Denkmalsturz

Arbeit am nationalen Gedächtnis, oder: Wie kann man mit Fingerspitzengefühl einen Vorschlaghammer bedienen?

Falter, Juni 2020

Wenn Revolutionen aufbrausen, dann fallen immer auch die Denkmäler, und das ist auch gut so. Hitler-Plätze gibt es in unseren Städten keine mehr und in den vergangenen dreißig Jahren sahen wir überall Statuen wackeln und dann kippen: Lenin-Statuen, die letzten Stalin-Denkmäler, auch die grobkornigen Bilder des kippenden Saddam-Hussein-Standbildes haben viele von uns noch vor Augen.

Ganz ähnlich erging es jetzt auch dem reichen Sklavenhändler aus Bristol, den eine Menge bei einer Antirassismus-Demonstration vom Sockel holte und ins Meer warf. Vandalismus? Hätte man alle Standbilder stehen gelassen, die jemals errichtet wurden, in unseren Städten stünden viele finstere Gesellen herum. Spontaner Volkszorn, der Verbrecher vom Sockel holt – er hat sowieso seine eigene politische Energie und sein eigenes Recht.

Freilich: In unseren Städten stehen genügend Denkmäler herum, die wir heute so nicht mehr errichten würden. Reiter- und Kriegerdenkmäler irgendwelcher Aristokraten und Heerführer, scheinbar unschuldige Standbilder unserer großen geistigen Vorväter, Leute mit zweifelhafter historischer Bilanz von Karl Lueger bis Che Guevara.

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Nun gibt es bei diesen Figuren in den Grauzonen eine ganze Fülle an Abstufungen: Leute, die schon zu Lebzeiten sinistre Typen waren wie der Antisemit Lueger, der zugleich populistischer Hetzer als auch erster frei gewählter Bürgermeister von Wien und geistiger Gründervater der ÖVP-Vorgängerpartei war; Leute, deren historische Bedeutung wir heute anderes beurteilen als zu ihren Zeiten, weil wir sensibler geworden sind. Irgendwelche Typen, die uns sowieso gar nichts mehr bedeuten und an denen wir unachtsam vorbei gehen.

Nicht jeder prägt durch seine Präsenz das nationale Gedächtnis, auch wenn jede Errichtung seinerzeit eine planmäßige Arbeit am nationalen Gedächtnis war. Aber selbst der unbekannteste Säulenheilige formatiert noch das nationale Gedächtnis, weil wir einen bestimmten Typus auf den Sockel stehen haben und bestimmte Typologien eben nicht. Letztlich ist Prinz Eugens Reiterstandbild am Heldenplatz völlig unerheblich, weil es die meisten von uns ihn nicht einmal mehr wahrnehmen, aber die ideologische Präsenz der Türkenkriege in den nationalen Geschichtserzählungen hat dennoch bis heute ihre Auswirkungen auf die subtile Markierung von muslimischen Zuwanderern als irgendwie „nicht dazu gehörig“. Und stellen wir uns nur einen Augenblick vor, statt Prinz Eugen stünden hier Victor Adler oder Johanna Dohnal, um nur zwei der größten Figuren der letzten Jahrhunderte zu nennen. Oder der erste türkische Gastarbeiter mit seinem Koffer, wie er am Südbahnhof ankam.

Für jeden, der irgendwo rumsteht, steht ein Alternativdenkmal eben nicht herum.

Die Sache wird noch kompliziert durch den Umstand, dass sich in den vergangenen Jahrhunderten nicht nur unser Verständnis der historischen Figuren selbst verändert hat, sondern bei den allermeisten auch unser Verständnis von Denkmälern selbst. Wir haben eine Skepsis gegenüber Heldenerzählungen, weshalb wir keine zentralen Denkmäler historischer Anführer auf unsere Plätze stellen. Denkmäler nationalen Stolzes sind selten geworden, Erinnerungsorte nationaler Schande gängiger. Wir erzählen keine Erhabenheit mehr, sondern die Geschichten unserer Läuterung. Auch letzteres kann gelogen sein.

Weder gibt es ein Kreisky-, noch ein Dohnaldenkmal und auch Elfriede Jelinek wird eher nicht in eine Blickachse mit Goethe und Schiller als Beton- oder Stahltrum gerückt werden, trotz Literaturnobelpreises. Die Überhöhung von Personen zu Identifikationsfiguren hat als bloßer Vorgang seine Unschuld verloren. Verständlich. Aber auch gut? Leute wie Rosa Jochmann, um nur ein Beispiel zu nennen, täten uns als Heldinnenfiguren womöglich sogar ganz gut, statt sie dem Vergessen anheim fallen zu lassen.

Aber wir wissen natürlich nicht nur, dass die Heldentümlerei ihre fragwürdigen Seiten hat, sondern dass immer irgendetwas mitverhandelt wird, wenn Leute auf den Sockel gehoben werden. Auch die Goethe- und Schillerdenkmäler sind ja weniger unschuldig, als wir glauben: deutschen Geist und deutsche Sprache zu feiern, den Mythos einer „Kulturnation“ zu etablieren, das hatte immer auch zur Absicht, eine Rangordnung der Ethnien zu behaupten, Deutschtümelei zu betreiben.

Aber die Skepsis gegenüber Heldengeschichten und der Identifikationsbildung durch nationale Gedächtnisübungen hat ihre seltsamen Folgen: Es werden die alten Denkmäler stehen gelassen (die wir heute natürlich nicht mehr errichten würden), aber keine neuen gebaut. So entsteht zum steinernen Anachronismus kein Gegengewicht im Städtebild. Eine Vergangenheit, die buchstäblich nicht vergehen will.

Noch etwas macht die Sache schwierig: Unsere Gesellschaften sind ja durch keinen Konsens getragen, sondern durch weltanschauliche und ethnische Diversität. Aber wo sehen Zuwanderer ihren Beitrag zur gemeinsamen kulturellen Identität des Landes im Stadtbild? Glauben wir wirklich, dass ein türkischstämmiges Mädchen dritter Generation, mag sie auch genau das verkörpern, was heutiges, zeitgenössisches Österreichertum ausmacht, sich besonders innig auf eine Geschichte von Habsburgertum, Prinz Eugen und Königsgrätz bezieht?

Zugleich werden wir unter eher linksliberalen Wienern schnell eine Mehrheit dafür gewinnen, Karl Lueger von seinem Sockel zu hieven, wohingegen Christlichsozialen, mögen sie sich auch für seinen rabiaten Antisemitismus längst schämen, dieser Mann doch etwas bedeutet. Ihn weg zu räumen, würde dann schnell als „Demütigung“ in einem symbolischen Kampf um die kulturelle Erinnerung verstanden werden. Massive Eingriffe dieser Art wären besser von einem Konsens getragen, doch wie wir aus der Geschichte wissen, gehen sie einem Konsens eher voraus.

Soll heißen: Würde man ihn jetzt zum Restmüll schaffen, gäbe es einen absurden Kulturkampf, ist er aber einmal weg, dann geht er bestimmt niemandem mehr ab – inklusive derer, die ihn jetzt verteidigen.

Großmut auch gegen den fragwürdigen Spuren der Geschichte – das ist sicherlich eine Tugend. Aber die Tugend kann in die konservative Verteidigung des Bestehenden umschlagen, weil dann einfach nichts verändert wird.

Ein Spannungsfeld, durch das man sich dennoch besser tastend als mit dem Vorschlaghammer bewegt, was durch eine ironische, aber gerade in ihrer Unernstgemeintheit brillanten Idee des Künstlers Banksy illustriert wird. Der schlägt vor, das Sklavenhänderdenkmal von Bristol neu zu errichten. Mit dem Sklavenhändler im Moment, in dem sein Denkmal stürzt – und drei Bronzefiguren, die ihn vom Sockel holen, zugleich aber natürlich in denkmalstatischer Hinsicht stützen.

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