Warum Kinder keine Freude sind, Geld nur dann glücklich macht, wenn die anderen nicht viel mehr haben und Sie ihre Frau schnell verlassen sollten, sobald Sie eine Geliebte haben: Die Entwicklung des Glücks von der Utopie zur Wissenschaft. Standard, Album, 4./5. August 2007
Sie haben soeben einen Lottogewinn gemacht? Die Hoffnung, dass der sie langfristig glücklicher macht als das Gros ihrer Mitbürger, die können Sie jetzt schon getrost aufgeben. Sie haben ein Kind oder gar zwei? Dann fahren Sie ruhig fort, ihren Freunden zu erzählen, die Rabauken seien das „größte Glück“ ihres Lebens – in Wirklichkeit sind Sie signifikant unglücklicher als in den Zeiten, als sie noch keine Kinder hatten. Das bleibt auch so, bis der Nachwuchs aus dem Haus ist, und wird sogar schlimmer, wenn die Pubertät noch vor ihnen liegt. Ist er aber einmal weg, dann wird ihr Glücks-Niveau wieder den Status quo ante erreichen. Sie haben eine gute Stelle, zudem aber gerade ein attraktives Job-Angebot erhalten? Oder Sie, liebe Leserin, haben einen netten Mann, sich gerade aber einen großartigen Liebhaber zugelegt? In einem diesem Fälle sollten sie möglichst schnell eine Entscheidung treffen. Würfeln Sie meinetwegen oder werfen sie eine Münze, aber entscheiden Sie sich. Eine Entscheidung, und zwar ziemlich egal welche, wird ihr Glücksniveau steigern, zu langes Grübeln wird sie unglücklich machen. Das gleiche passiert übrigens, wenn Sie in ein Restaurant gehen: Überlegen Sie nicht zu lange. Am besten, Sie bestellen immer dasselbe. Sie werden in diesem Fall entschieden glücklicher sein als ihre Freunde, die stets aus der Speisekarte ein anderes exquisites Menü wählen. Noch ein paar Ratschläge: Legen Sie sich ein Haustier zu, falls sie noch keines haben, und falls sie Single sein sollten, heirateten Sie jemanden, egal wen. Außerdem sollten Sie an Gott glauben, dann können Sie nämlich damit rechnen, glücklicher zu sein, als der Atheist von nebenan. Ganz wichtig, auch wenn Sie es schon geahnt haben: Ein Job, der Spaß macht, ist das um und auf. Sollten Sie aber ein Politiker sein, kümmern Sie sich nicht allzu sehr darum, den allgemeinen Reichtum ihrer Gesellschaft zu steigern. Denn ab einem gewissen Wohlstandsniveau machen Einkommenszuwächse die Menschen nicht glücklicher. Achten Sie eher darauf, dass die Einkommensungleichheiten nicht überhand nehmen. Denn dann werden die Vielen, die nicht zu den Spitzenverdienern zählen, unglücklich. Kurzum: Ein wohlhabender Mann ist nicht einer, der 7000 Euro im Monat zum Verjubeln hat, sondern der, der 100 Euro mehr als der Freund seiner Cousine verdient.
Woher man alles das so genau weiß? Aus der modernen „Glücksforschung“. Die hat in den vergangenen Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung genommen. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen. Einer davon ist der Fortschritt der neurologischen Wissenschaften. Die machten es möglich, dass man Glücksempfindungen exakt messen kann. Noch wichtiger vielleicht sind die langfristigen Datenmengen, die die empirische Sozialforschung, Unterabteilung „Zufriedenheitsforschung“, aufgehäuft hat. Man weiß jetzt einfach schon über Jahrzehnte hinweg, welche Leute sich wann subjektiv zufriedener empfinden und kann deshalb auch bessere Aussagen darüber treffen, warum sie das tun. Die Forscher konzentrieren sich auf bestimmte Focus-Gruppen seit so langer Zeit, dass mittlerweile gesichert ist: Wer sich als „glücklich“ identifiziert, lebt länger. Von den Angehörigen einer Stichprobe, die sich vor Jahrzehnten als „glücklich“ empfanden, lebten beinahe alle noch mit 85 Jahren, so ergab eine amerikanische Langzeitstudie – während vom unglücklichsten Viertel zwei Drittel dieses Alter nie erreichten.
Aber der Fortschritt in den Erhebungsmethoden und der Datenbasis ist wohl nicht der eigentliche Grund für die Entwicklung des Glücks von der Utopie zur Wissenschaft. Die Glücksforschung breitet sich in dem Vakuum aus, das die Großutopien hinterlassen hatten. Die Utopien hatten ja einen gesellschaftskritischen und -verändernden Stachel. Glücksdefizite wurden nicht als individuelles Problem gesehen, sondern als gesellschaftliches. In schlechten Gesellschaften kann man nicht glücklich sein, war das Credo. Deshalb müsse man die Gesellschaft verbessern, dann würden irgendwann alle glücklich. Diese Überzeugung verschwand. Aber das Problem blieb. Zwar versprach der siegreiche Kapitalismus, in entwickelten Markt- und Konsumgesellschaften würde der Wohlstand und damit das individuelle Glück wachsen. Aber es stellte sich heraus, dass das nicht einmal für jene Gesellschaften sicher stimmte, in denen der Wohlstand tatsächlich stetig zunahm. Gewiss macht materielle Not unglücklich – deshalb stieg die Lebenszufriedenheit in den westlichen Industriestaaten bis in die fünfziger Jahre stetig an. Aber ab einer materiellen Ausstattung machen Zuwächse nicht mehr notwendigerweise glücklicher. Deshalb stagniert das Zufriedenheitsniveau seither.
Neues macht zwar kurzfristig glücklich. Aber nicht lange. Wer Glück kaufen will, muss die Dosis stetig steigern, wie der Süchtige in seiner Gier nach dem nächsten Kick. Die Wendung von der „hedonistischen Tretmühle“, ursprünglich ein Fachbegriff der Glücksforschung, wurde deshalb fast schon zum geflügelten Wort. „Moderne Menschen sind wie Hamster im Rad“, schrieb etwa die „Sunday Times“.
„Was macht Menschen glücklich? Welche Schlüsse muss die Politik daraus ziehen?“ wird immer öfter auf Fachtagungen debattiert, auf denen sich Forscher, Politiker und Politikberater begegnen. Gerade startete die ehrwürdige Carl-Friedrich-von-Siemens-Stiftung eine Vortragsreihe über „Glück“. Auch die Ökonomen, meist Anhänger trockener Modelle, die lieber Sozialprodukt, Sparquote und Inflationsrate messen, müssen sich neuerdings mit so unpräzisen Dingen wie Gefühlen beschäftigen. Wenn Reichtum nicht glücklich, Kapitalakkumulation nicht froh und Innovation nicht fröhlich macht, dann hat der Kapitalismus schließlich ein Legitimationsproblem. Selbst der britische „Economist“, das globale Zentralorgan der Freunde des Turbokapitalismus’, lieferte sein letztes Weihnachtsheft mit einer Coverstory aus, die den lapidaren Titel trug: „Happiness“.
Der Hype der Glücksforschung ist, sicherlich, eine ambivalente Sache. Glücksstrategien sind, auch wenn sie mit gesellschaftlichen Entwicklungen verzahnt sein mögen, letztendlich doch eine individuelle Angelegenheit. „Jeder ist seines Glückes Schmied“, ist seit jeher der Leitspruch aller Entpolitisierung. Doch die Katalogisierung dessen, was glücklich macht, dreht das Individuelle ins Universelle. Mehr Glück wird dann zur gesellschaftlichen Aufgabe. Das kann dann durchaus in politische Programme Eingang finden. Damit sprengt die Glückssuche ihr einstiges Terrain der Ratgeberliteratur. So fordert sogar schon David Cameron, der Chef der einstmals streng materialistischen britischen Torys, man möge die Berechnung des „Bruttosozialprodukts“ durch einen „GWB“-Index ergänzen: durch die Erhebung des „General Well-Being“. Und auch Richard Layard, Ökonom der „London School of Economics“ und einstiger Berater der Blair-Regierung, zieht in seinem Buch „Die glückliche Gesellschaft“ höchst politische Schlüsse aus den Daten, die er ausbreitet. „Je gleichmäßiger das Einkommen verteilt ist, desto glücklicher werden die Menschen eines Landes im Schnitt sein“, schreibt er. Und er fügt hinzu: „Dieser Individualismus, dass wir unser Leben wie ein Unternehmen führen sollen, macht die Menschen unfroh.“
Solche gesellschaftskritischen Implikationen sind der Glücksforschung freilich nicht wirklich in die Wiege gelegt. Als „Positive Psychology“ in den USA entstanden, war sie geradezu das Gegenprogramm zum dunklen Sound der Freudschen Psychoanalyse. Psychologie solle nicht mehr allen Ton auf die Pathologie legen, sondern auf die Funktionstüchtigkeit der Subjekte, war das informelle Programm der ersten Glücksforscher. Indem sie ihre Schule als „Positive Psychologie“ definierten, grenzten sie sich von der „negativen Psychologie“ ab. „Wir sollten uns nicht mehr länger als Getriebene von sexuellem Chaos, als Produkt unterdrückter Wünsche und des aggressiven Begehrens wahrnehmen; anstelle dessen sollten wir uns als die glänzende Summe unserer Stärken und Tugenden sehen, als Meister unseres Schicksals“, beschreibt Jennifer Senior in einem Großessay für das New York Magazine den Grundkonsens der frühen Glückspsychologen.
Doch wie immer man all diese Ambiguitäten beurteilen mag, so hat die Glücksforschung doch einige interessanten Erkenntnisse gebracht, die neuerdings auch in einer Reihe populärer Bücher ausgebreitet werden – etwa in „Stumbling on Happiness“ von Daniel Gilbert, oder in Darrin MacMahons: „Happiness – A History“. Die Erasmus Universität in Rotterdam gibt sogar ihr „Journal of Happiness Studies“ heraus (da gibt es auch die „World Database of Happiness“).
Eines der ulkigsten Forschungsergebnisse: Manche Nationen sind vorwiegend von unglücklichen Menschen bewohnt, und weil es auch noch eher die Glücklichen sind, die das Wagnis einer Emigration auf sich nehmen, veröden einige Gegenden zu wahren Depressionszonen, weil nur die Unglücksraben zurückbleiben. Schottland soll ein Exempel für eine solche Miesepter-Society sein. Auch in Ostdeutschland bleiben nur die Antriebsarmen zurück – übrigens in diesem Fall vorwiegend Männer.
Eine der deprimierendsten Erkenntnisse: Niemand weiß schlechter, was ein Individuum glücklich macht, als dieses Individuum selbst. Gefinkelte Forscher haben nämlich immer wieder Probanden gefragt, von welchen Ereignissen sie denn glauben, dass sie sie glücklich machen würden – und dann, wenn eines dieser Ereignisse eintrat, ihre Zufriedenheit abgefragt. Wie nicht anders zu erwarten, haben meist völlig andere Dinge diese Menschen glücklich gemacht, die erhofften Ereignisse hatten jedoch höchsten einen kurzfristigen Sensationscharakter.
Man kennt das ja aus der angewandten Selbstbeobachtung: Was ich heute ersehne, ist mir morgen schon wieder egal. Und was mich heute elektrisiert, lässt mich übermorgen kalt.
Diesen Selbstüberlistungen kommt die „Glücksforschung“ mit raffinierten Fragemethoden auf die Spur. Sie zerlegt etwa den Tag in Episoden, konstruiert Versuchsanordungen, fragt subjektives Befinden ab. Auch wenn das aller Intuition widerspricht, alle Datenreihen zeigen: die Zeit, die Eltern mit ihren Kindern verbringen, ist für sie in Wirklichkeit ähnlich beglückend wie die Minuten, die sie für Geschirrspülen aufwenden.
Allerdings hat die Glückforschung auch so manche erfreuliche Erkenntnis zu Tage befördert – Dinge etwa, von denen wir annehmen, sie würden uns unendlich unglücklich machen, erweisen sich am Ende als doch nicht so schlimm. Die Menschen haben offensichtlich eine erstaunliche Fähigkeit zur „Selbstimmunisierung“. Wenn Sie sich, lieber Leser, also heute ausmalen, ihre Lebensgefährtin, die nur Vorzüge hat, aber keinen einzigen Fehler, würde sie verlassen, ist das gewiss eine sehr schreckliche Vorstellung. Sollte sie es aber tatsächlich tun, fallen ihnen bestimmt bald siebzehn Gründe ein, warum es ganz gut für Sie ist, dass Sie die durchgeknallte Zicke (oder die fade Nuss) losgeworden sind – mehr noch, im Grunde haben Sie es ohnehin „immer schon gewusst“.
Es ist also gar nicht so schwer, glücklich zu sein. Sich mit „Glück“ professionell zu beschäftigen ist allerdings kein Garant dafür, selbst glücklich zu werden. Eine der ersten Koryphäen auf dem Gebiet der „Glücksforschung“ war der Psychologe Philip Brickman, ein Mann von großem intellektuellem Ruf schon in jungen Jahren. Er gilt als der Erfinder des Wortes von der „hedonistischen Tretmühle“. In seinen überlaufenen Vorlesungen nahm er Themen durch wie etwa „Der perfekte Tag“.
Am 13. Mai 1982, er war damals gerade 38 Jahre alt, hatte Brinkman offenbar einen Scheißtag. Da kletterte er auf das höchste Gebäude von Ann Arbor, der schmucken Universitätsstadt in Michigan, und sprang hinunter.
ganz allgemein zu diesem blog: super gute infos hier (auch „die links“ /sic! sind nett)
als (zu?) authentischer – meist arbeitsloser – vertreter des wiener prekariats kann man hier gedanklich und eskapistisch wunderschoen in anonyme und potenziell boese struktren entfliehen; „gefaehrliche“ (da wahrhaftige gedanken, ha!) keine beraterkarriere mehr moeglich, kein texter mehr sein koennen, (werbe-)film .. geh` bitte, schleich dich! („kultur fickt seit neuestem oekonomie“ oder fickt jetzt noch immer die oekonomie die kultur oder wie war das!)
ach ja: scheitern birgt poetische potenzial! oder (nach s. ) scheitern als chance! was machen? gar das glueck des gegengeistes heimsuchen? bier, frauen?
gescheit- gescheitert- gescheiter oder doch gescheit- gescheiter- gescheitert???
whatsoever.
sehr inspirierend!!! null ironisch gemeint, da nicht auf der sicherten seite und so ..
best&pce
u