Der Kerl gehört in den Olymp, und er soll nur ja nicht glauben, dass er sich da noch wehren braucht! Franz Schuh zum Sechzigsten. Eine Verbeugung.
„Es ist“, heißt es in Franz Schuhs „Der Stadtrat“, „einer Lehrkraft fast unmöglich, nicht ebenfalls von den Schwächen ihrer Schüler ‚affiziert’ zu werden.“ Eine ähnliche Bedrohung stellt für einen Autor natürlich der Leser dar. Was der Leser schätzt, hat die Schreibkraft schnell heraußen. So hat Schuh auch ganz folgerichtig Zeit seines Literatenlebens versucht, seinen Erfolg auf das äußerste, unbedingt notwendige Minimum zu begrenzen, was ihm lange auch ganz gut gelungen ist.
Nicht, dass er ein verkanntes Genie wäre: Schuh, der heute seinen sechzigsten Geburtstag feiert, geniest als Autor in Wien eine Reputation, wie sie ohne Beispiel ist. „Schuh ist“, schrieb Armin Thurnher schon vor Jahren, „unter den lebenden österreichischen Prosaschriftstellern der bedeutendste“. Aber doch blieb er bis vor kurzem eine Art Star für Eingeweihte.
Dabei ist Schuh keineswegs ein scheuer Autor, der sich dem Rampenlicht entzöge. Ganz und gar nicht. So famos die Prosa des Essayisten Schuh ist, wird man dem 60jährigen natürlich keineswegs gerecht, wenn man nur über seine Bücher und Texte schreibt. Rezensionen haben bei einem wie ihm fast etwas Unangemessenes. Schuh, der von Unten kommt (sein Vater, ein Polizist, hat sich noch als Ringer in Wirtshäusern ein Zubrot verdient), der einmal über sich gesagt hat, er habe, was das Leben für ihn geplant hatte, schon bei weitem übertroffen, indem er gelernt habe, überhaupt „einen geraden deutschen Satz zu sprechen“, ist auch das, was man so eine Type nennt. Kurzum: Schuh ist selbst eine literarische Figur. Er ist ein unverwechselbarer Vortragskünstler und viele seiner Texte sind eigentlich Hörstücke, dafür geschrieben, von Schuh gesprochen zu werden. Einst machte er sogar Fernsehwerbung für eine große Schuh-Handelskette.
Im Kaffeehaus sitzt er „unverrückbar im Sessel wie ein Schneemann im kalten Januar“, hieß es einmal auf der Homepage der „höflichen Paparazzis“. Wenn er da sitzt und seine druckreifen Sätze sagt, dann hat er nichts Autoritäres, aber etwas Autoritatives, was manchen die Sprache verschlägt. Das liegt natürlich auch an seinem mächtigen Körperbau, aber doch primär daran, dass der Sprechende einer ist, dem man zustimmt, sogar dann, wenn man anderer Meinung ist.
„Vierzehn europäische Staaten unterstreichen meine Privatmeinung. Wenn ich wieder eine habe und Unterstützung brauche, werde ich mich melden. Bis dahin besteht die Gefahr, dass ich unter der Last der Bedeutung meiner Meinungen zusammenbreche“, schrieb Schuh, als die „EU-14“ vor sieben Jahren ihre Sanktionen gegen die schwarz-blaue Regierung verhängten. Schuh und die Meinungen: Meinungen betrachtet er mit Skepsis, dabei hat er natürlich selbst dauernd welche. Aber er ist ein Beobachter, der sich beim Beobachten beobachtet, und beim Meinen mit Sicherheit selbst ins Wort fällt.
Ein „großer Autor ohne großes Werk“ sei er, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ im Vorjahr. Da hatte er gerade den Band „Schwere Vorwürfe, schmutzige Wäsche“ herausgebracht. „Mein Hauptwerk, das aus lauter Nebensachen besteht“, wie er im Vorwort schrieb. Schuh wurde dennoch, wie man heute sagt, gehypt. Es war, als hätte die deutschsprachige Kritikergemeinde beschlossen, dass es jetzt genug ist mit der koketten, Schuhschen Selbstminiaturisierung. Dass der Kerl, so knapp vor dem Sechziger, in den Olymp gehört und dass er sich da jetzt gar nicht mehr wehren braucht. Es war wie eine Verschwörung, zu der sich die Verschwörer nicht zu verschwören brauchten. Er erhielt den Preis der Leipziger Buchmesse, den Davoser Medienpreis noch obendrauf, mit dem Staatspreis für Kulturpublizistik und dem Amery-Preis war er schon davor dekoriert worden.
Das „Hauptwerk, das aus lauter Nebensachen besteht“, ist natürlich eine von den Schuhschen Koketterien. Denn Schuh weiß, was wir alle seit Psychoanalyse und Postmoderne wissen: Dass es gar keine Nebensachen gibt, weil die Nebensachen die Hauptsachen sind, weil das Unbedeutendste Signifikant des Bedeutendsten sein kann. So macht es keinen Unterschied, ob er über Jörg Haider oder Heinz Conrads schreibt, über die neueste Fernsehsoap oder „Notizen zur Dumpfheit“, oder sich kurz einmal Gedanken über eine Ledertasche macht – für die Zeitdiagnostik ist alles gleich gültig. Verdinglichung heißt auch, dass die Bedeutung in die Dinge einwandert.
Es sind meist so Sätze zwischendurch, vor denen jeder, der mit Sprache zu tun hat, in Ehrfurcht erstarrt. Etwa, wenn Schuh beschreibt, wie „aus Kraft und Schwäche ein Leben entsteht, gegen das derjenige, der es führt, sich nicht wehren kann“. Oder: „Seit Jahren befasse ich mich mit der Langeweile; das heißt, die Langeweile befasst sich mit mir.“
Schuh war Generalsekretär der Grazer Autorenversammlung, Redakteur des „Wespennests“, Abteilungsleiter im Deuticke-Verlag, er hat diverse Lehraufträge, in schöner Regelmäßigkeit bringt er seit 30 Jahren Essaybände heraus. Das klingt fast nach einem beruflichen Lebenslauf. Er entspricht er dem Klischee des Kaffeehausliteraten. Weil das bei ihm aber keine künstlich-epigonale Pose ist, sondern irgendwie ganz natürlich, ist das Klischeehafte von ihm auch immer schon abgefallen.
Schuh ist wienerisch und unwienerisch zugleich. Die Wiener, schrieb Schuh einmal, „haben nicht einmal untereinander einen guten Ruf“. Selbst in diesem Biotop der Missgunst ließe sich nur mit Mühe jemand finden, der etwas Schlechtes über Franz Schuh zu sagen wüsste. Schuh freilich wüsste auch das zu parieren. Ihm wird der Satz zugeschrieben, dass hier der Gipfel der Gemeinheit erreicht ist, wenn hinter jemandes Rücken gut über ihn geredet wird.