Das Kultbuch – Rezenisonen

Rezensionen von "Das Kultbuch": Wochenzeitung "Das Parlament". Helmut Höge in der "Jungen Welt". Michael Freund im "Der Standard". Julia Schaaf in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung". Zündfunk (Bayrischer Rundfunk). Oliver Pink in "Die Presse". Martin Blumenau in seinem FM-4-Blog. Der "Falter". Unimagazin "Progress". Märkische Allgemeine Zeitung. Besprechung aus dem Vorwärts. Und ein Verriss aus "Literaturen". Ernst Grandits für "Kulturzeit" (3-Sat), wo am 11. Jänner ein großer Bericht lief. Tagesanzeiger. Eine Besprechung aus Literaturkritik.de. Thomas Rothschild im Freitag.

Aus: Das Parlament. Nr. 41/41, 2007 Link
Claudia Heine

Der Kommerz ist überall

Konsumkultur

Das Image von Produkten wird wichtiger

Da war man so lange auf der sicheren Seite und nun das: Bionade, die Brause mit dem Öko-Touch gibt es künftig auch bei McDonalds zu kaufen. Werden mit dem "Getränk einer besseren Welt", so die Eigenwerbung, nun auch Hamburger zu "Essen für eine bessere Welt"? Wohl kaum, aber das Beispiel zeigt, wie sehr Produkte mit bio-alternativem Charme von "konventionellen" Lebensmittel- oder Fastfoodketten vereinnahmt werden. Sie versprechen ordentliche Profite. Vor allem: Sie helfen, einen schlechten Ruf zu korrigieren.

Robert Misik führt seine Leser an der Oberfläche – das ist nicht abwertend gemeint – dieser Paradoxien unserer Konsumwelt entlang. Als Anleitung für einen Konsum mit gutem Gewissen versteht er sein lesenswertes Buch ausdrücklich nicht – er kennt, wie die meisten, "die" Lösung einfach nicht.

Misik möchte aber eine Korrektur unseres Blicks auf den Kapitalismus erreichen und spricht von der "Kulturalisierung der Ökonomie": "Der praktische Gebrauchswert eines Gegenstandes gerät in den Hintergrund (…) Kultur wird in der Güterproduktion immer bedeutender." Wir kaufen nicht nur die Funktion eines Gegenstandes, sondern immer auch ein Image mit ein. Wir kaufen mit einem Getränk nicht einfach nur den Geschmack, sondern auch einen bestimmten Lifestyle, den es repräsentiert. Wir kaufen uns mit einer Reise nach Venedig auch die damit verbundenen Gefühle, von denen wir gehört haben, dass sie sich dort einstellen. Das alles klingt nicht wahnsinnig neu. Aber wer hinterfragt schon täglich die eigenen Konsumgewohnten? Angebracht ist es durchaus, und daran erinnert zu werden, ist das Verdienst des Buches.

Doch Misik beschäftigen nicht nur die Konsumenten. "Wenn ich auf Gütermärkten erfolgreich sein will, muss ich auf den Meinungsmärkten erfolgreich sein", zitiert er einen Manager. Konzerne tun gut daran, ethisch korrekt zu produzieren, weil sich mit einem solchen Image mehr Profit machen lässt. Dass sich aber vor allem besonders beobachtete Global Player daran halten müssen, und dass es auch hier wieder nur um Profit geht, gehört zu dieser Wahrheit dazu.

Am Ende stellt Misik noch einmal entscheidende Fragen: Was bedeutet es, nur über Konsum eine Teilhabe an der Gesellschaft zu erreichen? Was bedeutet es, dass nichtkommerzielle Angebote und öffentliche Räume jenseits des Kommerzes immer mehr verschwinden? Darüber lohnt es sich nachzudenken.

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Helmut Höge in der "Jungen Welt" vom 2. 10. 2007. Link.

Shopping-Probleme

Wirtschaft als das Leben selbst

Von Helmut Höge
»Tear Down the Malls!« rief Ronald Reagan einst an der Berliner Mauer. »Warum sollen wir ausgerechnet unsere wenigen Einkaufszentren niederreißen?« fragten sich die Ostler erstaunt. Aber darum ging es ihm gerade: Durch unsinniges atomares Hochrüsten eine Dauerkrise auf dem Konsumsektor hervorzurufen, gegen die »das Volk« schließlich auf die Barrikaden gehen würde. Nicht zufällig hat der US-Stadtforscher Mike Davis die seitdem überall auf der Welt gebauten Entertainment-Malls als »architektonisches Äquivalent zur Neutronenbombe« bezeichnet.

Aber »das Volk« gibt nicht auf: Als neulich »Alexa«, die neue Berliner Riesenmall am Alexanderplatz, eröffnet wurde, stürmten die Konsumenten den Mediamarkt: Es gab Verletzte, verprügelte Verkäufer und kaputte Scheiben. Vielleicht wird schon bald bei der Eröffnung einer weiteren Mall der ganze »Konsumtempel« auseinandergenommen – wenn Hooliganismus und Konsumismus eine dauerhafte Verbindung eingehen. Und das ist schon deswegen zwingend, weil man uns infolge der anhaltenden Privatisierungen alle zu Schnäppchenjägern degradiert. Das macht inzwischen nicht einmal mehr vor Strom, Gas, Telefon, Miete und Bahnfahrkarten halt! Sogar gediegene Urlaubsorte werden plötzlich zu einem Schnäppchen. In seinem »Kultbuch – Glanz und Elend der Kommerzkultur« schreibt Robert Misik, »selbst Städte werden zu Marken – zu einem Brand-Statement« und bieten sich als »Konsumzentren« an. Es geht dabei um »Beachtung«: Denn Ansehen, Reputation, Prominenz, Ruhm können zur »Einkommensquelle« werden, wie Georg Franck in seiner Studie zur »Ökonomie der Aufmerksamkeit« herausarbeitete. Neulich interviewte ich den Graffitikünstler Steven K.: Er hat anfänglich immer nur seinen Schriftzug (tag) gesprüht: »Damit mein Name überall in der Stadt bekannt wird. Zwischen 2001 und 2004 schaffte ich, was ich mir vorgenommen hatte. Ich war zwar nicht der beste, aber einer der bekanntesten.« Inzwischen hat er sich mit seiner Kunst selbständig gemacht, sie also legalisiert. Er gibt Malkurse in einem Jugendclub.

Die kanadischen Autoren Joseph Heath und Andrew Potter sind der Meinung, daß die Gegenkulturen generell »in den letzten 40 Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des Konsumkapitalismus gewesen« sind. Oder in den Worten von Peter Sloterdijk: »Alle Wege der 68er führen in den Supermarkt.« Oder anders gesagt: »Nicht nur, daß Shopping mit allem verschmilzt, alles verschmilzt auch mit Shopping« (Sze Tsung Leong). Schon gibt es erschütternde Selbstexperimente in Buchform auf dem Markt. Misik erwähnt die New Yorker Journalistin Judith Levine, die im Anschluß an Barbara Ehrenreich (die sich für ein Buch über »Working Poor« als eine solche u.a. bei »Wal Mart« verdingte) beschloß, ein Jahr lang nur noch das Nötigste einzukaufen. In »Not Buying It« heißt es nun: »Außerhalb der Konsumwelt zu existieren bedeutete, in einer parallelen Realität zu leben, die mit der meiner Freunde und Kolleginnen nichts gemeinsam hatte.« Misik merkt dazu an: »Diese Erkenntnis ist für Langzeitarbeitslose gewiß nicht völlig neu.« Deswegen sind sie auch noch verwegener auf der Schnäppchenjagd. Und wer gar kein Geld hat, der zieht andere ab und beklaut oder überfällt sie. Das tat auch der schon erwähnte Graffitikünstler eine Weile auf dem Kurfürstendamm.

Es gibt schon ganze Urlaubsstädte, die sich nur deswegen international vermarkten, damit die Touristen bei ihnen im Erfolgsfall von einheimischen Arbeitslosen ausgenommen werden wie eine Weihnachtsgans. »Darum ist es nicht verwunderlich«, schreibt Misik, »wenn Werte wie Kreativität, Autonomie, Selbstverwirklichung – die früher Vokabeln des Rebellischen waren – zu gefragten Tugenden im Wirtschaftsleben werden«. Er nennt Gerhard Schulzes soziologisches Standardwerk »Die Erlebnisgesellschaft«. Zu den nachgefragten Erlebnissen gehören auch Überfälle, Knasterfahrung, etc.. Die erfolgreichen Gangsta-Rapper, die in Berlin gerne mit Graffitikünstlern zusammenarbeiten, wissen davon ein Lied zu singen. Die Soziologen Luc Boltanski und Ève Chiapello sprechen in diesem Zusammenhang von einer »Ökonomisierung des Authentischen«.

Der Standard, 27. Oktober 2007
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"Konsum für eine bessere Welt" aus der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" finden Sie hier.
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Die Besprechung im "Zündfunk" des Bayrischen Rundfunks. Link.

DesillusionismusKmbH* präsentiert:
Radio Alice
 

Radio Alice hat den österreichischen Intellektuellen und Publizisten Robert Misik auf der Frankfurter Buchmesse getroffen und mit ihm darüber gesprochen, wie zeitgemäße Konsumkritik im Jahr 2007 aussehen kann.

Wer kennt das nicht: Ökos in selbstbestrickten Pullovern, die einem mit ihrem vegetarischen Lächeln geschrotete Körner im Bioladen andrehen wollen? Zeitgenossen, die am liebsten völlig selbstverwirklicht in der Steinzeit leben würden. Eure Alice ist sich mit dem Wiener Publizisten Robert Misik einig: Vor denen flüchten wir doch lieber in die glänzenden Konsumtempel der Kommerzkultur. Misik meint:

"Der Glanz der Konsumkultur, das ist dieses Habenwollen. Das ist ja nicht nur schlecht, da steckt ja auch so etwas wie Neugierde drinnen. Jedes neue Gut ist ein Stachel unserer Neugierde und deswegen etwas ganz, ganz Tolles, und selbst wenn es nur das neue Handy ist, das ich nicht verstehe, nachdem ich es mir gekauft habe, und von dem ich genau wissen will, wie es funktioniert, das hat auch etwas Inspirierendes, also sozusagen jemand, der sich um nichts Neues mehr schert, dessen Hirn wird irgendwie lahm, nicht?"

Im Habenwollen steckt Neugierde

Ein Hoch auf die Technikbranche mit ihren Gadgets, auf die Handies, die mp3-Player, Laptops und Digitalkameras! Sie halten uns geistig fit und wir lassen uns inspiriert von ihnen berauschen. Bis irgendwann der Kater kommt und mit ihm die Depression – das Elend des fortwährenden Konsums. Und Misik:

"Das schlägt natürlich auf Habitus, auf Mentalitäten durch, also diesen Kick, den man aus der Drogenszene kennt und der immer neu gesteigert werden will, und wenn nicht Neues nachgeliefert wird, dann hat man irgendwie einen Turkey, das schlägt bis hin auf die Gestaltung von Beziehungen durch, also auch die alten Freunde – ich verlier sie, macht nix, um die Ecke warten vielleicht viel aufregendere Menschen, da kann man nicht sagen, dass das wirklich eine gute Mentalität ist."

Ein linker Intellektueller zum Vorzeigen

Robert Misik ist ein linker Intellektueller wie er im Buche steht. Aber einer, der von der Komplexität der Wirklichkeit geläutert ist. Einer der nie aufgehört hat über die Gegenwart nachzudenken, in der er lebt, und das heißt im konkurrenzlosen Kapitalismus natürlich auch über den Glanz und das Elend der allgegenwärtigen Kommerzkultur.

Nachdem die Alt-Linke der Horkheimer& Adorno-Schüler den Konsum der Kulturindustrie als manipulativ und entfremdend, schlichtweg als "böse" verdammt hatte, zelebrierten daraufhin die Jünger und Jüngerinnen der Postmoderne seit den 80er Jahren trotzig die Freuden des Popper-Daseins. Misik versucht in seiner neuesten Analyse über "Glanz und Elend der Kommerzkultur" nun eine Art Synthese: Er versucht das Beste der altlinken Kritik und das Klügste der poppigen Affirmation zu retten und daraus eine neue Form der Konsumkritik zu entwickeln.

Misik vereint altlinke Kritik und popkluge Moderne

Und so beschäftigt Misik sich mit dem Homo Shoppeniensis, der seine Identität durch den Kauf von Marken erwirbt, genauso wie mit den grassierenden Shopping Malls, dem Retro-Chic und dem Fundamentalismus als Reaktion auf westlichen Kommerz. Und trotzdem kommt Robert Misik bei der Frage, was der Einzelne tun kann,erst einmal sehr nah bei der altbekannten Forderung nach bewussten Konsumieren raus:

"Einerseits kann jeder dagegenhalten, in dem ich Dinge bevorzuge, bei denen nicht Kinderarbeit und Umweltzerstörung mit der Produktion verbunden ist, das hat natürlich seine positiven Seiten, darüber soll man gar nicht spotten, aber es ist natürlich nicht alles. Es braucht auch schon Regeln. Es braucht auch Regulierung innerhalb des Nationalstaates, wie bei Arbeitsrecht, ökologischen Standards, als auch über die Nationalstaaten hinaus."

Und die Politik wird diesmal verteidigt

Was Misiks Buch so gut macht, ist dass er die Rolle der Politik verteidigt, selbst in Zeiten, wo uns immer wieder gerne erzählt wird, Politik und Rechtssprechung seien den Interessen der Wirtschaft hilflos ausgeliefert. Für Robert Misik ist das eine schamlose Lüge, schließlich sind wir immer frei in unseren Handlungen – als Wähler genauso wie als Konsumenten oder verantwortungsbewusster Bürger:

"Ein gesellschaftliches Leben, in dem sich das Entwickeln meiner Talente, das was ich aus mir machen will, nur mehr in kommerzialisierten Räumen, durch Kaufen und Kommerz und Shopping herstellen lass, ist sozusagen eine arme Gesellschaft. Und diese Gesellschaft muss dann versuchen gesellschaftliche Räume zu verteidigen, in denen man jenseits von Kommerz etwas ausprobieren kann, entwickeln kann und deswegen sagen ich ja, der Staat ist gefragt, das ist die Aufgabe von so kleinen Dingen wie Stadtplanung, Bauverordnungen."

Infos:
Robert Misik, "Das Kult-Buch. Glanz & Elend der Kommerzkultur". Aufbau Verlag, 199 Seiten, 19,95 Euro.


Die Prickeln statt Frickeln-Kolumne im Zündfunk. Zur Stärkung des medialen Immunsystems.

RADIOALICE.DE

  * Radio Alice ist eine andere Form der Medien- und Werbekritik. Radio Alice ist kein originäres Produkt des ZÜNDFUNK, sondern gelangt über die externe DesillusionismusKmbH ins Programm

20.10.2007 Oliver Pink in Die Presse, Wien

Das Buch: Neues vom Kapitalismus

Robert Misik, der umtriebige linksliberale Essayist, hat ein neues Buch vorgelegt. Nicht irgendeines. Sondern „Das Kult-Buch“. Dem Thema aus „Genial dagegen“ bleibt er treu: dem Kulturkapitalismus. „Im Lifestyle-Kapitalismus ist der Stil eines Menschen unmittelbar mit den Dingen verbunden, die er konsumiert. Der praktische Gebrauchswert tritt in den Hintergrund“, schreibt Misik über den „homo shoppensis“. Gerade Künstler und Stararchitekten würden heute den Kapitalismus befördern. Künstlertugenden wie Kreativität und Flexibilität, so Misik, würden in der Wirtschaftswelt groß geschrieben. Auch der Marke Nationalstaat widmet sich der Autor. Ein kluges Buch, mitunter ein wenig sperrig. Den linken Jargon aus früheren Werken hat Misik zurückgeschraubt. oli

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2007)

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Martin Blumenau schreibt in seinem Blog auf FM-4 (Link):

Über Glanz und Elend der Kommerzkultur.
 
Der Kollege Robert Misik, den ich als Blogger ebenso wie als Autor und darüberhinaus auch noch als guten Typen und Diskussionspartner schätze, hat ein neues Buch veröffentlicht: es heißt, mehr als ironisch verbrämt, Das Kult-Buch (Aufbau-Verlag) und befasst sich nicht nur mit dem im Untertitel avisierten "Glanz und Elend der Kommerzkultur", sondern versucht den Wertewandel, den Begriffe wie Kultur bzw. Kreativität in den letzten Jahren vollzogen haben, in einen erklärenden Zusammenhang mit der aktuellen "Totalkulturalisierung der Ökonomie" zu stellen.

Das klingt ganz schön wild und anstrengend und diederichsenesk, und das war es gestern Abend, anlässlich der Präsentation, als just jener (der Diederichsen, der Diedrich) für eine kleine Diskussion eingeflogen wurde, natürlich auch.

Das Buch selber hantiert zwar auch mit schwerwiegenden Begriffen, erklärt seine Grundthese dann aber auch durchaus handfest und anschaulich.

 
 
Kreativität
 
Dadurch dass sich der Begriff der Kreativität von einem künstlerischen Mythos zu einem Imperativ und zuletzt zu einem Lifestyle gewandelt hat (wie das Doris Rothauer, die dritte Diskutantin von gestern, schön zusammengefasst hat), hat sich auch die Wertigkeit gedreht. Wo früher sowas wie beamtische Beständigkeit die Arbeitswelt definiert hat, wohingegen alles "Kreative" dem ein wenig abfällig behandelten künstlerischen Sektor zugeschrieben wurde, ist es heute eine neu geformte Version von "Kreativität", die nicht nur Management und Marketing, sondern mittlerweile jedem Arbeiter und Angestellten abverlangt wird.
Etwas, was sich auch in der Verlagerung der Bedeutungen bei Produkten äußert: Nicht die reine Produktion zählt, wirklich wichtig ist der Arbeitsschritt, in dem aus einem Produkt eine Marke, ein Brand wird.
Was dann wiederum dazu führt, dass die Kunst ihre früher (zumindest ideell) vorhandene Autonomie verliert.
Dieser vergleichsweise neue Kulturkapitalismus ist uns zwar praktisch allen klar – mit der Verinnerlichung klappt es aber noch nicht so recht.

Die Ware, das Produkt, egal ob der Turnschuh oder eine Information (der vielbeschworene Content) ist via seines Images von Bedeutung. Da eine simple Konsumkritik anzusetzen, die sich im Gejammer über Manipulation durch Werbung erschöpft, das reicht, so meint Misik, heute nicht mehr aus. Weil der Stil- und Kultur-Konsum mittlerweile auch bereits eine Form der Produktion seien.

 
 
Die Kulturalisierung der Ökonomie
 
Diese Identitäts-Findung, die übers Gewinnen oder Shoppen von Konsum-Gütern oder Kultur gelingt, trägt akut zu einer zunehmend unauflöslichen Vermengung von früher (scheinbar) gegnerischen Positionen wie Kommerz und Kultur bei.

Misik erklärt das anhand eines anschaulichen Bespiels, dem gern als veritablen Gegenteil zur kalten Rationalität der Wirtschaftswelt dargestellten "Modell der romantischen Liebe", die aus wilden Zutaten wie unerklärlicher erotischer Anziehung und kopflosem "dem Anderen verfallen" besteht.
In Wahrheit bestehen die Rituale der romantischen Liebe aus fabriksmäßig angefertigten kommerzialisierten Bildern, der roten Rose, dem Candle-Light-Dinner, dem Trip nach Venedig, alles Produkte einer ganzen Industrie, die (mit den Mitteln der Folklore) Erwartungshaltungen schürt, anbietet und auch bedient.

Genauso funktioniert unser gesamtes Leben fast flächendeckend in höchst kalkulierbarem Terrain. Im Kleinen (z.B. beim fair getradeten Bio-Produkt) ist uns das klar, im größeren Zusammenhang jedoch tun wir gern so, als wären wir Einsiedler; als würde unser täglicher kreativer Input da nicht die angepasste Vermassung unterstützen, virtuelle Grenzen zwischen "echt" und "künstlich", zwischen "authentisch" und "kommerziell" nicht ununterbrochen verrücken.

 
 
Der Brand als Leitmotiv
 
Der Unterschied zur Klassengesellschaft alter Prägung ist der, dass man früher trotz materiellen Mangels einer kulturellen Leistung für fähig gehalten wurde, während das heute dem abgehängten Präkariat niemand mehr zutraut.
Aus der kulturellen Mangelernähung dieser Unterklasse kommt man – auch durch die riesenhafte Vergrößerung der Mittelklasse begründet – nur noch schwer raus.
Im Gegenteil.
Denn das mit der neuen Kreativität einhergehende Freiheits-Versprechen, das auch Teile der Mittelschicht zu prekären Kleinunternehmern macht, sorgt dafür, dass sich substanziell nicht viel verbessern kann.

Der mittlerweile selbstverständliche Einsatz von Brands, um Marken, Nationen aber auch Künstler herauszuheben, spiegelt ein Veränderungs-Potential vor (weil sowas theoretisch jeder schaffen kann), das es nicht wirklich gibt: Der Pool kann nicht größer werden als 100% und es sind immer noch die altbackenen ökonomischen Mechanismen, die die Welt regieren; selbst wenn die Firmenstrukturen innerhalb dieser Regenten sich mittlerweile den creative industries anzunähern beginnen.

 
 
Der bunte Kulturkapitalismus
 
Misik hält das Glas interessanterweise für eher halbvoll.

Er sagt: "Der Kulturkapitalismus macht die Welt in vieler Hinsicht bunter und lebenswerter, ja in mancher Hinsicht auch gerechter. Die Auflösung fester sozialer Milieus und hart voneinander abgegrenzter Schichten in fluide Lifestyle-Communities ist auch wohl dann noch als Freiheitsgewinn und Zuwachs an Ausdrucksmöglichkeiten, aber auch als Entschärfung von Kassendünkeln zu bilanzieren, wenn man die neuen Ungleichheiten, die er einzieht, nicht übersieht. Dass die Codes und Stile der Unterschichten und Beherrschten in den modischen Fundus der Massenkultur aufzusteigen vermögen, gehört ebenso in dieses Bild. Auch der Aufstieg der Künstlertugenden zum Leitbild für die neuen Arbeitnehmer und die Creative Classes gibt vielen Menschen die Möglichkeit zu einem erfüllteren, kreativeren Erwerbsleben. Der Zuwachs an Erlebnisangeboten erweitert den Radius unserer Lebenswelten. Dass man für diese Erlebnisse mit barer Münze bezahlen muss, ist zwar eine Tatsache, die Ungleichheiten nicht abbaut, aber auch nicht notwendigerweise verschärft."

 

Der Falter, 44, 2005,

Wie geil ist Style?

Robert Misiks "Kult-Buch" entdeckt den Kultur- und Lifestylekapitalismus, verrät aber nicht, wie wir mit ihm umgehen sollen. Tina Thiel.

"Lifestyle-Shopping" im "Urban Entertainment-Center"; das Ringen um den "Brand-Value" von Dingen, Personen und Staaten; das Selbst als Summe gekaufter "Identity-Goods" – Robert Misiks "Kult-Buch" bietet eine Tour d’Horizon durch den "Kulturkapitalismus" als "neueste Etappe der kapitalistischen Produktionsweise". Im Kulturkapitalismus, so der Tenor, wird nicht mehr vorrangig der Gebrauchswert von Dingen, sondern ihr kultureller Mehrwert produziert und konsumiert. Es zählt das "Image". Außerdem erwerben wir mit kulturell aufgeladenen Waren Identität, sie machen uns erst zu Trägern von Lifestyles und Werten.

In neun Kapiteln versammelt Misik nun theoretische Zugänge, die für ihn dieses kulturkapitalistische Paradigma begründen. Hier findet sich die Diskussion um den "Kreativen" als flexiblen Zeichenproduzenten und damit neue Arbeitnehmer-Leitfigur ebenso wie jene um die neuen Orte des Konsums, allen voran die Shoppingmall. Obwohl der etwas affirmative Ton, in dem Misik uns hier unter anderem die "Totalökonomisierung der Kultur" vor Augen führt, manchmal etwas befremdet, ist ihm eine brauchbare Zusammenschau der relevanten soziologischen und kulturwissenschaftlichen Ansätze aus den letzten Jahre gelungen.

Das Vorwort des "Kult-Buchs" trägt den Titel "Konsumkritik – aber richtig!" Die Einlösung des Versprechens, das auf diese Weise gegeben wird, bleibt Misik allerdings weitgehend schuldig. Und dass – wie mehrfach erwähnt – eine zeitgemäße kritische Haltung irgendwo zwischen marxistischer Konsumkritik (die der Autor immer nur als Witzfigur vorführt) und bedingungsloser Konsumgeilheit liegen müsste, war zu vermuten gewesen.

Der Autor strengt sich sichtlich an, das lückenlose Funktionieren des Kulturkapitalismus nachzuweisen, indem er zum Beispiel betont, dass Bioprodukt- und Fair-Trade-Käufer im Grunde auch nur Lifestylejunkies seien. Hier stellt sich allerdings schon die Frage, ob man Konsumethik tatsächlich in den Image- und Meinungsmärkten auflösen soll: Ist es wirklich egal, warum jemand Bioprodukte kauft? Dass das "Kult-Buch" versucht, sich um solche Probleme herumzuwinden, erklärt wohl auch das Schulterzucken des Autors, mit dem er am Ende nochmals betont, dass es ihm ja bloß um "Aufklärung" ginge, ansonsten aber die Leser aufgerufen seien, sich Strategien zur Rückgewinnung kulturkapitalistisch besetzter Räume zu überlegen.

Das "Kult-Buch" belegt, dass sich die mitunter auch selbst lifestylig schicken Theorien der vergangenen Jahre vor allem auf die Ebene der Symbol- und Zeichenproduktion konzentriert haben. Vielleicht wäre es aber gerade im Kontext einer Suche nach zeitgemäßen Formen von Kritik angebracht, sich wieder mit der Welt der Dinge zu beschäftigen.

Warum liegt in Wiener Supermarktregalen chinesischer Knoblauch? Wie verändert die "kreative Klasse" die Stadtviertel, in denen es zwar keinen Fleischer oder Schuhmacher mehr gibt, dafür aber zwanzig Coffeeshops mit Latte macchiato in drei Größen? Sollte man dort, wo mit einem "Image" nahezu unethische Gewinnspannen erzielt werden, die Produktkultur nicht doch wieder auf ihren Gebrauchswert und ihre Beständigkeit hin befragen? Und wie steht es um den Gebrauchswert und die Beständigkeit von Images und Kultwerten selbst: Fühlt sich ein Teenager nach dem Erwerb einer sauteuren Markenjeans tatsächlich wie ein cooler Skater – oder doch bloß wie einer, dem der Hosenschritt am Knie hängt?

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Märkische Allgemeine Zeitung:

Käufliche Selbstbilder

Robert Misik erklärt, warum der Kulturkapitalismus gesiegt hat

THOMAS ASKAN VIERICH

Wer kauft, kauft nicht einfach ein Gebrauchsgut, sondern ein Lebensgefühl. Ich shoppe, also bin ich. Wir denken in Marken. Ich hebe mich von meiner Umwelt ab durch Dinge, die ich trage, esse, fahre oder in die Wohnung stelle. Soziologen sprechen vom "Kulturkapitalismus".

Wir leben in einer durchkommerzialisierten Welt, in der nicht nur Kunstwerke ihre "Aura" (Walter Benjamin) haben, sondern auch die fabrizierten Dinge. Wer fair gehandelten Kaffee kauft, zeigt, dass er ein "besserer" Mensch ist. Wer einen Benzinfresser fährt, dass ihm die Umwelt immer noch wurscht ist.

Wer das kapitalistische Weltsystem verstehen will, darf nicht mehr wie Marx nur die Produktionsseite analysieren, sondern die Verbraucherseite. Das ist eine der zentralen Thesen eines ausgesprochen erhellenden Buches von Robert Misik über "Glanz und Elend der Kommerzkultur". Er schildert die Auswirkungen, die das Konsumieren von Stil und Kultur für die Gesellschaft und das Individuum haben.

Unternehmen produzieren nicht mehr nur Dinge, sondern einen kulturellen Mehrwert, eine Marke, ein Logo, Identität für den Konsumenten. Und dieser Mehrwert ist gefährdet. Wenn zum Beispiel H & M mit Kinderausbeutung in Verbindung gebracht wird, ist das schlecht fürs Image. Es erschüttert das Selbstbild beim Kaufen und Tragen der schicken Billigkleidung. Deshalb sind scheinbar übermächtige Konzerne wie Ikea, Coca Cola, Nike oder Shell tatsächlich durch kritische Konsumenten und Berichterstattung angreifbar. Was früher der Streik war, ist heute die Kaufenthaltung. Deshalb hat auch bei ehemaligen Bösewichten ein Umdenken eingesetzt, das sie nicht immer nur zu Feigenblättern greifen lässt.

Die Verbindung von Kultur und Kommerz, die Kulturalisierung des Ökonomischen hängt auch damit zusammen, dass das "Künstlerische", die Werte der Bohéme, aus der Randlage in die Mitte gerutscht sind: Heute sollen wir alle Künstler sein, flexibel und sozial unabgesichert uns und unsere Arbeitswelt ständig neu erfinden. "Bobo" nennt man diese neue dynamische Klasse: "Bourgeoise Bohémiens" sind die Yuppies des 21. Jahrhunderts. Sie fühlen sich als Gewinner, auch wenn sie in Wahrheit oft nur "urbane Penner" sind, Ich-AGs in Selbstausbeutung, Lebenskünstler mit notorisch überzogenen Konten, Selbstständige mit Werkverträgen in den Creative Industries, wo all die Arbeitsplätze unserer Informations- und Dienstleistungsgesellschaft entstehen sollen, die es seit dem Ende des Industrie zeitalters nicht mehr gibt. Und diese Bobos übernehmen die Meinungsführerschaft.

Hier stecken Chancen und Gefahren. Tarifautonomie? Arbeiterrechte? So etwas brauchen angeblich nur noch Lokführer. "Die Kulturkreativen erscheinen aus dieser Perspektive als die Aerobictrainer einer etwas eingerosteten Gesellschaft", schreibt Robert Misik.

Misik analysiert die Welt der Shoppingmalls, unsere vollgestellten Innenstädte, er zeigt, dass Marketing mittlerweile (fast) alles ist. Man kann (und muss) sogar Nationen vermarkten, um ökonomisch zu überleben. Das Problem: Immer mehr Menschen haben das Gefühl, in einer Welt zu leben, die sie sich vielleicht kaufen, nicht aber aneignen können, in der nichts mehr von ihnen selbst steckt.

Der öffentliche Raum wird zunehmend von ökonomisch potenten Gruppen für ihre Zwecke privatisiert. Den anderen bleibt nicht viel mehr als Mitmachen. Oder Kaputtmachen. Alles ist simuliert, vermittelt, nichts authentisch. Sportschuhe von Nike machen mich noch nicht zum schnelleren Läufer, der Kauf des richtigen Kaffees eben doch nicht zum glücklicheren Menschen. Und wer sich das alles nicht leisten kann, nicht so herrlich fit und flexibel ist, wird mit "Unterschichten-Fernsehen" und "Geiz ist geil!"-Parolen ruhig gestellt. Und wird aus dem "Prekariat" oder Hartz IV nie mehr herauskommen. Misiks Trost: "Selbst wenn wir Teil dieses Systems sind, ist es ein Unterschied, ob ich weiß, wobei ich mitmache, oder nur bewusstloses Objekt bin."

Robert Misik: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Aufbau, 199 Seiten, 19,95 Euro.

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 Vorwärts, 7.12.2007 (Link)

„Ich shoppe, also bin ich“

Das trifft den Kern des Kulturkapitalismus: Die meisten gehen heute nicht nur einkaufen, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, sondern erkaufen sich damit auch einen Teil ihrer Identität. Marken bestimmen das Leben und verkörpern einen Lifestyle, der sich mit dem Kauf angeeignet wird. Das Image einer Marke ist somit Gold wert. Robert Misik erklärt in seinem neuen Buch, warum der Kulturkapitalismus siegt.

  Misik  

Der Turnschuh von Nike oder die Gucci- Sonnenbrille sind heutzutage keineswegs einfache Gebrauchsgüter mehr. Die Zeiten, da ein Turnschuh einen bequem durch den Alltag gehen ließ oder einfach nur seine Funktion als Fußbekleidung beim Sport erfüllte, sind endgültig vorbei. Auch Sonnenbrillen haben mehr zu leisten als nur den Schutz der Augen. Alle diese Dinge repräsentieren Coolness und Hipness, sodass sogar der größte Sportmuffel – natürlich nur mit dem richtigen Markenturnschuh – Fitness und Sportlichkeit verkörpert. Güter, die besonders begehrt und beliebt sind, werden zum Kult.

Kulturkapitalismus aber richtig

Die Vorstellung, Verbraucher seien nur willenlose Opfer gerissener Werbe- und Marketingstrategien, ist längst passé. Robert Misik übt in seinem Buch nicht nur Konsumkritik, sondern analysiert auch das Konsumverhalten. Was das Konsumieren von Kultur für Auswirkungen auf Individuum und Gesellschaft hat, beschreibt er ebenfalls anschaulich.

Ökonomie und Kultur gehörten heutzutage untrennbar zusammen. Der Verbraucher konsumiere in erster Linie nicht mehr den reinen Gebrauchswert einer Ware, sondern zugleich das Image oder das Lifestyle. Misik spricht von der „Totalkulturalisierung der Ökonomie“. So gesehen würden auch die Orte des Konsums – die Shopping-Malls –allein schon zu Kulturträgern: bestimmt durch ihre auffällige Architektur und den reinen Erlebniseffekt im Gebäude. Der Autor zeigt aber auch, wie auf diese Weise immer mehr öffentlicher Raum verloren geht und privatisiert wird.

Kult ist Kult – aber nicht alles im Leben

Misik demonstriert ausführlich, wie Marketing und Werbung Alltag und Konsumverhalten beeinflussen. Problematisch wird es nach seiner Meinung da, wo der Mensch nicht das nötige Kleingeld besitzt, um an dieser schillernden Konsumwelt teilzunehmen. Interessant ist in diesem Zusammenhang Misiks Verweis auf das Buch „No Shopping!“ von Judith Levine. Die Autorin hat ein Jahr lang nur das Nötigste zum Leben gekauft und ihre dabei gemachten Erfahrungen aufgeschrieben. Das Ergebnis dieses selbst auferlegten Shoppingentzugs: das Gefühl einer Außenseiterin und tiefe Unzufriedenheit.
Was aber tun? Misik schlägt vor: Souveränität und Räume zurückgewinnen, die noch nicht völlig von der Kommerzkultur besetzt sind. Welche das genau sind, verrät er nicht. Aber er erklärt überzeugend, wie der Kulturkapitalismus im Einzelnen funktioniert. Ein wichtiger erster Schritt. Ein lesenswertes Buch!

Edda Neumann

Robert Misik: Das Kultbuch. Glanz und Elend der Kommerzkultur, Aufbau Verlag, 2007, 19,95 Euro, 199 Seiten, ISBN-13: 978-335102651

progress, Oktober 2007:

 

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Einen bitterbösen Verriss gibt es dagen in der Zeitschrift "literaturen". Nachzulesen hier

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Ernst Grandits machte für "Kulturzeit" (3-Sat) einen langen Bericht, dazu schrieb er auf der Webseite der Sendung:

Ich bin, was ich kaufe
Robert Misiks "Kultbuch" über Glanz und Elend der Kommerzkultur


Unsere schöne neue Welt ist in erster Linie eine schöne neue Warenwelt, die vieles verspricht: Wohlbefinden, Erlebnisse, Ansehen, Beglückung. Längst kaufen wir nicht einfach Gebrauchsgüter, sondern Güter, die weit mehr versprechen als nur ihre bekannte Funktion zu erfüllen. Wir erkaufen uns mit Waren die Wertschätzung anderer. Wir trösten oder belohnen uns mit Einkäufen. Wir formen sogar unsere Identität mit entsprechenden Produkten.

Das ökonomische Leben wurde vom Kapitalismus mit kultureller Bedeutung aufgeladen, diagnostiziert der österreichische Kulturtheoretiker Robert Misik in seinem "Kultbuch – vom Glanz und Elend der Kommerzkultur". Misik analysiert die heutige Warenproduktion und prägt dafür den Begriff "Kulturkapitalismus".

Lifestyle statt Gebrauchswert
"Der Kulturkapitalismus zeichnet sich dadurch aus, dass das Entscheidende an Waren nicht mehr ihr Gebrauchsaspekt ist, sondern das, was sie kulturell unterscheidet, mit der Erzählung, mit der sie aufgeladen sind", sagt Robert Misik. Marken repräsentieren Identität. Sie sind aufgeladen mit kulturellen Bedeutungen, von denen wir hoffen, dass sie auf uns abfärben mögen. Dieser Prozess hat die kapitalistischen Produktionsformen radikal verändert.

"Schauen wir uns ein Unternehmen wie Nike an: Die schneiden Turnschuhe zusammen – das kann jeder", meint der Kulturtheoretiker. "Das ist das Unbedeutendste an der gesamten Operation. Die bestellen sie in Sweatshops in unterentwickelten Ländern. Doch die Idee zur Firma, die Idee, warum man dieses Ding braucht, liefern "Branding Experten" in der Zentrale. Das heißt natürlich auch, dass diejenigen, die mit dem Aufladen der Bedeutung der Güter mit Zeichen zu tun haben, die Bedeutendsten überhaupt in der Kette der Produktion sind. Sie sind besser bezahlt als diejenigen, die an der materiellen Seite damit zu tun haben. Die sind die Unwichtigsten, kriegen ein paar Cent." Derart aufgeladen sind heute Gebrauchsgüter des Alltags – genauso wie Luxusprodukte. Die allgegenwärtige Werbemaschinerie verspricht Wohlbefinden und die Befriedigung unseres Bedürfnisses nach Selbstwert. Solange unser Selbstwertgefühl davon abhängt, wie viel Wertschätzung wir von anderen erfahren, sind wir bereit, uns mit viel Geld diese Wertschätzung zu erkaufen. "Sie sind es sich wert", suggeriert die Werbung.

Der Einkauf bestimmt das Bewusstsein
"Dass das Begehren nicht gestillt werden kann, ist, wenn man so will, der Kern dieser kulturkapitalistischen Konstellation", sagt Misik. "Und das wäre auch etwas kritikwürdig. Die Leute spüren, dass es da ein Problem gibt. Man kauft etwas und ist nicht befriedigt. Es gibt so etwas wie eine Shopping-Mentalität, die sich entwickelt, die sich sehr anlehnt an das bekannte Suchtverhalten: Der nächste Kick muss bald kommen, er muss höher sein als der letzte. Diese Übertreffensmentalität, das Neue, muss besser sein als das letzte Neue. Das Neueste schlägt das Neue, doch all das macht die Menschen auch unbefriedigt damit. Man geht einkaufen, kommt zurück und ist nicht froh." Gegen diesen Frust hilft nur ein neuer Einkauf. Der Konsumismus bestimmt nicht nur unsere Lebensumwelt. Die Dinge, mit denen wir uns umgeben, die Produkte, die wir kaufen, formen auch entscheidend unsere innere Lebenswelt und unsere Persönlichkeit. Nicht das Sein bestimmt das Bewusstsein, der Einkauf tut es.

Der Einkauf modelliere die Persönlichkeit, so Misik, "Selbst das ostentative Nichtkonsumieren, zum Beispiel zu sagen, ‚ich kaufe nur No-Name Produkte, ich kaufe Bioprodukte, ich stopple mir meine Persönlichkeits-Gadgets am Flohmark zusammen‘, auch das drückt aus, wie ich sein will, und wie drücke ich es aus? Durch Konsumverhalten, nur durch ein Konsumverhalten, das anders ist als das Konsumverhalten des Main-Stream." Auch die Kulturproduktionen sind heute Mitbewerber am Markt der Aufmerksamkeit und des Konsums. Galt früher noch, Kunst sei ein Sonderfall der Ware, positionieren sich heute viele Künstler als Marken. Die Auktionspreise eines Künstlers bestimmen seinen Marktwert. Der Käufer signalisiert Reichtum und Kunstliebe. Für die weniger Betuchten gibt es dann konsequenterweise einen Kunstsupermarkt.

Kommerzorte bestimmen das Stadtbild
Die Durch-Kommerzialisierung präge unsere Umwelt sehr, meint Misik, "und darauf haben wir keinen Einfluss. Dieses Überborden der Kommerzarchitektur, dieses Umformen aller öffentlichen Orte zu Kommerz-Orten, wo ich selbst nichts mehr machen kann, weil mir alles vorgegeben ist, ist schon ein großes Problem des Konsumkapitalismus." Die Innenstädte sind längst zu großen Shopping-Malls im Freien mutiert. Auf die Frage, ob der Konsumkapitalismus die Welt besser oder schlechter macht, weiß Robert Misik auch keine endgültige Antwort. Er möchte mit diesem Buch unser Bewusstsein beim Konsumverhalten schärfen. Die Widersprüche des "homo consumere" bleiben im System des Konsumkapitalismus unauflöslich. So streben wir weiter dem Paradies entgegen, das uns die Güter versprechen.

 

Der Tagesanzeiger:

14. Januar 2008, 20:25 – Von Alexandra Kedves

Wenn man sich die Zahnpasta gleich selber mischt

Während Konsum das Leben immer mehr bestimmt, denken manche über Verzicht nach. Neue Bücher weisen den Weg zum kritischen Consumer Citizen.

Stell dir vor, es ist Shopping, und keiner geht hin. Ein Traum? Oder ein Alptraum? Sie ist nicht bloss zur Weihnachtszeit aktuell, die Debatte übers Habenwollen und Habenmüssen, über den Kaufrausch und den Katzenjammer danach. Der Konsum, seine Risiken und Nebenwirkungen sind ein Dauerbrenner in der Diskussion, die unsere Gesellschaft über sich selbst führt. Doch selten wurde so intensiv über Konsum gestritten wie jetzt. Da verbrennt einer sein Hab und Gut mitten in London und schreibt darüber, nicht ohne Ironie, einen Anti-Consumer-Bestseller. Ein anderer gestaltet «No Shopping»-Performances in den Läden New Yorks, und es gibt philosophische Symposien unter dem Motto «Ich kaufe, also bin ich» wie unlängst in Biel. Klar, dass auch der Buchhandel auf den Zug aufspringt.

Drei Kategorien konsumkritischer Studien sind derzeit im Trend: Die Theoriebände stellen Globalisierung und Konsum in psychologische und soziopolitische Zusammenhänge. Die Ratgeber listen Tipps für den Einkauf auf und für den Sand, den der neue soziologische Typus «Consumer Citizen» ins Geschäftsgetriebe streuen sollte; und schliesslich liegen Erfahrungsberichte von Menschen vor, die Ernst gemacht haben mit dem Konsumverzicht.

Träume produzieren

Aber warum überhaupt verzichten? Der Grenobler Philosoph Gilles Lipovetsky hält fest: Die «Gesellschaft des Hyperkonsums» hat sich als «Gesellschaft der (Ent)Täuschung» entpuppt. So verbrauchen wir dreimal mehr Energie als in den Sechzigern, sind aber keineswegs dreimal so glücklich. Vuitton-Taschen baumeln am Arm junger Mütter aus der Banlieue wie an dem von Konzernmanagerinnen. Und doch gehören zu den typischen Symptomen der Hyperkonsum-Gesellschaft Statusangst, Panikattacken, Depression.

Eine alles beherrschende Statusangst hat auch der britische Lifestyle-Journalist Neil Boorman bei sich ausgemacht. In «Good bye, Logo» beschreibt er witzig und wütend die Auseinandersetzung mit der eigenen Markensucht. Das Tagebuch reicht vom Augenblick der Erkenntnis bis hin zum öffentlichen Autodafé von 14 Ralph-Lauren-Hemden, 2 Adidas-Trainingsanzügen, 3 Vivienne-Westwood-Pullovern, 4 Lacoste-Jacken, 15 Calvin-Klein-Unterhosen, 1 Ikea-Schreibtisch . . . Weil Boorman öffentlich vorgeht und einen Blog über sein Entziehungsprogramm betreibt, bekommt er Hassmails, muss legitimieren, warum er zerstört anstatt verschenkt, und sich neue Brötchengeber suchen. Einen wie ihn kann Adidas nicht als Journalist des Vertrauens ansehen.

Marken, Brands funktionieren als Identitätsstifter, reflektiert Boorman quasi im Gefolge von Wolfgang Ullrichs «Habenwollen» zusammen mit der Psychiaterin, die seinen «Ausstieg» begleitet. Brands bedienen Träume, Gefühle und Ideen nicht nur, sondern produzieren sie überhaupt erst. Um dem zu entkommen, kauft Boorman Lebensmittel nur noch beim Bauernmarkt, rührt einmal in der Woche Glyzerin, Backpulver und Basisöle für Zahnpasta und Putzmittel zusammen, verlässt das Haus stets mit einer Zweiliterflasche Wasser und selbst gekochten Snacks.

Boormans Markensucht hatte etwas von einem Luxusproblem, seine Askese jedoch ist radikal. Wie bei der amerikanischen Journalistin Judith Levine, die mit ihrem Antikonsumprojekt nach den Funktionsweisen einer Gesellschaft fragt, die vom Konsum lebt. Sie seziert das eigene Einkaufsverhalten und vergleicht ökologische Fussabdrücke: Der Durchschnittsamerikaner verbraucht 9,7 Hektar biologische Nutzfläche jährlich, ein Bengale bloss 0,6 Hektar. Der maximale Verbrauch für ein funktionierendes Ökosystem wären 1,8 Hektar pro Person. Also beschliesst Levine mit ihrem Partner, ein Jahr lang nur das Nötigste zu kaufen wie Klopapier, Medikamente, einfache Lebensmittel oder den Internetzugang. Ein Vorsatz, der sie vom kulturellen Leben trennt (Kino ist gestrichen), in absurde Situationen bringt (Betteln um Skiwachs bei wildfremden Menschen) und die Prioritäten völlig verschiebt.

Die Macht der Verweigerung

Die Chronik, die Judith Levine über dieses Jahr schreibt, «No shopping!», ist eine kluge Auseinandersetzung mit Verweigerungsstrategien und Zurück-zur-Natur-Philosophien. Sie zitiert etwa Henry Thoreau und John Muir, Juliet Schor («Born to Buy») und den Antikauf-Reverend Billy Talen. Aber auch ein theoretisch wohl fundierter Konsumverzicht löst Entzugserscheinungen aus: «Ich bekam eine Ahnung vom Nirwana und sehnte mich gleichzeitig nach Prozac.»

Zudem ist «auch das ostentative Nicht-Konsumieren nur ein besonders exaltierter Konsumstil», diagnostiziert Robert Misik in seinem brillanten «Kult-Buch». Boorman und Levine sind sich dieser Falle bewusst. Dennoch liegt in der Verweigerung politische Macht. Der Consumer Citizen kann als verantwortungsbewusster Käufer Einfluss auf Produktepaletten und Produktionsbedingungen nehmen. Die These, dass Konsum Ausdruck westlicher Freiheit sei, ist für Misik wie für die Autoren des Bandes «Politik mit dem Einkaufswagen» endgültig abserviert – ebenso wie die alte revolutionäre Hoffnung, aus dem Kapitalismus und seinen Konsumgesetzen grundsätzlich aussteigen zu können.

In beiden Büchern werden auch Anticorporate Campaigns («Killer Coke», «Lidl ist nicht zu billigen») analysiert. Dass sich in den Netzen des Widerstandes oft ein Alternativ-Markt aufbaut, der dann nach denselben Gesetzen funktioniert wie der Mainstream, ist eine der Absurditäten, die da entschlüsselt werden. Aber, so Judith Levine, «ich kann mich auch weigern, einzig die Rolle des Konsumenten einzunehmen, und kann meine andere öffentliche Identität zurückfordern: die des Bürgers. In unserem konsumfreien Jahr hatten Paul und ich mehr Zeit, Energie und Geld, um uns als Bürger zu engagieren.»

Ähnlich hat sich der deutsche Konsum-Philosoph Wolfgang Fritz Haug eine Theorie des systemimmanenten Widerstandes zurechtgelegt. Er betrachtet Kaufen als «Kompensation eines Seins-Mangels» und Cocooning im trauten Heim als Vogel-Strauss-Politik. Ein Gegengewicht bestehe allein im Engagement für eine Welt, die nicht alles zur Ware macht. Haug meint ehrenamtliche Arbeit an den sozialen Brennpunkten unserer Städte: in Lohnsummen umgerechnet bereits jetzt ein enormes Kapital.

An eine Umwälzung der Verhältnisse glaubt er allerdings genauso wenig wie die neuen Stoiker. «Wir müssen die Gesellschaft nicht revolutionieren, sondern brauchen eine Pädagogik der Leidenschaften, eine Ethik der Person, eine Relativierung des Konsums», postuliert Lipovetsky. Selbst Linksintellektuelle wie der deutsche Philosoph Oskar Negt haben sich mit der wurzellosen, ungepolsterten «Eindrittel-Gesellschaft» (1/3 lebt gut, 1/3 prekär, 1/3 dauerhaft ausgegliedert) abgefunden. In ihren Beiträgen zum Thema geht es nicht mehr um die grossen Entwürfe: 1968 gabs Utopien, in den Siebzigern Versuche, in den Achtzigern die Flucht in den Konsum. Heute wird die Kapitalismuskritik auf allen Bühnen gespielt, aber mit einer echten Alternative zur Welt als Markt kann keiner aufwarten. Kein Silberstreif am Horizont – aber eine perfekte Kulisse für wunderbare, moderne Don Quijotes à la Neil und Judith und Paul.

 

 

Bücher zum Konsumieren

Die Experimentierer

Neil Boorman: Good bye, Logo. Wie ich lernte ohne Marken zu leben. Aus dem Englischen von Christoph Bausum. Ullstein, Berlin 2007. 300 S., 29.90 Fr.

Die Ratgeber
Silke Schwartau, Armin Valet: Vorsicht Supermarkt! Wie wir verführt und betrogen werden. Rowohlt, Hamburg 2007. 190 S., 18.70 Fr.
Alexander von Schönburg: Lexikon der überflüssigen Dinge. (Glossen). Rowohlt, Berlin 2006. 208 S., 30.60 Fr. Erscheint jetzt als Rowohlt-Taschenbuch, 208 S., 16.80 Fr.

Die Theoretiker
Sigrid Baringhorst u.a. (Hg.).: Politik mit dem Einkaufswagen. Unternehmen und Konsumenten als Bürger in der globalen Mediengesellschaft. Transcript, Bielefeld 2007. 392 S., 49.90 Fr.
Robert Misik: Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Aufbau, Berlin, 2007. 199 S., 35.90 Fr.
Wolfgang Ullrich: Habenwollen. Wie funktioniert die Konsumkultur? S. Fischer, Frankfurt a.M. 2006. 218 S. Erscheint als Fischer Taschenbuch, 218 S., 16.80 Fr.

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Freitag

Thomas Rothschild

Armani oder Prada?

WACHTUMSBRANCHE*In seinem Buch über "Glanz und Elend der Konsumkultur" gibt sich Robert Misik als Herkules der Konsumkritik, räumt aber nur einen längst gereinigten Miststall auf

Offen gestanden: ich habe Vorurteile, wenn im ersten Satz eines Buchs von "bezaubernden Kindergeschichten" die Rede ist. Ich sehe affektierte Damen der besseren Gesellschaft beim Kaffeeklatsch vor mir, und was immer man über diese denken mag – ich will keine Bücher von ihnen lesen.

Stolpere ich bei diesem ersten Satz über die Sprache, so verstimmt mich am Anfang des zweiten Absatzes der apodiktische Ton: "In einem gewissen Sinne sind alle Dinge heute Dinge, die aussehen wie irgendwelche anderen Dinge." Das ist doch Nonsens. Eine Parkbank sieht aus wie eine Parkbank, und eine Briefwaage sieht aus wie eine Briefwaage. Sie repräsentieren keineswegs Bedeutung, auch nicht "in einem gewissen Sinne". Es ist das Geschwätz des Autors, das hier Bedeutung suggeriert, wo nur feuilletonistische Trivialität herrscht.

Aber da ich von diesem Autor, einem Österreicher, der längere Zeit in Berlin verbrachte und, anders als viele seiner Kollegen, seine Vergangenheit als Trotzkist und als Redakteur der sozialdemokratischen Arbeiterzeitung noch nicht völlig verdrängt hat, auch schon Klügeres gelesen habe, überwinde ich meinen Unmut und setze die Lektüre fort.

Ein Stück Rindfleisch

Den Aufwand mit der angeblichen Repräsentation von Bedeutung betreibt der taz-Kolumnist und Kommentator Robert Misik nur, um zu einer Definition des Modebegriffs "Kult" zu gelangen, weil er ihn nämlich für den Titel seines Buchs, in dessen Verlauf aber immer weniger benötigt. Aber auch diese Definition ist daneben geraten. Casablanca und Blade Runner, der Tafelspitz bei Plachutta in Wien und die Comics von Robert Crumb werden als "Kult" gefeiert. Sie repräsentieren ebenso wenig Bedeutung, wie für sie zuträfe, dass "viele Leute gerne möchten, dass die Attribute, mit denen sie verbunden sind, auch mit ihnen verbunden werden". Wer möchte schon so riechen wie ein saftiges Stück Rindfleisch oder so aussehen wie die Helden von Crumb. Kurzum: das ist Wortgeklingel, unscharf gedacht, auf rasche Zustimmung derer gemünzt, die ihrerseits nicht oder nicht mehr nachdenken.

Solche Schlampereien und Unschärfen häufen sich leider in dem Buch. Was meint der Autor, wenn er Franz Schuh für die Kennzeichnung der Kultur als "Wachstumsbranche" "unverwechselbare Ironie" attestiert? Dass nur Schuh über diese Ironie verfüge, das zitierte Wort nur von ihm stammen, oder dass die Ironie nicht missverstanden werden könne?

Solchen Ärgernissen stehen eine Reihe respektabler, wenn auch nur zum geringen Teil eigener Erkenntnisse und einleuchtender Formulierungen gegenüber. Misik, der ansetzt, eine "altbackene Konsumkritik" zu revidieren, die er als "retrolinke Plumpheiten" abwertet, obwohl sie genau genommen von Liberalen wie Vance Packard und Ernest Dichter stammt, bestätigt in weiten Teilen seines Buchs viele Thesen just derer, die er als überholt, veraltet und ein für alle Mal vergangen verdammt. Er besteht nur darauf, dass die kritisierten Erscheinungen und Entwicklungen ambivalent seien, sich nicht uneingeschränkt verteufeln ließen. Die Strategie ist bekannt: Man referiert eine Position in ihrer vulgären, vereinfachten Ausprägung, die immer schon von differenzierteren Varianten begleitet war, um sie dann mit dem Gestus der Überlegenheit zu korrigieren. Dabei benennt Misik zutreffend Charakteristika und Mechanismen der Konsumgesellschaft, die freilich mit ähnlichen Worten und Argumenten auch anderswo schon benannt wurden. Die Voraussetzung bildet eine These, die Fredric Jameson zugespitzt so formuliert hat: "Das Kulturelle und das Ökonomische kollabieren gleichsam ineinander und bedeuten dasselbe."

Der pauschalen Verdammung des Konsumismus setzt Misik, wiederum mit Berufung auf mehrere Vorgänger, auf wissenschaftliche Untersuchungen, Zeitungsaufsätze und auch auf literarische Zeugnisse, die identitätsstiftende Kraft des Shoppings entgegen. Zur Illustration des Gemeinten zitiert er einen Zeit-Artikel von Thomas Assheuer: "Ich bin Ich, weil ich Prada trage und nicht Armani." Und dann wieder diese merkwürdige Profilierungssucht, die in sonderbarem Widerspruch steht zu den politischen Einsichten des Autors. Da schreibt er, es sei "notwendig, mit einem alten, unausrottbaren, aber voreiligen Urteil aufzuräumen: dass der Kapitalismus die Welt gleichförmig macht, homogenisiert", nur um noch auf der selben Seite einzuräumen, dass diese "Ambivalenz von Homogenisierung und Heterogenität (…) nicht nur in der Kulturtheorie mittlerweile ein bekannter Sachverhalt (ist), die Marketingspezialisten selbst wissen darüber bestens Bescheid". Muss man mit einem Urteil aufräumen, wenn ohnehin alle wissen, dass es falsch sei? Da räumt ein Herkules einen längst gereinigten Augiasstall auf.

Und Misik ist auch noch inkonsequent. Denn wie lässt sich seine Attacke gegen ein "voreiliges Urteil" mit der folgenden, gewiss zutreffenden Bemerkung vereinbaren: "Malls haben die Eigenart, überall mehr oder weniger gleich auszusehen, sich gleich anzufühlen, gleich zu schmecken." Eigentlich wenig erstaunlich: ihre Besitzer und Mieter sind in einer globalisierten Welt überall die gleichen. Die Wahl zwischen Prada und Armani halten sie gerade noch aus. "Keine Main Street ohne die unvermeidlichen Stores von Kenzo, Louis Vuitton, Prada, Dior." Also doch Homogenisierung? Und wie steht es um die Homogenisierung einer Sprache, in der eine Hauptstraße nicht mehr Hauptstraße und ein Laden nicht mehr Laden heißen darf?

Zu den gelungenen, fast aphoristisch verkürzten Formulierungen zählen die folgenden: "Aus der Forderung nach der Einheit von Kunst und Leben wurde die Einheit von Kunst und Wirtschaftsleben." Oder: "Celebrities sind berühmt fürs Berühmtsein, und dieses Berühmtsein koppelt sich, jedenfalls wenn der Celebritystatus einmal etabliert ist, von der realen Leistung des Künstlers ab." Oder, mit Blick auf den Reiz des "Schäbigen": "Der Anschein der Nichtwarenförmigkeit begründet ihren Erfolg als Ware." Oder, keineswegs witzig, aber dafür umso wahrer: "Die Etablierung der westlichen Konsumzivilisation zur homogen-hegemonialen Kultur auf diesem Globus ist ohne Gegenreaktionen offenbar nicht zu haben." Der Satz enthält Sprengstoff, nicht nur im übertragenen Sinn. Dass darin wieder die zuvor geleugnete Homogenität auftaucht, wollen wir geflissentlich ignorieren.

Die Seife Freiheit

Im fünften Kapitel überträgt Misik seine Kategorien aus der Warenwelt auf die Nation. Im demonstrativen Patriotismus der Fußball-WM sei sichtbar geworden, wie "der Konsumkapitalismus "Deutschland" also zu einem Bild umformt, zu einem "Image", das konsumiert werden kann". Nationale und regionale Identität wie eine Markenidentität zu behandeln, liege im Trend einer Zeit, die alles ökonomisiert und in der die politischen Diskurse den Eindruck erwecken, Gemeinwesen hätten wie Firmen zu funktionieren. Wieder eine gescheite Formulierung. Aber ist, was Misik beschreibt, wirklich charakteristisch für den Konsumkapitalismus und für unsere Zeit? Worin unterschiede sich die Behandlung der nationalen Identität heute in Deutschland von jener, sagen wir, in China oder einst in der Sowjetunion? Hat man sich dort nicht als die Marke "Sozialismus" ebenso verkauft wie es nach Misiks Worten die USA als "die Marke Freiheit" tun? Der Autor versucht da, komplexe Erscheinungen in ein System zu pressen, das damit überfordert scheint. Wer zweifelte an der Erkenntnis, dass "politische Führer heute auf dieselbe Weise ›verkauft‹ (werden) wie Seife, als unmittelbar erkennbare Marken, die der Verbraucher aus dem Regal nimmt". Die aber stammt von Richard Sennett und war schon nicht mehr taufrisch, als dieser sie 2004/2005 formulierte.

Bleibt unterm Strich eine fleißige, material- und zitatenreiche Bestandsaufnahme, die im Grunde bestätigt, was sie – aus Furcht vielleicht vor dem Mangel an Originalität – immer wieder relativieren will: dass der Konsumismus zum allgegenwärtigen herrschenden Prinzip unserer Gesellschaft geworden ist mit Begleiterscheinungen, die man – je nach Standpunkt – als katastrophal, als erträglich oder gar als erfreulich empfinden kann. Die Schönheit, aber auch die Hässlichkeit liegt nun einmal im Auge des Betrachters. Misik selbst legt am Ende immerhin ein Bekenntnis ab: "Mag die Ökonomie auch kultureller werden, so wird vor allem die Kultur ökonomischer. Es versteht sich von selbst, dass ihr das, vorsichtig formuliert, nicht immer gut tut." Es versteht sich von selbst? Ach wäre dem doch so.

Robert Misik Das Kult-Buch. Glanz und Elend der Kommerzkultur. Aufbau, Berlin 2007, 199 S., 19,95 EUR

literaturkritik.de

Wir sind, was wir kaufen

Robert Misik über "Glanz und Elend der Kommerzkultur"

Von Tobias Amslinger

Besprochene Bücher …

Über die "Ökonomisierung der Kultur" wurde immer wieder Klage geführt – zuletzt medienwirksam von Ingo Schulze bei der Verleihung des von E.ON gesponserten Thüringer Literaturpreises. Dass allerdings die Auseinandersetzung mit der gleichzeitigen "Kulturalisierung der Ökonomie" ebenso wichtig ist, zeigt der Wiener Publizist Robert Misik in seiner jüngst erschienenen Analyse des modernen "Kulturkapitalismus".

"Das Kult-Buch" hat Misik sein ebenso scharfzüngiges wie -sichtiges Buch genannt, das uns die Augen öffnet für die enorme Bedeutung des alltäglichen Shoppings und aufräumt mit altbackener Konsumkritik. Wir konsumieren nicht etwa, weil wir werbeverseuchte "Marionetten böswilliger Konzerne" seien, sondern weil wir immer ‚etwas dazu‘ erhalten: der Kauf des fair gehandelten Kaffees verschaffe uns ein gutes Gefühl, der iPod weise uns als Trendsetter aus, und die Converse Chucks seien einfach "Kult". Noch der einfachste Gegenstand sei heute mit Bedeutung aufgeladen, wohingegen der reine Gebrauchswert in den Hintergrund trete. Der Konsument, so Misik, frage ganz bewusst diesen ideellen Mehrwert nach und bastele sich so seine Identität zusammen: "Im Lifestyle-Kapitalismus ist der Stil eines Menschen, seine Identität, unmittelbar verbunden mit den Dingen, die er konsumiert."

Einerseits eröffne der Konsum neue Erfahrungswelten und mache die Welt bunter. Andererseits sieht Misik eine Gefahr darin, dass inzwischen fast "jedes Erlebnis entlang vorfabrizierter Bilder modelliert" sei. Selbst für die vermeintlich so besondere romantisch Liebe gebe es einen festen Katalog von Konsumangeboten: die rote Rose, das Candle-Light-Dinner, der Kinobesuch. Darüber hinaus widmet Misik ein ganzes Kapitel einer "Theorie der Shopping Mall" und legt überzeugend dar, wie die Einheitsästhetik der so genannten Passagen, Arkaden oder Kolonnaden die gewachsene Struktur der Innenstädte zerstört.

Das hauptsächliche Vermögen von Unternehmen bestehe inzwischen "aus imaginären Werten, zu deren Kernbestand das ‚Image‘ zählt, und wird dieses beschädigt, kann der reale Wert des Unternehmens schnell ins Bodenlose fallen." Der Geschäftsmann der Zukunft ist in Misiks Augen kein dicker Kapitalist, sondern ein kreativer Künstlertyp, der ohne Unterlass an seinen Brands arbeitet und sie auf Hochglanz poliert – oder künstlich verwahrlosen lässt. Je nachdem, ob der Käufer sich gerade eher für Eleganz oder "Retro-Chic" interessiert. Das bedeute natürlich auch, dass moralisches Handeln für Unternehmen relevant werde, sobald der Konsument dieses nachfrage. Sein Kaufverhalten wirke auf das Unternehmen zurück, weshalb Misik auch im Konsumenten einen Art Produzent sieht. Zugespitzt formuliert: "Konsum von Stil und Kultur hat eine ebenso wichtige Bedeutung für die Bearbeitung und Veränderung der äußeren Lebenswelt wie für die Selbstbearbeitung der Innenwelt der Subjekte – womit aber auch das Konsumieren eine ‚Produktionsform‘ ist".

Aber nicht nur Unternehmen feilen mit Hochdruck an ihrer Corporate Identity. Selbst auf nationaler Ebene sieht Misik seine Beobachtungen bestätigt: Staaten arbeiten an einer ausgefeilten Öffentlichkeitsarbeit, die dem Rest der Welt die Bedeutung der Marke schmackhaft machen solle. Der Marketingfachmann des Goethe-Instituts präsentiere sein Land als "hedonistisch, ausgelassen und tolerant", indem er Bilder der NSDAP-Aufmärsche mit Fotos von der Love-Parade kontrastiere. Schließlich greife sogar die antikapitalistische Bewegung auf die Mechanismen des Branding zurück und habe eigene Celebrities wie Naomi Klein.

Das klingt alles nicht neu, das hat man alles irgendwie bereits gewusst oder geahnt. Misiks Verdienst ist es, die Dinge auf den Punkt zu bringen, und eine Fülle von Untersuchungen und Beobachtungen anzuführen. Worum es ihm in erster Linie geht, ist Aufklärung. Er hat keine Heilsbotschaften, keine antikapitalistischen zehn Gebote im Gepäck. Sein Buch ist ein gelungenes Plädoyer für eine neue Form der Konsumkritik, und gegen den Dünkel, sich nicht mit dem scheinbar Banalen und Unwichtigen – dem eigenen Kaufverhalten – auseinandersetzen zu wollen. Es schärft das Bewusstsein für die Involviertheit jedes Einzelnen – denn wer konsumiert nicht? Wie es von diesem Punkt aus weitergeht, das steht auf einem anderen Blatt.

The Gap:

ROBERT MISIK
DAS KULT-BUCH
(Aufbau) Was waren das doch für aufregende Zeiten, als wir in verrauchten Hinterzimmern die Weltrevolution im Detail durchplanten, Barrikaden aus Mercedes-Sternen bauten und uns die Birne vor lauter Klassenbewusstsein nur mehr mit rotem Libanese voll dröhnten … Die Epoche schritt voran, und eine Zeitlang galt es als schick, lechts und rinks nicht mehr nur zu velwechsern, sondern gleich für überholt zu erklären. Aber seit Globalisierung und neoliberaler Mainstream auch dem Kulturprekariat wehtun, machen sich unsere postmodernen Freunde wieder Gedanken darüber, welch grausige Resultate die kapitalistische Verwertungslogik zeitigt. Für alle, die mit dem bösen Empire nicht ins Bett gehen und endlich Teil des supernetten Multitude sein wollen, hat Robert Misik das „Kult-Buch“ geschrieben. Es ist ein flottes Manifest der Konsumkritik und trägt den Untertitel „Glanz und Elend der Kommerzkultur“. Altbackene Schwarz-Weiß-Malerei ist nicht Misiks Sache, lieber analysiert er kenntnisreich, wie Waren unser Sein und Bewusstsein bestimmen und sich Wahl und Freiheit fast nur noch aufs Kaufen und Konsumieren reduzieren. Die Waren unterscheiden sich weniger durch ihre Qualität als durch das „Image“ der jeweiligen Markenkampagne. Stil, Identität, ja, die Kultur als solches wird zum Konsumartikel degradiert – und alle machen mit. Außer mir, der sich das Kult-Buch nicht gekauft, sondern in der Bücherei ausgeliehen hat.
9/10 ANDREAS WIESINGER

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