„Ist Blair ein Linker, Herr Layard?“

Richard Layard, Ökonomieprofessor in London, über das britische Wirtschaftswunder, Labours positive Bilanz und Tony Blairs Aussichten auf eine Wiederwahl im Mai. profil, April 2005

"Extrem erfolgreich"

 

 

In Kontinentaleuropa hat man Tony Blair eigentlich eher für einen Dampfplauderer und New Labour für ein Marketingphänomen gehalten. Jetzt stellt sich heraus: Es gibt ein britisches Wirtschaftswunder. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Rekordtief. Klingt ziemlich nach einer Erfolgsstory.

 

Layard: Die Regierung ist extrem erfolgreich. Die britische Wirtschaft ist in hervorragendem Zustand. Das ist vor allem Folge makroökonomischer Maßnahmen, besonders einer expansiven Politik ab 2001. Die öffentlichen Dienste, besonders das Gesundheitssystem, das in einem schrecklichen Zustand war, wurden verbessert. Und es wurde viel getan, um die Kinderarmut zu bekämpfen. Das sind alles langfristige Aufgaben, den Fortschritt merkt man da nicht so schnell.

 

Aber trotzdem ist Großbritannien unter Blair noch ungleicher geworden.

 

Layard: Ja, aber es gibt einen starken Druck in Richtung Ungleichheit, weil die unteren Einkommensbezieher sehr schlecht qualifiziert sind. Es gibt in Großbritannien einen deutlichen Unterschied etwa zu Österreich und Deutschland mit seinem dualen Ausbildungssystem. Es wird aber auch in Großbritannien sehr viel getan, um die Fähigkeiten der Niedrigqualifizierten zu verbessern.

 

In Kontinentaleuropa hat man zunehmend den Eindruck, gegen die Massenarbeitslosigkeit ist kein Kraut gewachsen. Was kann man hier vom Blairismus lernen?

 

Layard: Das ist wissenschaftlich ganz leicht zu zeigen: Wenn Sie Leute dafür bezahlen, dass sie arbeitslos sind, ohne dass Sie irgendwelche Bedingungen stellen – dann ist hohe Arbeitslosigkeit das Resultat. Wir haben in Großbritannien den Druck auf die Arbeitslosen erhöht, sich eine Stelle zu suchen. Labour hat dem aber eine positive Seite hinzugefügt: Niemand darf jetzt lange Zeit arbeitslos sein, ohne dass er ein Arbeitsangebot erhält. Die Arbeitsämter müssen jungen Menschen innerhalb von sechs Monaten ein echtes Angebot machen. Dann aber hat die Person aber auch die Pflicht, eine der angebotenen Möglichkeiten zu akzeptieren. Das hat funktioniert.

 

Die Schöder-Regierung in der BRD versucht das derzeit mit ihren Hartz-Reformen…

 

Layard: Ich bin mir absolut sicher, dass diese Maßnahmen innerhalb von zehn Jahren auch in Deutschland einen vergleichbaren Erfolg bringen werden.

 

Diese Maßnahmen werden von traditionellen Linken als zu autoritär abgelehnt. Diese Kritik teilen Sie nicht?

 

Layard: Nein. Niemand hat das Recht, unbegrenzt von anderen Leuten ausgehalten zu werden, wenn er die Möglichkeit hat, für sich selbst zu sorgen. Natürlich, es gibt einige Leute, die haben keine Chance, für ihren Lebensunterhalt aufzukommen. Vielen müssen wir erst helfen, zu lernen, sich selbst zu helfen. Es ist die Pflicht des Arbeitsmarktservices, diese Impulse zu setzen, den Leuten auch einen Schubs zu geben.

 

Aber es gibt doch Regionen wie Ostdeutschland, die sind weitgehend entindustrialisiert. Dort gibt es gar keine Möglichkeiten, die ein Arbeitsloser annehmen könnte.

 

Layard: Ostdeutschland ist ein Sonderfall. Da stiegen die Einkommen im Vergleich zur Produktivität zu schnell. Das war schlecht für die Menschen. Glück, um das Thema meines Buches anzusprechen, ist viel mehr beeinflusst von Arbeit als von Einkommen. Arbeitslosigkeit ist also viel schlimmer als etwas geringeres Einkommen. Wir hatten auch solche Regionen. Dort führte der Fall der Löhne dann zu einer wirtschaftlichen Erholung.

 

Um noch einmal auf Blair zurückzukommen: Eine Regierung mit einer solchen Bilanz sollte eigentlich kein Problem haben, wiedergewählt zu werden. Trotzdem steht es nicht so gut um Blair.

 

Layard: Ich bezweifle das. Wir werden sehen.

 

Was meinen Sie?

 

Layard: Ich bin mir ziemlich sicher, dass Labour wieder die Regierung stellen wird. Im ungünstigsten Fall wird New Labour die Hilfe der Liberaldemokraten benötigen.

 

Und Blair persönlich?

 

Layard: Ich glaube, der Anteil der Leute, die ihm wegen des Irakabenteuers bestrafen wollen, ist weit unter zehn Prozent.

 

Ist er aber noch eine Hilfe für seine Partei?

 

Layard: Daran besteht gar kein Zweifel. Ganz sicher. Er ist immer noch das Ass im Ärmel von New Labour. Er ist der, der die politische Mitte bindet.

 

Sein Rivale Gordon Brown könnte das nicht?

 

Layard: Ja, er könnte das schon auch. Aber Blair gibt den Leuten Sicherheit. Er hat eine überzeugende Art. Wenn man sich die Frage stellt, warum Labour heute als die derart natürliche Regierungspartei erscheint, dann lautet die Antwort: Blair.

 

Sie haben gerade ein Buch herausgebracht mit dem Titel: "Die glückliche Gesellschaft". Ist Großbritannien heute in glücklicheres Land als vor acht Jahren?

 

Layard: Ich zeige anhand vieler Daten, dass Glück viel mehr ist als wirtschaftliche Prosperität. Glück hat mit vielen Lebensumständen zu tun, mit der Qualität der Arbeitsverhältnisse, dem sozialen Zusammenhalt eines Gemeinwesens. Alle diese Lebensverhältnisse stehen immer noch unter erheblichen Stress. Dieser Individualismus, der als Ideologie aus den USA herüberschwappte, dass wir unser Leben wie ein Unternehmen führen sollen, macht die Menschen unfroh. Das ist in acht Jahren Blair nicht weniger geworden, auch wenn andere Faktoren – Armut, Arbeitslosigkeit – in Richtung mehr Glück weisen.

 

So gut ist die Bilanz von Blair also dann auch wieder nicht?

 

Layard (lacht): Das Glück zu vermehren hat er sich für eine dritte Amtszeit aufgehoben.

 

Interview: Robert Misik

 

—–

Kasten 1.

 

Zur Person: Lord Richard Layard ist Direktor des Center für Economic Performance an der renommierten London School of Economics. Er beeinflusste maßgeblich die Arbeitsmarktprogramme der Labour-Regierung. Vergangene Woche war Layard auf Einladung des Renner-Insituts in Wien, um sein Buch "Die glückliche Gesellschaft. Kurswechsel für Politik und Wirtschaft" vorzustellen (Campus-Verlag, ?? Seiten, ?? Euro) 

 

—-

 

Kasten II. (Zweispalter)

 

Problemfall Blair

 

Die Bilanz des britischen Premiers ist nach acht Jahren eindrucksvoll. Aber Blairs Glanz ist ziemlich bröckelig.

 

Eigentlich sollte der Wahlgang am 5. Mai für den Mann ein Spaziergang sein. Acht Jahre ist Tony Blair jetzt im Amt und die Wirtschaft brummt, die Arbeitslosigkeit ist auf einem 30-Jahre-Rekordtief. Und, worüber man in unseren Breiten wenig weiss: die Blair-Regierung hat, aller New-Labour-Rhetorik zum Trotz, in ihrer Amtszeit mehr umverteilt als irgendeine Regierung vor ihr. Milliarden Pfund wurden etwa eingesetzt, um Kinder, die in Armut leben, aus der Misere zu heben. Kleinverdiener müssen nicht nur keine Steuern zahlen, ihnen wird sogar etwas zugeschossen und Alleinerziehende haben privilegierten Zugang zum Arbeitsmarkt.

 

Die Stimmung ist gut im Land, und dass die Konservativen wieder an die Regierungsposten kommen, will kaum jemand – jedenfalls bei weitem keine

Mehrheit der Briten.

 

Das einzige Problem das Tony Blair hat – ist Tony Blair. Vor allem sein Bündnis mit US-Präsident George W. Bush und die Militärintervention im Irak hat die Reputation des einstigen Strahlemannes arg beschädigt. Traditionelle Linke und linksliberale Parteigänger von Labour verübeln den Blair-Leuten auch eine etwas autoritäre Innenpolitik, Anti-Terrormaßnahmen die die – üblicherweise sehr liberal interpretierten – Bürgerrechte aushebeln und eine restriktive Einwandererpolitik. All dies zusammen führte zu einem gewissen Überdruss an Blair.

 

Zwar liegt seine Partei nun, drei Wochen vor der Wahl, mit 39 Prozent in den Umfragen wieder deutlich vor den konservativen Torys (33 Prozent), deren Spiel mit xenophoben Parolen offenbar nach hinten losgeht, doch die Labour-Strategen sind dennoch nervös. Viele ihrer Wähler, so glauben sie, wollen zwar, dass ihre Partei an der Regierung bleibt, sie wollen aber ebenso Tony Blair einen Denkzettel verpassen. Was, wenn diese Wähler nicht zur Wahl gehen?

 

Schon geben kritische Labour-Unterstützer wie Polly Toynbee, Guardian-Kolumnist, die Parole aus: „Haltet Euch die Nase zu und wählt Blair“.

 

So deutlich kann das Labour natürlich nicht sagen. Doch die Partei stellt in auffälliger Weise Gordon Brown, den ewigen Blair-Rivalen, gleichberechtigt mit dem Premier in die erste Reihe. Die Kampagne konzentriert sich auf Schatzkanzler Brown, der als der Architekt des britischen Wirtschaftswunders der vergangenen Jahre gilt. Eigentlich, weiss man in Londons eingeweihten Kreisen, reden Blair und Brown kaum mehr miteinander. Bei einem gemeinsamen Wahlkampftermin zeigten sie sich dafür umso jovialer. „Er macht die ganze Arbeit und ich krieg‘ den Applaus“, scherzte Blair und deutete auf seinen Gegenspieler. „Das gefällt mir.“

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.