Gewaltlockungen

Die RAF als vages Chiffre für Radikalität und die ewige existentialistische Frage: "Wie weit bist Du bereit zu gehen?". Die Berliner RAF-Ausstellung, nun in der Neuen Galerie zu sehen, trifft einen Nerv. Anbei: In Interview mit Ex-RAF-Frau Astrid Proll. Falter Steiermark, Juni 2005


 

Es war ein dürres Konzeptpapier mit dem Titel "Mythos RAF", das Deutschland im Sommer 2003 eine nahezu hysterische Debatte bescherte. In der Schau, deren Planung gerade erst begonnen worden war, solle auch überprüft werden, "welche Ideen, Ideale … ihren Wert durch die Zeit behalten" hätten. Dieser Satz hätte das Projekt beinahe in frühem Stadium gekippt. Angehörige von RAF-Opfern protestierten heftig, der deutsche Kanzler zeigte sich not amused und die Berliner Kulturförderer verlangten ihr Geld zurück. Nur mit Ächzen und Würgen brachten die Kunst-Werke dann eine reduzierte Schau mit dem Titel "Zur Vorstellung des Terrors – Die RAF" heraus. Man zog sich auf das sichere Terrain der Kunst zurück. Einen Gutteil ihrer Energie mussten die Kuratoren dafür aufbringen, Vorwürfe abzuwehren, sie würden die RAF glorifizieren. "Narrative Formen bergen viel eher die Gefahr des platten Identifikationsangebotes", bekundete etwa Felix Ensslin, Kunsttheoretiker, Philosoph und Sohn der RAF-Gründerin Gudrun Ensslin.

 

Ohnehin greift die umstrittene Formel vom "Mythos RAF" nur auf, was längst eine gesellschaftliche Tendenz ist: die RAF-Leute sind "in der Welt der Popkultur zu glitzernden Ikonen der Gewalt geworden", so Jens Jessen in der Hamburger Zeit. Die Steckbriefe sind vergilbt, man erinnert sich kaum mehr an die "bleierne Zeit", als sich Staat und RAF ein – nicht ganz finales – Shootout lieferten.

 

Indes kam die RAF als Teil moderner Ikonographie wieder. Hochglanzmagazine druckten plötzlich Fotostrecken mit RAF-Mode, provozierend angepriesen mit dem Titel: "Prada Meinhof". Immer dabei: Verwegener Blick, schnelle Schlitten (Andreas Baader, die Zentralfigur der RAF, bevorzugte ja BMW). Der Film "Baader", ein mißlungenes Rührstück über Revolte, Glamour und Radikalität, lief in Kino und TV. Die RAF wurde zum Chiffre unbestimmter Verwegenheit und damit zum Symptom geheimer Sehnsüchte. Ein bißchen Bonnie und Clyde, ein bißchen "Damals-war-noch-was-los", wurde die RAF zum Material für’s Kokettieren mit der Radikalität. So wurde die RAF auf das reduziert, was natürlich immer schon ihre Faszination ausmachte und ihr die Ausstrahlung weit hinein in ein linksliberales "Sympathisantenmilieu" garantierte – auf die Frage nämlich: "Wie weit bist du bereit zu gehen?". Vor allem der vitalistische Kraftmensch Baader, Typus Rebel without a Cause, wurde zur Folie für existentialistische Phantasien. Einer, der sich selbst zum Einsatz, zur Waffe macht, alle Brücken hinter sich abbricht. Gewiss ist kaum jemand von den konkreten Gewalttaten der RAF; aber ebenso sicher gibt es eine abstrakte Gewaltlockung und eine Faszination der "Konsequenz und der Möglichkeit des Handelns", wie das Ellen Blumenstein, eine der Kuratorinnen der Ausstellung nennt.

 

Man kann das gut oder schlecht finden – wegschieben kann man das Phänomen nicht. Existierte es nicht, wären nicht 70.000 Leute, unter ihnen ganz viele Junge, in die Schau in Berlin geströmt.

 

Bedient wird der platte Terror-Chic von der Ausstellung jedenfalls nicht.

 

Dass Hans-Peter Feldmanns Bildreihe "Die Toten" gewissermaßen im Zentrum der Ausstellung steht, ist auch als Statement der Ausstellungsmacher zu verstehen. 90 Opfer politischer Gewalt, die Opfer der RAF, aber auch die toten RAF-Mitglieder hat Feldmann aneinander gereiht, kommentarlos. Wenn man die Leute sieht, die ihr Leben für nichts gelassen haben, hört sich jede Lust auf das Heroische schnell auf. Es findet sich witziges, auch belangloses. Der Selbstanspruch der RAF wird dekonstriert, etwa von Lutz Dammbeck, der ein Baader-Porträt mit dem Bild eines Arno-Breker-Kopfes zusammennähte, was die Frage virulent macht, inwiefern die RAF, die sich auch als Gegenreaktion auf den Nazismus der Vätergeneration verstand, nicht selbst eine fatale Wiederholung dieser Gewaltverstrickung darstellte. Der Austro-Niederländer Theo Ligthart wiederum verschneidet den RAF-Anspruch, Avantgarde sozialer Kämpfe zu sein, mit dem Avantgarde-Begriff, der heute auch zur Bewerbung von Luxuskarossen von Daimler-Benz taugt. Man sieht viel, was man schon kennt, manches, was ohne Vorwissen nicht verständlich ist und einiges, was im Kosmos der Kunst neue Erkenntnisse über Produktionsprozesse bietet – etwas Gerhard Richters Vorarbeiten zu seinem "1977"-Zyklus. Die inhaltliche Begleitung besorgt eine umfassende Dokumentation der Berichterstattung über die RAF in deutsche Zeitungen und Zeitschriften zwischen 1967 und 1998 und eine archivarische Abteilung.

 

Man kann gewiss einwenden, die Kuratoren hätten sich von der Kampagne gegen ihr Projekt zu sehr die Schneid abkaufen lassen. Sie haben sich auf das Terrain der Kunst zurückgezogen und das tapfer gerechtfertigt, indem sie dieser eine "Vorreiterrolle bei der Verarbeitung der gesamtgesellschaftlichen Traumata" zuschrieben. Diese Funktion der Kunst ist natürlich so wahr wie banal. Aber eine Beschränkung auf das Bild ist deswegen noch lange keine Tugend.

 

Nur ist eine Ausstellung, zumal dann, wenn sie einen Nerv trifft, ohnehin keine hermetische Veranstaltung. Bisweilen wurde der Schau vorgeworfen, sie scheue die Debatte, die inhaltliche Auseinandersetzung – nur kam der Vorwurf meist im Rahmen dessen, dessen Mangel beklagt wurde, nämlich im Rahmen einer inhaltlichen Auseinandersetzung. So erweist sich wieder einmal: Das wichtigste an einer solchen Ausstellung ist das, was drumherum passiert.

"Faszination des Verbotenen"

 

Die Ex-Terroristin Astrid Proll über das neue Interesse an der RAF, ihren Mitstreiter Andreas Baader und die "unschuldigen" frühen Tage im Untergrundkrieg. Interview: Robert Misik

 

Astrid Proll, 58, zählte mit Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof zum engsten Gründungskern der Roten Armee Fraktion (RAF). Sie wurde nach knapp einem Jahr im Untergrund 1971 als eine der ersten RAF-Terroristen verhaftet. 1974 auf freien Fuss gesetzt, floh sie nach London. 1978 wurde sie abermals festgenommen und nach Deutschland ausgeliefert, kam aber kurz darauf frei. Heute arbeitet sie als Bildredakteurin für diverse Zeitungen und unterrichtet an Kunsthochschulen. Ihr Fotoband "Hans und Grete. Bilder der RAF 1967-1977" erschien im Berliner Aufbau-Verlag.

 

RAF-Bücher gehen wie die warmen Semmeln, RAF-Sujets werden von der Werbung aufgegriffen, die RAF-Ausstellung erlebte in Berlin einen regelrechten Hype. Kommt die RAF dort an, wo Che Guevara schon ist?

 

Ich werde oft nach der heutigen Faszination der RAF gefragt – die gibt es zweifelsohne. In jedem Fall hat das mit dem Vormarsch des Bildes in der Medienwelt zu tun. Die Jungen nehmen das, was die RAF war – sie nehmen das als Zeichen, das sie hemmungslos umdeuten.

 

Dann wird die RAF in einen existentialistischen Kosmos eingepaßt: die RAF-Leute faszinieren als Menschen, die alle Brücken hinter sich abgebrochen haben…

 

…das spielt hinein. Hinzu kommt die Faszination des Verbotenen. Die RAF-Geschichte hat alle Facetten einer dramatischen Geschichte.

 

Sie haben 1969 Andreas Baaders Mercedes  nach Paris gefahren und sich den Flüchtigen angeschlossen, sind dann mit Baader und Ensslin und anderen in den Untergrund gegangen. In Paris haben sie Fotos gemacht, die mittlerweile legendär sind. Diese Fotos irritieren die Bilder, die man allgemein von der RAF im Kopf hat…

 

Was haben Sie denn für Bilder im Kopf?

 

Die von einer schwer irrationalen Terroristengang, die sich im Herbst 1977 einen Shootout mit dem Staat lieferte.

 

Man hat sich angewöhnt, alles vom Schluss her zu deuten. Man hat damals nicht gewusst, wie es endet. Auch wenn man irrsinnig militant sein und alles riskieren wollte, man hat nicht gewusst, dass es bei Hinrichtungen, Mord und Entführungen endet. Ich blende das Ende  gar nicht aus. Aber es gab einen Übergang von der Studentenbewegung zur RAF. Und die Pariser Photos dokumentieren gerade den Übergang.

 

Baader und Ensslin hätten wegen der Kaufhausbrandstiftung in Frankfurt wieder ins Gefängnis gemußt, um ihre Reststrafe abzusitzen. Um dem zu entgehen, hauten sie ab…

 

…das war der Moment, als sie ihre Existenz in Deutschland abbrachen, um später illegal zurückzukehren.

 

Warum sagen Sie eigentlich "sie"?

 

Ich sage das, weil ich heute hier sitze und noch lebe – im Unterschied zu den anderen.

 

Man sieht sie in dem Moment, in dem sie in den Untergrund gehen – und das ganze wirkt wie ein großer Spaß, fast belanglos.

 

In diesem Moment wollten sie sich zunächst nur der Verhaftung entziehen. Die Stadtguerilla-Idee existierte noch nicht. Die Idee, eine illegale Gruppe zu bilden, hat mit der Umformung der Studentenbewegung zu tun, der Entstehung der K-Gruppen. Diejenigen, die dann die RAF gründeten, wollten der militärische Arm dieses Spektrums sein. Ausgerechnet als die Stadtguerilla-Idee hochkam, wir waren unterdessen nach Berlin zurückgekehrt, wurde Baader verhaftet. So war der erste Akt die Befreiung von Baader.

 

Unlängst ist über Baader ein Film gedreht worden, gerade erschien eine schwüle Psychostudie. Was ist an dem Typen speziell faszinierend?

 

Auf ihn kann man am meisten draufpacken. Er war ein durchsetzungsfähiger Typ. Er war eine Führungsfigur. Andererseits weiß ich gar nicht, ob das so ist, dass sich diese heutige RAF-Faszination zentral um Baader dreht.

 

Er wird zum Posterboy stilisiert, so von der Art: Rebel without a cause. Fast wie James Dean.

 

Das geht bei ihm vielleicht, weil er nicht diese moralische Karriere hatte, wie etwa Ulrike Meinhof, die in ihrem journalistischen Vorleben gegen viele Ungerechtigkeiten angeschrieben hat. Ihr kann man deshalb nicht einfach die politische Ernsthaftigkeit absprechen. Baader kann man leichter angreifen. Etwa, weil er mal ein Auto geklaut hat. Aber eigentlich ist das doch ziemlich lächerlich.

 

Sie haben unlängst gesagt, es gab eine "unschuldige Phase" der RAF. Das klingt doch etwas abenteuerlich.

 

Ich meine natürlich nicht, dass die RAF eine Art Spielerei war, und man ihr hätte freundlich begegnen müssen. Aber nehmen wir nur diese Bilder aus dem Jahr 1969. Wir sehen den Anfang einer Geschichte; man wußte nicht, wie diese Geschichte ausgeht. Die Leute saßen auch nicht mit Pistolen im Café.

 

Und wann schlägt Unschuld in Schuld um?

 

Der Gebrauch des Wortes "unschuldig" ist natürlich eine Provokation. Gerade als ehemalige Mitakteurin hat man immer schnell das Problem, dass jeder genau schaut: distanziert sie sich auch ja ausreichend? Das ist auch in Ordnung.

 

Wieso ist es so schwierig, über die eigene Verstrickung angemessen zu reden? Im Film "Schleyer – eine deutsche Geschichte" kam Stefan Wisniewski zu Wort, ebenso Peter-Jürgen Boock, beide Mitglieder des Schleyer-Entführungskommandos 1977. Wiesnewski rechtfertigte noch immer, atemberaubend stur, den sinnlosen Mord, an dem er beteiligt war; Boock übte sich in Trauerarbeit, wirkte zerknirscht. Auch das wirkte aber deplaziert.

 

Ich kenne diesen Film nicht. Grundsätzlich habe ich mehr Zugang dazu, wenn jemand sich entschuldigt, zugibt, falsch gehandelt zu haben, auch wenn er das damit nicht wieder gut machen kann, als wenn er das zu rechtfertigen versucht. Man kann sich entschuldigen und muss deshalb noch lange nicht zu Kreuze kriechen. Aber man sollte sich auch entschuldigen und dann neu anfangen können.

 

Zurück zu den Bildern. Nach diesen Pariser Bildern gibt es keine eigenen Bilder der RAF mehr, bis Stammheim 1977. Erstaunlich: Heute sind Kriege, Konflikte immer auch Bilder-Kriege.

 

Wir haben die Macht der Bilder nicht benutzt. Wir hatten Angst vor Bildern. Wir haben unsere Bilder ins Klo geschmissen. Wir wollten ja unerkannt bleiben. Wir haben auch unser Äußeres verändert. Die nächsten Bilder, die dann entstanden, waren die Bilder aus der Haft – und das sind dann Polizeibilder. Es sind nicht die Bilder der Menschen, die die RAF waren.

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