Die Vernunft ist kein Extrem

Vielleicht sollten wir mit dem Begriff „Polarisierung“ etwas vorsichtiger umgehen.

Gern ist ja von der „Polarisierung“ die Rede. Beispielsweise jene, die die drohende Klimakatastrophe als eine ziemliche Gefahr ansehen, und jene, die sie leugnen oder Warnungen als übertrieben ansehen – die wären polarisiert, wird damit irgendwie ausgesagt. Oder anderes Beispiel: Während die FPÖ und Herbert Kickl seit Menschengedenken nichts anderes betreiben als die Menschen gegeneinander aufzuhussen, das Land in ein „Wir gegen Sie“ zu spalten, würde die SPÖ mit Andreas Babler jetzt etwas Ähnliches betreiben. Babler spricht ja gerne von „unseren Leuten“, womit die gemeint sind, für die die SPÖ eine Schutzmacht sein will. Das ist ja auch Polarisierung, wird plötzlich die Nase gerümpft.

Vielleicht sollten wir mit der Polarisierungsdiagnose einfach etwas vorsichtiger sein. Denn eine Polarisierung gibt es gar nicht. Die einen nehmen – sowieso viel zu spät – die Warnungen der Wissenschaft ernst, akzeptieren die Fakten und die Wirklichkeit. Hitzewellen, dauernde Extremwettereignisse, Wassermangel, Ernteausfälle, Überschwemmungen, Regionen, die man bald nicht mehr bewohnen kann. Es gibt die einen, die sagen: Dagegen sollten wir wenn möglich schleunigst etwas unternehmen. Und dann gibt es diejenigen, die sagen: Dagegen sollten wir nichts unternehmen, weil heiß war es früher auch. Die einen fragen: Wo kann man an ein paar Schrauben drehen, damit wir Emissionen senken, damit wir weniger Boden versiegeln, damit wir für Kühlung in der Nacht sorgen? Und die anderen rufen: „Nix, ich lass mich nicht umerziehen“, und beten im Extremfall einen Öltank an.

Ist das denn tatsächlich Polarisierung? Oder ist es nicht so, dass hier eher die Vernunft der Verrücktheit gegenübersteht, die Ernsthaftigkeit dem Unernst?

Aber eines kommt noch hinzu: Der rechte und rechtsextreme Populismus nützt jedes Thema, um sein Geschäft der Aufganselei und Wutbewirtschaftung zu machen. Das ist seine einzige Geschäftsgrundlage. Er will kein Problem lösen, er will jedes Problem schüren und in Treibstoff für seinen Hader verwandeln, den er braucht. Es ist ja geradezu skurril: Erst war es das Virus, dann die Liebe zu Putin, und jetzt die Klage, dass man uns die Freude an 39 Grad vermiesen will. Wenn ausreichend viele Leute, Experten und kundige Menschen zu einem Thema eine einigermaßen ähnliche Meinung im Rahmen des Korridors der Vernünftigkeit äußern, dann wird dieser Rand stets justament das Gegenteil behaupten. Eigentlich egal, worum es geht. Die konkreten Themen sind im Grunde völlig irrelevant. Sie werden sich irgendeine abwegige Ansicht suchen und wenn die noch so skurril ist.

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Die Vernunft würde sagen: Lasst uns, wenn wir ein Problem haben, nach Lösungen suchen. Das wird ohnehin schwer genug. Es wird außerdem ein Gerangel um Kompromisse geben. Und die ganz super optimale Lösung wird es vielleicht auch nicht geben. Lasst uns alle Für und Wider abwägen, aber lasst uns dabei doch wenigstens bei den Fakten und der Rationalität bleiben.

Die Kickls und die ganzen anderen Spitzenverdiener im Wutgeschäft sagen dann: Nein, nein, nein, nichts von all dem, da reiß ich mir mein Beinchen aus!

Wollen wir das wirklich „Polarisierung“ nennen? Ich denke, man sollte, wo immer möglich, konstruktiv sein, und andere meinen, man sollte wo immer möglich den Weg der Zerstörung gehen.

Dass das eine Polarisierung zwischen zwei Extremen sei, ist meiner Meinung nach nicht ganz eine akkurate Beschreibung. Die Vernunft ist kein Extrem.

3 Gedanken zu „Die Vernunft ist kein Extrem“

  1. Sind die Vertreter der Vernunft wirklich so vernünftig?
    Richtig, die Klima-Leugnung ist ganz und gar unvernünftig.
    Aber es reicht nicht, einfach „für öko“ zu sein und sich damit im Recht zu wähnen.
    So ganz nebenbei gibt es auch bei einem vernünftigen Ziel nicht automatisch den richtigen Weg.
    Viele derer, die zu den Vernünftigen zählen, werden genauso unvernünftig wie die Leugner wenn es um den zu beschreitenden Weg geht und haben oft nur ideologische Antworten wie die Theorie des Minuswachstums, die ein Ausgeburt an Unvernunft und Realitätsverleugnung ist.
    Polarisierung ist vielleicht wirklich die falsche Beschreibung, die Erzählung von vernünftig gegen unvernünftig ist richtig, aber die Grenzen verlaufen nicht zwischen den offiziellen „Lagern“, sondern quer durch sie hindurch.

    1. Ja, aber natürlich gibt es dennoch klare Grenzen zwischen den Spielarten des Vernünftigen und des Irrsinns. Dass es gerade in der angesprochen Thematik nicht leicht wird, sowieso schwierige Abwägungen braucht und am Ende Kompromisse, steht ja wörtlich sogar in dem Text.

  2. „Ja, aber natürlich gibt es dennoch klare Grenzen zwischen den Spielarten des Vernünftigen und des Irrsinns. “
    Wie gesagt, sehe ich ähnlich. Die oft im Raum stehende Erzählung aber, Grüne u.ä., wären alle auf der Seite der Vernunft, und die demokratische politische Rechte komplett auf Seiten der Unvernunft, ist erkennbar falsch.
    Die Trennlinie geht quer durch, es gibt auf allen Seiten die Vernünftigen und die Unvernünftigen, sehr grob eingeteilt natürlich, es gibt zahlreiche Abstufungen und Übergänge.
    Mit den Kompromissen haben Sie völlig recht, einfach (in Deutschland) ein Heizungsgesetz hinknallen, daß völlig realitätsfremd ist und noch dazu auf teilkorrupten Strukturen beruht, ist genauso unvernünftig wie etwa das unfreiwillig komische Argument der AfD, das Insektensterben ginge auf die Windräder zurück.

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