So wird Christoph Leitl durchs Mittagsjournal hofiert

Kammerspiel für zwei. Gastautor Niki Kowall analysiert an Hand eines besonders bizarren Beispiels die Ordnung der Wirtschaftsdiskurse.

Die Suggestivfrage ist ein legitimes Stilmittel im Journalismus. Die Suggestion sollte jedoch konträr zur vermuteten Meinung des Gegenübers angelegt sein. Vor allem der/die öffentlich-rechtliche Journalist/in ist ja per Definition ein Advocatus Diaboli. Typischerweise könnte man die Arbeiterkammer fragen, ob die Lohnnebenkosten nicht zu hoch seien und die Wirtschaftskammer, ob die Binnennachfrage nicht zu schwach ist. Wer das Ö1-Mittagsjournal vom Samstag gehört hat erlebte eine Umkehrung dieser Logik.

Im Journal zu Gast bei Volker Obermayer war Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl. Der persönliche Standpunkt des Ö1-Befragers, so wurde nach wenigen Minuten klar, ist folgender: Herr Leitl und die Marktliberalen haben objektiv recht, aber sie können sich nicht ausreichend gegen die beharrenden Kräfte der Republik (=SPÖ, AK & ÖGB) durchsetzen. Darum forderte Obermayer Leitls grundsätzliche Position nicht heraus, sondern nur sein strategisches Durchsetzungsvermögen. Noch bevor es ans Eingemachte ging hatte Obermayer auch schon eine Lösung parat: „Sollte sich die ÖVP dann auch eine Mehrheit jenseits der SPÖ suchen?“

„Wie groß ist der Schaden mittlerweile für den Standort?“ Der Befrager liefert dem Befragten die Floskeln gleich frei Haus mit.

Leitl antworte sozialpartnerschaftlich. Das verleite Obermayer zur korrekten Wiedergabe der marktliberalen Grundsatzleier: „Trotz niedriger Zinsen, trotz niedriger Inflation und anziehender Konjunktur zeigt die Wirtschaftsleistung in Österreich kaum ein Plus, nationale wie internationale Investitionen die halten sich in Grenzen, Ratingagenturen beurteilen das Land mittlerweile skeptisch, trotz steigender Einnahmen schreibt auch der Bund weiterhin ein Defizit, selbst ohne die Kosten für die ehemalige Kärntner HYPO und auch die Zahl der Arbeitslosen in Österreich, die steigt. Steuert die Politik in Österreich hart und konsequent genug dagegen?“

Die Hälfte der angeführten Punkte ist umstritten (z.B. Budgetprobleme). Die ideologische Schlagseite der „Frage“ wäre womöglich geeignet, ein Gegenüber aus der AK zu provozieren und auf Touren zu bringen. Aber was soll ein Marktliberalerer zu seinen eigenen Gedanken schon sagen? Leitl: „Ich kann dieser Analyse nur mehr eins hinzufügen, dass es eigentlich traurig ist, dass unser so hohes Ansehen in Europa in den letzten ein, zwei Jahren doch massiven Schaden erlitten hat.“

Die Standortdebatte ist ebenfalls stark umstritten (hier und hier). Aber weil Leitls Standpunkt bereits vorab als korrekt gesetzt war – schließlich hatte ihm Obermayer Leitls eigenen Text in den Mund gelegt – will es der Befrager genau wissen: „Wie groß ist dieser Schaden mittlerweile für den Standort?“

Leitl: „Noch nicht so, dass jemand weggeht. Aber doch schon so, dass niemand mehr herzukommt. Wo sind die großen Betriebsansiedlungen in Österreich der letzten Jahre? Ich wüsste so auf Anhieb kein Beispiel.“ Das ist insofern beachtlich, als sich Wirtschaftsminister und Ex-WKÖ-Generalsekretär (unter Leitl!) Reinhold Mitterlehner kürzlich über einen Rekord an ausländischen Betriebsansiedlungen in Österreich gefreut hat. Eine Meldung, die Obermayer nicht kennt oder selektiv ausgeblendet hat.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt war klar, worauf Obermayer hinauswollte: „Ist ihr Prädikat ‚abgesandelt’, formuliert vor eineinhalb Jahren in Bezug auf Standort und internationale Wettbewerbsfähigkeit, noch gültig?“

Leitl: „Ich habe gesagt wir sind abgesandelt zum Durchschnitt, in der Zwischenzeit sind wir ja leider nicht mehr Durchschnitt sondern wir sind unten angekommen.“

Obermayer darauf quasi leitlscher als Leitl: „Also müssten Sie noch eins draufsetzen…“

Leitl artig: „Ich müsste eins draufsetzen (…)“

Statt sein Gegenüber mit einem Gegenstandpunkt zu konfrontieren (z.B. ob die Arbeitslosigkeit in Österreich und Europa auch etwas mit Binnennachfrage zu tun haben könnte) spricht Obermayer gleich direkt im Namen der UnternehmerInnen, es genügt ja nicht, dass Leitl zu Gast ist: „Viele Unternehmer reagieren auf die Steuerreformpläne und nicht nur auf diese mit Unbehagen, manche zeigen sich regelrecht frustriert, verärgert oder sogar wütend. Was ist da so schief gelaufen, dass bei den Chefs von Kleinbetrieben bis zum Konzern quer durch die Republik solch eine Stimmung herrscht.“

Leitl darf darauf eine herzzerreißende Rede auf das Unternehmertum halten. Obermayer kennt die gefährlichen Vorschläge jener Kräfte, die Österreich in Ketten halten und weil der Befrager der schärfere Hund als Leitl selbst ist, spricht er es auch gleich aus: „Herr Leitl aus den Reihen vor allem von Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund aber auch von der SPÖ kommen mittlerweile wieder Vorschläge zur Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich, zur Wertschöpfungsabgabe vulgo Maschinensteuer, zu einem Arbeitgeberaufschlag bei Überstunden. Müssen Sie nicht doch langsam anfangen den wilden Mann zu spielen?“

Leitl darf darauf wie nach Drehbuch antworten, dass diese Forderungen in die 70er-Jahre gehören.

Obermayer läuft zur Höchstform auf und identifiziert die Feinde des Fortschritts: „Aber wenn solche Vorschläge publiziert werden, ist dann mit dem Koalitionspartner SPÖ, mit den beiden anderen Sozialpartnern Arbeiterkammer, Gewerkschaftsbund noch ein Staat zu machen?“

Der unparteiische Ö1-Befrager würde den Staat gerne ohne die lästigen arbeitnehmernahen Organisationen machen, aber Leitl antwortet darauf inhaltlich sehr vernünftig und betont Gemeinsamkeiten, etwa die individuelle Wahl über Arbeitszeit und Pensionsantritt zu fördern.

Unter dem Strich ist in dem gesamten Gespräch keine einzige inhaltliche Frage gestellt worden. Nicht einmal wurde das marktliberale Glaubensfundament des WKÖ-Präsidenten herausgefordert. Das ist deshalb nicht nötig, weil man sich inhaltlich sowieso einig ist (ein Mangel an Strukturreformen ist schuld an der vermeintlich schlechten Wettbewerbsfähigkeit und diese ist wiederrum schuld an Wachstumsschwäche und steigender Arbeitslosigkeit). Dass es eine internationale Diskussion von der OECD über den IWF bis hin zu den Milliardären George Soros und Nick Hanauer gibt, die diese Sichtweise in Frage stellt, stört nicht. Was Wettbewerbsfähigkeit eigentlich genau ist (Sinkende Lohnstückkosten? Leistungsbilanzüberschüsse? Höhere Anteil am Weltexport?) und welche Strukturreformen diese wirklich fördern würden (Was haben Pensionssystem oder Föderalismus eigentlich mit Weltmarktanteilen im Export zu tun?), weiß man nicht. Wer die Modewörter Wettbewerbsfähigkeit und Strukturreform im Mund führt weiß sich im Mainstream und braucht sich nicht um Details zu kümmern.

Volker Obermayer und einschlägige KollegInnen haben keine große Lust ihre journalistischen Sorgfaltspflichten ernst zu nehmen, was wahrscheinlich auch daran liegt, dass es sehr mühselig ist sich mit den Diskussionen in der Tiefe auseinandersetzen. Dabei gibt es genau deshalb einen öffentlich-rechtlichen Rundfunkt gibt, damit sich jemand profund mit der Materie beschäftigt und sich nicht der Bequemlichkeit hingibt, den Mainstream zu reproduzieren. Aus diesem Grund abschließend ein kleiner Schummelzettel mit Fragen, die man Marktliberalen stellen könnte. Fragen, die das Gegenüber intellektuell auch ein bisschen fordern würden und geeignet wären, für ein Minimum an Kontroverse zu sorgen:

• Wieso kann das Wachstum der Löhne seit 25 Jahren nicht mehr mit dem Wachstum der Produktivität mithalten?
• Wieso steigen die Preise im österreichischen Export stärker als die Löhne? Das bedeutet doch, dass man sich bei den Löhnen zurückhält, die Profitaufschläge aber weiter wachsen.
• Worin besteht eigentlich der Zusammenhang zwischen Staatsverschuldung und Wettbewerbsfähigkeit? Es gibt doch Länder mit Überschüssen in der Leistungsbilanz und negativer Neuverschuldung des Staates wie Österreich, genauso wie Länder mit Defiziten in der Leistungsbilanz und Überschüssen des Staates wie Spanien vor der Krise.
• Wenn mehr Freihandel mehr Wohlstand bedeutet, müssten dann die Reallöhne nicht steigen statt zu stagnieren? Also entweder gibt es keine Wohlstandsgewinne aus der Globalisierung, oder diese werden ungerecht verteilt.
• Der Anteil der vermögensbezogenen Steuern am Steueraufkommen hat sich seit 1990 gedrittelt, auch die Steuerreformen der letzten Jahre haben das Verhältnis nur geringfügig verbessert. Ist Arbeit in Österreich nicht zu hoch und Kapitel zu niedrig besteuert?
• Würde eine stärkere Besteuerung bestehender Vermögen und eine Entlastung des Faktors Arbeit nicht sowohl starke positive Impulse für die Binnennachfrage schaffen, als auch Anreize für Unternehmen, mehr Beschäftigte einzustellen?
• Wieso soll sich eine stärkere Besteuerung der InhaberInnen von Aktien negativ auf die Performance der entsprechenden Unternehmen auswirken?
• Haben UnternehmerInnen und Reiche wirklich identische Interessen? Wieso ist es in Österreich viel leichter reich zu bleiben als reich zu werden?
• Auf Grund der Studien des Ökonomen Thomas Piketty wissen wir, dass die Vermögenskonzentration Ausmaße erreicht wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Was bedeutet das für die Chancengleichheit, wenn die Gruppe jener die geboren wird ohne jemals theoretisch arbeiten zu müssen immer größer wird?
• Ist so viel ökonomische Macht in so wenigen Händen nicht zunehmend ein Problem für die Demokratie?

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