Freiheit. Widerstand, Auflehnung, die Unangepasstheit, die Empörung über und der Kampf gegen empörungswürdige Zustände – das ist ein Kampf für die Freiheit.

Aber es ist auch schon ein Kampf in Freiheit, ein Akt der Freiheit. Der Kampf um die Befreiung ist in Nuce schon die Befreiung selbst.

NEIN sagen ist auch ein existenzieller Akt.

In der Revolte steckt schon die Freiheit des erst zu befreienden Subjektes.
Dem, wie Marx das nannte, und ich hab es oben schon eingeflochten, dem „kategorischen Imperativ folgend, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“

Wer sich auflehnt steht anders in der Welt als der der sich krümmt, beugt, der alles hinnimmt.

Die Freiheit unter den Zuständen, in die wir gesetzt sind, verwirklich sich darin, sich den Zuständen zu widersetzen, in die wir gesetzt sind.

Und wer sich auflehnt, kann sich auf Jahrtausende des kulturellen Gedächtnisses stützen, etwa auf die Propheten des alten Judentums, die mit Pathos und Wut gegen die Mächtigen ihrer Zeit aufstanden. Auf Jesaija etwa, der sagte: „Lernet Gutes tun, trachtet nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht, führet der Witwen Sache!“ Oder auf Jesus von Nazareth und sein Wort: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Widerstand ist ein Akt der Befreiung, und beginnend mit dem widerständigen Subjekt. Der Widerstand gegen Zustände, die Menschen in Unfreiheit halten, ist selbst schon ein Akt der Selbstbefreiung. Die Revolte, sagt Albert Camus, „ist die Weigerung des Menschen, als Ding behandelt zu werden.“

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