Der Nutzensbegrenzer

Im Kaffeehaus ist er eine Berühmtheit und das reicht ihm schon: Franz Schuh, Kritiker, Chronist, Type aus Wien, hat mit „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“ sein Hauptwerk vorgelegt, das aus lauter Nebensachen besteht. taz, März 2006

 

Es gibt in Österreichs Hauptstadt den Typus des Großdenkers, über den man sagt, er sei „in Wien weltberühmt“. Das ist, wie das meiste in Wien, nicht freundlich gemeint. Gemünzt ist die bissige Formel auf Schein-Titanen, die daheim mit Genie-Geste renommieren, es anderswo aber, also in der Welt, zu nichts bringen. Des weiteren gibt es die, die tatsächlich weltberühmt sind, was meint, dass man sie zumindest in Deutschland kennt. Und dann gibt es Franz Schuh.

 

„Franz Schuh ist unter den lebenden österreichischen Prosaschriftstellern der bedeutendste“, formulierte schon Armin Thurnher, der Herausgeber des Wiener „Falter“. Nur wissen das jenseits der Wiener Stadtgrenzen bloß die wenigsten. Gewiss, Schuh schreibt für die „Zeit“ eine regelmäßige Sachbuchkolumne, im Bücherblatt „Literaturen“ hat er seinen fixen Auftritt und wer die „Neue Zürcher Zeitung“ gewohnheitsmäßig zur Hand nimmt, wird seinen Namen auch geläufig finden. Das ist es dann aber auch schon. Franz Schuh ist viel darum zu tun, die Wahrnehmungsschwelle nur im äußersten Notfall zu überschreiten.

Fast ein Wunder, dass er jetzt für den Leipziger Buchpreis nominiert wurde – und zwar in der Disziplin „Sachbuch/Essayistik“. Dazu muss man wissen, dass Franz Schuh so sehr Sachbuchautor ist, wie Karl Kraus oder Anton Kuh Sachbuchautoren waren.

 

„Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“, lautet der Titel seines jüngsten Buches, das dieser Tage erscheint und das ihm die Nominierung einbrachte. Es ist, schreibt er, „mein Hauptwerk, das aus lauter Nebensachen besteht“ – was auch seinem „Widerwillen gegen die Hauptsachen“ entspräche. Es ist eine Sammlung aus Essays, kleinen Betrachtungen, aufmerksamen Beobachtungen, genau in der Sprache, voller Witz und Aberwitz. Schwer zu beschreiben, wovon dieses Buch handelt. „Die Zeit, in der wir leben“, heißt eines der Stücke – und irgendwie weht der Titel auch über dem gesamten Buch. Nur dass Schuh eben keine große Geschichte dieser Zeit schreibt, sondern lauter kleine Geschichten. Disparat ist das deswegen noch lange nicht: Nur fügen sich die Puzzles, aus der die Welt besteht, nicht so einfach zusammen.

 

„Verschone mich mit deinem Durcheinander, ein Thema, wähle ein Thema  – und ich mache dich berühmt“, hat sein Verleger zu ihm gesagt. Das ist, lacht Schuh im Gespräch, ganz klar „eine gefährliche Drohung“, die umso gefährlicher ist, als sie mit dem spielt, was man auch begehrt. Also hat er Abstand von den „Großbegriffen der Menschheit“ gehalten, von denen die Essayistik so oft handelt.

 

Erst wird eine Gerichtsverhandlung im legendären Londoner Strafgericht Old Baily beschrieben, dann ein „Lob der Nutzlosigkeit“ gesungen („Von mir selbst will ich hier unbedingt sagen, dass ich stets streng nach dem Prinzip der Nutzensbegrenzung gelebt habe“), es folgen „Notizen zur Dumpfheit“, Gedanken zum Wiener Beisl (dt. Kneipe) oder Überlegungen zur Langeweile („Seit Jahrzehnten befasse ich mich mit der Langeweile; das heißt, die Langeweile befaßt sich mit mir“). All das so klug wie amüsant und auf jeder Seite finden sich Sätze zum Niederknien, von denen ein paar wenige zumindest den Lesern nicht vorenthalten werden dürfen: So beschreibt Schuh an einer Stelle, wie „aus Kraft und Schwäche ein Leben entsteht, gegen das derjenige, der es führt, sich nicht wehren kann“. Wunderbar die Einstiegssentenz in eine Art Nachruf auf einen Hollywoodstar, der verstarb, weil er im Suff den Ernst einer Verletzung nicht erkannte und einschlief, statt den Doktor zu rufen: „An seinem Leben war nichts Besonderes, außer eben der Todesursache, und an der nur, dass sie nichts Besonderes war; es war nicht einmal eine Todesursache, er lebt nur nicht mehr“.

 

Aber so famos Schuhs Prosa ist, so wird man dem 58jährigen nicht gerecht, wenn man nur über seine Bücher und Texte schreibt. Eine Rezension hat bei einem wie ihm fast etwas Unangemessenes. Schuh, der von Unten kommt (sein Vater, ein Polizist, hat sich noch als Ringer in Wirtshäusern ein Zubrot verdient), der einmal über sich gesagt hat, er habe, was das Leben für ihn geplant hatte, schon bei weitem übertroffen, indem er gelernt habe, überhaupt „einen geraden deutschen Satz zu sprechen“, ist auch das, was man so eine Type nennt. Heute schmückt ihn der Österreichische Staatspreis für Kulturpublizistik, Jean-Amery-Preisträger ist er auch, und er ist fast so etwas wie ein Wiener Original – wenn man einschränkend hinzufügt, dass er alle Vorteile dieses Typus besitzt und keinen seiner Nachteile. Kurzum: Schuh ist selbst eine literarische Figur. Er ist ein unverwechselbarer Vortragskünstler und viele seiner Texte sind eigentlich Hörstücke, dafür geschrieben, von Schuh gesprochen zu werden. Einst machte er sogar Fernsehwerbung für eine große Schuh-Handelskette. Wenn man ihm im Kaffeehaus begegnet, wozu häufig Gelegenheit ist, dann sitzt er da, wie es in einem Bericht auf der Webpage der „höflichen Paparazzis“ heißt, „unverrückbar im Sessel wie ein Schneemann im kalten Januar“. Wenn er da sitzt und redet und redet, dann hat er nichts Autoritäres, aber etwas Autoritatives, was manche in Ehrfurcht erstarren läßt. Mächtig im Körperbau hat er eine massive Präsenz und wirkt wie aus der Zeit gefallen. Er entspricht fast dem Klischee des Kaffeehausliteraten, aber weil das bei ihm keine künstlich-epigonale Pose, sondern irgendwie ganz natürlich ist, ist das Klischeehafte von ihm auch immer schon abgefallen. Man ist sentimental berührt, dass es so etwas noch gibt, und verbietet sich dieses Gefühl sofort angesicht dieses Autors, der ja keineswegs altmodisch ist. Er ist, wie einmal jemand über ihn sagte, insofern ein Schüler des Karl Kraus, als er „die Schule durchlaufen, also am anderen Ende wieder verlassen hat“. Ach, stößt Schuh da zwischen seinen Lippen hervor, denen in solchen Fällen die Schwerkraft hart zuzusetzen scheint: „Man soll mir nicht schmeicheln, dazu bin ich zu eitel.“

 

Schuh ist unter den österreichischen Autoren, die auch die heimische Provinzialität und Dummheit zu ihrem Thema machen, der Meister der Lakonie: Vielleicht, weil er nicht nur beobachtet, sondern sich auch beim Beobachten beobachtet und regelmäßig selbst ins Wort fällt. „Bekämpfe die Dummheit deines Nächstens wie deine eigene“, nennt er ironisch seine Maxime.

 

„Solche Werke erscheinen nur alle paar Jahre, und sie wischen gleichsam ganze Stapel von Mit- und Nebenliteratur vom Büchertisch“, schrieb dieser Tage das Wiener „profil“ über Schuhs neuestes Buch. Wenn er Pech hat, wird er jetzt also doch berühmt. Und weil Schuh, unter den verschiedenen Weisen eitel zu sein es mit der angenehmsten hält, nämlich mit der uneitlen Eitelkeit, nimmt er was kommt, stumm und gelassen: „Was immer dazu gesagt werden könnte, es wäre nur Pose.“ Es ist so ein Schuh-Satz, auf den es nichts zu erwidern gibt. D’rum ruft er, der das weiß, gleich hinterher: „Und bestell’ Grüße zu Hause!“

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