Hat wer ein Narrativ übrig?

Der Rote Faden, meine Kolumne aus der taz – Jänner 2017

Als rational denkende, vernunftbegabte Menschen würden wir – also Sie und ich – uns ja nie von simplen, betörenden Storys beeinflussen lassen. So jedenfalls denken wir uns das. Das ist gewissermaßen unser Selbstbild. Man könnte auch sagen: die simple, betörende Story, die wir uns über uns selbst erzählen.

Aber wir wissen auch, dass das nicht so stimmt. Nicht nur die Werbeindustrie lebt davon. Auch die Politik ist davon geprägt.

Die Konservativen: Sie erzählen die Geschichte von der fleißigen, sparsamen schwäbischen Hausfrau, die nicht mehr ausgibt als sie einnimmt. Und das ist nicht nur eine ökonomische, sondern eine moralische Allegorie. Diese Hausfrau ist verantwortungsbewusst, sie liegt niemandem auf der Tasche. Sie würde wohl nie ihr Haushaltsgeld für eine Flasche Rum ausgeben und sich einen hinter die Binde kippen.

Der Rechtspopulismus ist ohnehin eine mythenbasierende Politik. Der kleine Mann gegen die korrupten Eliten. Unten gegen Oben. David gegen Goliath. Die Nation „great Again“ machen. Auch mache Demagoginnen, die sich links tarnen, wie Sahra Wagenknecht versuchen dieses Muster nachzuspielen und erzählen die Story: Sie belügen Euch, aber das Volk lässt sich nicht mehr belügen und ich erzähle Euch die Wahrheit. Etwa: Wenn Assad Fassbomben und die Russen Bombenteppiche über Aleppo legen, dann sind in trotzdem irgendwie immer die Yankees schuld.

Auch die Linken und Progressiven hatten in den vergangenen 150 Jahren solche einfachen Geschichten: die einfachen Arbeiter, die aber die Welt erobern werden, weil sie es ja auch sind, die alle Reichtümer schaffen. Den Untersten gehört die Zukunft, die letzten werden die ersten sein. Aber dafür muss man hart an sich arbeiten: etwas lernen, sich bilden, sich organisieren. Und sie hatten Heldengeschichten: Geschichten von Figuren, die auch unter widrigen Bedingungen aufgestanden sind und den notwendigen Kampf gekämpft haben, mit dem Wind, der ihnen ins Gesicht blies. Mit nichts auf ihrer Seite, als der Vermutung, dass die Geschichte auf ihre Seite sei.

Aber welch ein Narrativ haben die Progressiven heute? Auf Opendemocracy.net fand unlängst eine interessante Debatte über das „Myth Gap“ statt – salopp übersetzt also über die „Mythen-Lücke“, die den Progressiven zu schaffen mache. „Während unsere Instinkte dahin gehen, den Lügen und Verzerrungen mit Fakten und Daten zu begegnen, ist die wirkliche Herausforderung, die Rechten auf dem Feld der Mythenproduktion und des Storytelling zu schlagen.“ Es braucht also ein „Narrativ“, in das sich all die Fakten und Daten und Positionen zu Sachfragen einfügen. George Lakoff, der linke amerikanische Guru des „politischen Framing“, hat das einmal so formuliert: „Sachfragen sind zweitrangig. Sie sind nicht unbedeutend oder unwichtig, aber sie sind zweitrangig. Eine Position in Hinblick auf Sachfragen sollte immer abgeleitet werden von den Werten, und die Entscheidung, welche Sachfragen man ins Zentrum stellt, sollte diese Werte symbolisieren.“

Lakoff weiter: „Jeder liebt eine gute Story. Ein gutes Argument beinhaltet eine Geschichte – mit Helden und Schurken. Diese Geschichten helfen dabei, Werte, Grundsätze, Meinungen, Statistiken in Erzählungen zu verwandeln, die einen Beginn, eine Mitte und ein Ende haben. Die grundlegenden Rollen in diesen Narrativen sind Held, Schurke, Opfer und Helfer. Viele dieser Geschichten handeln von Selbstverteidigung, Rettung, wie man Hürden und Hindernisse überwindet (der Held als Opfer von Umständen, die er aber meistert), oder wie man seine Potentiale realisiert (der Held hat spezielle Talente und durch Disziplin und Glück verhilft er ihnen zum Durchbruch). Der Autor und frühere Arbeitsminister Robert Reich nennt „vier essentielle amerikanische Storys“. Erstens, die vom „siegreichen Individuum“, also vom Self-Made-Man. Zweitens, die „mildtätige Gesellschaft“, erzählt, dass wir alle zusammengehören in einer Community. Eine eher negative Story ist die vom „Mob, der schon am Eingangstor rüttelt“, also von Bedrohung. Zuletzt die Geschichte von der „Fäulnis an der Spitze“, also die Eliten, die ihre Macht gebrauchen und das Gemeinwesen ausplündern.“

Alex Evans meint auf Opendemocracy.net, progressive Storys müssen Bilder evozieren von einem „größeren Wir“ – also von einer Gemeinschaft, die zusammen etwas weiter bringt -, von einem „längeren Jetzt“ – also von einer besseren Zukunft -, und von einem „besseren Leben“. Und diese Geschichten müssen Komplexität so reduzieren, dass sie gewissermaßen ein Leitfaden „durch die enormen psychologischen Herausforderungen turbulenter und unsicherer Zeiten“ sind.

Übrigens: Bertolt Brecht wurde einmal gefragt, welches Buch für ihn das Prägendste war. Seine Antwort ist legendär: „Sie werden lachen, die Bibel.“

Ein Gedanke zu „Hat wer ein Narrativ übrig?“

  1. Bilder, Held, Schurke, blablabla…
    Wer ein solches Milieu etablieren möchte, hilft den Rechten massiv, genau das Umfeld aufzubauen, indem sich diese pudelwohl fühlen.
    Vielleicht ist das ja einer der Gründe, warum die Progressiven versagen, wenn man dem Deppen hinterherrennt, gewinnt am Schluß der Depp, ganz einfach.

    Werte ja, Sachfragen, auch ja. Was es ganz einfach braucht, sind Utopien (nicht zu verwechseln mit Ideologien).

    Und Utopien gibt es. Ökologisierung, soziale Gerechtigkeit, Demokratisierung der Arbeitswelt, Globalisierungskritik, technische Utopien….

    Was die Progressiven eigentlich lähmt, ist ihre Stockholm-verdächtige Hingabe an die Gendrifizierung und Ethnisierung aller möglichen politischen Fragen.

    Der Aufstieg der Rechten hat einen Vorteil- er könnte den Progressiven bei etwas helfen, wozu diese selber bisher nicht in der Lage waren: Sich aus dem freiheitsfeindlichen Würgegriff der political correctness zu befreien.

    Da wo dies bereits der Fall ist, sind linke und linksliberale Kräfte ausgesprochen erfolgreich:
    Syriza, Podemos, Fünf Sterne (Italien), Globalisierungskritiker, occupy(zu früh totgesagt),black lives matter, die Piraten (die sich aus anderen Gründen selbst abgeschossen haben).

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