Neuer Mut

In Österreich hat eine breite Allianz den Ex-Grünen Alexander van der Bellen ins Präsidentenamt getragen. Die ultrarechten Freiheitlichen erleiden eine empfindliche Niederlage.

Vorwärts, 5. Dezember 2016

Am Ende war es nicht einmal mehr spannend: Als gegen Mittag des Wahlsonntages im Flüstermodus die ersten Ergebnisse kleiner Gemeinden Kreise zogen, war schnell klar, dass Alexander van der Bellen in praktisch jedem Dorf zwei bis sechs Prozent besser lag als bei der aufgehobenen Stichwahl vom Mai. Es war ein derart eindeutiger Trend, dass schon am frühen Nachmittag fix war: Das kann nach menschlichem Ermessen nur ein Kantersieg werden. Und als dann bei den ersten Hochrechnungen um 17.15 Uhr die Balken hochschossen, waren die ausgelassenen Wahlpartys schon im Gang.

53,3 gegen 47,7 Prozent, das war kein „arschknapper“ Sieg mehr wie noch beim ersten Urnengang. Damit ist der Ex-Grünen Chef Alexander van der Bellen Bundespräsident, und die rechtsradikalen Freiheitlichen mit ihrem Kandidaten Norbert Hofer fuhren doch noch eine recht empfindliche Niederlage ein.

Im Land selbst war die Überraschung deutlich kleiner als im europäischen Ausland. International hatten sich fast alle schon auf einen neuen Wahlschock eingestellt, nach Brexit-Votum und Trump-Überraschung wurde beinahe schon fix mit einem Wahlsieg Norbert Hofers gerechnet. Entsprechend die Reaktionen: Was, die Österreicher schaffen ein Wunder? Sie zeigen, wie man den Aufstieg der autoritären Rechten stoppen kann?

Aber gemach. So toll ist das Ergebnis auch wieder nicht. Und vor allem: Es kam durch eine einzigartige Koalition zustande, aber damit ist der Aufstieg der Freiheitlichen noch lange nicht gebremst.

Was sind nun die Gründe für den doch recht deutlichen Wahlsieg Alexander van der Bellens?

Erstens: Eine einzigartige, zivilgesellschaftliche Grassrootskampagne hat sich für ihn ins Zeug geworfen, zigtausende junge und nicht mehr ganz so junge Leute, die noch nie Wahlkampf gemacht hatten. Hinzu kamen eine breite Allianz: hunderte Bürgermeister der konservativen ÖVP waren mit im Boot, eine ganze Schar ehemaliger ÖVP-Vorsitzender, praktisch die gesamte SPÖ-Spitze, die kleinen liberalen Neos ohnehin und natürlich die Grünen. Schön, dass es geklappt hat: Aber dass eine solche Allianz gegen einen harten Rechten 53,3 Prozent auf die Waagschale bringt, ist jetzt auch nicht eine Sensation, bei der man schon Champagnerkorken knallen lassen kann.

Zweitens: Die Wählerinnen und Wähler haben es gar nicht goutiert, dass die FPÖ den knappen Wahlausgang vom Mai vor Gericht angefochten und sich damit mit juristischen Tricks eine zweite Chance erschlichen haben. Das hat jedenfalls leichte Vorteile für van der Bellen gebracht.

Und drittens hat der aggressive, von Herabwürdigungen und Hasskampagnen geprägte FPÖ-Wahlkampf zwar ihr hartes, radikales Wutbüger-Stammklientel stabilisiert, ihr aber beim Kampf um die Mitte-Wähler geschadet. Das Votum vom Sonntag ist durchaus auch als Absage an einen Wahlkampf-Stil zu verstehen.

Und viertens hat van der Bellens Wahlkampf- und Kampagnenteam eine wirklich großartige Kampagne hingelegt, die gezielt konservative und christdemokratische Wähler am Land adressiert hat.

Damit wurde ein Wahlsieg Hofers verhindert. Da das Ausmaß dieser Niederlage wohl auch für die FPÖ überraschend kam, sitzt ihr das Ergebnis vielleicht noch einige Wochen in den Knochen. Aber gestoppt ist die Partei deswegen noch lange nicht.

Ob es gelingen kann, sie noch einmal zurück zu drängen entscheidet sich in den kommenden Monaten. Im Augenblick liegt die FPÖ unter ihrem Vorsitzenden Heinz-Christian Strache stabil auf dem ersten Platz in allen Umfragen – bei rund 34 Prozent.

Die Sozialdemokraten haben, seit sie den Kanzler und Vorsitzenden ausgetauscht und mit Christian Kern einen charismatischen, herzeigbaren Vormann haben, erstmals wieder Aufwind. Aber die Partei ist auch grau und alt und wird einerseits nicht gerade als Verkörperung von Schwung und Modernität angesehen, und andererseits hat sich das klassische Milieu der Arbeiter und der unteren Mittelschicht der SPÖ entfremdet – aus diesem Segment sind viele zur FPÖ abgewandert. Diese Gruppen muss die SPÖ von der FPÖ zurück gewinnen – die Wähler im sozialen Wohnbau, die Wähler in den unterprivilegierten Bezirken am Rand der größeren Städte.

Und zugleich muss man neue Allianzen andenken: Denn die Wähler haben auch die ewige Große Koalition zwischen SPÖ und ÖVP satt, in der nichts mehr geht, deren Koalitionäre sich ständig verhaken und blockieren.

Das heißt: Verhinderbar ist ein Wahlsieg und Regierungseinzug der Freiheitlichen, wenn sich die SPÖ so runderneuert und um den neuen Kanzler eine Kampagne fährt, dass sie wieder bei 34-35 Prozent landen kann (das ist durchaus möglich), und wenn zugleich signalisiert wird, dass die ewige ungeliebte Große Koalition nicht sein muss. Dann ist sogar möglich, dass SPÖ, Grüne und liberale Neos im nächsten Nationalrat eine gemeinsame Regierungsmehrheit erreichen.

Den Schlüssel dazu hat wesentlich die Sozialdemokratie in der Hand: Wenn sie es schafft, den entfremdeten Wählern aus den Arbeitermilieus und der unteren Mittelschicht wieder das Gefühl zu vermitteln, die Partei zu sein, die auf ihrer Seite steht, und wenn die Apparatschiks in der Partei aufhören, die Öffnung zu neuen Schichten und Aktivistengruppen zu torpedieren, kurzum: Wenn so etwas wie ein neuer Mut in die Partei Einzug hält, dann kann sie vorführen, wie man die Freiheitlichen aufhält.

Bis dahin war der Erfolg von van der Bellen, mit vereinten Kräften realisiert, nicht viel mehr als ein erfreulicher Etappensieg.

Ein Gedanke zu „Neuer Mut“

  1. Man weiß ja aus der Sozialpsychologie,
    dass ein sehr starker Druck zur Konformitiät entsteht, wenn das „Alle gegen einen“-Spiel gespielt wird und sich „alle“ anderen einig sind, dass der „eine“ verhindert werden muss.

    Dann ist sogar möglich, dass SPÖ, Grüne und liberale Neos im nächsten Nationalrat eine gemeinsame Regierungsmehrheit erreichen.

    das währe ideologische Monoperceptose Gute Nacht WIEN

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