Vergoldetes Elend

Reich ist in unserer Gesellschaft, wer reich an Beachtung ist, formuliert der Wiener Architekturtheoretiker Georg Franck. In seinem neuesten Buch "Mentaler Kapitalismus" beschreibt er, wie das funktioniert

  

Wir leben, schreiben Sie, im "mentalen Kapitalismus". Was ist denn das Neue daran?

 

Franck: Die Ökonomie des Acht-Gebens und des Beachtung-Einehmens ist eine ausgebildete Ökonomie im Sinn einer erweiterten Marktwirtschaft. Zunächst: Die Kapazität bewußten Erlebens wird knapp angesichts des Angebotes. Zweitens wird die Produktivität im wissenschaftlichen, publizistischen, künstlerischen Bereich eher dadurch gemessen, dass man Beachtung einnimmt, und nicht so sehr dadurch, dass man Geld einnimmt. In der Wissenschaft ist die Währung das Zitat. Wissenschaftler arbeiten für die Beachtung anderer Wissenschaftler. Der Reichtum an Beachtung, schließlich, kann auch kapitalisiert werden, er verzinst sich – man verdient Beachtung dafür, dass man ein Großverdiener an Beachtung ist. Da sind wir dann sehr nahe dem, was Bourdieu soziales und kulturelles Kapital nennt, auch an dem Reichtum an Beziehungen.

 

 

Die Beachtung einzunehmen ist meist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, pekuniäre Vorteile zu erzielen. Ist das denn nicht ein Einwand gegen Ihre These vom Durchbruch der immateriellen Ökonomie?

 

Franck: Nein, gar nicht. Natürlich kann man von Luft und Liebe nicht leben. Es ist typisch bei solchen Differenzierungen, dass das Alte nicht stirbt, wenn das Neue an Bedeutung gewinnt und dem Alten Konkurrenz macht. Die Brennpunkte heute sind die Schnittstellen zwischen materieller und immaterieller Ökonomie: die Werbung, die Medien, der Sport (wo es um Ruhm geht), die Mode (wo ohne Aufmerksamkeit überhaupt nichts geht), aber auch die Hochtechnologie, die Pharmaindustrie. Hier gibt es immer die Konflikte zwischen den beiden Ökonomien.

 

Zugegeben, beim Turnschuh ist die materielle Seite der Produktion die Nebensache, Branding das Entscheidende. In der Pharmaindustrie ist das aber wohl nicht ganz so der Fall. Läßt sich das dennoch vergleichen?

 

Franck: Ein Turnschuh und ein Impfstoff gegen die Vogelgrippe gleichen sich in einer Hinsicht erstaunlich: der allergrößte Anteil der Produktion liegt in der geistigen Produktion. Auf der einen Seite ist es die wissenschaftliche Forschung, auf der anderen das Design, der künstlerische Aspekt. In beiden Fällen gilt auch, dass der erste, der Entdecker, den ganzen Gewinn einstreicht. Das macht den Kampf sehr hart – erst recht, wenn er mit schwerem Investment einhergeht. Und in beiden Bereichen wird die Attraktivität durch die Werbung, wenn nicht erst hergestellt, dann zumindest unterstützt. Die Marke muss so gesetzt werden, dass niemand mehr daran vorbeikommt.

 

Warum konsumieren wir eigentlich Marken?

 

Franck: Vielleicht liegt es daran, dass wir durch die Marke, die allen ein Begriff ist, selber ein Begriff werden. Wir partizipieren an der Markenbekanntheit, wir gehören einem Club an.

 

Individualisierung durch Massenkonsum ist ein Fake, weil er zur Etablierung neuer, künstlicher Communities führt?

 

Franck: So etwas ist ganz offensichtlich sehr attraktiv.

 

Was sie da schildern ist Distinktion in der Vertikalen, man grenzt sich ab, aber nicht notwendigerweise nach oben oder unten, sondern gegen Szenen und Milieus, die auf einer gleichen Ebene angesiedelt sind. In Ihrem Buch zeigen Sie vor allem aber auch eines: Es gibt eine scharfe Klassenspaltung im mentalen Kapitalismus.

 

Franck: Der Kampf um Beachtung ist uralt, den gibt es auch in Wolfsrudeln und Affenhorden.  Unsere Identität hängt extrem stark davon ab, wieviel Wertschätzung wir bei anderen erfahren. Und wir sind sehr erfinderisch auf diesem Gebiet. Die Massenmedien, die rund um die Uhr die Bevölkerung beliefern, Beachtung abschöpfen, um diese umzuverteilen, waren eine ganz große Erfindung. So entstand eine Sphäre großen Geschäftes, die, als typische kapitalistische Sphäre, die begünstigt, die schon haben. Wer Beachtung hat, dem fliegt sie zu. Auf der einen Seite haben wir eine Schicht enorm Reicher, enorm Prominenter, und auf der anderen Seite der ganze Rest, der zahlt, ohne etwas zurück zu kriegen. Das bringt ein neues Gefälle von Arm und Reich, was sehr wohl die Züge eines Ausbeuterkapitalismus trägt. Die Produzenten des Reichtums sind die große Masse, sie bringen die Beachtung auf, die die anderen auf sich konzentrieren.

 

Jetzt redet man plötzlich von neuen Unterschichten – die, wie man neuerdings sagt, Unterschichtenfernsehen sehen und die man nur dann eines Blickes würdigt, wenn sie sich in Containern einsperren lassen.

 

Franck: Hier ist die andere Stelle der Schnittstelle von Geld und Aufmerksamkeitsökonomie. Die Arbeitslosen bekommen von der beruflichen Tätigkeit her keine Anerkennung mehr, verbringen ihre Zeit mit Fernsehen – und es spezialisiert sich ein gewisses Mediensegment auf sie. Das macht aus ihrem Elend noch einmal Gold, nämlich Quote.

 

…womit der Sender solange gut fährt, solange man ihn nicht Unterschichten-Sender nennt…

 

Franck: In diesem Umfeld aufzutreten, ist dann plötzlich eine Gefahr für die Produkte, die rundherum beworben werden. Das zeigt aber auch, dass Aufklärung, und der Versuch, einen Namen zu prägen, den sofort alle verstehen, eine solche Situation schlaglichtartig beleuchten kann.

 

Apropos: Die "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer und Adorno hat ja so einen Begriff, den alle verstehen, gepägt – Kulturindustrie. Sehen Sie sich in dieser Tradition, die ja doch sehr molltönend diese Phänomene analysierte?

 

Franck: Aber natürlich habe ich das immer im Hintergrund. Ich habe als Schüler die "Dialektik der Aufklärung" gelesen, das hat eingeschlagen. Das hat mich geprägt.

 

Heute würden viele Leute lächeln und sagen: dieser Adorno, der hielt ja wohl auch noch die Beatles für die Vorboten der Barbarei…

 

Franck: Aber es ist auch kein Zufall, dass sich die Frankfurter Schule immer noch hält, weil sie eine interessante Perspektive auf die Dialektik dieser Prozesse ermöglicht – gerade mit dem Begriff der Kulturindustrie. Man liest mein Buch sicher nicht falsch, wenn man es als eine – allerdings entschiedene – Fortsetzung liest: Es braucht gar nicht der Wucht, der Übermacht des monetären Kapitalismus, die Kulturindustrie hat sich selbst etabliert. Der Diskurs selbst ist ökonomisiert, aber das heißt nicht, dass er grundsätzlich schlecht ist. Er ist dort schlecht, wo die Wissensmärkte schlecht funktionieren. In der Wissenschaft, in der Kulturkritik, in der Fachpublizistik funktionieren sie, da gibt es eine blühende Kultur.

 

Tatsächlich? Sie beschreiben am Beispiel der Architektur: da gibt es den architektonischen Fachdiskurs, der nicht mehr zu trennen ist vom Städtemarketing, es gibt den Aufstieg der Stararchitekten, mit denen sich die Marken schmücken, und die dann selbst zu Marken werden  – und am Ende sind die öffentlichen Räume vollends von Marken kolonisiert. Ist das nicht fragwürdig?

 

Franck: Da funktioniert der Markt eben schlecht. Überall aber, wo es zu Verwischungen kommt, wo Nebeneinkünfte in den Medien geholt werden, wo nur Quote oder anderes zählt, wo sich, kurzum, qualifizierte Produktion mit Kulturindustrie mischt, da werden die Resultate fragwürdig. Da kommen Dinge ungut zustande – und man merkt es diesen Dingen immer an. 

 

Der Wiener Architekturtheoretiker Georg Franck analysiert in seinem neuen Buch "Mentaler Kapitalismus" (Hanser-Verlag, München), wie der Kampf um Beachtung auch in der harten Sphäre der Ökonomie entscheidend wird. Darin schließt er an seinem vielbeachteten Band "Ökonomie der Aufmerksamkeit" an. Franck, Professor an der TU-Wien, konstatiert neue Klassenspaltungen im "mentalen Kapitalismus".

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