Die linke Krankheit

Die Linken sind sehr gut darin, über die eigenen Leute zu nörgeln, und sehr schlecht darin, sie zu unterstützen.

Zackzack, September 2023.

Wir haben, es ist Ihnen wahrscheinlich schon aufgefallen, alle zusammen gerade ein Rendezvous mit der Geschichte. Hat keinen Sinn, das zu ignorieren. Faktisch überall im Westen ist die liberale Demokratie in Gefahr. In Österreich haben wir in 14 Monaten möglicherweise eine Regierung aus FPÖ und ÖVP, mit der FPÖ als stärkster Partei. Wir können das alle zusammen noch verhindern, aber es wird niemand für uns erledigen. Wenn zu viele in der Zuschauerpose verbleiben, bequem am Sofa, die Füße am Stockerl, Chips in der Hand, dann wird das schwierig. Sollte jedem klar sein. Und noch etwas sollte klar sein: Eine Rechtsregierung wird diesmal eher kein ulkiges Experiment, das wir leicht wieder loskriegen. Heute schlagen die extremen Rechten zwar Rhetoriken des Demokratischen an, verkaufen sich als die Fürsprecher des „einfachen Volkes“, tarnen sich als Verwirklicher der „echten Demokratie“, sogar faschistische Meinungen werden eben als „Meinungen“ im Rahmen der „Meinungsfreiheit“ vermarktet, aber das ist natürlich alles nur Rosstäuschei.

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Es geht am Ende um die Gleichschaltung von Medien und Kultur. Wo immer harte Rechte an die Macht kamen, haben sie versucht, die Opposition zu diskreditieren und zu marginalisieren. Mit korrupten Machenschaften haben sie es vollbracht, die demokratische Ordnung so zu verändern, dass sie kaum mehr abgewählt werden können, und weil sie so korrupt sind, müssen sie dann in einem weiteren Zug alles tun, um nie mehr aus den Regierungsämtern entfernt zu werden. Schließlich wissen sie, dass sie in diesem Falle herbe Probleme mit der Justiz bekommen. Weshalb sie auch alles tun, um Gewaltenteilung und Justizwesen so umzubauen, dass vom demokratischen Rechtsstaat nur mehr Kulissen bleiben. Wir sehen das alles bei Viktor Orban mit dem protoautoritären Regime, das er schon ziemlich weit entwickelt hat, wir sehen das bei Benjamin Netanjahu und seinen Justizreformen, wir sehen das in Polen, und wir sahen das bei Donald Trump und seinem regelrechten Putschversuch, mit dem er die Entscheidung des Wählers umdrehen wollte. Und auch Giorgia Meloni beginnt mit einer beispielhaften Gleichschaltung von Kultur und Medien. Kritische Journalisten fliehen mittlerweile schon von den staatlichen Sendern zum Berlusconi-TV, das muss man sich einmal vorstellen.

Die liberale Demokratie steht auf dem Spiel

Machen wir uns nichts vor: Es geht bei all dem nicht darum, dass im Rahmen des demokratischen Systems eben auch mal die Anderen gewinnen (mögen einem die auch noch so unsympathisch sein), sondern es geht um das Überleben des demokratischen Systems selbst, zu dem ja bekanntlich nicht nur die Mehrheitsentscheidung durch Wahlen zählt, sondern Minderheitenschutz, eine Verfassungsordnung, die auch die Regierenden zu binden hat, und Liberalität, Modernität und die Freiheit von Kunst, Medien usw.

Es geht also um viel. Auf die ÖVP ist, wie wir wissen, kein Verlass. Sie hat ihren Kompass verloren. Um an der Macht zu bleiben, würde sie im Notfall mit dem Teufel paktieren.

Nach Lage der Dinge ist es daher eine objektive Tatsache, dass die Sozialdemokratie einen deutlichen Wahlsieg einfahren muss, wenn diese düstere Zukunft abgewendet werden soll. Mit objektiver Tatsache meine ich: Es ist nun einmal so, man muss da nicht einmal Sozialdemokrat sein, um das zu sehen. Grüne hoffen natürlich, dass die Grünen so stark wie möglich werden, Liberale hoffen das selbe für die Neos. Aber jedem muss klar sein: Wenn die SPÖ nicht deutlich stärkste Partei wird, helfen wohl auch 12 Prozent für Grüne oder Neos wenig und auch keine 4 Prozent für die KPÖ. Das ist nun einmal mit ziemlicher Sicherheit so. Die Realität muss einem nicht gefallen, aber man sollte sie zur Kenntnis nehmen.

Andi Bablers Stärken – und seine Defizite

Nach seinem etwas skurrilen Wahlsieg, bei dem ein verheerender innerparteilicher Wettbewerb (der viele Verwundungen schlug) auch noch durch ein Auszähl-Fiasko gekrönt wurde, hat Andi Babler den Uphill-Battle – also den Kampf gegen alle Widrigkeiten – aufgenommen. Er zieht durchs Land, redet fast jeden Tag vor vollen Sälen, spielt seine große Stärke aus. Die ist: Er ist geerdet, ein Kämpfer, ist volkstümlich und strahlt aus, da ist einer, der integer ist und „einer von uns“. Vom Typus ist er ein Menschenfischer, und das geht in dem Fall über die Metapher hinaus. Wenn du 50.000 Leute triffst, und die einen guten Eindruck von dir haben, und jeder von denen erzählt es danach zehn anderen, dann hat das auch in unserer Mediendemokratie eine Wirkung.

Seine großen Stärken sind diese Charakterattribute: Integer, geerdet, einer von uns. Das ist auch angesichts der Umstände ein besonderes Atout, denn heute haben ja viele Leute das Gefühl, dass sich die Politik nicht mehr für sie interessiert, dass „die Etablierten“ abgehoben sind. Die Stärke von Babler ist daher: Er kann genau diesen Gefühlen entgegenwirken.

Aber natürlich hat jeder auch Schwächen, die müssen noch nicht einmal persönliche Schwächen sein, sondern Defizite, die durch die Umstände bedingt sind. Mögen viele einen sozialdemokratischen Parteiführer wollen, der eben dieses „einer von uns“ verkörpert, so mögen viele auch einen weltläufigen, kompetenten Kanzler, der am internationalen Parkett glänzt. Oder einen derart Erfahrenen, dass das Land bei ihm in schwieriger Zeit „in guten Händen“ ist. Viele haben noch Zweifel, ob Babler das ist. Verkompliziert wird das alles noch durch die Tatsache, dass erfolgreiche Mitte-Links-Parteien seit jeher eine breite Wählerallianz zusammenhalten müssen, die von der proletarischen Vorstadt bis zu den liberalen Mittelschichten und bürgerlichen Milieus reicht. Eine weitere Widrigkeit ist sicherlich der Zustand der Partei, die Babler übernahm. Natürlich braucht er auch ein Team. Er hat hervorragende Berater und Beraterinnen, von der internationalen Politik bis hin zur Makroökonomie und anderen Fragen der Wirtschaftspolitik. Aber die stehen nicht in der ersten Reihe der Politik, sie können nicht für die Partei sprechen. Babler macht seine Sache hervorragend, aber es wäre eine Gefahr, wenn man glaubt, der Anführer könne alles alleine machen.

Das aufkommende Genörgel

Dennoch beginnt jetzt das leise Gekeppel und Genörgel. Und damit meine ich gar nicht jene, die gegen ihn verloren haben und deshalb beleidigt sind. Die sind das geringste Problem. Das Gejammer ist das der eigentlich Wohlmeinenden. „Ach, die Umfragen“ – ja, sie sind nicht schön. „Er braucht ein Team.“ Oder: „Er redet zu schnell.“ Oder: „32-Stunden-Woche ist nicht das richtige Thema.“ Oder: „Die Julia Herr war zu böse zum jungen Mateschitz.“ Oder: „Er redet zu kompliziert.“ Oder: „Nur ja nicht populistisch vereinfachen.“ Oder: „Er sollte unangenehme Wahrheiten aussprechen.“ Oder: „Das mit den 100km/h hätte er sich vielleicht sparen sollen.“

Es gibt etwas, was ich gerne die „Morbus Sinistra“ nenne, also die „linke Krankheit“, nämlich die Unfähigkeit, die eigenen Leute zu unterstützen und den gleichzeitigen Hang, auf Kleinigkeiten oder gar Nebensächlichkeiten herumzureiten.

Mein Freund Milo Rau, der neue Intendant der Wiener Festwochen, hat das unlängst so beschrieben: „Kluge Leute lieben es zu debattieren, oder mit anderen Worten: Recht zu behalten.“ Kleine Differenzen zu großen aufzublasen ist eine milieutypische Erscheinung, bis hin zu jenen Streitereien die auf „untergründige Weise boshafter, erbitterter, weniger auf Ausgleich aus (sind), als man es bei Gleichgesinnten eigentlich annehmen könnte.“ Das ist die „Morbus Sinistra“, die linke Krankheit.

Rendezvous mit der Geschichte

Kehren wir zum Ausgangspunkt zurück. Ich habe gesagt, wir alle haben jetzt unser Rendezvous mit der Geschichte. Niemand wird das für uns erledigen. „Lass mal den SPÖ-Vorsitzenden alleine machen“, ist keine Haltung, die der Lage angemessen ist. Ganz generell darf gesagt sein: Da oben, also in der Rolle der Nummer Eins, weht der Wind sowieso scharf ins Gesicht. Der hat es nicht leichter, wenn man von der Seitenoutlinie aufs Spielfeld keppelt. Wir werden unserer Verabredung mit der Geschichte nur gerecht werden, wenn wir alles tun, die Mehrheitsverhältnisse in diesem Land im nächsten Jahr zu drehen. Und dazu gehört: Die eigenen Leute zu unterstützen, sogar dann, wenn wir mal nicht in allem einer Meinung mit ihnen sind oder wenn die sogar einmal einen Fehler machen.

Das gesamte etablierte System begann von Tag eins an mit einer einzigartigen Kampagne gegen Babler: ÖVP und FPÖ versuchen den Herausforderer zu diskreditieren, einerseits, weil sie ihre Macht bedroht sehen, andererseits weil sie als Lobbys der Vermögenden, der Stiftungsprivilegierten, der Champagner-Gesellschaft und der Hintenherumdreher jede kleine Umverteilungsmaßnahme bekämpfen. Diese „Stützen der Gesellschaft“ sehen in ihm eine Gefahr. Das ist auch gut so. Das adelt ihn. Boulevard und ÖVP-treue Publizistik schießen aus vollen Rohren, während die liberale und progressive Publizistik selbst an jeder Kleinigkeit herumnörgelt.

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