Die (Un-)Sinnressource

Glaubenskrieg am Büchermarkt: Richard Dawkins und Sam Harris wollen Toleranz gegen Gläubige nicht länger tolerieren. Peter Sloterdijk findet, dass die Monotheismen allesamt ziemlich gefährlich sind. Kardinal Christoph Schönborn erklärt Barbara Stöckl, dass das Christentum auch seine praktischen Seiten hat. taz, Buchmessebeilage, 10. Oktober 07

 

 

Die „Renaissance der Religionen“ hat eine Reihe von Eigentümlichkeiten, die sich nicht darin erschöpfen, dass neuerdings wieder Menschen andere Menschen köpfen oder in die Luft sprengen, weil sie sie für „Ungläubige“ halten. So gibt es auch ein Revival der Religionskritik. Bücher wie jenes von Sam Harris („Das Ende des Glaubens“) oder Christopher Hitchens furioser Großessay „Der Herr ist kein Hirte“ wurden in den USA schon Bestseller, vor allem aber Richard Dawkins bissiger Generalangriff gegen die Religiosität – „Der Gotteswahn“ – löste heftige Debatten aus. Jetzt ist er auch auf Deutsch zu haben.

 

Dawkins, als Evolutionsbiologe, vor allem aber als Wissenschaftspublizist eine Koriphäe, wendet sich mit maximaler Schroffheit gegen die Gläubigen. An Obskurantismus und Gewalt seien die Religionen schuld, sie hetzen die Menschen gegeneinander auf, und es gibt nichts, was an ihnen gut sei, so ist sich Dawkins sicher. Mehr noch als die Radikalen, die Fundamentalisten, nimmt Dawkins fast noch die Gemäßigten Gläubigen aufs Korn: die bereiteten den Radikalen den Boden. Würde man nicht dem Irrglauben aufsitzen, dass Religiosität toleriert werden müsse, wäre die Welt ein härteres Pflaster für Leute wie bin Laden & Co, ist Dawkins überzeugt. Alles, was sich vielleicht Positives in den religiösen Traditionen finden ließe, so Dawkins, findet man auch in allen anderen moralischen Imperativen der Geistesgeschichte, darüber hinaus seinen Bibel & Koran nicht „jene Art von Buch, das Sie ihren Kindern geben sollten“.

 

Ein Buch voller Verve, wenngleich es, wie sich das für eine pamphletistische Breitseite gehört, nicht ganz das Abstraktionsniveau erreicht, das die Religionskritik schon einmal hatte. Alles in allem wendet sich Dawkins in seiner thesenfetten Streitschrift gegen zwei Behauptungen aus dem gläubigen Eck. Erstens: Dass die Religionen wahr sind. Zweitens: Dass sie nützlich sind. Jene Passagen, die Ersteres aufspießen, sind für europäische Leser eher mühsame Kost. Sie zielen einfach zu sehr auf den Kontext der USA, wo ein relevanter Teil der Bürger etwa der Meinung ist, dass die Bibel „wörtlich“ wahr oder zumindest göttlich „inspiriert“ sei, wo diejenigen, die den Kreationismus oder „Intelligent Design“ in den Schulen lehren wollen, nicht nur am Narrensaum zu finden sind.

 

Da in unseren Breiten viele Menschen spontan an Dingen wie der Jungfrauengeburt, der Aufspaltung Gottes in verschiedene Betriebsmodi – Herr, Sohn, Heiliger Geist – oder dem Gipfeltreffen von Moses und Jahwe am Berg Sinai zweifeln, wird dagegen von Gläubigen mehr Gewicht auf das zweite Argument gelegt. Die Schrift sei zwar nur metaphorisch zu verstehen, Glaube jedoch, wird neuerdings wieder häufiger behauptet, ist aber irgendwie praktisch. Und zwar, weil er den Menschen Sinn gäbe, Bürger, die ansonsten atomisiert nebeneinander her leben würden, zu einer Gemeinschaft zusammen schmiede, und er aus Berserkern tugendhafte Leute mache.

 

Unter den Neuerscheinungen, die dieses Thema fort spinnen, stechen zwei hervor, die in Stil und Typus unterschiedlicher nicht sein könnten. Wiens Kardinal Christoph Schönborn erklärt im Gespräch mit TV-Talkerin Barbara Stöckl, warum Religion gut ist, Peter Sloterdijk meldet in seinem neuesten Großessay Zweifel an. Um es gleich vorweg zu sagen: Sloterdijk liefert wieder einmal ein luzides Opus ab, gelehrt und geistreich, auf einem literarischen Niveau, das heute nur wenige Philosophen zu erreichen vermögen. Aber das hatte man ja nicht anders erwartet. Überraschend dagegen ist der Großdialog von Kardinal und Talkmasterin: Auch dies ein kluges Buch mit guten Fragen und präzisen Antworten.

 

Sloterdijk fragt, ob es nicht in den großen Monotheismen ein Aggressionspotential gibt, ein inhärentes Eiferertum, eine Unterwerfungslust, und ob deren ewiges Sündengerede wirklich moralische Menschen produziert – oder nicht doch eher Neurotiker. Sloterdijk denkt hier fort, was Jan Assmann in seiner viel diskutierten Studie „Die Moseische Unterscheidung“ provokant proklamiert hat, nämlich, dass erst der Monotheismus das Kriterium „wahr“/„falsch“ in die Religionsgeschichte eingeführt hat. So steckt in jeder der drei großen monotheistischen Religionen ein Kern an Eiferertum, den sie, bei aller Mäßigung und Aufklärung, gar nicht los kriegen können. Verharren im Unglauben sieht der monotheistische Eifer seit je als Verbrechen – das gilt für das Christentum, das sich als „Religion der Liebe“ vorstellt, nicht viel anders als für Islam und Judentum. „Daher umgibt sich die Heilsbotschaft seit ihren ersten Tagen mit einer Eskorte aus Drohungen, die den Überzeugten das Schlimmste in Aussicht stellen. Zwar spricht das Evangelium davon, nach allen Seiten Segen bringen zu wollen, doch auf die Nicht-Bekehrten wünscht der christliche Militantismus von der ersten Stunde an den Fluch des Himmels herab.“

 

Ob eine solche Religiosität der Moralität wirklich nützt, ist sehr fraglich. In diesem Sinne schreibt der Soziologe Gerhard Schulze in dem kleinen Sammelband „Was ist eine gute Religion?“, herausgegeben vom NZZ-Redakteur Uwe Justus Wenzel: „So ist Nächstenliebe kein Monopol der Religionen, die oft genug als Nächstenhasser aufgetreten sind, sondern eine anthropologisch gegebene Disposition.“

 

Es versteht sich von selbst, dass Kardinal Christoph Schönborn all das ziemlich anders sieht. Schönborn liefert im flotten Plauderton, bei dem es aber nie allzu seicht wird, ein Exempel dafür, wie die Aufgeklärteren unter Gottes Bodenpersonal die Dinge sehen. Klar, hin und wieder macht er sich so lächerlich, wie das der Kirchenferne von Kardinälen erwartet, etwa wenn er die Beichte „eine wöchentliche oder regelmäßige Powerstation“ nennt. Aber über weite Strecken ist das Buch klug & lebensklug und manchmal richtig amüsant. Schönborn redet nicht herum: Er ist gegen eine politisierende Religion, aber er weiß: Religionen sind nie unpolitisch, weil sie auf die gesellschaftliche Moral abzielen. „Die Grundfrage ist, ob auf die Dauer eine Moral ohne eine transzendente Begründung, ohne eine Begründung in der Religion, im Glauben an Gott, ohne eine Verbindlichkeit Gott gegenüber zu halten ist“ – dies sei, so Schönborn, sehr „fraglich“. Schönborn: „Die Drohung mit dem Gericht Gottes, die tut uns ganz gut.“ Nun ist das gewiss eine fragwürdige Anthropologie, an die er selbst nicht so recht glaubt, wie eine andere Passage beweist, in der der Kardinal sagt: „Ich denke, die meisten Menschen wissen im Innersten sehr genau, was richtig ist und was nicht.“

 

Alles in allem scheint es so, dass die Religionen ihre sonnigsten Tage hinter sich haben. Nach dem Ende der Ideologien kamen sie als „Sinnressource“ ja in Mode, auch die Kritische Theorie machte ihren Frieden mit der Glaubenskongregation, und kaum eine Ethikkommission kommt heute ohne Bischof, Imam, Rabbi aus. Dass der Preis für die „Renaissance“ des Religiösen die Rückkehr des Eiferertums ist, kommt erst allmählich ins Bewusstsein – bisher hat man sich damit beruhigt, dies sei eine islamische Eigenart. Dawkins und seine religionskritischen Mitstreiter hoffen auf die Aufklärung, ja, auf einen regelrechten Aufstand der Atheisten, dieser schweigenden Minderheit (oder gar Mehrheit?). Sloterdijk, im Stil Lichtjahre, in der Botschaft aber gar nicht so weit von den amerikanischen „Eiferern gegen das Eiferertum“ entfernt, hofft eher auf „geläuterte Eiferer“, auf jene Anhänger der Monotheismen, denen viele Stellen ihrer eigenen sakralen Bücher „wie peinliche Archaismen vorkommen“. Auf Bischöfe wie Schönborn eben, die schön erzählen können, dass Religion sehr nützlich ist. Ein Glaube, wie der, den Christoph Schönborn vertritt, der richtet wenig Schaden an und tut niemandem weh. Und das ist, wie Peter Sloterdijk zeigt, ohnehin das Beste, das man über eine Religion sagen kann.

 

Richard Dawkins: Der Gotteswahn. Berlin, 2007, 560 Seiten, 22,90 €

 

Peter Sloterdijk: Gottes Eifer. Vom Kampf der drei Monotheismen. Frankfurt 2007. 218 Seiten, 17,30 .- €

 

Christoph Schönborn / Barbara Stöckl: Wer braucht Gott? Wien, 2007. 188 Seiten, 17,90 .- €

 

Sam Harris: Das Ende des Glauben. Religion Terror und das Licht der Vernunft. Winterthur, 2007. 342 Seiten, 22.- €

 

Uwe Justus Wenzel (Hrsg): Was ist eine gute Religion? München, 2007, 133 Seiten, 14,90.- €

 

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