Der Papst und der Aufklärer

Wie sich der Großinquisitor Joseph Ratzinger und Jürgen Habermas, der Pontifex der freien Denkens, verbrüderten.  profil, April 2005

 

 

Es war ein hochprozentiges Gipfeltreffen von Spirito und Ratio, das sich da vergangenes Jahr in der Katholischen Akademie in Bayern zutrug – und es hinterließ die deutsche Geisteswelt einigermaßen verstört. Da trafen sich Joseph Kardinal Ratzinger, der Erbe der römischen Großinqisitoren und Jürgen Habermas, als geistiges Oberhaupt der Frankfurter Schule die Personifizierung der säkularen Vernunft – und das Ergebnis war ein Tete-a-Tete mit viel Einigkeit. Ein "Gipfel der Freundlichkeiten", wie die Hamburger "Zeit" leise irritiert feststellte.

 

Der bedeutendste deutsche Intellektuelle und der mächtigste Theologe waren sich tatsächlich sehr nahe gekommen. Habermas hatte wiederholt, was er bereits bei seiner Friedenspreis-Rede im Jahr 2001 angedeutet hatte: dass ihn neuerdings die Sorge vor "den Risiken einer entgleisenden Säkularisierung" umtreibt. Vor allem die Humangenetik berge die Gefahr, dass der Mensch macht, was machbar ist. Das Geschöpf wird zum Schöpfer. Zur Abwehr dieser Risiken könne das religiöse Bewußtsein beitragen, so Habermas. Der Begriff von der "Gottesebendbildlichkeit" des Menschen beinhalte ja, dass der Mensch dem Schöpfer nur ebenbildlich – und eben nicht selbst Schöpfer – ist.

 

Man muss, so Habermas, an diese religiösen und theologischen Prämissen nicht glauben, um zu verstehen, was verloren ginge, gerieten sie völlig in Vergessenheit. Aber Habermas‘ religiöse Wendung erschöpft sich nicht in der Kritik an der Humangenetik. Für ihn hat die Aufklärung, die säkulare Vernunft, gesiegt. Die Religion habe lernen müssen – und gelernt – was ihre Rolle in der Moderne ist. Jetzt müsse auch die Vernunft erkennen, dass eine säkulare Welt nicht eine antireligiöse Welt werde. Die multikulturelle Gesellschaft wird eine multireligiöse Gesellschaft. Kurzum: Die Vernunft muss sich auf den Glauben einlassen.

 

Es verwundert nicht, dass diese Ausführungen des Freigeists Habermas den Repräsentanten des Heiligen Geistes, Ratzinger nämlich, mit viel Freude erfüllten. "Im operativen Bereich sind wir uns einig", staunte Ratzinger – womit er wohl meinte, dass er wie Habermas die Naturwissenschaft an die Leine nehmen wolle. Mit Habermas sieht er die Religion als die "vorpolitische moralische Grundlage" der Demokratie. Ob die Instanz Kirche als oberste Autorität oder als Korrektiv der Moderne, das vor Entgleisung schützen solle, gedeutet werden soll, ließen die Herren im Pathos des Einigseins ungeklärt.

 

Dass Ratzinger, der Premierminister Gottes, auch noch ganz aktuell – der Irakkrieg war gerade vorbei – das "Recht des Stärkeren" geißelte, machte ihn für Habermas, den Fürsprecher der Verrechtlichung internationaler Beziehungen, zu einen geradezu natürlichen Bündnispartner. Dass der oberste Verkünder vatikanischer Denkverbote in mancher Hinsicht überhaupt nicht zum Philosophen des "herrschaftsfreien Diskurses" passen will, fiel in der herzlichen Umarmung von weltlichem und heiligen Geist nicht weiter auf.

 

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