Empathielosigkeit für Malträtierte

Queers für Hamas – wie gibt’s denn sowas? Yascha Mounks neues Buch kommt zur rechten Zeit.

Falter, November 2023

„Wokeness“ und „Identitätspolitik“ sind zu einer Modeerscheinung geworden, und ähnlich modisch wurde zuletzt auch die Kritik daran. Die Begriffe selbst sind unscharf und polemisch kontaminiert. Zuletzt nahm die Kritik auch noch einmal extra Fahrt auf, nachdem sichtbar wurde, wie einige ideologische und theoretische Prämissen ins Abseits und Bizarre führen. Wenn die Welt in Schwarz-Weiß geteilt wird, wenn bekundet wird, dass „der Unterdrückte“ immer Recht hat, dann kann man sogar bei einer kritiklosen Unterstützung von Gemetzel der Hamas landen und bei Empathielosigkeit für Malträtierte. Da kommt Yascha Mounks Buch gerade recht, der sich ohne Polemik, dafür mit umso besonnenerer Kritik die theoretischen Grundlagen einer Ideologie vorknöpft, die er mit dem Begriff „Identitätssynthese“ charakterisiert.

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Engagierte mit noblen Überzeugungen und Theorien, die jede für sich und im Einzelnen sehr inspirierend und nicht grundsätzlich falsch sind, können sich in Summe zu einem sektiererischen und absurden Extremismus verbinden – so die Grundthese des deutsch-polnisch-jüdisch-amerikanischen Intellektuellen Mounk.

Mounk widmet sich den Theorien Michel Foucaults, dessen Machtanalyse gerade nicht die brutal repressiven, sondern die scheinbar neutralsten und unabhängigsten Institutionen kritisierte. Er untersucht post-koloniale Kritiken am aufklärerischen Universalismus. Theorien, die strukturellen Rassismus und subtile Benachteiligungen thematisierten, bis sie bei einem Essentialismus landeten, der proklamiert, nur Benachteiligte können aufgrund ihrer direkten Erfahrungen die unterdrückerische Realität begreifen, während alle anderen die Klappe halten müssen. Er untersucht einen Pessimismus, der davon ausgeht, dass sich Menschen unterschiedlicher Erfahrungen im Grunde nie echt verständigen können. Mounk nimmt sich der argumentativen Fragwürdigkeiten von Theorien an, die quasi unfalsifizierbar sind, etwa, wenn behauptet wird, dass alle weißen Menschen unabänderlich rassistisch sind, und eine Meinung, die diese These in Frage stellt, eben nur ein Beweis für den Rassismus der widersprechenden Person seien. Materialreich zeichnet Mounk nach, wie theoretische Konstruktionen, die alle mehr als „ein Körnchen Wahrheit“ enthalten, dann am Ende in einer sektiererischen Wahnidee münden können, etwa, dass eine Gruppe, die als historisch marginalisiert definiert wird, immer recht hat (egal, was im Namen dieser Gruppe getan wird), und einer historisch dominanten Gruppe schon recht geschieht, was immer ihr angetan wird.

Dass die sektiererische Weltanschauung, die Mounk die „Identitätssynthese“ nennt, einen gewissen Stellenwert erlangen konnte, liegt auch daran, dass sie argumentativ so gebaut ist, dass sie Einwände nicht nur einfach als sachlich falsch abwies, sondern es ihr gelang, diese als moralisch verwerflich zu verleumden. Mounk ist überzeugt, dass „das konfrontative Framing“, das die Identitätssynthese fördert, öffentliche Unterstützung für progressive Politik untergräbt. Dabei teilt er, grosso modo, deren wohlmeinenden Absichten und ist als (links-)liberaler Optimist überzeugt, dass man alle „Ungerechtigkeiten erkennen und sie zu bekämpfen“ vermöge, „ohne sich der Identitätssynthese anzuschließen“. So wie man Sozialist oder Kommunist sein konnte, ohne Stalins Schauprozesse zu verteidigen.

Yascha Mounk: The Identity Trap. A Story of Ideas and Power in Our Time. Penguin, 2023. 416 Seiten. 29,80 Euro

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