Nieder mit der Heizung!

Die Spinner nicht reizen? Über die ewig komplizierte Dialektik von Mäßigung und Radikalität.

taz, das Schlagloch. Juni 2023

Häufig kursieren in den Sozialen Medien lustige Memes von der Art: „>Viele Zitate im Internet sind erfunden< (Julius Cäsar)“. Gut, das ist deutlich erkennbar erfunden, obwohl auch darauf manche Leute reinfallen. Längst tut man sowieso gut daran, allen Zitaten zu misstrauen. Ehrlicherweise muss man aber auch einräumen, dass es nicht das Internet gebraucht hat, um Falschzitate zu verbreiten. Manchmal hilft das Internet sogar, verfestigtes Falschwissen zu untergraben. Eines meiner Lieblingszitate des großen Ökonomen John Maynard Keynes ist seit vielen Jahren: „Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?“ Leider beging ich unlängst den Fehler, die Quelle zu googeln, was in der schockierenden Entdeckung mündete, dass auch das ein Falschzitat ist und kein Keynes-Diktum. Sehr verdient um die Enttarnung von Falschzitaten hat sich in den letzten Jahren der Wiener Literaturwissenschaftler und Karl-Kraus-Forscher Gerald Krieghofer gemacht. Jeden Sinnspruch legt er in Trümmer, gelegentlich schafft er aber auch die zweifelsfreie Beurkundung des ungefähr Bekannten. So fand er für ein bisher mehr vom Hörensagen kursierendes Zitat des legendären sozialistischen österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky die Ursprungsquelle in einer Ausgabe der „Salzburger Nachrichten“ vom Mai 1976. Der sagte: „Solange ich da bin, wird rechts regiert.“

Kreisky, der eine stark selbstironische Seite hatte, meinte damit: Man dürfe die Leute nicht mit gesellschaftlicher Progressivität, radikalen Plänen und wilder Rhetorik überfordern. Lieber solle man ein gemäßigter Sozialist sein, der dafür Mehrheiten hinter sich versammeln kann, als ein radikaler Sozialist, der wirkungslos bleibt, weil er keine Wahlen gewinnen kann.

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Damit hat er radikale ökonomische Forderungen seiner linken Parteifreunde gemeint (wie konfiskatorische Reichensteuern, weitergehende Verstaatlichungen usw.), aber auch gesellschaftspolitische Modernisierungen von der Frauenemanzipation bis zu liberalen Justizreformen. Kreisky hat beispielsweise die Fristenlösung eingeführt, aber im Grunde musste er von den kämpferischen Frauen in seiner Partei dazu gezwungen werden. Diese und andere progressive Gesetze hatten am Ende viel Unterstützung hinter sich, aber Kreisky hätte damit nicht gerechnet. Ein bisschen ein Hasenfuß war er da schon auch. Übrigens nicht viel anders als der legendäre Anführer der italienischen Eurokommunisten, Enrico Berlinguer. Der gewann eine Volksabstimmung über die Fristenlösung, die er eigentlich nicht wollte, weil er sicher war, diese niemals gewinnen zu können. Und das ist nur ein Beispiel einer einstmals sehr umkämpften gesellschaftspolitischen Reform. Man kann hier die vielen anderen Thematiken, von der Diversität einer Zuwanderergesellschaft, modernen Staatsbürgerschaftsgesetzen, bis zu dem ganzen Komplex der LGBTIQ-Rechte und -Akzeptanz dazu denken.

Regierungskunst besteht ja sowieso immer darin, genau den Weg zu finden, mit dem man das Maximum seiner Programmatik durchsetzt, also diesen Königsweg zwischen ambitionierter Radikalität und beruhigender Mäßigung, und dieser Königsweg ist leider nicht auf Landkarten verzeichnet.

Wenn Robert Habeck heute anmerkt, wie unlängst laut Berichten beim Kölner Philosophie-Festival, dass Ideen untauglicher Schrott sind, wenn sie so radikal seien, dass sie politisch nichts nützen, dann ist das wie ein moderner Nachklang des Kreisky- Aperçus. Der Realismus will seine Ansichten so formulieren, dass sie an die vorherrschenden Meinungen in einer Gesellschaft zumindest anschlussfähig sind. Und außerdem im vorhandenen Set an Institutionen irgendwie umsetzbar.

Völlige Zustimmung, nur gibt es eine kleine Kompliziertheit: „vorherrschende Meinungen“ oder Konventionen sind keine unveränderbaren Konstanten. Je furchtsamer man ist, umso weniger wird man sie vielleicht in eine progressive Richtung verändern. Auch bei Sozialdemokraten gab es in den vergangenen Jahrzehnten starke Stimmen, die drängten, man müsse sich an einen konservativen Zeitgeist anpassen, um stärker zu werden, was aber oft nur dazu geführt hat, dass die Sozialdemokratie schwächer und der rechte Zeitgeist stärker wurde. Gerne wird heute auch angeführt, dass die Progressiven die Wähler:innen mit sozialpolitischen und ökonomischen Themen gewinnen können, sie aber mit zuviel gesellschaftspolitischem Klimbim oder Ökozeugs oder Thematisierung von Transtoiletten oder Self-ID-Gesetzen abschrecken würden. Oft unterschätzt man jedoch die potentielle Fortschrittlichkeit einer Gesellschaft, weil man kein akkurates Bild vom wirklichen Meinungstohuwabohu der Leute hat. Und außerdem haben wir jetzt schon ein paar Jahre lang die Erfahrung gemacht: Wenn Linke in „die Mitte“ rücken, dann führt das nur dazu, dass sich diese „Mitte“ nach rechts verschiebt.

Heute stimmt ja auch die Vorstellung von den „vorhandenen, konventionellen Ansichten“, von denen man sich nicht zu weit entfernen dürfe, nur halb. Die Ansichten sind nicht „vorhanden“, sondern werden von den extremen Rechten in ihrem identitätspolitischen Wahnsinn täglich fabriziert, und die Konservativen dackeln ihnen nach – wenn sie sie nicht zu überbieten versuchen. Heute kann schon die wahnhafte Liebe zur Öl-Heizung in religiöses Eiferertum eskalieren, das muss man sich einmal vorstellen. Diese Spinner malen Poster gegen „die Heizungs-Ideologie“. Bald beten sie Öl-Tanks an. Wenn man diesen Verrückten durch „Mäßigung“ oder sonstige Anpassungsleistungen nachgibt, suchen sie sich eben ein anderes Kulturkampfthema, denn etwas anderes haben sie ja nicht.

Falsch ist dennoch nicht, dass es Maß und Ziel braucht. Man wird die eigenen progressiven Werte erfolgreicher verfechten, wenn man sie in einer Sprache vorbringt, die mit dem Alltagsverstand und den Werten breiter und verschiedener Milieus und Segmente der Gesellschaft eine Verbindung findet. Wer nur für die eigene Peergroup kommuniziert, primär darauf aus ist, in der Bubble der sowieso Überzeugten eine Heldin zu sein, wer im Sektenjargon der eigenen, paar hundert Gleichgesinnten spricht, tut niemand einem Gefallen – außer natürlich der Gegenseite. Der linke US-Linguist George Lakoff hat einmal eine feine Leitlinie formuliert: „Seid authentisch. Steht zu dem, was ihr glaubt. Fühlt Euch hinein in die Leute, mit denen ihr sprecht, und verbindet Euch mit ihnen.“

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