Das Fiasko des Westens

Zwanzig Jahre Besatzung in Afghanistan endeten in einem Debakel. Aber was ist die Lehre daraus?

Seit dem Fiasko des Westens in Afghanistan und der Machtübernahme der Taliban im ganzen Land begegnet man einer bemerkenswerten Seltsamkeit: Viele Leute, die ansonsten den „US-Imperialismus“ oder die westliche „Weltpolizei“ kritisieren, werfen nun den Amerikanern vor, dass sie aus Afghanistan abgezogen sind. Also was jetzt? Wenn die Amerikaner einmarschieren, ist es schlecht, wenn sie raus marschieren aber auch? Ganz logisch ist das nicht, aber dieser Mangel an Logik ist auch Ausdruck eines realen Dilemmas.

Zunächst: Das Debakel ist vor allem dem verrückten Ex-Präsidenten Donald Trump zu verdanken. Er hat mit den Taliban den Abzug verhandelt und ist der Terrortruppe auch noch absurd entgegengekommen. Er hat den Abzug der letzten US-Soldaten mit 1. Mai verfügt. Der gegenwärtige Präsident Joe Biden hat das Fiasko also geerbt. Schwer zu sagen, was er noch machen hätte können: Schließlich waren, als er antrat, nur mehr ein paar wenige tausend US-Soldaten im Land, hätte er den Abzugplan noch einmal umstoßen wollen, hätte er wohl zehntausende Militärs zusätzlich nach Afghanistan entsenden müssen. Aber er wollte das ja gar nicht. Denn von Details abgesehen war er ja durchaus der Meinung, dass es Zeit ist, den Einsatz in Afghanistan zu beenden. Zwanzig Jahre Krieg sind genug. Man kann nicht ewig bleiben. Das ist die Haltung der neuen US-Regierung von Joe Biden. Mehr noch: Es ist wohl die Meinung der meisten Amerikaner. Da sind sich sogar die ganz Linken und die ganz Rechten einig.

Vor 20 Jahren stürzte eine Nato-Intervention die Taliban, vertrieb die Terroristen von Osama bin Laden und besetzte das Land. Das war unmittelbar nach den Anschlägen vom 11. September, die aus dem Land heraus geplant wurden. Zu diesem Krieg gab es damals kaum eine Alternative. Denn es ist einfach, zu sagen, dass sich die USA und der Westen nicht „überall einmischen“ sollen. Aber hätte man Osama bin Laden und seine Unterstützer davonkommen lassen, die Kopfabschneider der Taliban gewähren lassen sollen? Man muss da schon fragen, was die Alternative gewesen wäre.

Zwanzig Jahre Besatzung und der Versuch des Aufbaus einer pluralistischen, demokratischen Zivilgesellschaft haben nicht gereicht. Innerhalb von wenigen Wochen ist das Land wieder in die Hände der Taliban gefallen, ohne dass die Marionetten-Regierung und deren Sicherheitskräfte sich auch nur erkennbar gewehrt haben. Der Westen hat hier eindeutig viele Fehler gemacht und auf die Falschen gesetzt. Zugleich sind Generationen von jungen Menschen in gute Schulen gegangen, es gab ein regelrechtes Bildungswunder, Mädchen und Frauen haben Universitäten besucht, die Künstler, Filmemacherinnen haben bemerkenswertes geleistet, freie Medien sind aufgeblüht. Insofern stimmt es nicht, dass die zwanzig Jahre „gar nichts“ gebracht hat. Es ist eher eine große Tragik: Hunderttausende Menschen stehen jetzt schutzlos da, versuchen verzweifelt, aus dem Land zu kommen. Und das, was erreicht wurde, wird wieder zurückgedreht.

Ja, westliche Interventionen zum Sturz von Terrorregimes gehen meist eher schlecht aus. Bestenfalls schaffen sie kleine Fortschritte, schlimmstenfalls „gescheiterte Staaten“, in denen alles zusammenbricht. Aber einfach zuzusehen, Leid, Terror oder gar Völkermorde einfach geschehen lassen, ist auch nicht gerade eine prima Alternative.

Dieses tragische Dilemma bleibt.

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2 Gedanken zu „Das Fiasko des Westens“

  1. Ganz so einfach ist es nicht. Die Taliban haben mit ihrem Durchmarsch eine Abstimmung mit den Füßen erzwungen. Das die Bevölkerung, jedenfalls die Paschtunenmehrheit abseits der Städte nur die Drohnen und Bomben des Westens erleben, die Mullahs uneingeschränkt hetzen durften, war den (hilfreichen) Mujahedin geschuldet. Auch der Mohnanbau und dessen Profiteure (Warlords), die ja von den Amis als Bodentruppe für die Drecksarbeit gebraucht wurden hatte seinen Beitrag dazu erbracht.
    Das Afghanistandebakel ist eigentlich als Putsch gegen die Linksregierung Mitte der siebzigern Jahre gestartet uns so eine direkte Folge des Kalten Krieges.

  2. Ob die USA den von ihnen inszeniert-propagierten „Krieg gegen den Terror“ gewonnen haben, ist fragwürdig. In der Tat haben seit 2001 im so genannten Nahen Osten – und dazu gehört nicht nur Afghanistan – real 800.000 Menschen ihr Leben verloren (Schätzung der Brown University von Ende 2019).
    Gewonnen haben die USA allerdings mit Sicherheit einen wesentlichen (Kriegs-)Schauplatz: Über die mit ihnen liierten Massenmedien wurde in den Köpfen der diese Konsumierenden ein 365. des Jahres, also der 11. September, mit der Formel „9/11“ / „Nine Eleven“ hegemonial ikonisiert besetzt.

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