The Great Benko

Aufstieg und Fall des österreichischen Immoblientycoons – ein Lehrstück aus dem neoliberalen Blender- und Raubritter-Kapitalismus.

WOZ, Dezeber 2023.

Im Angeber-Kapitalismus gehen Erfolg und Hochstapelei häufig Hand in Hand wie Waldorf und Sattler. Österreich hat mit seinen globalen Vorzeigeunternehmern und Erfolgsinvestoren neuerdings freilich ein bisschen viel Pech. Die Österreicher Markus Braun und Jan Marsalek schienen mit Wirecard eine kolossale Unternehmensgeschichte aufgezogen zu haben, bis das Kartenhaus nicht nur eine fulminante Pleite hinlegte, sondern sich alles als Täuschung und mutmaßlicher Großbetrug entpuppte.

Jetzt ist der nächste imponierende Austro-Tycoon am Kollabieren.

Die SIGNA-Holding des Tiroler Konzerngründers René Benko ist seit Monaten in Schieflage und musste vergangene Woche Insolvenz anmelden. Auch einzelne Unterfirmen aus dem unübersichtlichen 1000-Unternehmen-Konglomerat haben mittlerweile ihrerseits Insolvenz erklärt. Wie schlimm der finanzielle Zustand der Unternehmensgruppe ist, weiß niemand so genau. Zahlen spuken herum, vor nicht so langer Zeit hieß es noch, dass Verbindlichkeiten von rund 20 Milliarden Euro Vermögenswerten von 28 Milliarden gegenüberstehen. Die Holding alleine weist in ihrem Insolvenzantrag Schulden von fünf Milliarden Euro aus. Zuletzt waren dem Vernehmen nach 500 Millionen Euro an unmittelbar fälligen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr zu stemmen.

Kern von Benkos Geschäftsmodell sind Immobilien im Luxus- und Hochpreis-Segment von Metropolen und Innenstädten. In der Wiener Innenstadt kaufte und entwickelte der Unternehmer ganze Straßenzüge zum „Goldenen Quartier“, zu dem auch das luxuriöse Park Hyatt-Hotel gehört, das Bank-Austria-Kunstforum, dazu etwa auch die prachtvolle einstige Österreichische Postsparkasse (Signalarchitektur der Moderne von Otto Wagner), in Venedig das Hotel Bauer Palazzo, die Deutsche Börse in Eschborn, das Chrysler Building in New York, Schlösser, Luxusanwesen am Gardasee. Luxusquartiere und Wolkenkratzer wurden in Hamburg entwickelt, ebenso in München. Zweites Standbein waren im vergangenen Jahrzehnt Warenhäuser geworden, etwa die Karstadt-Kaufhof-Galeria-Gruppe mit ihren vielen Standorten in deutschen Innenstädten, die schon zweimal in die Insolvenz geschlittert ist und mit viel Staatsgeld mehr schlecht als recht gerettet wurde, dazu die Kika-Leiner-Gruppe in Österreich, das Handelsflaggschiff „Kaufhaus des Westens“ (KaDeWe) in Berlin, das Nobelkaufhaus Selfridges in London, das SIGNA mit der thailändischen Central-Gruppe übernahm, genauso wie das Warenhaus Globus in der Schweiz.

Das Wachstum zum Mega-Milliarden-Konzern war nahezu vollständig auf Schulden gebaut. Geld holte sich die SIGNA-Gruppe (neben Benko und den ihm zugeschriebenen Privatstiftungen sind noch verschiedene andere Kapitalgruppen investiert, etwa der Bauunternehmer Hans-Peter Haselsteiner) über Unternehmensanleihen und Bankkredite. Viele Versicherungsgesellschaften bangen jetzt um ihre Anleihen. Der Schweizer Privatbank Julius Bär schuldet Benko 606 Millionen Franken, in Österreich sollen vor allem die Bank Austria und Banken des Raiffeisen-Sektors Kredite von angeblich rund 2,2 Milliarden Euro vergeben haben.

Ein fragiles Kartenhaus, das jetzt einzustürzen droht? Aus der Insolvenz kann jedenfalls noch ein großer Wirtschaftsskandal und Krimi werden. Denn viel deutet darauf hin, dass der Aufstieg und Fall des „Great Benko“ ein Lehrbuchbeispiel des Blender- und Glitzer-Kapitalismus ist, aber auch der neoliberalen Raubzüge, in deren Folge öffentliche Güter privaten Glücksrittern zugeschanzt wurden. Augenfällig ist die klebrige Nähe von Politik und Kapital. Benko und seine SIGNA sind auch ein Exempel eines „Crony Capitalism“ – eines Freunderl- und Vetternwirtschaftskapitalismus –, wie er sich in den vergangenen Jahrzehnten immer unverschämter entwickelt hat.

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Benko und seine SIGNA gingen bei ihren Investitionen „aggressiv“ vor, das heißt, vieles war scharf auf Kante genäht. Man nimmt viele hundert Millionen an Krediten auf, und kauft damit Immobilien, entwickelt sie, oder baut sie. In einer Zeit von Goldgräber-Stimmung am Immobiliensektor, in der die Immobilienpreise explodieren, schraubt man die „Vermögenswerte“ in den Büchern in fragwürdige Höhen, mit denen man dann neue Kredite aufnehmen und besichern kann. Eine Art legales Ponzi-Schema, „das ständig frisches Geld verlangt“, so die Wiener Wochenzeitung „Falter“. Das läuft so lange gut, solange zwei Faktoren zusammenkommen: Goldgräber-Hausse in den Innenstädten, und niedrige Zinsen für die Kredite. Über Wasser bleibt so ein Modell nur, wenn diese zwei außergewöhnlichen Marktlagen bestehen bleiben.

Wäre das nicht schon dubios genug, hat die „diskrete“ SIGNA-Gruppe offenbar auch dafür gesorgt, dass ihre ökonomische Performance möglichst im Verborgenen bleibt. „Signa ist offensichtlich ein konzernartiger Moloch, in dem ein System der rechtswidrigen Intransparenz zu einer wesentlichen Maxime erklärt wurde“, urteilt das Wiener Magazin „News“, das enthüllte: Verschiedenste SIGNA-Unterfirmen haben über Jahre keine Jahresabschlüsse gemeldet. Das ist zwar illegal und wird mit Zwangsstrafen geahndet, aber nur mit einigen hundert Euro alle paar Monate. Die Strafen wurden auch noch als Betriebsausgaben von der Steuer abgesetzt.

Ein Konzern mit großem Portfolio bietet sowieso viele Möglichkeiten der legalen Trickserei. Wenn ein Immobilienkonzern Warenhäuser kauft, dann hat er mit einem Schlag zweierlei: Wertvolle Immobilien in bester Lage und Handelsunternehmen. Er zahlt sich quasi selbst Miete. Treibt er die Miete hoch, dann haben die Handelsunternehmen hohe Defizite, die Immobilienwerte steigen aber rasant, da künftige, fiktiv-hohe Mieterträge den Immobilienwert hochtreiben. Nicht unpikant, wenn man sich dann für die defizitären Handelsunternehmen Staatshilfe organisiert.

René Benko, heute 47, hat schon in jungen Jahren seine ersten Schilling-Millionen mit Immobilienentwicklung verdient und einen reichen Investor aufgegabelt, der das Wachstum seines Unternehmens ankurbelte. Die Schule hat Benko im Maturajahr abgebrochen. Etwa zu der Zeit machte er auch „Keiler“-Schulungen beim Finanzdienstleister AWD, wo man lernt, wie man Sparer und Anleger mit schönen Geschichten verführt. In Tirol, wo er herkommt, galt Benko bald als Wunderknabe. Er verstand es auch gut, sich bestens zu verkaufen. Mitunter nützte er die Möglichkeiten, die ein neoliberaler Räuberbaron-Kapitalismus bot.

Anfang der 2000er Jahre amtierte in Österreich eine Rechts-Ultrarechts-Koalition aus ÖVP und FPÖ. Die Allianz hatte sich vorgenommen, öffentliches Eigentum zu versilbern, beispielsweise die gemeinnützige Wohnbaugesellschaft für Bundesbedienstete. Die dubiosen Privatisierungsdeals beschäftigen heute noch die Gerichte. Ein ehemaliger Finanzminister ist zu acht Jahren Haft verurteilt worden – das Urteil ist bis heute nicht rechtskräftig.

Der einstige Kabinettchef des konservativen Wirtschaftsministers wiederum wechselte in das Management der Bundesimmobiliengesellschaft. Auch Benkos SIGNA profitierte bis zuletzt von guten Geschäften mit dem privatisierenden Staat. Der BIG-Manager wiederum hüpfte später weiter auf den Direktorsposten der SIGNA.

Der Tycoon erwies sich überhaupt als großer Virtuose auf der Tastatur des politisch-ökonomischen Komplexes Österreichs, dem, was man in Wien zärtlich die „Freunderlgesellschaft“ nennt. 2008 holte Benko schon kurz nach dessen Rücktritt den einstigen sozialdemokratischen Bundeskanzler Alfred Gusenbauer an Bord. Im SIGNA-Beirat haben Zentralfiguren des Komplexes Funktionen, etwa auch die einstige Vizekanzlerin der ÖVP-FPÖ-Regierung, die unlängst noch erklärte, „um dieses Unternehmen müssen sie sich überhaupt keine Sorgen machen“.

Alfred Gusenbauer, so wurde unlängst aufgedeckt, hat allein zwischen 2020 und August 2021 an Lobbysmus-Honoraren sechs Millionen Euro verrechnet (zusätzlich zu diversen Vergütungen als Aufsichtsrat). Und auch der gestrauchelte Ex-ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, bekanntermaßen kein Feind des großen Geldes, ist mit Benko schon gut im Geschäft. Offensichtlich für Türöffnen im arabischen Raum verrechnete er Benkos Konzern 2,5 Millionen. Bei dem Staatsfonds, dem er ein 100 Millionen Investment bei dem bald darauf in die Insolvenz geschlitterten Konzern vermittelte, dürfte sich Unglücksrabe Kurz wohl so schnell nicht mehr blicken lassen.

Ein Lehrbeispiel für den Vetternwirtschafts-Kapitalismus ist all das auch, weil Benko insbesondere von der Sebastian-Kurz-Regierung häufig einen roten Teppich ausgerollt bekommen hat.

Als die Kika-Leiner-Möbelhauskette dringend einen Investor brauchte, wurde sogar an den Feiertagen das Bezirksgericht offengehalten, um Benko die Übernahme zu ermöglichen. Der Investor wurde als „Retter“ gehuldigt. Die Immobilien in bester Lage dürften Benko dabei eher gereizt haben als das Handelsgeschäft. Sehr bemüht hat sich Benko offenkundig auch um den seinerzeitigen Spitzenbeamten im Finanzministerium, Thomas Schmid, an den er schrieb: „…die Rolle eines Generalbevollmächtigten bei uns im Konzern würde dir sicher gut liegen.“ Schmid wiederum textete an Benko: „Bist echt ein Freund.“ Schmid ist jener legendäre Sebastian-Kurz-Prätorianer, dessen Chats und beschlagnahmte Mobiltelefone den Sturz des jungen ÖVP-Kanzlers verursachten. Schmid hat mittlerweile den Status als „Kronzeuge“ in der Aufarbeitung der ÖVP-FPÖ-Skandalregierung beantragt. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft geht auch dem Verdacht nach, ob das Finanzministerium an „möglichst schonenden Steuerregelungen für Benko gearbeitet hat“. Schmid hatte an Benko 2018 geschrieben „Lieber Rene (…) In deiner Sache ist alles auf Schiene“.

Diese Drehtüreffekte, bei denen staatliche Akteure als Diener privater Konzerne agieren und gewohnheitsmäßig dann auch die Seite wechseln, hat die amerikanische Wissenschaftlerin Janine R. Wedel in ihren Arbeiten als die Erscheinungsweise von Korruption im neoliberalen Zeitalter beschrieben. Für ihr Buch „Shadow Elite“ hatte sie eigentlich ursprünglich über die korrupten Privatisierungen in Osteuropa nach 1989 recherchiert – und hat im Zuge der Recherche herausgefunden, dass die damals entwickelten Praktiken später auch im Rest der Welt Nachahmung gefunden haben. „Die Korruption hat ihr Gesicht verändert“, sagt sie. „Es ist eine neue Form der Machtorganisation entstanden und damit auch eine neue Form von Korruption. Es gibt eine neue Gruppe von Akteuren, die ich die ‚Schatten-Elite‘ nenne. Die ‚Mover und Shaker‘, die beispielsweise ein Consulting-Unternehmen haben, oder mit einem Think-Tank verbunden sind, die sich einen Namen als TV-Experten machen und Posten als Regierungsberater bekommen, und die sogar für begrenzte Zeit Regierungsposten annehmen. Aber sie haben eigentlich keine Loyalität zu den Institutionen, für die sie zeitweise arbeiten, sondern nur ihren Netzwerken gegenüber.“ Diese Korruption wird aber nur durch die Outsourcung von Regierungsaufgaben an Private und durch die Privatisierung von staatlichen Leistungen ermöglicht. „Nicht die ökonomische ‚Allmacht des Staates‘, ist die Quelle heutiger Korruption, sondern die Verschiebung der Macht vom Öffentlichen zum Privaten.“

Männer mit Verbindungen und einer Hand für Geschäfte. Benko half dabei seine perfekte Selbstinszenierung, Storytelling, das Image des Erfolgsmannes und Geschäftsgenies. Zu Benkos prunkvollen Einladungen kamen die berühmten Stützen der Gesellschaft gerne in Rudel und Robe, lieferten Bilddokumente der Ranschmeißerei, die ihnen heute peinlich sind. Benko wusste, wie man Erfolg darstellt – und wohl auch, dass heutzutage die erfolgreiche Darstellung des Erfolges die halbe Miete ist. In den Chattering Classes und den Wirtschaftsmagazinen, die Leute wie ihn gewohnheitsmäßig idealisieren, wurde gerne die Legende verbreitet vom Selfmademan aus kleinsten Verhältnissen, dem genialen Verkäufer, dem Zahlengenie, der als einziger alle Finanztransaktionen seines verschachtelten Imperiums im Kopf hat, vom virilen Rackerer, der um fünf Uhr morgen aufsteht und bis knapp vor Mitternacht durcharbeitet. Vor dem parlamentarischen Korruptions-Untersuchungsausschuss sagte Benko vor einigen Monaten in milieutypischer Aufgeblasenheit aus: „In der Regel sucht die Politik zu uns den Kontakt, nicht umgekehrt.“

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