Der verglühte Jungstar

Sebastian Kurz war der Strahlemann der Konservativen. Jetzt sagt einer seiner Prätorianer als Kronzeuge gegen ihn aus. Es wird eng für den Ex-Kanzler – und für seine Partei.

Die Zeit, Online, 20. Oktober 2022

Es war nur eine dürre Mitteilung der „Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft“, aber sie schlug am Dienstag wie eine Bombe ein. Thomas Schmid, einstiger Generalsekretär im Finanzministerium, selbsternannter „Prätorianer“ von Sebastian Kurz und Zentralfigur im Wiener Skandalsumpf habe in 15 Sitzungen umfassend ausgesagt und bemühe sich um den Kronzeugenstatus. Die Treffen haben streng klandestin stattgefunden. Unmittelbar darauf wurden die 454 Seiten Vernehmungsprotokoll in den elektronischen Akt genommen. Es dauerte nur mehr einige Stunden, bis die Aussagen kursierten.

Jetzt hat er es also getan – Thomas Schmid, der einstige Mister Wichtig, der Gott und die Welt kannte, Netzwerke knüpfte und Tag und Nacht kommunizierte, vorzugsweise per Textnachricht. Es ist der schlimmste Albtraum der ÖVP, und er ist wahr geworden. Schmid packt aus.

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Alles begann in Ibiza

Seinen Ausgangspunkt nahm die ganze Causa 2019 mit der legendären Ibiza-Affäre. Sebastian Kurz‘ ÖVP regierte bis dahin mit der extrem rechten FPÖ und führte das Land auf einen autoritären Rechtskurs a la Trump und Orban. Doch dann kam das Video heraus, in dem FPÖ-Vizekanzler Heinz-Christian Strache und sein Fraktionschef in einer Finca auf Ibiza mit einer gefakten russischen Oligarchennichte schmutzige Deals besprachen und auch noch feuchtfröhlich über die halbseidenen Praktiken im polit-ökonomischen Komplex schwadronierten. Die Koalition zerbrach, eine Notregierung wurde eingesetzt und die Ermittler nahmen ihre Arbeit auf. Nach den FPÖ-Politikern kamen schnell ÖVP-Strippenzieher in den Fokus der Fahnder. Mobiltelefone, Datenträger und Akten wurden beschlagnahmt und mit jedem Ermittlungsschritt gab es Indizien für neue dreckige Vorgänge, von Postenschiebereien bis Amtsmissbrauch und Untreue, von Bestechung bis Bestechlichkeit.

Thomas Schmids elektronischer Datenschatz – rund 300.000 Textnachrichten (!) – war bald die Quelle Nummer Eins für die Ermittler. Schmid war nicht nur eine wichtige Drehscheibe in der türkisen ÖVP-„Familie“ (Eigendefinition) um Sebastian Kurz, er hatte auch eine extrovertierte und aufgeblasene Art, und ein schier endloses Mitteilungsbedürfnis. Und dann kam auch noch Pech hinzu: Als die Gefahr näher rückte, löschte er zwar seine Mobiltelefone, vergaß aber das Backup auf einer Apple-Konsole. Schmid hat sogar auf Whatsapp stolz geschrieben, dass er alle seine bisherigen Whatsapp-Nachrichten gelöscht hätte. Der Mann ist ein Talent.

Von der Regierungs- auf die Anklagebank?

Fänge und Beifänge der Fahnder haben seither zu Ermittlungen gegen das halbe ÖVP-Establishment geführt. Gegen zwei ehemalige Finanzminister laufen Verfahren, gegen viele andere Ex-Regierungsmitglieder und Kabinetts- und einstige Kanzlermitarbeiter, gegen Spitzenmanager, einstmals allmächtige Beamte in der Justiz, Verleger von Boulevardmedien und Wirtschafts-Tycoons wie den Austro-Oligarchen Siegfried Wolf und den Immobilien- und Kaufhaus-Magnaten René Benko. Die vormalige Familienministerin und Meinungsforscherin Sophie Karmasin saß sogar einige Wochen in Untersuchungshaft, ähnlich erging es einer ihrer Geschäftspartnerinnen. Seit mehr als einem Jahr schon ist die ÖVP – die seit den Wahlen von 2019 in einer Koalition mit den Grünen regiert – in einem Affärenstrudel und in heller Panik. Dass es der einstigen Staatspartei wie der italienischen Christdemokratie ergehen könnte, die nach Skandalorgien einfach untergegangen ist, ist nicht mehr auszuschließen.

Den einstigen Strahlemann Sebastian Kurz haben die Ermittlungen im vergangenen Jahr erreicht. Gegen Kurz wird wegen falscher Zeugenaussage vor einem parlamentarischen U-Ausschuss ermittelt. Und wegen „Bestimmungstäterschaft“ in einem Komplex von Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Dabei geht es um frisierte Umfragen, die Kurz helfen sollten, aber vom Finanzministerium missbräuchlich finanziert beziehungsweise mit Hilfe von Inseratengeldern im Boulevardblatt „Österreich“ platziert worden sein sollen. Selbstredend beteuern die meisten Beteiligten ihre Unschuld – außer eben Thomas Schmid, der in seinen Einvernahmen die Anschuldigungen bestätigte. Und auch die Verwicklung – ja, die Beauftragung – durch Sebastian Kurz.

Kurz musste im Vorjahr zurücktreten, konnte aber noch darauf hoffen, dass die Ermittlungen nicht zur Prozessreife gedeihen würden. Kurz muss sich jetzt wohl auf einen Prozess einstellen. Im schlimmsten Fall droht ihm eine lange Haftstrafe. Wie vergiftet das Klima der einstigen rechtskonservativen Jungmännerseilschaft um Kurz längst ist, zeigt ein Detail: Mittwoch legte Kurz hektisch das Transkript eines Telefonats vor, das er im Vorjahr mit Thomas Schmid führte. Er hatte es also heimlich mitgeschnitten. Es soll beweisen, dass Schmid bei der WKStA wahrheitswidrig ausgesagt hat.

Verschworene, ruchlose Truppe

Jetzt brennt der Hut, da die konservative ÖVP bisher nicht den Mut fand, einen scharfen Schnitt zur Kurz-Ära zu ziehen. Dabei sind nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz auch seine engsten Vertrauten aus der Regierung ausgeschieden, und die ruchlose Jungmännerpartie um ihn ist auch zu einem großen Teil aus den Ministerien verschwunden. Aber noch immer setzt die ÖVP auf Blockieren, Vernebeln, auf das Bestreiten des Geschehenen. Kanzler Karl Nehammer will sich einerseits von der Kurz-Ära absetzen, scheut aber den scharfen Schnitt. Dabei wäre es seine einzige Chance, sich als der zu positionieren, der aufräumt und für Sauberkeit sorgt. Die Sache wird noch heikler durch den Umstand, dass Schmid in seinen Aussagen auch zwei heute noch aktive Spitzenfiguren der ÖVP belastet, nämlich den Parlamentspräsidenten und den aktuellen Fraktionschef. Einstige Vertraute werden ab jetzt aufeinander los gehen, um ihren Kopf zu retten. Schmid wird von Kurz jetzt schon als Lügenbaron dargestellt. Dass weitere Beteiligte singen werden, ist naheliegend. Die Situation ist fragil, da der Koalitionspartner, die Grünen, von der ÖVP mit in die Grube gezogen wird. Sie können sich zwar zugutehalten, dass sie die Korruptionsermittler ungestört arbeiten lassen und den Rücktritt von Sebastian Kurz vor einem Jahr erzwungen haben – aber ihre Wählerschaft hat dennoch schwer zu schlucken. Eine Enthüllung mehr, und die Koalition kann täglich krachen.

Die Chose ist vor allem ein großes Lehrstück. Geblendet von Erfolgsaussicht hat sich die ÖVP Sebastian Kurz an den Hals geworfen, der zugleich juvenilen Schwung und einen scharfen Rechtskurs versprach, aber nicht mehr verkörperte als den unbändigen, zynischen Willen zur Macht. Umgeben war er mit einer verschworenen Truppe, die meinte, sich an keine Regeln halten zu müssen, die keine schmutzigen Tricks scheute, sich auf ein Klüngel moralbefreiter Prätorianer und reicher Gönner stützte. Und den Staat wie ein Eigentum betrachtete. Die ÖVP war hingerissen von dem pfiffig-schlauen Spiel mit der Niedertracht.

„Wir haben Dinge gemacht, die nicht in Ordnung waren“, sagte Thomas Schmid jetzt laut Vernehmungsprotokoll aus. Und fügte hinzu: „Ein ganz wesentlicher Punkt, der mich auch zum Umdenken bewegt hat, war, dass meine Mutter zu mir gesagt hat, wir haben dich so nicht erzogen.“
Geflunkert oder nicht – in Wien wird jetzt die Mutter gefeiert.

Ein Gedanke zu „Der verglühte Jungstar“

  1. Sehr geehrter Herr Misik,
    VIELEN DANK für Ihren EXZELLENTEN Kommentar, dem nur ein einziger Satz hinzuzufügen ist:
    „Tu felix Austria, wo bist du nur hingeraten ?“

    Beste Grüße aus Krems an der Donau
    Christoph Brenner

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