Demokratie im Betrieb

Unternehmen mit guter Mitbestimmungskultur sind häufig erfolgreicher – die Belegschaft ist engagierter und identifiziert sich mehr mit der Firma.

Arbeit & Wirtschaft, Oktober 2023

„Führen ohne Chef“, so werden manche neuartige Organisationsmodelle in Unternehmen schon in Branchen- und Consultingportalen angepriesen. So rosarot und basisdemokratisch ist das dann natürlich in der Regel nicht, aber oft steigt das Betriebsklima merklich. Berater und Coaches legen autokratischen Kontrollfreaks daher längst nahe: „Loslassen lohnt sich!“

Botschaft: Chefs, schafft Euch ab!

En vogue ist heutzutage etwa das Führungskonzept der Holokratie. Anders als in hierarchischen Strukturen mit starren Abteilungen – Abteilungsleitern, Stellvertretern, Mitarbeitern – treten kreisförmige, flexible Strukturen, die sich auf wechselnde Aufgaben anpassen können. Mehr „Basisdemokratie“ und „Selbstorganisation“ verspricht das Organisationsmodell. Und eine für das Unternehmen günstige Anpassungsfähigkeit, die von den Beschäftigten weitgehend selbst erledigt wird.

Beispiel: Das Linzer Elektronikunternehmen KEBA. „Die Umstellung funktionierte fast reibungslos“, erzählt Betriebsratsvorsitzender Tom Metschitzer. „Der Betriebsrat war von Beginn an involviert. Ich hatte irgendwann sogar die Sorge: Habe ich etwas übersehen? So etwas kann doch nicht ohne Konflikte ablaufen!?“ Demokratie im Betrieb weiterlesen

Der taumelnde Westen

Die Welt in Flammen, Brandherde überall. Lange glaubten wir Westler, die Welt dreht sich um uns. Aber das ändert sich gerade.

Die Älteren unter uns können sich noch an eine zweigeteilte, bipolare Welt erinnern, West versus Ost, USA versus Sowjetunion, zwei Machtblöcke, um die sich die allermeisten Nationen irgendwie zu gruppieren versuchten (oder dazu gezwungen waren), und ein paar wenige andere manövrierten dazwischen, die sogenannten „blockfreien Länder“. Danach gab es einige Jahre die Illusion einer „unipolaren Welt“, mit den USA als Zentrum. Die USA waren Hegemon. Sie konnten natürlich nie in den letzten Winkel der Welt hinein regieren, es gab viel Chaos, aber man konnte sich immerhin einbilden, dass die Idee und das politische System des Westens mehr oder weniger zum einzig tauglichen Modell geworden waren, an denen sich alle doch einigermaßen orientierten. Pluralistische Demokratie, kapitalistische Marktwirtschaft, Menschenrechte, all dem wollten die meisten Länder nacheifern, war man überzeugt. Und sei es bloß nach und nach. Der taumelnde Westen weiterlesen

Sprechen über Israel

Nach dem grausamen Massaker der Hamas: Warum sind so viele Worte schal und voller falscher Phrasen?

Zackzack, Oktober 2023

Die Welt steht in Flammen, und alles ist falsch und richtig zugleich, alles voller falscher Wahrheiten und wahrer Falschheiten. Das grauenhafte Massaker der Hamas an mehr als 1400 Menschen, in der übergroßen Mehrheit Zivilisten, in der übergroßen Mehrzahl jüdische Israelis, ein auch nach Maßstäben von Kriegsverbrechen maßloses Verbrechen. Es ist unvergleichlich in seinem Ausmaß, unvergleichlich in Grausamkeit und Gnadenlosigkeit und unvergleichlich im Terror, den es verbreitet und bewirkt, also in der Angst und Panik, in die es eine ganze Gesellschaft versetzt, die sogenannten Unbeteiligten, die natürlich Beteiligte sind. Eine ganze Nation in Panik, in Schock und im Zustand allgegenwärtiger Bedrohungsgefühle. Richtig ist, dass es keinen Staat der Welt gibt, der nach einem solchen Geschehen auf eine massive militärische Antwort verzichten könnte. Massiv falsch, eine solche monströse Tat erklärend mit Unrecht, Leid, Unterdrückung und Herabsetzung zu „kontextualisieren“ (ganz zu schweigen von rechtfertigen), also durch das, was den Palästinensern in 75 Jahren Nahostkonflikt angetan wurde, widerfahren ist. Ebenso falsch ist zugleich, die Geschichte von Besatzung, Unrecht, Widerstand gegen dasselbe, von Terror, die Spirale von Gewalt und den Übergang von Gegnerschaft in Hass, die zertretenen Pflanzen von Hoffnung, diese ganzen Verworrenheiten der Geschichte nicht zu erwähnen. Geschehnisse wiederum, die alle Beteiligten mit Geschichte und Geschichten ausstatten, die jeweils andere Seite als die eigentlich Schuldigen anzusehen. Die Gräuel der Hamas machen die Kritik an Besatzung, Abschnürung und Siedlerradikalismus nicht falsch, genauso wie, umgekehrt, letztere die Gräuel der Hamas um nichts weniger widerwärtig machen. Wer hier aufzurechnen beginnt, hat schon verloren. Wer auch nur glaubt, damit auch nur ein wenig dieses Massaker rechtfertigen zu können, hat seinen moralischen Kompass verloren. Und umgekehrt. Und umgekehrt. Alles wahr und falsch zugleich und schal wie auch das Gegenteil.

Der Jargon des Antikolonialismus

Der Massenmord macht Benjamin Netanjahu, böser Geist der israelischen Innenpolitik seit 20 Jahren und Kraft der Zerstörung in Israel selbst, nicht zu einem engelsgleichen Unschuldslamm, als welches er sich gerne durch Meinungsmanipulation und Delegitimierung jeder Kritik hinstellt. Abstrus seine Versuche, jede Kritik an der rechtsradikalen Politik seiner Regierungen als „antisemitisch“ zu framen, aber nicht weniger abstrus, nein, noch abstruser, sind alle Versuche, mit Rhetoriken von „Antiimperialismus“ oder „Anti- oder Postkolonialismus“ die Blutorgien der Hamas irgendwie am Ende doch in nachvollziehbare Widerstandshandlungen geschundener, kolonisierter Seelen hinzubiegen. Letzteres zeigt, nebenbei, ein weiteres Mal wie problematisch die Schemata, der ganze Jargon und die Phrasen postkolonialer Theorie offenbar sind, wenn heutzutage sowohl Putin mit diesen Begrifflichkeiten operieren kann (der diese Rhetoriken klaut, um sich als Widerstandskämpfer gegen westliche Dominanz zu kostümieren), und auch islamistische Meuchelmörder diesen Jargon missbrauchen können. Falsch ist es, den Antisemitismus zu leugnen, den Hass, der Juden entgegenschlägt, ihn kleinzureden, ihn zu ignorieren, und genauso falsch ist, den Antisemitismusvorwurf zum billigen sprachpolizeilichen PR-Instrument zu verwandeln, mit dem jeder und jede moralisch erledigt wird, der die Dinge anders beurteilt als die rechtsradikalen israelischen Regierungsfunktionäre.

Dauernd ist man versucht „Ja“ und „Nein“ zugleich zu schreien. Sprechen über Israel weiterlesen