Die Multitude ist anderswo

Der Leitartikel zur Linksparteigründung in der taz, Juni 2006

 

Jetzt sieht es also sehr danach aus, als würde ein Akronym-Bindestrich-Bündnis aus PDS und WASG antreten, mit den beiden Trommlern Gregor Gysi und Oskar Lafontaine an der Spitze. Das ist gut so. Es gibt ein weit verbreitetes Unbehagen an Kapitalismus & Kommerz, dass alles Ware wird, Menschen nur Kostenfaktoren auf zwei Beinen sind, verderbliches Humankapital, das zum Gerümpel geworfen wird, wenn’s denn keinen Gebrauch mehr dafür gibt. Das Lamento an der "Ökonomisierung aller Lebensbereiche" gehört auch im sozialdemokratischen Kernmilieu längst wieder zum guten Ton. Dass dieses Unbehagen politisch repräsentiert wird, ist gut. Immerhin, ein dissonanter Klang im Einheitschor, der hierzulande "Politik" heißt.  

Und doch kommt einem sofort das große Gähnen. Was sich da vereinigt, sind Repräsentanten einer untergegangenen Epoche, Überlebende jenes Neolitikum, das gemeinhin "Fordismus" genannt wird: der formierten Gesellschaft mit ihren Arbeiterheeren und ihren festen Milieus. Das gilt paradoxerweise für die WASG noch mehr als für die PDS. Stark gewerkschaftlich geprägt, tummelt sich hier das westdeutsche Sozialmilieu der siebziger Jahre; vornehmlich Männer, geprägt von der Institutionen-Politik, die sich grämen, dass die Zeit über sie hinweggegangen ist. Frust-Faktor: Hoch. Die PDS ist ihrerseits Erbe der ostdeutschen Abart der fordistischen Arbeiterbewegung. Sie hat den Vorteil, dass ihr das Erbe in derart zerschlissenen Zustand übergeben wurde, sodass sie in den vergangenen 15 Jahren nicht daran herumkam, sich mental wenigstens teilweise zu modernisieren. Man könnte in gewissem Sinne sagen: In dieser Linkspartei werden die Ossis die Wessis sein.

Die Linkspartei ist das Symptom eines Mangels – aber sie behebt den Mangel nicht. Denn an den Dilemmata der Linken ändert sich nichts. Jetzt gibt es eine Sozialdemokratie mehr, eine eher traditionelle, die es immerhin zu einem Thema macht, dass Gerechtigkeitsnormen seit Jahren grob verletzt werden – die aber nicht weiss, wie das zu ändern ist; und die kulturell die Freiheitsgewinne nicht versteht, für die der Postfordismus auch sorgt.

Was sich an Widerständigkeit, frischem Dagegensein, aber auch an Kreativität in den westlichen Gesellschaften tummelt, wird von solch dunkelgrauem Sozialismus weder repräsentiert noch organisiert. Die Multitude, um das mit einem Modewort zu sagen, ist anderswo.  

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