Wir, die Guten – gegen die Bösen

Ein manichäisches Weltbild gewürzt mit Selbstgerechtigkeit wird die Krise des Westens nur verschärfen.

taz, Jänner 2024

Nicht wenige werden der Meinungen sein, Bernard Hénri-Levy sei mit seiner Eitelkeit, seiner Showmanhaftigkeit und seiner outrierten Theatralik ein leichtes Opfer für Polemik. Ich hingegen neige zu Charaktergüte und schätze bei einigermaßen fähigen Leuten mit den einigermaßen richtigen Reflexen primär die Stärken, und pflege deren Schwächen gegenüber Milde walten zu lassen. Meine Voreingenommenheit gegen BHL hält sich deshalb in Grenzen. Der Mann hat Meriten. Komisch sind wir alle auf unsere Weise. Möglicherweise wird meine Milde auch durch die Bereitschaft verstärkt, mir Schmeicheln zu lassen, schrieb BHL doch vor ein paar Jahrzehnten meinen Namen und den von einer Reihe von Mitstreiterinnen, Freundinnen und Großliteratinnen, um dann hinzuzufügen: „Die Namen und Vornamen Wiens. In diesen Namen und Vornamen die Spur jenes Identitätsmosaiks: des Wiens von Hermann Broch, Arthur Schnitzler und Karl Kraus.“ Denkbar, dass ich ohne diesen kleinen Zucker- und Kitschguss eine Spur strenger wäre.

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Aber er hat schon ein paar mutige Dinge gemacht in seinem Leben und auch einige mutige Dinge gesagt, das selbstverliebte alternde Kind. BHLs Neugierde und sein Ereignisappetit haben auch etwas Bewundernswertes. Wo immer sich etwas tut, dort taucht er auf. Er sorgt halt stets auch dafür, dass alle Welt erfährt: BHL war da!

Selbstverständlich war er zuletzt viel in der Ukraine und in Israel. Jetzt hat er einen Kommentar geschrieben (deutsch in der SZ vom 21. Dezember erschienen), in dem er proklamiert: Beide Länder seien angegriffen worden, das eine aus Russland, das andere aus dem Gazastreifen. Aber es gäbe, „noch mehr Gemeinsamkeiten“, etwa die Partnerschaft der jeweiligen Feinde „mit dem iranischen Regime“. Und: „Es gibt eine direkte Verbindung zwischen Putin und der Hamas.“ Henri-Levy: „Auf der einen Seite stehen demokratische Staaten. Und auf der anderen Seite steht die große Allianz gegen Demokraten im In- und Ausland.“ Gleichsam in einem planetarischen Konflikt stünden wir Demokraten gegen die „Internationale des Schlimmsten“.

Ich habe das mit wachsendem Widerwillen gelesen. BHL sagt ein paar durchaus richtige Dinge, aber eben auf furchtbar falsche Weise. Wir sind die absoluten Guten, und alle anderen entweder die absoluten Bösen in diesem großen Weltenringen – oder die Doofen, die unser Gutsein nicht zu würdigen wissen.

Das Manichäische, gewürzt mit Selbstgerechtigkeit, ist definitiv mehr Teil des Problems als der Lösung. Und kontraproduktiv, auch in Hinblick auf seine eigenen Absichten: Wer die Welt als Gut-versus-Böse-Fantasy malt, der wird „den demokratischen Westen“ nicht verteidigen, er schadet ihm. Die Manichäiker sind die Totengräber des Westens. So wie Benjamin Netanjahu mit seinem Extremismus die schlimmste Bedrohung für Israels Sicherheit ist.

Gewiss ist westlicher Selbsthass auch eine Art von Infektion, die die Freiheit, Demokratie und Liberalität schwächen kann, besonders dann, wenn er Autokraten oder Fundamentalisten in die Hände spielt. Aber zugleich sind vehemente Abwehr und bockige Verdrängung mittels schönfärberischem Selbstlob alles andere als empfehlenswert.

Bernd Ulrich fragte kürzlich in der „Zeit“, wie es denn eigentlich sein kann, beispielsweise, dass der Angriff auf die Ukraine viele Demokratien so gleichgültig lässt. Dass Länder wie Argentinien, Brasilien, Indien und viele andere geradezu darauf versessen sind, mit Despotien wie China oder gar Russland antiwestliche Allianzen zu schmieden? Zweifelsohne ist die groteske Interpretation des Israel-Palästina-Konfliktes, die Israel als weiße, kolonialistische Täternation anprangert, ähnlich verrückt wie der skurrile Unfug, dass jedes Entsetzen an den gnadenlosen Bombardements von Gaza und einer maßlos-kontraproduktiven „Selbstverteidigung“ antisemitisch wäre. Aber wofür ist das denn alles ein Symptom?

Sehen wir die Dinge nüchtern: Selbst befreundete progressive Staatsmänner sind der Meinung, der Westen habe es völlig verbockt. Ganze Generationen junger Leute haben zudem im Westen seit den neunziger Jahren die Erfahrung gemacht, dass nur mehr das Geld zählt und jede Art von Gier und Bereicherung gerechtfertigt ist. Und dass das Motto regiert: Tanzen, solange die Musik spielt – und nach uns die Sintflut. Eine globale Wohlstandsschicht lebt auf Kosten der Welt. Junge Leute habe die Verbrechen ihrer je eigenen Nationen in das gleißende Licht von Aufklärung und Kritik gerückt. Sie leben auch gänzlich selbstverständlich mit Freundinnen und Kumpels aus allen Ländern zusammen und sie wissen daher sehr genau, wie noch die subtilen Mechanismen von Abwertung, White Supremacy und Rassismus funktionieren. Sowohl die Attraktion – die „Soft Power“ – des Westens steht heute zerzaust da, als auch die ökonomische Dominanz und sein Potential zur Beherrschung. Er „purzelt geradezu“ (Ulrich) aus seiner Übermachtposition. Es scheint, es herrscht payback time für den Westen. Da wird die „trotzige Dämonisierung“ und die „aggressive Zurückweisung“ berechtigter Kritik an westlicher Überheblichkeit, am Verrat der selbst postulierten Werte und an bizarrsten Doppelstandards nicht mehr hinhauen. Ulrich: „Der Westen hat noch nicht einmal in Ansätzen verstanden, welcher historischen Erwartung und Energie er ausgesetzt ist.“

Es sollten ja eigentlich die Alarmglocken läuten, stattdessen glaubt man immer noch, man könnte der Welt befehlen, unsere Ansichten zu haben – und sie beschimpfen und verleumden, wenn sie sie sich herausnimmt, die Dinge etwas anders als wir zu sehen. Die Verteidigung der Freiheit muss, im Gegenteil, alles aufnehmen, was an den Invektiven gegen den Westen triftig ist. Attraktion hätten Gerechtigkeit, Pluralismus, Menschenrechte und ein Lifestyle der Freiheit ja immer noch genug. Mahatma Ghandi soll ja seinerzeit auf die Frage, was er denn von der westlichen Zivilisation halte, die schalkhafte Antwort gegeben haben: „Ich denke, sie wäre eine sehr gute Idee.“

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